Illustration eines Sensenmanns, dessen Sense von einem älteren Mann zerbrochen wird

Der Traum vom ewigen Leben

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Auf den Punkt gebracht

  • Sterben – ein Konzept von gestern? Im Silicon Valley investieren die reichsten Menschen der Welt Milliarden in Forschung, die den Tod besiegen will.
  • Vorbild Tierwelt. Vor allem unter Wasser können wir auf Tiere und Organismen treffen, die hunderte oder tausende Jahre alt werden – oder sogar ewig leben.
  • Technische Hürden. Noch stellt das Ziel der Unsterblichkeit die Wissenschaft jedoch vor zahlreiche Rätsel. Ein vielversprechender Ansatz liegt in der Zellverjüngung.
  • Wollen wir ewig leben? Unsterblichkeit ist aber auch mit ethischen Fragen verbunden. Darunter jene, ob das Leben ohne den Tod seine Bedeutung verliert.

Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod.

            1. Korinther 15:26

Max More war wütend auf Mutter Erde. Wie wir alle wurde er geboren in einen Körper, dem der Verfall innewohnt. Jeder Tag ist ein Tag näher am Tod. Andere mögen das akzeptieren, aber er hatte sich nicht umsonst den Namen Max More gegeben. Er wollte mehr vom Leben. 1999 schrieb er seine Anklage an Mutter Erde in einem offenen Brief nieder und veröffentlichte sie als Blogpost in einem damals noch neuen Medium namens Internet: „Wozu du uns gemacht hast, ist prächtig, aber auch voller Fehler. Offenbar hast du in den vergangenen 100.000 Jahren dein Interesse an unserer weiteren Evolution verloren.“ Vor allem eines schockierte ihn: dass Mutter Erde das lästige Problem des Sterbens nicht gelöst hatte. Max More kündigte an, die Dinge ab sofort selbst in die Hand zu nehmen. „Wir werden die Tyrannei des Alterns und Sterbens nicht länger akzeptieren.“

Fast 25 Jahre später hat er zwar den Tyrannen Tod noch nicht gestürzt, aber immerhin ein Unternehmen mitaufgebaut, das eine Zwischenlösung anbietet: Bei der Alcor Life Extension Foundation in Scottsdale, Arizona, lagern 182 Verstorbene in Flüssigstickstoff (und auch einige ihrer Haustiere). Sie warten darauf, aufgetaut zu werden, wenn die Wissenschaft weit genug ist, ihnen wieder Leben einzuhauchen – weshalb die Verstorbenen bei Alcor „Patienten“ genannt werden.

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Zahlen & Fakten

Grafik eines Gehirns in einem Eisblock
Wer an der Unsterblichkeit interessiert ist, hat die Wahl: Den ganzen Körper oder nur das Gehirn einfrieren lassen? © Getty Images

Den Tod auf Eis legen? 4 Fragen und Antworten zu Kryonik

  • Seit wann wollen Menschen sich einfrieren lassen? Die Idee der Kryonik entstand 1962, als der deutsch-ukrainische Science-Fiction-Autor Robert C. W. Ettinger in seinem Buch The Prospect of Immortality vorschlug, dass Menschen sich selbst einfrieren könnten, um in Zukunft von einer moderneren Medizin wiederbelebt zu werden.
  • Wie genau läuft der Prozess ab? Nach dem Tod wird das Blut des Patienten durch eine Kryo-Schutzflüssigkeit ersetzt, um zu verhindern, dass sich bei der Absenkung der Temperatur Eis in den Zellen bildet. Das Gehirn oder der Körper wird dann auf Trockeneis gelegt und in die Konservierungseinrichtung transportiert, wo in einem Kryostat – einer Art riesiger Thermoskanne – die Temperatur allmählich auf -196 Grad Celsius gesenkt wird. Bis zur Wiederbelebung.
  • Wie weit ist die Technik fortgeschritten? Noch steckt die Kryonik in den Kinderschuhen – zumindest, was das Wiederbeleben von Menschen betrifft. 2009 wurde erfolgreich eine Kaninchenniere eingefroren, aufgetaut und transplantiert; 2016 folgte dann ein Kaninchengehirn – das sich aber freilich schon nicht mehr als funktionstüchtig erwies. Bis Menschen wieder von den Toten auferstehen können, wird es also noch dauern.
  • Haben sich Menschen trotzdem schon einfrieren lassen? Ja – weltweit rund 2.000. Der erste Mensch, der kryogenisch eingefroren wurde, war Dr. James Bedford im Jahr 1967. Er befindet sich noch immer in der Alcor Life Extension Foundation.

116 von ihnen lagern nur ihre abgetrennten Köpfe ein. Ihre Hoffnung: Ihr Gehirn könnte eines Tages ins Netz hochgeladen werden; oder ihr Kopf würde auf einen neuen Körper gesetzt (der entweder aus Fleisch und Knochen bestehen oder aber eine Maschine sein könnte). Letzteres ist mit rund 80.000 Dollar auch weit billiger als das Konservieren des ganzen Körpers, das auf 200.000 Dollar kommt. Die Mehrheit der künftigen Patienten ist aber noch am Leben; rund 1.800 Menschen haben sich bislang für die Prozedur angemeldet.

Die selbsternannten Götter

Max More war einer der Vorreiter einer Bewegung, die sich Transhumanismus nennt und sich zum Ziel gesetzt hat, den größten Feind der Menschheit zu besiegen: den Tod höchstpersönlich. Das mag gleichzeitig naiv, verzweifelt und größenwahnsinnig klingen, aber einige der reichsten und einflussreichsten Menschen unserer Zeit, unter ihnen Google-Gründer Larry Page, Amazon-Gründer Jeff Bezos oder PayPal-Gründer Peter Thiel, haben sich dem Transhumanismus angeschlossen, um der Endlichkeit den Kampf anzusagen – oder sie zumindest weit hinauszuzögern.

Die meisten von ihnen sitzen im kalifornischen Silicon Valley und haben eine „gesunde“ Portion Selbstbewusstsein: „Sie halten sich für Götter, weil sie diese außergewöhnlichen Dinge entwickelt haben, die wir alle nutzen“, sagt die Historikerin  Margaret O’Mara von der Washington University, die das Buch The Code: Silicon Valley and the Remaking of America geschrieben hat.

Ein Update gegen den Tod

Und nun haben sie beschlossen, dass der Tod nicht mehr das unausweichliche Ende des Lebens ist, sondern ein medizinisches Problem, das auftritt, weil wir dem Körper zu wenige notwendige Updates verpassen. So utopisch das klingen mag: „Ich glaube, dass ihr Streben, für immer jung zu bleiben, authentisch ist“, sagt O’Mara. „Wenn man reich und klug genug ist, wenn man glaubt, dass Technologie alles möglich machen kann und seit zehn Jahren grüne Smoothies trinkt, dann fängt man an, nach ewiger Jugend zu streben. Sie wollen, dass die Party niemals endet.“

Und sie werfen einen Haufen Geld auf das Problem. Mit einem Anfangskapital von drei Milliarden Dollar begann im Sommer des Vorjahres das Start-up Altos Labs, das in seinem Team mehrere Nobelpreisträger versammelt und sich das Ziel gesetzt hat, gealterte Zellen wieder zu verjüngen. Ab Sommer 2022 wird dort mit Hal Barron ein Pharma-Schwergewicht als CEO die Geschicke leiten – er gab dafür einen Job mit einer Jahresgage von rund elf Millionen Dollar beim Pharmariesen GSK auf. Bereits 2013 gründete Google das Unternehmen Calico (steht für California Life Company) mit einem Fokus auf die Bekämpfung des Alterns; andere Unternehmen mit der gleichen Zielrichtung heißen etwa Methuselah Foundation oder Human Longevity, Inc. Was wie der Stoff von Science-Fiction-Storys klingt, ist ein Milliarden-Business geworden.

Durchbruch oder Größenwahn?

Aber wie stellt sich das Silicon Valley den Kampf gegen den Tod konkret vor? Und schreitet die Forschung tatsächlich voran, oder werden die Tech-Mogule am Ende bis in alle Ewigkeit in Flüssigstickstoff lagern, weil die Überwindung der Endlichkeit doch nur eine Illusion war, geboren aus dem Größenwahn jener, die im Leben alles erreicht haben? Die Antwort auf diese Frage werden wir erst in vielen Jahren haben. Klar ist: Es gibt vielversprechende Ansätze – aber keinerlei Garantie, dass sie wirklich zu wissenschaftlichen Durchbrüchen führen werden.

Der Heilige Gral, auf den die meisten dieser Unternehmen hoffen, ist, den Alterungsprozess der Zelle komplett aufhalten oder sogar umkehren zu können – was nichts anderes heißt, als für immer jung zu bleiben oder wieder jung zu werden. Dass die Natur diese Möglichkeit nicht komplett ausschließt, zeigt die Quallenart Turritopsis dohrnii, die ihren eigenen Alterungsprozess umkehren kann und damit potentiell unsterblich ist. Sie hat die einzigartige Fähigkeit, ausdifferenzierte Zellen wieder in Stammzellen zu verwandeln; was nichts anderes heißt, als die Zellalterung umzukehren.

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Zahlen & Fakten

Schildkröte im Meer
Tierische Langlebigkeit ist fast nur in den Meeren zu finden. © Unsplash/Jakob Owens

Tierisch alt

Worauf der Mensch noch hofft, das haben einige Tiere bereits geschafft: ein jahrhundertelanges Leben oder sogar die Fähigkeit, wieder jünger zu werden. Hier die beeindruckendsten Beispiele:

  • Islandmuschel: Wer diese rund zwölf Zentimeter ­große Muschel verspeist – sie gilt in den USA, Kanada und Island als Delikatesse –, isst ein Stück Geschichte: Forscher konnten nachweisen, dass die Islandmuscheln knapp über 500 Jahre alt werden können.
  • Glasschwamm: Die in der Tiefsee lebenden Tiere ­haben eine eigene Zeitrechnung: Sie existieren als Spezies bereits seit 545 Millionen Jahren (die Menschheit existiert seit etwa 300.000 Jahren), einzelne Exemplare werden rund 11.000 Jahre alt.
  • Schwarze Korallen: Zunächst: Korallen werden tatsächlich der Tierwelt zugeordnet, genauer gesagt den Blumentieren. Bei Schwarzen Korallen vor Hawaii konnte ein wirklich biblisches Alter von 4.265 Jahren festgestellt werden.
  • Galápagos-Riesenschildkröte: Sie ist ein Symbol für Langlebigkeit – auch wenn sie im Vergleich zu an­deren Tieren gar nicht so alt wird. ­Bekannt wurde vor allem Lonesome George, der mit rund 100 Jahren 2012 starb.
  • Hydra: Während sich die Zellen anderer Lebewesen spezialisieren, besteht die Hydra nur aus Stammzellen. Was bedeutet, dass sie nicht altert und potentiell unsterblich ist – bis sie von Feinden aufgefressen wird.
  • Turritopsis dohrnii: Das auch Benjamin-Button-Qualle genannte Lebewesen ist in allen Weltmeeren verbreitet und nur ein paar Millimeter groß, verfügt aber über eine einzigartige Fähigkeit: Es kann seinen Alterungsprozess umkehren und biologisch wieder jünger werden, was es ­potenziell unsterblich macht.

2006 gelang dem japanischen Forscher Shinya Yamanaka – zumindest im Reagenzglas – das Gleiche bei menschlichen Zellen, 2012 wurde er dafür mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet; und nun fungiert er als Senior Scientific Advisor für Altos Labs. Seine Entdeckung ist die größte Hoffnung für all jene, die nicht mehr sterben wollen. Es sind nur vier Moleküle – die Yamanaka-Faktoren –, die den Prozess in Gang setzen. Und erst im März 2022 zeigten Forscher des kalifornischen Salk Institute for Biological Studies, dass sich bei Mäusen – und speziell bei deren Haut und Nieren – tatsächlich Verjüngungseffekte einstellen, wenn ihnen die Moleküle verabreicht werden. Versuche, den Menschen zu verjüngen, waren allerdings bis jetzt nicht erfolgreich, im Gegenteil: Die Yamanaka-Faktoren führten zu Krebsbildung.

Wie können wir den Tod besiegen und ewig leben?

Trotzdem: Die Forschung steht an einem entscheidenden Wendepunkt. Sie will nicht mehr nur die Krankheiten besiegen, die durch den Alterungsprozess entstehen. Sondern vorher ansetzen, das Altern stoppen oder sogar umkehren, um uns ein langes – im Idealfall ewiges – Leben ohne Leiden zu bescheren. Wie die Forschung läuft, um das zu erreichen, ist allerdings – jedenfalls was das Silicon Valley betrifft – schwer zu sagen, weil sich diese Unternehmen der Tech-üblichen Geheimniskrämerei verschrieben haben. Was Googles Calico konkret macht, weiß niemand so genau – knapp zehn Jahre nach Gründung sind noch keine Forschungsergebnisse bekannt.

Klar ist auch: Die Hoffnung, den Tod zu bezwingen, ist immer noch weit weg vom wissenschaftlichen Mainstream. „Die Wissenschaft ist per se nicht unbedingt daran interessiert, sicherzustellen, dass Peter Thiel ordentlich eingefroren wird“, sagt Margaret O’Mara. Aber Menschen wie er haben die Mittel, zumindest zu versuchen, dem Tod von der Schippe zu springen.

Der Tod, das unbekannte Land

Die eigene Endlichkeit und die Hoffnung auf deren Überwindung haben die Menschen seit jeher begleitet. „Es gehört zur Conditio humana, dass wir angesichts der Endlichkeit unseres Daseins den Wunsch nach Fortdauer, nach einem Leben nach dem Tode in uns tragen“, sagt der Philosoph  Peter Kampits. Fast alle Religionen haben ihre Version einer Ewigkeit – ob das der christliche Himmel oder die buddhistische Wiedergeburt ist.

All diese Narrative beruhen auf dem Prinzip Hoffnung. „Der Tod bleibt für uns ein ‚unbekanntes Land‘, vor dem unsere Erkenntnis haltmacht“, sagt Kampits. Vermutlich deshalb ziehen sich auch die Versuche, den Tod zu überlisten oder ihm zu entkommen, durch ungezählte Schriften und Mythen. Bereits der älteste überlieferte literarische Text, das etwa 5.000 Jahre alte, auf Tontafeln erhaltene Epos von Gilgamesch, handelt vom Streben des Menschen nach Unsterblichkeit. In der griechischen Mythologie hat Sisyphos den Todesgott Thanatos gefesselt, wodurch niemand mehr sterben konnte (Kriegsgott Ares befreite letztlich seinen Kollegen); und im Mittelalter suchte die Tafelrunde von König Artus nach dem Heiligen Gral. Die Moral der Geschichte blieb stets unverändert: Der Mensch muss sein Schicksal akzeptieren.

Der Fluch der Unsterblichkeit

Der Traum der Unsterblichkeit zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte: Ein Streifzug durch religiöse, philosophische und transhumanistische Vorstellungen der Ewigkeit, und warum am Ende alles anders ist.

Illustration von Peter Kampits
ist österreichischer Philosoph und Experte für Bioethik

Über weite Teile der Menschheitsgeschichte hatte der Tod tatsächlich leichtes Spiel: Babys und Mütter starben oftmals bei der Geburt, die Menschen waren wehrlos gegen Krankheiten; und eine simple Schnittwunde konnte zu einer tödlichen Blutvergiftung führen. Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Mensch zu einem beinahe ebenbürtigen Gegner des Sensenmanns geworden: Medizinische Innovationen wie Impfungen und Antibiotika oder simple Hygienemaßnahmen wie Händewaschen haben die Lebensspanne des Menschen seither nahezu verdoppelt. Aber das Problem ist: Viele dieser gewonnenen Lebensjahre können wir nicht genießen.

Der Pakt mit dem Teufel

„Wir haben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen“, sagt  Nir Barzilai , Gründungsdirektor des Institute for Aging Research am Albert Einstein College of Medicine in New York. Denn mit dem höheren Alter kommen erst recht wieder Krankheit und Verfall: „Alzheimer. Krebs. Herz-Kreislauf-Krankheiten. Diabetes. Sobald wir 60 Jahre alt werden, fangen wir an, all diese Krankheiten anzuhäufen.“ Deshalb will Barzilai nicht nur die Lebensspanne verlängern, sondern zuallererst das, was er die Gesundheitsspanne nennt: jenen Teil des Lebens, in dem wir von altersbedingten Krankheiten verschont bleiben.

Barzilai ist keiner von denen, die an ein ewiges Leben glauben. Aber er ist überzeugt, dass die Menschen ihr Potential noch nicht ausschöpfen. Die maximale durchschnittliche Lebenserwartung schätzt er auf ungefähr 115 Jahre, derzeit liegt sie weltweit bei 72,6 Jahren. Das sind mehr als vierzig weitere Jahre; und manche Menschen erreichen dieses Alter bereits: Die Französin Jeanne Calment, der Mensch mit der längsten bekannten Lebensspanne, starb 1997 mit 122 Jahren und 164 Tagen. Barzilai nennt diese Menschen „Superager“. Ihre genetische Veranlagung lässt sie nicht nur superalt werden, es zeichnet sie noch etwas anderes aus: Sie verbringen die meiste Zeit ihres Lebens kerngesund.

Eine Pille gegen das Altern

Die maximale Lebenserwartung des Menschen könnte bei 115 Jahren liegen. Aber um dorthin zu kommen, brauchen wir Unterstützung. Das Medikament Metformin könnte dabei helfen, das Altern zu verlangsamen.

Illustration von Nir Barzilai
ist Gründungsdirektor des Institute for Aging Research

„Selbst nach ihrem hundertsten Lebensjahr haben 30 Prozent von ihnen noch keine Krankheit. Das beweist, dass wir bereits Menschen unter uns haben, die uns zeigen, dass wir es viel besser machen können“, sagt Nir Barzilai. Diese Menschen altern von Natur aus langsamer und gesünder als andere.

Lebensstil oft nicht entscheidend

Ihr Lebensstil spielt dabei kaum eine Rolle: „Ich sprach mit einer Frau, die 90 Jahre lang geraucht hatte – und alle vier Ärzte, die ihr rieten, aufzuhören, starben vor ihr“, erzählt Barzilai und betont, dass der Lebenswandel für all jene, die keine Superager sind, sehr wohl bedeutend ist.

Was Normalsterblichen hilft, älter zu werden, ist wenig überraschend: Bewegung, gute Ernährung, wenig Alkohol, nicht rauchen. Es gibt gute Hinweise darauf, dass Intervallfasten und Kalorienreduktion mit einem längeren Leben einhergehen. Es ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass Akte der Freundlichkeit, Freiwilligenarbeit und langfristige Beziehungen das Leben verlängern, wie Pragmaticus-Autorin  Marta Zaraska  in ihrem neuen Buch Was uns jung hält. Wie Freundschaft, Optimismus und Freundlichkeit helfen, 100 Jahre alt zu werden ausführt: „Es klingt nach New Age, ist es aber nicht: Unsere Beziehungen oder unser geistiger Zustand hängen mit unserer Gesundheit zusammenhängen.“

Das Altern stoppen

Aber vielen Menschen reicht das nicht. Sie wollen härteren Stoff, um ein längeres Leben für sich zu garantieren. Nir Barzilai etwa ist überzeugt, dass ein Diabetes-Medikament namens Metformin den Alterungsprozess massiv verlangsamen könnte. Eine Studie aus Großbritannien zeigte, dass Diabetiker, die Metformin nahmen, nach fünf Jahren nicht nur eine weit geringere Sterblichkeit hatten als jene, die ein anderes Diabetes-Medikament bekamen. Sie lebten auch länger als die Teilnehmer zweier Kontrollgruppen, die nicht an Diabetes litten, „obwohl sie nicht nur Diabetiker, sondern oft auch fettleibig waren und manchmal auch andere Krankheiten hatten“, erzählt Barzilai.

Ich sprach mit einer Frau, die 90 Jahre lang geraucht hatte – alle vier Ärzte, die ihr rieten, aufzuhören, starben vor ihr.

Nir Barzilai (Direktor des Institute for Aging, New York)

Dass wir alle nicht schon längst täglich eine Tablette Metformin einwerfen, liegt an einer für viele Altersforscher betrüblichen Kleinigkeit: dass das Altern nicht als Krankheit angesehen wird. Denn Medikamente können nur gegen Krankheiten verschrieben werden. Die im Westen gebräuchlichen Gesundheitssysteme konzentrieren sich darauf, Menschen erst dann zu behandeln, wenn etwas nicht mehr stimmt mit ihnen; wenn die Arterien verstopft sind, wenn sich Zellen zu Geschwüren und Tumoren verändern. Aber alle Krankheiten haben eine gemeinsame Ursache: dass wir älter werden, dass unsere Zellen, unsere Organe nicht mehr so gut funktionieren wie in unserer Jugend. Die beste Vorsorge gegen altersbedingte Krankheiten wäre, einfach nicht mehr zu altern.

Die Säulen des Alterns

Acht Säulen des Alterns haben Forscher mittlerweile ausgemacht; es sind jene biochemischen Prozesse, die unsere Zellen immer fehleranfälliger machen und irgendwann zu einem Systemversagen führen. Ein Phänomen namens Zellseneszenz etwa führt dazu, dass sich alte Zellen in einen zombieartigen Zustand zwischen tot und lebendig begeben. Telomere hingegen – sie fungieren als Schutzkappen für Chromosomen – werden bei jeder Zellteilung kürzer, bis sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen können.

Jede dieser Säulen ist für die Wissenschaft ein Anknüpfungspunkt, um den Alterungsprozess zu stoppen. „Das Gute an diesen Säulen des Alterns ist, dass sie alle miteinander verknüpft sind“, sagt Barzilai. „Wenn man eine repariert, wirkt sich das auch positiv auf alle anderen aus.“

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Metformin etwa, das Medikament, auf das Nir Barzilai hofft, soll den Körper bei einem Prozess namens Autophagie unterstützen – das ist die Fähigkeit der Zelle, fehlerhaftes oder beschädigtes Zellmaterial zu entfernen. Je älter wir werden, desto schlechter funktioniert dieser Prozess. Wenn es der Wissenschaft also gelingt, den Zellen zu helfen, die Autophagie weiter zu betreiben, altern wir später. Auch die Stammzellentherapie versucht an den Schrauben des Alterungsprozesses zu drehen: Stammzellen sind solche, die noch nicht ausdifferenziert sind – sie können sich in Hautzellen, Blutzellen und so weiter entwickeln.

Eine Injektion mit Stammzellen kann dem kranken Organismus helfen, angegriffene und kaputte Zellen mit frischen Zellen zu ergänzen, das Zellmaterial zu verjüngen und damit die Abwehrkräfte des Körpers gegen Krankheiten zu stärken.

Frisches Blut von Teenagern

Andere Ansätze erinnern eher an Horrorfilme: Parabiose beschreibt etwa eine Beziehung zwischen zwei Organismen, die miteinander verwachsen sind. So weit, so harmlos. Um diesen Prozess zu erforschen, haben Wissenschaftler allerdings zwei Ratten zusammengenäht und ihren Blutkreislauf verbunden. Was das mit dem ewigen Leben zu tun hat? Die Ratten waren unterschiedlichen Alters, und die Zufuhr frischen Blutes ließ die alte Ratte deutlich länger leben.

In San Francisco kann man sich das Blut junger Menschen injizieren lassen – für 5.500 Dollar pro Liter.

Noch werden zwar keine Teenager an alte Menschen genäht, aber das Start-up Ambrosia eröffnete 2020 in San Francisco eine Klinik, in der man sich das Blut junger Menschen injizieren lassen kann – für 5.500 Dollar pro Liter. Milliardär und Investor Peter Thiel hat zumindest mehrfach anklingen lassen, an dieser Therapie interessiert zu sein, während Ray Kurzweil, Futurist und Director of Engineering bei Google, rund hundert Pillen pro Tag schluckt, um den Alterungsprozess aufzuhalten. Kurzweil ist überzeugt davon, nicht mehr sterben zu müssen (und dazu ist es nützlich zu wissen, dass Kurzweil 74 Jahre alt ist), weil er glaubt, dass die Geschwindigkeit der Innovationen exponentiell wächst.

Für 2045 hat er Singularität vorausgesagt, jenen Moment, in dem der wissenschaftliche Fortschritt so weit ist, dass wir den Tod überwunden haben. Aber was dann? Selbst wenn ein paar Tech-Milliardäre den Tod niederringen würden: Wäre es eine erstrebenswerte Zukunft für uns und Mutter Erde, wenn wir immer mehr werden und niemand mehr stirbt?

Von RoboCops und Meat Puppets

Ray Kurzweil unterscheidet sich von vielen anderen, die nach Unsterblichkeit streben: Er ist ein RoboCop – so wird jene Strömung genannt, die glaubt, dass die Zukunft des Menschen in der Verschmelzung mit der Maschine liegt oder dass sein Bewusstsein in der Cloud weiterlebt (jene, die das Altern stoppen und ihren Körper behalten wollen, werden von RoboCops etwas verächtlich „Meat Puppets“, Fleischpuppen, genannt). Die Zukunft, die sich diese Menschen ausmalen, ist komplett anders, als wir sie uns vorstellen. Sie glauben, dass Technik und Innovation alle Probleme lösen werden.

„Der Technologie-Optimismus ist ein Grundpfeiler des Silicon Valley“, sagt Historikerin Margaret O’Mara. Wir mögen uns die Frage stellen, wie wir alle Platz auf der Erde finden oder wie wir uns ernähren sollen, wenn niemand mehr stirbt – sie tun das nicht. Wenn der Mensch das Problem des Todes gelöst hat – wie sollen ihn dann bitte Kinkerlitzchen wie der Klimawandel oder Ressourcenknappheit aufhalten?

Sollen wir wirklich ewig leben wollen?

Das klingt nicht nur wie ein religiöser Glaube an die Wissenschaft. „Der Abstand zwischen Religionen und den nicht weniger fabulösen Unsterblichkeitsfantasien futuristischer Art, basierend auf Prognosen wissenschaftlicher oder technischer Herkunft, ist kleiner, als es scheinen mag“, sagt Philosoph Kampits. Manchmal existiert er gar nicht erst: In der Church of Perpetual Life in Florida wird der Unendlichkeit durch den Fortschritt gehuldigt: „Was uns als Familie zusammenbringt, ist unser Glaube an physische Unsterblichkeit“, heißt es auf der Website der Kirche. Und weiter: „Die Menschheit steht am Beginn einer neuen Ära, in der körperliche Gesundheit optimal und der Tod optional wird.“

„Sollen wir das alles wirklich wollen?“, fragt Peter Kampits. Er glaubt „an die Bedeutung der Endlichkeit und des Todes für unsere Existenz“. Wenn uns der nächste Tag nicht dem Tod näherbringt, welche Bedeutung hat er dann? „Für die Unsterblichen verschwindet die Kostbarkeit des Augenblicks und seine Einzigartigkeit. Alles wird zu einer ewigen Wiederkehr des Gleichen“, sagt Kampits. Im Silicon Valley dürfte er mit dieser Einstellung kein Gehör finden.

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Conclusio

Der Traum der Unsterblichkeit begleitete die Menschheit von Anbeginn an. In Form von Mythen, Sagen und Religion war das Streben nach ewigem Leben immer präsent. Nun soll der Traum in greifbare Nähe gerückt sein – jedenfalls wenn man den Heilsversprechungen aus dem Silicon Valley glauben will, wo Wissenschaft und Fortschritt zur neuen Religion erkoren wurden. Die Hoffnung basiert durchaus auf Fakten; die Altersforschung hat in den vergangenen Jahren beachtliche Fortschritte erzielt, und selbst die Verjüngung von menschlichen Zellen gelang im Reagenzglas. Aber sie vergisst einen ganz entscheidenden Punkt: die Frage, ob wir das wirklich wollen sollen. Genauso wie jene, ob es überhaupt ethisch vertretbar wäre, einfach nicht mehr abzutreten und für die nächste Generation Platz zu machen.