Illustration eines energieautarken Hauses

Autark leben – und bauen

×

Auf den Punkt gebracht

  • Vorbildfunktion. Das deutsche Feldheim ist ein autarkes Dorf und versorgt 55.500 Haushalte mit Energie. Verteilt wird über ein eigenes Fernwärme- und Stromnetz.
  • Nachahmerpotenzial. Der Eintrittspreis in das autarke Leben betrug 3.000 Euro, heute liegen die Energiekosten weit unter dem Schnitt.
  • Prioritäten. Ein Einfamilienhaus auf Selbstversorgung umzurüsten, kostet nicht mehr als ein E-Auto. Oft scheitert es am Willen, nicht an der Technologie.
  • Wegweisend. Erste energie-autarke Hochhäuser entstehen bereits. Doch viele Bauträger meiden das Thema Autarkie – zum Nachteil der späteren Bewohner.

Feldheim liegt mitten in der Brandenburger Einöde zwischen Berlin und Leipzig. Ein kleines Dorf wie Dutzende in der Umgebung, allerdings mit einer zukunftsweisenden Besonderheit: Die etwa 130 Einwohner haben heute deutlich weniger Sorgen als der Rest der Welt. Im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte hat die Bürgergemeinschaft das Dorf komplett energieautark gemacht; es verfügt heute über eine eigene Fernwärmeversorgung und sogar ein privates Stromnetz.

Initialzündung für das Projekt war der Gemeinschaftsgedanke, erinnert sich Doreen Raschemann, Vorsitzende des Fördervereins Neue Energien Forum Feldheim: Am Anfang stand die Sorge um Arbeitsplätze. Die örtliche Agrargenossenschaft konnte ihre Produkte nicht mehr kostendeckend verkaufen. „Statt den Betrieb zu verkleinern, suchten wir nach neuen Wegen und beschlossen den Bau einer Biogasanlage. Da auch damals das Öl teuer war, machten alle Einwohner mit.“ Alle Feldheimer wurden zu Gesellschaftern einer eigens gegründeten Kommanditgesellschaft. Sie mussten bloß 3.000 Euro für ihre künftige Wärmeversorgung einzahlen, der Rest wurde über Kredite und Fördermittel aufgebracht.

Autarkes Dorf

Seit 2008 werden aus Gülle, Mais und Getreideschrot jährlich vier Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt, die ans öffentliche Stromnetz verkauft werden. Die Abwärme der Stromerzeugung wird als Fernwärme genützt, zur Ab­sicherung dienen ein Pufferspeicher und eine Hackschnitzelheizung, wobei Letztere nur bei Engpässen in Betrieb genommen wird. Und weil schon alle Straßen aufgegraben waren, nutzte man die Gelegenheit, gleich ein autarkes Stromnetz zu installieren.

×

Zahlen & Fakten

Leben im Kraftwerk

Illustration eines energieautarken Hauses
So funktioniert ein weitgehend energieautarker Haushalt heute schon. © Vesa Sammalisto/Synergy Art

Feldheim ist also weitgehend unabhängig von den großen Anbietern. Doreen Raschemann: „Vor der Krise lagen unsere Energiepreise etwa auf dem Niveau der Gaspreise, heute sind wir deutlich günstiger und auf viele Jahre abgesichert.“ Gemeinsam mit den umliegenden Windkraft- und Photovoltaikanlagen produziert das kleine Feldheim Strom für 55.500 Haushalte. Das nächstgelegene Windrad steht nur einen Kilo­meter vom Ortskern entfernt. Wie lässt es sich damit leben? Doreen Raschemann: „Unsere Einwohner schätzen die niedrigen Energiepreise und die Versorgungssicherheit mehr als die Störung durch die Windkraftanlagen.“

Energieautarkie funktioniert

Das Beispiel Feldheim darf aus mehreren Gründen als Idealfall gelten. Die Einwohner pflegen einen ehrlichen und pragmatischen Zugang zur Energie­autarkie, der eben auch mit Nach­teilen – hier der Präsenz der Windräder – verbunden sein kann. Der Zusammenschluss der 37 Haushalte brachte hohe Einsparungseffekte beim Bau der Anlagen und mehr Versorgungssicherheit bei einem Systemausfall. Und nicht zuletzt war eine weitreichende Einigkeit der Einwohner bei der Umsetzung ­Voraussetzung.

Im Grunde lässt sich heute aber jedes Ein- beziehungsweise Mehrfamilienhaus sinnvoll energieautark gestalten, technologische Fortschritte und Skaleneffekte durch steigende Produktionsmengen machen es möglich. So haben sich etwa die Preise für Photovoltaikzellen in den vergangenen zehn Jahren halbiert, dementsprechend schneller amortisieren sich die Anlagen.

Die Basis ist stets, dass man die Sonnenenergie möglichst effizient in jeder nur möglichen Form nützt. Solarkollek­toren erzeugen das Warmwasser für Bad und Heizung, Wärmepumpen entziehen Luft, Boden oder Grundwasser Wärme, Photovoltaikzellen wandeln Licht in Strom um. Außerdem wichtig für maximale Autarkie: Zur Über­brückung von Schlechtwetterperioden bedarf es möglichst großer Speichermöglichkeiten, also Pufferspeicher für Heißwasser beziehungsweise Batterien für Strom.

Windenergie spielt hingegen im privaten Bereich kaum eine Rolle. Sogenannte Mikro-Wind­an­lagen sind nach industriellen Maßstäben kaum ausgereift, liefern nur wenig Leistung, haben aber einiges Potenzial für Ärger mit den Nachbarn.

Große Einsparpotenziale

Weitgehende Energieautarkie kostet bei einem Einfamilienhaus inzwischen deutlich weniger als ein Elektroauto. Dass es in den letzten Jahren trotzdem nicht zum großen Boom kam, dürfte einen schlichten Grund gehabt haben: Fossile Energie war wie selbstverständlich vorhanden und relativ preiswert.

Öffentliche Bauträger scheuten genauso wie Private die rund 20 Prozent Mehrkosten, mit denen sich ein hoher Grad an Energieautarkie bei einem Wohn- oder Bürogebäude herstellen lässt. Azra Korjenic, Leiterin der Abteilung Ökologische Bautechnologien an der Technischen Universität Wien: „Eigentlich müssen wir das Thema gesamtheitlich betrachten. Die großen Einsparungspotenziale liegen im Sanierungsbereich, aber auch bei der Errichtung.

Es sind immer Energie- und andere Ressourcen zu berücksichtigen, von der Entnahme des Materials in der Natur bis hin zur Wiederverwertung. Immerhin gehört die Bauindustrie zu den größten Energieverbrauchern. Bei der Planung lag der allgemeine Fokus in der Vergangenheit klar auf leistbarem Wohnen. Die Bauträger scheuten auch die Komplexität und die damit verbundenen höheren Instandhaltungskosten.“

Tatsächlich gilt die Faustregel: Je mehr Technik in einem Gebäude installiert ist, desto aufwendiger und teurer wird die Wartung. Die beste Form der Energie ist jene, die man erst gar nicht erzeugen muss. Als Basis ist daher ein möglichst gut gedämmtes Objekt sinnvoll, eine durchdachte Beschattungs­anlage ist um Häuser sinnvoller als eine aus Photovoltaik gespeiste Klimaanlage.

Ein Traktor in der energieautarken Gemeinde Feldheim vor einer Photovoltaikanlage und Windrädern
Die Mustergemeinde Feldheim nutzt alle nur möglichen Varianten der Energieproduktion, vom Biogas über Windenergie bis zur Photovoltaik. © Picturedesk

Positive Beispiele der Machbarkeit gibt es inzwischen in jedem Bereich. Beim Grosspeter  Tower in Basel etwa besteht die Hälfte der Fassade aus Photovoltaikelementen, die immerhin 62 Prozent des Strombedarfs des 22-stöckigen Bürohauses abdecken. In Brütten nahe Zürich entstand ein Neunfamilienhaus, das auf ex­terne Energieanschlüsse vollständig verzichten kann, weil aus überschüssiger Sonnen­energie mittels Elektrolyse Wasserstoffgas erzeugt und eingelagert wird.

Sinnvoller als ein Elektroauto

Zu den Autarkie-Pionieren bei Einfamilienhäusern gehört der oberösterreichische Baumeister Boris Maier. „Die größten Energiemengen werden in unseren Breiten fürs Heizen gebraucht. Da Wärme deutlich günstiger zu gewinnen ist als Strom, haben wir die gesamte Fassade mit thermischen Sonnenkollek­toren verkleidet und einen Pufferspeicher mit 9.000 Liter Volumen installiert. Eine zusätzliche leistungsstarke Photovoltaik­anlage deckt unseren Strombedarf ab.“

Sein Haus sollte als Musterobjekt dienen, über die Entwicklung der Dinge war der Projektmanager aus Schwertberg allerdings enttäuscht: „Ich finde, dass diese Art des Öko-Statements sinnvoller und ehrlicher ist als die Anschaffung eines Elektroautos. Außerdem verliert das Auto mit der Zeit an Wert, während ein energieautarkes Haus Monat für Monat bei den Fixkosten spart.“

Mittlerweile stehen die Chancen nicht schlecht, dass diese Sichtweise in nächster Zeit groß in Mode kommen wird. Schade, dass es dazu einen Krieg gebraucht hat.

×

Conclusio

Die Unabhängigkeit von Weltkrisen und Blackouts ist machbar. Die Investitionen und Probleme sind gering, wie funktionierende Beispiele zeigen. Erstaunlich ist eigentlich nur, wie selten die zukunftsweisenden Technologien bisher eingesetzt wurden. Am einfachsten lässt sich die Sehnsucht nach Unabhängigkeit derzeit noch mit einem Einfamilienhaus oder in kleineren Wohngemeinschaften verwirklichen. Doch Beispiele wie das deutsche Dorf Feldheim zeigen, dass sich mit Eigeninitiative und Gemeinsinn auch größere Projekte verwirklichen lassen – und Politik und Wirtschaft nur an einem Strang ziehen müssen, um Autarkie auch auf Landesebene zur Realität zu machen.