Illustration einer Erdkugel mit verschiedenen Klimakrise-Lösungsvorschlägen

Klimakrise: Fürchtet euch nicht

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Auf den Punkt gebracht

  • Stabilisierung als Ziel. Sollen die Temperaturen ab 2040 nicht weiter steigen als 1,5 Grad, reicht es nicht mehr aus, nur die Emissionen zu senken.
  • Negative Emissionen. Unternehmen und Wissenschaftler schlagen stattdessen vor, CO2 aktiv wieder aus der Atmosphäre zu entfernen.
  • Umstrittene Lösungswege. Die Methoden, mit denen sich CO2 binden lässt, sind aber zum Teil noch unerforscht und manche wenig praktikabel.
  • Wettlauf gegen die Zeit. Um die Schwere der Folgen des eingetretenen Klimawandels zu mildern, sind Lösungen dringend notwendig.

Wir haben ein Problem. Rund 730 Gigatonnen CO2 müssen in den nächsten Jahrzehnten raus aus der Atmosphäre der Erde, wenn sich der Planet nicht um mehr als 1,5 Grad (im globalen Durchschnitt) erhitzen soll. Fluten, Dürren, Waldbrände: Die Auswirkungen, so der Befund des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), nehmen mit jedem Zehntelgrad Celsius immer bedrohlichere Ausmaße an.

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„Die wissenschaftlichen Beweise sind eindeutig: Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten“, erklärte Hans-Otto Pörtner, einer der Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 2 des IPCC als der aktuelle Bericht Ende Februar präsentiert wurde. „Jede weitere Verzögerung bei konzertierten globalen Maßnahmen wird ein kurzes und sich schnell schließendes Fenster zur Sicherung einer lebenswerten Zukunft verpassen.“

Die derzeitigen Klimapolitiken laufen auf eine Erwärmung um 2,7 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts hinaus.

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Zahlen & Fakten

Während das Problem planetarischen Ausmaßes wächst, ist die Menschheit dabei, sich in Kulturkämpfe über Verzicht und Panikmache zu verstricken; beginnt, an dieser und jener Stellschraube zu drehen, Atomkraftwerke an- und wieder abzuschalten, Äcker in Solaranlagen zu verwandeln, CO2 hoch- und wieder runter zu preisen. Europa deutet anklagend auf die Kohle Chinas, die Chinesen deuten zurück auf all die Jeans, iPhones und Plastikdinge, die damit gemacht werden. Indien wird für seinen geringen Fleischkonsum gelobt und für sein Wirtschaftswachstum gerügt. In all der Aufregung ist kein gemeinsamer Nenner auszumachen.

Es ist Zeit, die Stopptaste zu drücken. Aber welche? Es gibt Wege aus der Klimakrise. Wir haben uns die Lösungen angesehen.

Welche Stopptaste drücken?

„Versagen wir bei der Reduktion von Emissionen, ist das furchterregend. Solares Geoengineering erscheint uns trotzdem noch furchterregender“, stellt Gernot Wagner fest. Der Klimaökonom ist davon überzeugt, dass zur Rettung des Planeten beides nötig sein wird: sowohl Lebensstiländerungen als auch Geoengineering. Die Emissionen müssen runter – Wagner selbst lebt mit seiner vierköpfigen Familie plus Hund auf 70 Quadratmetern in New York vor, dass ein Lebensstil mit kleinem Fuß­abdruck funktioniert –, und zugleich ist die Manipulation des Klimas aus seiner Sicht über kurz oder lang unausweichlich. „Die Frage ist nicht, ob, sondern wann.“

Das Buch, das Wagner zum Thema geschrieben hat, heißt „The Gamble“, und der Titel ist Programm. Geoengineering ist ein Spiel mit Risiko, eine Wette. Der Planet ist der Einsatz.

Wagner steht für eine Form des Geoengineerings, die besonders umstritten ist: Solare Strahlungsmodifikation, besser bekannt unter ihrem englischen Namen Solar Radiation Modification, SRM. In diese Kategorie fallen alle Versuche, die Strahlung der Sonne technisch zu vermindern. Große Spiegel etwa, die im All oder auf der Erde installiert werden, um das Licht zurückzuwerfen, waren eine Idee und versinnbildlichen heute noch was mit SRM gemeint ist. Abgesehen von der ungeklärten Frage, wie solche Spiegel gebaut werden könnten, berechnete das Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena schon vor gut zehn Jahren, warum das vermutlich der falsche Weg wäre: Die Manipulation der Sonneneinstrahlung beeinflusst den Wasserkreislauf der Erde so stark, dass Überflutungen gigantischen Ausmaßes drohen.

Foto von überschwemmten Straßen in Brisbane in Australien in einer Wohngegend
Brisbane, Australien: Überflutungen nach Starkregen im März 2022. © Getty Images

Das Ausbringen von Schwefeldioxid in die Stratosphäre, wie es auch bei Vulkanausbrüchen geschieht, hat die Spiegelidee schon länger ersetzt. In der Stratosphäre wandelt sich das Schwefeldioxid in Schwefelsäure um und reflektiert die Sonnenstrahlung zurück ins All. Die Frage, wie man die notwendige Menge von Aerosolen – rund zwei Tonnen – in die Stratosphäre bekommt, ist nicht geklärt, auch nicht, woher die CO2-neutralen Treibstoffe für die Riesenflieger herkommen.

Die Liste der Einwände gegen diese Methode ist ohnedies lang: Das Pflanzenwachstum verlangsamt sich, Ernte­ausfälle sind die Folge; es kommt zu Extremwetter wie Starkregen an dem einen Ort bzw. zu Dürren an anderen; die Schwefelsäure ist giftig und zerstört die Ozonschicht und für Solarenergie steht weniger Sonnenlicht zur Verfügung. Die Einwände sind empirisch belegt: Der Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen 1991 hat all das ausgelöst.

Grundsatzfragen

Seit der industriellen Revolution ab Mitte des 18. Jahrhunderts hat sich die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre von 280 ppm (parts per million) auf circa 415 ppm erhöht. Ähnlich hohe Werte wurden zuletzt vor drei Millionen Jahren erreicht, damals war die Erde aufgrund der hohen CO2-Konzentration komplett eisfrei.
Von Natur aus sorgt ein Strahlungsgleichgewicht für 15 Grad Celsius auf der Erde, das ist die „normale“ mittlere Temperatur. CO2, Methan und Wasserdampf sind dabei die Temperaturregler und für den bekannten Treibhauseffekt verantwortlich.

Diese Gase wirken in der Atmosphäre wie die Scheiben eines Glashauses: Sie lassen Wärme herein, aber nicht zur Gänze wieder hinaus. Gäbe es diesen Effekt nicht, würde die globale mittlere Temperatur minus 18 Grad Celsius betragen. Bereits ohne zusätzliches CO2 sorgen die Treibhausgase also für eine Temperaturdifferenz von 33 Grad. Für den deutschen Klimaphysiker Stefan Rahmstorf ein Hinweis darauf, wie stark sich bereits minimale Änderungen auswirken.

Prähistorische Baumstümpfe an einem Strand in Wales
Vor der Küste von Wales. Diese Reste eines Waldes wurden 2019 durch Sturm Hannah nach 4.500 Jahren wieder freigelegt. © Getty Images

Das Global Carbon Project, eine Initiative von Wissenschaftlern, die jährliche Kohlenstoffbilanzen erstellt, hat berechnet, dass die natürlichen CO2- Speicher – Ozeane und Biosphäre – mit den Emissionen mitwachsen, also die stetig steigenden Mengen auch in in größerem Ausmaß verarbeiten. Wegen ihrer Fähigkeit, CO2 zu Kohlenstoff zu machen, bezeichnet man die Meere und Ökosysteme auch als CO2-Senken.

Werden Erdöl und Erdgas verbrannt, wird CO2, das vor vielen Millionen Jahren in den beiden Energieträgern als Kohlenstoff gebunden wurde, wieder freigesetzt. Allein 2021 gelangten 36 Gigatonnen des fossilen CO2 durch Verbrennung wieder ins System. Die Hälfte dieses CO2 wandert in die Atmosphäre, jeweils ein Viertel in die Ozeane und die Biosphäre, vor allem in die Böden. Atmosphäre, Ozeane und Biosphäre bilden CO2-Senken, aber nur die Ozeane und die Ökosysteme können das CO2 umwandeln und dauerhaft speichern.

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Zahlen & Fakten

Während die Atmosphäre scheinbar unbegrenzt CO2 aufnehmen kann, also stetig jeweils die Hälfte der fossilen Emissionen aufnimmt, kommen die beiden Speicher inzwischen durch den Klima­wandel an ihre Grenzen. Die Erwärmung schwächt ihre Aufnahmefähigkeit. Durch die Verbrennung von fossilem Kohlenstoff ist der Kohlenstoffkreislauf der Erde aus den Fugen geraten. Teile der Wissenschaft befürchten, dass das Klimasystem kippen könnte.

Kann es die Technik richten?

Geoengineering, meinen Kritiker, ändere an dieser grundlegenden Problem­stellung nichts. „Geoengineering ist Symptombehandlung“, sagt etwa Raymond Pierrehumbert. Der US-Amerikaner ist Physiker an der Universität Oxford und Teil der Kampagne „Hands off Mother Earth“, die sich für eine kritische Prüfung von Geoengineering-Technologien einsetzt.

Die wesentlichen Argumente legte Pierrehumbert bei einer Onlinediskussion der Heinrich-Böll-Stiftung dar: Solares Geoengineering hat ein Zeitproblem. CO2 wird normalerweise in sehr langsam ablaufenden geologischen Prozessen zwischen Atmosphäre, Land und Ozeanen „verstoffwechselt“ und reguliert die Temperatur über sehr lange Zeiträume. Das heißt: Selbst wenn wir es schafften, von heute auf morgen überhaupt kein zusätzliches CO2 mehr zu emittieren, werden die Temperaturen erst lange danach wieder sinken.

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Zahlen & Fakten

Beginnt man die Erde künstlich abzukühlen, muss man dies außerdem über einen sehr langen Zeitraum tun – selbst dann, wenn keine weiteren Treibhausgas-Emissionen mehr hinzukommen. „Sobald man mit solarem Geoengineering aufhört, kommt es zu einem sehr starken, sehr schnellen Temperatur­anstieg“, so Pierrehumbert bei der Diskussion. Den kommenden Generationen überließe man auf die Art nicht nur das CO2-Problem, sondern auch eine Technologie, die permanent weiterlaufen muss, ohne sich je eine Panne erlauben zu dürfen.

Geschäftsmodell Klimawandel

„Ich habe sehr großen Respekt vor dem Klimawandel“, sagt Daniel Egger, „aber keine Angst. Schlussendlich ist es ein Problem, das die Menschheit geschaffen hat und daher auch wieder lösen kann. Es gibt für mich keinen Grund, wieso dies der Menschheit nicht gelingen sollte.“ Der Schweizer ist Wirtschaftsingenieur, er hat an der ETH Zürich studiert. Jetzt ist er der Chief Commercial Officer von Climeworks. Das Unternehmen hat seinen Ursprung ebenfalls an der ETH Zürich, seit September 2021 betreibt es in Island eine Anlage für Direct Air Capture, „Orca“ genannt, die jährlich etwa 4.000 Tonnen CO2 aus der Luft filtert. Sie ist die bisher größte weltweit.

Das CO2 wird in unterirdisches Basaltgestein gepresst, wo es für immer bleibt. Der Prozess ist zwar energieaufwendig, aber in Island steht Energie nahezu unbegrenzt zur Verfügung – in Form von Geothermie, Erdwärme. „Unsere Herausforderung ist nicht die Technologie, sondern die Zeit“, sagt Egger. Die Autoindustrie zum Beispiel habe rund fünfzig bis siebzig Jahre zur Verfügung gehabt, um Infrastrukturen, Märkte und Technologien zu entwickeln und zu wachsen. So viel Zeit hat Direct Air Capture nicht: „Wenn wir die fünf bis zehn Milliarden Tonnen CO2, die wir bis 2050 pro Jahr aus der Atmosphäre entfernen müssen, bewältigen wollen, müssen wir innerhalb von dreißig Jahren jedes Jahr um 60 Prozent wachsen. Das ist sehr ambitioniert.“ Egger klingt dennoch nicht so, als würde ihn dies sonderlich schrecken.

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Zahlen & Fakten

Ist Direct Air Capture dazu da, unseren Lebensstil aufrechtzuerhalten? „Es wird auch in Zukunft mehr Emissionen geben, als unser Planet verträgt“, sagt Egger. „Darauf brauchen wir eine Antwort.“ Zum Beispiel das Fliegen: „Es gibt keine alternativen Treibstoffe.“ Oder die Industrien. Egger zählt auf: „Aluminium, Zement, Stahl – solange wir auf diese Materialien nicht verzichten können oder wollen, brauchen wir Technologien, die diese Emissionen wieder aus der Atmosphäre holen.“

Kampfzonen eines Kulturkrieges

Als während der Coronapandemie die „Ever Given“, eines jener Frachtschiffe, die über 20.000 Container fassen können, im Suezkanal stecken blieb, wurde sie kurzfristig zum Sinnbild einer Weltwirtschaft, die Menschen mit Dingen versorgt, die sie eigentlich nicht brauchen. Es war viel von einem Umdenken die Rede, das die Pandemie mit sich gebracht hätte, von einer Konzentration auf das Wesentliche und von einer Abkehr vom Konsum. Die Emissionsstatistiken sprechen eine andere Sprache: Zwar sanken die Treibhausgas-Emissionen 2020 kurzfristig, allerdings nur, um im Jahr darauf auf das Niveau von 2019 zurückzukehren.

Genau diese Muster würde Martin Bruckner gern verändern. Der Wirtschaftswissenschaftler der Wirtschaftsuniversität Wien hat erst unlängst errechnet, dass eine Umstellung auf eine vorwiegend pflanzliche Ernährung fast 62 Prozent der Emissionen des Agrarsektors in den 54 einkommensstärksten Ländern einsparen würde. Die Landwirtschaft ist einer der größten Emittenten von Treibhausgasen, darunter das besonders „potente“ Methan und das ebenso problematische Lachgas, das durch übermäßige Düngung in die Atmosphäre gelangt. Bruckner bewegt sich mit diesem Ansatz mitten in den Kampfzonen des Kulturkriegs, zu dem der Klimawandel zu werden droht. Kaum eine andere individuelle Konsumentscheidung hängt so eng mit dem klimatischen Schicksal des Planeten zusammen wie die Frage, was man isst.

„Ernährungsmuster sind erlernt und nur sehr schwierig zu verändern, insbesondere wenn der Wille fehlt“, sagt Bruckner. Die Landwirtschaft war einer der am frühesten industrialisierten Sektoren. Das Haber-Bosch-Verfahren, das Stickstoffdünger möglich machte, erlaubte auch Agrarwirtschaft im industriellen Maßstab. Heute ist die industrialisierte Landwirtschaft ein Klimaproblem. 26 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen gehen auf die Nahrungsmittelproduktion zurück, der Löwenanteil davon stammt aus der Herstellung von Fleisch und Milchprodukten, die für reichere Länder bestimmt sind.

Fotos eines Waldbrandes in Brasilien
Der Pantanal in Brasilien, das größte Binnenfeuchtgebiet, verlor in den Feuern im August 2020 fast 15 Prozent seiner Fläche. © Getty Images

Abgesehen von den Emissionen: Ein möglicherweise sogar noch schwerwiegenderes Problem in diesem Zusammenhang ist die Abholzung von tropischen Regenwäldern für den Anbau von Futtermitteln, insbesondere Soja, und für die Weidehaltung der Tierherden. Das Problem ist nicht der Verlust von Natur an sich, sondern dass damit auch wichtige Feedback-Systeme verloren gehen, die für die Widerstandskraft der Erde im Klimawandel wichtig sind.

Eine Rettung

Wenn wir die Natur retten, retten wir uns selbst“, sagt Thomas Crowther, Professor für Globale Ökosystemanalyse an der ETH Zürich. Eine Studie über Aufforstung in großem Stil hat ihn 2019 über eine Fachöffentlichkeit hinaus bekannt gemacht. Crowthers Rechnung: Könnte man eine Billion Bäume pflanzen, würde dies die gesamten Sünden der Industrialisierung rückgängig machen. Doch Crowther weiß, dass es die eine schnelle Lösung, die uns alle Probleme vom Hals schafft, nicht gibt. So einen Deal kann es mit der Natur nicht geben. „Wenn wir die Natur nur als Kohlenstoffspeicher sehen, würde das dazu führen, dass schnell wachsende Monokulturen angelegt werden, die die lokale Artenvielfalt zerstören – und auch Gemeinschaften, die von dieser Biodiversität abhängig sind.“

Foto von dichtem Regenwald
Ein tropischer Regenwald in Costa Rica. © Getty Images

Tatsächlich ist so etwas im Namen von sogenannten „Nature-based Solutions“, naturbasierten Lösungen für das Klimaproblem, bereits geschehen: In Kambodscha wurden 34.000 Hektar Urwald gerodet und durch Akazien-Monokulturen ersetzt. In einer Welt, in der CO2 zu einer Ware geworden ist, lohnt sich das. Neuer Wald speichert neues CO2, mit dem sich handeln lässt. Da spielen auch Gefahren, dass etwa schnell gepflanzter Wald Bränden kaum etwas entgegenzusetzen hat, eine untergeordnete Rolle. „Wir müssen lernen, zu verstehen, dass Klimawandel und Biodiversität zusammenhängen“, sagt Crowther.

Das aktuelle Forschungsprojekt seines Labors in Zürich ist ein mammut­haftes: Er hat nichts Geringeres vor als die komplette Erfassung der Biosphäre der Erde, um damit lokale Bemühungen für den Erhalt und die Restaurierung von Ökosystemen sowie die Wissenschaft zu unterstützen. „Die bedeutendste Kohlenstoffspeicherung leisten gesunde Ökosysteme mit einer großen Vielfalt an Arten. Wenn wir diese Perspektive der Biodiversität an die erste Stelle stellen, dann gewinnen wir saubere Luft, sauberes Wasser und menschliches Wohlergehen zugleich mit nachhaltiger, langfristiger Kohlenstoffspeicherung. Geht es der Biodiversität gut, gelingen auch die naturbasierten Lösungen.“

Boden als Kohlenstoffspeicher

Eine bis jetzt unterschätzte Ressource sind die Böden. Das sieht nicht nur Crowther so. „Böden zählen zu den wichtigsten Kohlenstoffspeichern der Erde. In ihnen ist etwa dreimal so viel Kohlenstoff gebunden wie in allen Wäldern und Urwäldern und mehr als doppelt so viel wie in der Atmosphäre. Schon eine geringe prozentuelle Erhöhung des Kohlenstoffgehalts in unseren landwirtschaftlich genutzten Böden könnte daher der weiteren Erhitzung unseres Klimas deutlich entgegenwirken“, sagt Carsten Paul.

Der Wissenschaftler des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg bei Berlin ist ein Spezialist für Humuszertifikate. Diese Zertifikate sind ein neues Instrument im Handel mit der Ware Kohlenstoffspeicherung. Landwirte erhalten Geld, wenn sie Biomasse in Äcker einarbeiten und somit Kohlenstoff speichern. „Das verlangt ein verändertes landwirtschaftliches Management, das für die Landwirtinnen und Landwirte zusätzliche Kosten verursacht und – potenziell – ihre Gewinne reduziert“, sagt Paul. Humuszertifikate sollen daher eine klimafreundliche Bodenbewirtschaftung finanziell attraktiv machen.

Ein Klimanutzen kann sich allerdings nur dann einstellen, wenn der Kohlenstoff langfristig in den Böden gespeichert bleibt. Nun ist der Boden aber ein lebendes System: Pflanzen tragen Kohlenstoff ein, er wird von Mikroorganismen veratmet und als CO2 wieder abgegeben, Pflanzen basteln mittels Photosynthese wieder Kohlenstoff dar­aus. Paul: „Es ist ein dynamisches Gleichgewicht von Eintrag und Austrag. Das bedeutet, dass es für einen echten Klimanutzen nicht ausreicht, einige Jahre lang humusaufbauendes Bodenmanagement zu praktizieren. Hierzu müssen die Landwirte die Maßnahmen nach dem Verkauf der Zertifikate vielmehr über Jahrzehnte fortsetzen, ohne dafür eine weitere Entlohnung zu erhalten.“ Humuszertifikate kommerzialisieren also die Ökoleistungen des Bodens, aber ohne die Sicherheit der Gegenleistung, den Mehrwert für das Klima.

Wer muss es richten?

Läuft die Klimapolitik also ganz schief? Und wer trägt die Verantwortung? Ganz aus der Pflicht nehmen will Crowther den Einzelnen nicht. Oder anders formuliert: Auch wenn das Klimapro­blem jede individuelle Lösungskapazität übersteigt, so gibt es doch keinen Grund, das Handtuch zu werfen. Es ist nicht egal, was der Einzelne tut. „Es wäre allerdings nicht richtig, die ganze Verantwortung dem Einzelnen aufzuerlegen und damit Regierungen aus der Verantwortung zu entlassen. Regierungen und Unternehmen haben den größten Einfluss auf die Umwelt.“

Sturmwelle vor einem Leuchtturm
Sturm Zeynep am 20. Februar 2022 in England. 1,4 Millionen Haushalte hatten anschließend keinen Strom. © Getty Images

In Paris haben sich die Staaten 2015 verpflichtet, den Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts auf „deutlich unter 1,5 Grad Celsius“ zu begrenzen. Ein Ziel, das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht werden wird. „Auch in unseren optimistischsten Szenarien erwarten wir, dass sich 5 bis 15 Prozent unserer heutigen Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts nicht werden vermeiden lassen. Das sind insbesondere Emissionen aus Landwirtschaft, Flug- und Schwerlastverkehr, Zement- und Stahlerzeugung sowie Müllverbrennung. Diese Rest­emissionen müssen durch gleichzeitige CO2-Entnahme aus der Atmosphäre und anschließende sichere Speicherung ausgeglichen werden, um auf Netto-Null zu kommen. Das kann an Land geschehen – oder eben im Ozean.“ So fasst es Andreas Oschlies zusammen, Ozeanforscher am Geomar Kiel.

Das Forschungsinstitut erkundet verschiedene Möglichkeiten, die CO2-Speicherkapazität der Meere zu erhöhen, und versucht, die Risiken zu bewerten, die mit dem marinen Geo­engineering verbunden sind. Die Risiken und nicht beabsichtigten Nebenfolgen sind so etwas wie die Achillesferse des Geoengineerings. Die meisten Tech­nologien sind nicht ausreichend erprobt, ihre potenzielle Wirkung auf den Planeten kaum abzuschätzen. Das Problem ist, dass Maßnahmen, die der Mensch setzt, oft isolierte Insellösungen sind, entkoppelt von den komplexen Ökosystemen, von denen Crowther spricht.

Der Eisentanker

Ein gutes Beispiel dafür ist die Idee mit der Eisendüngung. „Gebt mir einen halben Tanker voll Eisen, und ich gebe euch eine Eiszeit“, hat der Biochemiker John Martin 1988 angeblich gesagt. Dem inzwischen berühmten Ausspruch folgte eine Reihe von Experimenten in den USA, bei denen man Eisen als Düngemittel für Phytoplankton im Meer einsetzte. Tatsächlich kam es dadurch zu vermehrtem Algenwachstum, allerdings wurde damit nicht ganz so viel CO2 aus der Luft geholt wie erwartet.

Ein Grauwal springt aus dem Meer
Ein Grauwal vor der Küste Kamtschatkas. © Getty Images

Die Experimente wurden eingestellt, auch weil man Bedenken hatte, was die Auswirkungen auf die Nahrungskette betrifft. „Die Düngung führt zu massiven Veränderungen der marinen Stoffkreisläufe und Ökosysteme, verändert insbesondere die Biodiversität, und die Zersetzung der absinkenden Biomasse kann zu Sauerstoffarmut in der Tiefsee führen“, erklärt Oschlies.

Die Experimente hatten einen positiven Nebeneffekt: Ein internationales Abkommen verbietet heute die Eisendüngung. „Das zeigt Wege für einen verantwortungsvollen Umgang mit anderen marinen CO2-Entnahmemethoden“, sagt Experte Oschlies. Die Natur hat sowieso die bessere Eisendüngung: Wale. Indem die Tiere sich von Unmengen Krill ernähren, lösen sie das in diesem gespeicherte Eisen und düngen damit den Ozean. Es wächst Phytoplankton, von dem sich diese Krebs­tiere ernähren. Von diesen ernähren sich wieder die Wale. Ihre mächtigen Körper verteilen den Dünger bedarfsgerecht. Das System Eisen–Wale–Krill–Phytoplankton ist auf natürliche Weise im Gleichgewicht. Es gibt so viel zu fressen, wie es Wale gibt, wie es Eisen gibt.

Auch aus solchen Studienergebnissen heraus hat sich die Aufmerksamkeit der Forschung in den letzten Jahren von Insellösungen hin zu ganzheitlichen Lösungen verschoben, bei denen ganze Ökosysteme im Vordergrund stehen. „Seegraswiesen, Salzmarschen und Mangrovenwälder können bei ungestörtem Wachstum bis zu einhundertmal so viel CO2 aufnehmen wie ein typischer Wald“, sagt Andreas Oschlies.

Ein Haken an der Sache

„Wenn wir es nicht schnell schaffen, die Nutzung fossiler Energieträger zu beenden, droht der Klimawandel Emissionssenken in Emissionsquellen zu verwandeln“, so Nathalie Seddon von der Universität Oxford in einem Grundsatzpapier über Nature-based Solutions. Unter dem Stress des Klimawandels veratmen zum Beispiel die Mikroorganismen des Bodens mehr CO2, die winzigen Lebewesen hecheln. Die Folge: Es kommt weniger Kohlenstoff in der Erde.

Wo große Flächen entwaldet werden und alte Bäume fehlen, kann ebenfalls weniger Kohlenstoff gespeichert werden. Der Amazonas-Regenwald befindet sich bereits an einem solchen Kipppunkt zur Emissionsquelle. Der Klimawandel macht darüber hinaus Waldbrände, Extremwetter und Stürme häufiger. Gestörte Ökosysteme und erschöpfte Agrarflächen können solchen Herausforderungen nichts entgegensetzen.

Foto von Umweltschützern bei einem gefällten Baum
Makowa in Polen im April 2021: Umweltschützer besichtigen Rodungen in einem Wald mit besonders alten Bäumen. © Getty Images

Welche Alternativen zu fossilen Energieträgern gibt es also, außer Sonne, Wind und Wasserkraft? Neben einer neu belebten Debatte über Atomstrom, insbesondere vor dem Hintergrund der „Energiewende“ in Europa, fristen zwei Methoden tendenziell noch ein Schattendasein: Geothermie und Wasserstoff.

Neue Energieträger

Verglichen mit Solarwärme hat Geothermie einen geringen Flächenbedarf, sieht man einmal von den Bohrungen im Untergrund ab. „Nicht größer als ein Gaskraftwerk“, meint der Leiter des Fraunhofer Instituts für Geothermie und Energieinfrastruktur in Bochum, Rolf Bracke. Je tiefer man bohre, desto heißer werde das Thermalwasser. „Hier in Mitteleuropa wird es alle tausend Meter 30 bis 40 Grad Celsius wärmer. Das heißt: In drei bis vier Kilometer Tiefe finden Sie unter Umständen eine emissionsfreie Energiequelle: 150 Grad Celsius heißes Wasser.“

Hat man Glück, wie etwa im polnischen Wintersportort Zakopane, findet man ein selbstfließendes Reservoir vor. Das bedeutet: Um das heiße Wasser zu nutzen, ist keine zusätzliche Energie erforderlich. Ist das nicht der Fall, braucht es den Anschub durch Pumpen, für die man erneuerbare Energie braucht. Zur Förderung des heißen Wassers aus der Tiefe sind zwei Bohrungen nötig: eine Injektionsbohrung und eine Förderbohrung. Durch die Injektionsbohrung wird das abgekühlte Wasser wieder in die Tiefe entlassen.

Unterhalb von Wien hat man kürzlich eine Thermalquelle wiederentdeckt. Sie kann 120 Megawatt Wärmeenergie liefern, schätzt GeoTief, ein Unternehmen der Wien Energie. 120 Megawatt sind doppelt so viel, wie das Wiener Heizkraftwerk Spittelau derzeit ins Netz speist. Geothermie eignet sich insbesondere für die Wärmeversorgung in Städten, aber auch für industrielle Anwendungen – etwa Prozesswärme. Die Geothermie hat einen großen Nachteil: Die Suche nach Thermalvorkommen ist wegen der Bohrungen aufwendig und kostspielig. Obwohl sie im Betrieb günstig ist und einen Großteil der Importe überflüssig machen könnte, ist die Wärme aus der Tiefe (noch) nicht konkurrenzfähig.

Vor ähnlichen Problemen steht auch die Energiequelle Wasserstoff. Echter „grüner“ Wasserstoff ist teurer als seine blauen und grauen Geschwister, die aus Erdgas oder anderen fossilen Energieträgern gewonnen werden. Bei der Herstellung von blauem und grauem Wasserstoff wird CO2 freigesetzt. Dieser wird im Fall von blauem Wasserstoff abgeschieden und gespeichert oder als Produkt für verschiedene industrielle Prozesse eingesetzt. Aus diesem Grund wird blauer Wasserstoff als CO2-neutral vermarktet. Während grüner Wasserstoff aus Wasser oder Bioabfällen tatsächlich keine Emissio­nen produziert, konnten die beiden US-Wissenschaftler Rob Howarth und Mark Z. Jacobson in einer Studie zeigen, dass blauer und grauer Wasserstoff eine noch schlechtere Klimabilanz haben als die Verbrennung von Erdgas. Grüner Wasserstoff hat Potenzial, allerdings empfehlen Howarth und Jacobson aus Effizienzgründen den Einsatz in der Industrie, nicht für vergleichsweise banale Anwendungen wie etwa im Individualverkehr.

Nicht ob, wann?

Dass sich das Klima abrupt verändern kann, zeigte die Natur der Menschheit interessanterweise schon gleich zu Beginn der Industrialisierung: Im April 1815 brach auf der indonesischen Insel Sumbawa der Vulkan Tambora aus. 160 Kubikkilometer Gestein wurden aus dem Erdinneren katapultiert, es entstand ein Krater von sieben Kilometer Durchmesser. Nach dem Ausbruch wurden die Tage trüb, die Temperaturen fielen. Es folgten Hungersnöte, weil die Ernten auf den Feldern erfroren oder verschimmelten. 60 Millionen Europäer flüchteten Richtung Übersee.

207 Jahre später leben wir in einem völlig anderen Zeitalter, nämlich in einem selbst geschaffenen. „Das letzte Mal, dass die CO2-Konzentration ähnlich hoch war wie heute, war während des Pliozäns, das ist drei Millionen Jahre her“, so Klimaforscher Gernot Wagner. Die Temperaturen waren ein Grad höher als jetzt und die Meeresspiegel 10 bis 30 Meter höher. „Das ruft nach weitaus dringlicherem Handeln. Es ist der vielleicht dringlichste Weckruf für weitere Forschung an solarem Geo­engineering.“

Foto eines Aquariums mit Korallen
Am Australian Institute of Marine Science wird untersucht, wieviel Erwärmung Korallenriffe verkraften. © Getty Images

Die Dringlichkeit steigt, wenn man sich den weiten Weg von der Theorie in die Praxis vor Augen hält. Bestes Beispiel: die Verdünnung von Eiswolken. Die sogenannten Zirren sind sehr dünn und lassen viel Sonnenlicht durch, blocken jedoch die langwellige Abstrahlung von der Erde ab. Ohne diese zarten, fedrigen Wolken wäre die Welt gleich vier Grad kühler. „Unter diesem Aspekt ist die Idee, Zirruswolken zu verdünnen, damit sie diese Abwärme passieren lassen, natürlich attraktiv“, sagt Blaž Gasparini, Klimaphysiker an der Universität Wien.

In der Theorie ist es das auch. Es klingt ja einfach: Man bringt Staub in die Wolken ein, um die Eiskristalle auseinanderzureißen, die Zirruswolken sind dann weniger dicht und lassen mehr Wärmestrahlung durch.
Die unerwünschten Nebenwirkungen sind entmutigend: Es kann sein, dass es zu extremen Niederschlägen kommt. Bringt man zu viele Partikel ein, kann es passieren, dass die Wolken dicker statt dünner werden und noch mehr Erderwärmung verursachen. Das ganz große Fragezeichen aber ist ein praktisches: Bis jetzt ist unklar, wie man die Wolken am besten impft, also den Staub in die Wolken bringt.

„Wir wissen es nicht“, sagt Gasparini. Im Prinzip könne man Drohnen verwenden oder Passagierflugzeuge. Doch selbst wenn es gelingt, die Wolken gezielt zu impfen: Ganz ausschließen lässt sich die Gefahr der versehentlichen Verdickung nicht. Das Fazit des Forschers: „Es ist besser, wir manipulieren Eiswolken einstweilen nur in der kontrollierbaren Welt der Computermodelle.“ Dieses und andere Beispiele zeigen, dass es keine Allzweckwaffe gegen den Klimawandel gibt, sehr wohl aber zahlreiche Innovationen mit Chancen und Risiken. Sie emotionslos abzuwägen hat viel mit Technologie und wenig mit Kulturkampf zu tun.

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Conclusio

In der Klimakrise kommt es nicht auf eine einzige Lösung an, sondern auf viele verschiedene Ansätze, die sich im Idealfall ergänzen. Technologie und Innovationen zählen dazu. Manche Lösungen wie solares Geoengineering oder die Verdünnung von Eiswolken sind derzeit Zukunftsmusik. Welche Folgen und Risiken damit ver­bunden sind, lässt sich nicht immer ein­deutig bestimmen. Andere Methoden wie Geothermie sowie CO2-Filterung und -Speicherung sind weiter gediehen. Einigkeit besteht bei der Einschätzung, dass baldiges Handeln erforderlich ist. CO2 hat eine lange Lebensdauer in der Atmo­sphäre. Bis sich eine kühlende Wirkung durch Entnahmetechnologien einstellt, könnte sich das kritische Zeitfenster ­bereits geschlossen haben. Sicher und wirksam sind Maßnahmen, die den Erhalt von Ökosystemen zum Ziel haben.

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