Illustration von Laborfleisch-Produktion

Tierlos ist das neue Fleisch

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Auf den Punkt gebracht

  • Fleisch aus dem Labor. Im vergangenen Jahr kam es zu einem technologischen Durchbruch: In Singapur wurde zum ersten Mal tierloses Fleisch verkauft.
  • Neuer Trend. Klassischer Fleischkonsum kommt immer mehr in Verruf. Schon seit Jahren steigt die Nachfrage nach Alternativen enorm.
  • Utopisches Versprechen? Laborfleisch will die ideale Lösung sein: Echtes Fleisch, das klimafreundlich ist und ohne Tierzucht auskommt.
  • Große Herausforderungen. Damit Fleisch aus dem Bioreaktor auch wirklich diese Alternative werden kann, muss die Technologie noch einige Hürden überwinden.

Die Frage, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war, wurde vor rund einem Jahr in Singapur überraschend beantwortet: Es gibt gar kein Ei. Im Grunde gibt es nicht einmal ein Huhn. Aber Chicken Nuggets gab es – zum stolzen Preis von 20 Euro pro Portion. Es war mehr eine technologische als eine philosophische Revolution: Im noblen Restaurant 1880 wurde zum allerersten Mal Fleisch verkauft, das nicht von einem geschlachteten Tier stammt.

Es wurde im Labor des Unternehmens Good Meat aus einzelnen Zellen eines Huhns mit Hilfe einer Nährlösung zu einer Muskelmasse hochgezüchtet und letzten Endes zu Nuggets verarbeitet, paniert, herausgebraten und Gästen vorgesetzt, die nach dem Verzehr bekundeten, dass die Nuggets tatsächlich wie Hühnerfleisch schmeckten. Das ist an sich nicht überraschend – weil es ja Hühnerfleisch ist. Aber es ist trotzdem schwer zu fassen: echtes Fleisch, aber ohne dazugehöriges Tier. Singapur ist das erste Land, in dem es offiziell zugelassen ist; in Israel kann es in Form eines Chicken Burgers des Unternehmens SuperMeat zumindest bereits verkostet werden.

„Frankenstein-Fleisch“ nennen es jene, denen diese Entwicklung unheimlich ist – oder die sie als potenziell geschäftsschädigend ansehen, weil sie Teil der fleischproduzierenden Industrie sind. Clean Meat – sauberes Fleisch – ist es für viele andere: klimafreundlich, frei von Tierleid genauso wie von Bakterien oder Antibiotika. Fleisch aus dem Labor, hoffen sie, sei nicht weniger als die Zukunft unserer Ernährung. Tierhaltung? Ein Konzept von gestern, das künftige Generationen nur noch aus den Geschichte-Apps kennen werden. Die Wahrheit liegt – wenig überraschend – irgendwo dazwischen.

285.000 Euro für einen Burger

Aber egal, auf welcher Seite man steht, eines ist unstrittig: Dass Laborfleisch nun am Markt aufschlägt, ist „ein gigantischer wissenschaftlicher Durchbruch“, sagt Soziologe Neil Stephens, der an der Brunel University in London forscht. Er hat bereits vor drei Jahren eine große Studie zur Frage veröffentlicht, wie groß das Potenzial von Fleisch aus dem Labor überhaupt sein könnte – mit zwiespältigem Ergebnis. Denn seit Jahren leidet die Technologie an einem Problem: Sie hat bislang nicht gehalten, was die Hersteller versprochen haben – zumindest nicht schnell genug. Seit mehr als zwanzig Jahren befindet sich Laborfleisch in der Entwicklung, bereits 2013 wurde in London der erste Burger präsentiert, der aus kultiviertem Fleisch erzeugt wurde – und damals noch 285.000 Euro in der Entwicklung kostete.

Der Durchbruch in Singapur war vor allem wichtig, um den Hype um das Thema nicht abflachen zu lassen. Tatsächlich war 2021 dann auch ein gutes Jahr für Laborfleisch: Bis Oktober wurde rund eine halbe Milliarde Euro in die Sparte investiert, weit mehr als in allen Jahren zuvor. Good Meat allein konnte 231 Millionen lukrieren. Der Industrie werden jährliche Wachstumsraten von 15 Prozent vorhergesagt – obwohl sie noch nicht einmal wirklich auf dem Markt ist.

2040: Das Ende des Schlachtfleisches

Aber die tierlose Fleischindustrie trifft den Zeitgeist: Vegetarische und vegane Alternativen zu Fleisch hatten 2020 bereits eine Wachstumsrate von 27 Prozent und ein Marktvolumen von sechs Milliarden Euro. In Österreich sank der Pro-Kopf-Konsum von herkömmlichem Fleisch seit 2007 um sechs Kilo auf 60,5 Kilogramm (er ist aber mit mehr als einem Kilo pro Woche immer noch weit höher, als von Ernährungswissenschaftlern empfohlen). Und der Markt, in den Laborfleisch vordringen will, ist ein gigantischer: Der weltgrößte Fleischproduzent, der brasilianische Konzern JBS, setzt pro Jahr beinahe 49 Milliarden Euro um – etwa siebenmal so viel wie der weltweite Markt für Fleischersatzprodukte.

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Zahlen & Fakten

Bereits im Jahr 2040, keine zwanzig Jahre in der Zukunft, werden sechzig Prozent des „Fleisches“, das gegessen wird, entweder aus dem Labor kommen oder auf pflanzlicher Basis hergestellt werden (die Vorreiter auf letzterem Gebiet heißen Beyond Meat und Impossible Foods) – das besagt jedenfalls eine Studie der Consultingfirma Kearney. Laborfleisch verspricht also nicht nur einen ethischen Fleischkonsum, sondern könnte auch ein sehr gutes Geschäft werden.

Ein weiteres Indiz dafür, dass es bald ein alltäglicher Anblick in den Supermarktregalen sein könnte: Viele der größten Investoren sind jene Konzerne, die jetzt schon den Markt mit herkömmlicher Fleischproduktion und allen ihren Nebenwirkungen dominieren. Die US-Konzerne Tyson Foods (36,7 Milliarden Euro Umsatz) und Cargill (27,4 Milliarden Euro), zweit- und drittgrößte Fleischproduzenten der Welt, sind bei einigen der prominentesten Laborfleischhersteller – dem US-Unternehmen Upside Foods und dem israelischen Start-up Aleph Farms – eingestiegen, um sich auch am alternativen Fleischmarkt zu etablieren. Was jenen ein Dorn im Auge sein dürfte, die mit Laborfleisch der Fleischindustrie Lebewohl sagen wollten.

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Zahlen & Fakten

Der Fleischindustrie entkommen

Der Mühlviertler Hermann Neuburger war Teil dieser Industrie, mehr noch: Sein Name wurde zu einer Marke. Eine Scheibe Neuburger kann man an fast jeder Supermarkt-Fleischtheke des Landes bekommen. Wirklich erfüllend fand er seinen Beruf trotzdem nie: „Fleischhauer ist nicht der angenehmste aller Berufe. Ich habe zu Beginn meiner Lehrzeit noch selbst Tiere getötet. Dieser Vorgang hat mich damals schon nachdenklich gemacht.“ Über die Jahre änderte sich zudem die Welt um ihn herum; alles wurde schneller, größer, effizienter und unpersönlicher.

Viele Jahre lang habe ich einen Gedanken mit mir herumgetragen: dass das vielleicht nicht in Ordnung ist, was ich da mache.

Hermann Neuburger, ehemaliger Fleischhauer

Die Fleischhauereien wurden von den Supermärkten verdrängt, aus der Landwirtschaft erwuchs eine Industrie. „Im Laufe der Jahre habe ich gesehen, dass das Leben der Tiere immer schlechter wurde und die Menschen gleichzeitig immer mehr Fleisch essen“, erzählt er. „Viele Jahre lang habe ich einen Gedanken mit mir herumgetragen: dass das vielleicht nicht in Ordnung ist, was ich da mache.“ Die Fleischindustrie lebe davon, dass sie den Menschen verheimliche, wie sie arbeitet: „Niemand sieht jemals eine Schlachtung, nicht einmal die Produktion einer Wurst.“ Weiß man, wie aus dem Schwein eine Wurst wird, „sinkt die Lust auf Fleisch gewaltig“, sagt Neuburger. Er konnte die Augen nicht vor der Realität verschließen. „Ich bin kein Mensch, der wegschauen kann.“

Er entschied sich dafür, auf eine vegetarische Linie zu setzen: „Hermann“ stellt Fleischersatzprodukte aus Pilzen her, und die Vision von Hermann Neuburger ist es, mehr vegetarische Produkte zu verkaufen, als er in seinem Leben bislang Leberkäse verkauft hat. „Dann ist meine Mission erfüllt.“ Während Neuburger hofft, dass die Konsumenten den Fleischkonsum reduzieren, versprechen Laborfleischhersteller das Beste aus beiden Welten: weiterhin Fleisch essen, allerdings ohne schlechtes Gewissen.

Der Aberwitz, ein Huhn zu züchten

Die Idee, Teile eines Tieres in einem Bioreaktor wachsen zu lassen, ohne dass das ganze Tier überhaupt je existiert, klingt natürlich erst mal befremdlich – und das ist ein Problem für die Hersteller von Laborfleisch. Befremdliche Produkte etablieren sich auf dem Markt nur schwer. Ein anderes Problem: Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien wissen drei von zehn Menschen nicht, was Laborfleisch überhaupt ist.

Die Hoffnung ist: Je mehr Menschen Laborfleisch essen, desto normaler wird es.

Neil Stephens, Soziologe

Aber: Immerhin könnten sich nach einer Erklärung 61 Prozent der Befragten vorstellen, Laborfleisch zu probieren. „Es ist vor allem eine Gruppe von Menschen, die kultiviertes Fleisch am ehesten ausprobieren wollen: junge, gebildete Männer, die in Städten leben“, erzählt Neil Stephens. Das könnte fürs Erste auch reichen, weil es zunächst nur in geringen Mengen verfügbar sein wird. „Die Hoffnung dahinter ist: Je mehr Menschen Laborfleisch essen, desto normaler wird es“, sagt Stephens.

Und warum auch nicht? Schon 1931 fand es der spätere britische Premierminister Winston Churchill seltsam, wie die Menschheit zu ihrem Fleisch kommt, und prophezeite: „Wir werden von dem Aberwitz abkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, und diese stattdessen in einem geeigneten Medium züchten.“ Seitdem hat der Aberwitz gigantische Ausmaße angenommen: Mehr als 72 Milliarden Tiere wurden weltweit im Jahr 2018 geschlachtet.

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Zahlen & Fakten

Aus Tieren wurden Nutztiere

Der Mensch hat die Biomasse der Erde mit der Nutztierhaltung massiv beeinflusst: Nur noch vier Prozent aller Säugetiere sind wildlebend, alle anderen sind Nutztiere (60 Prozent) oder Menschen (36 Prozent). Auch das klingt befremdlich, vor allem wenn man die Geschwindigkeit bedenkt, mit der das alles passiert ist: Die Tierkörperverarbeitung am Fließband – und damit die Massentierhaltung – entstand um 1860 in den Union Stock Yards in Chicago, seitdem sind erst rund 160 Jahre vergangen.

Allein in den vergangenen 50 Jahren hat sich die globale Fleischproduktion verdreifacht. In vielen – vor allem asiatischen – Märkten ist der Hunger auf Fleisch gerade erst erwacht. China hat sich mit großem Abstand zum weltgrößten Fleischproduzenten entwickelt – 2019 wurden dort 88 Millionen Tonnen Fleisch produziert, die USA liegen mit rund 47 Millionen Tonnen auf Platz zwei.

Immer mehr wird das auch zum Problem für das Klima. Eine neue Generation von Vegetariern und Veganern wirft der Industrie nicht nur Grausamkeit vor, sondern auch, den Planeten zu gefährden: „Die Lebensmittelindustrie ist verantwortlich für ein Drittel aller Treibhausemissionen, 40 Prozent der Erdoberfläche werden für Landwirtschaft genutzt. Zwei Drittel des Wassers werden für Lebensmittelproduktion verbraucht“, sagt Marco Springmann, der an der Oxford University am „Future of Food“-Programm arbeitet.

Weideflächen in der Größe Afrikas

Das klingt zwar aufs Erste nach viel, scheint aber alternativlos: Wir müssen schließlich etwas essen. Die Sache ist die: Die Produktion tierischer Proteine, also Tierfutteranbau und Tierhaltung, ist – je nach Staat – für zwei Drittel bis 90 Prozent der Emissionen verantwortlich. „Allein die Weideflächen der Welt haben nahezu die Größe Afrikas. Dazu kommt, dass die Anbauflächen für Tierfutter ungefähr die Größe Grönlands haben, auch das ist nicht gerade vernachlässigbar“, sagt Pragmaticus-Experte Springmann. Laborfleisch bräuchte das alles nicht. Es braucht keine Ställe, keine Weiden und keine Futtermittelanbauflächen. Die Klimafreundlichkeit von Laborfleisch ist trotzdem nur ein Versprechen, das erst eingelöst werden muss – denn auch Bioreaktoren benötigen Energie.

Die Weideflächen der Welt haben nahezu die Größe Afrikas, die Anbauflächen für Tierfutter jene Grönlands. Das ist nicht vernachlässigbar.

Marco Springmann, Forscher im „Future of Food“-Programm der Oxford University

„Es hängt also vor allem davon ab, wie effektiv diese Bioreaktoren sein werden“, hält Pragmaticus-Experte Neil Stephens fest. Stichwort Energie: „Damit wirklich Emissionen eingespart werden, müssen die Fabriken mit erneuerbaren Energiequellen betrieben werden – mit Kohle betriebene Fabriken sind keine Lösung“, sagt er. Laborfleischhersteller gehen dennoch davon aus, bis zu 90 Prozent der Treibhausgasemissionen einsparen zu können, wenn die Produktion von der Weide in den Bioreaktor wandert.

„Es schmeckt schon nach Fleisch“

Was natürlich auch dazukommt: „Für unser Fleisch muss keine Kuh sterben“, führt Christoph Mayr aus. Der Schweizer ist mit seinem Unternehmen Mirai Foods einer jener, die Laborfleisch auf den Markt bringen möchten. Mit all den Schwierigkeiten, die das mit sich bringt. Die größte darunter: Den Preis des gezüchteten Fleischs auf ein konkurrenzfähiges Niveau zu senken. 2019 präsentierte Mirai Foods seinen ersten Burger, er hatte einen Kilopreis von „einem schönen Kleinwagen“, so Mayr.

Mittlerweile sei man zwar bei einem Motorrad pro Kilo angelangt, jedoch werden auch die wohlhabendsten Konsumenten mit den besten Absichten, die Welt zu retten, nicht so viel hinblättern. Einige seiner Konkurrenten sind schon weiter: Schätzungen besagen, dass der Kilopreis für Laborfleisch in diesem Jahr auf rund 8,50 Euro pro Kilo gefallen ist und bis 2030 auf fünf Euro hinuntergehen könnte – dann wären die Produkte auch preislich konkurrenzfähig.

Die Chicken Nuggets um 20 Euro in Singapur wurden jedenfalls noch unter dem Produktionspreis verkauft, der streng geheim ist – und selbst diese 20 Euro sind weit weg von den 5,99 Euro, um die es hierzulande neun Chicken McNuggets bei McDonald’s zu kaufen gibt. Für kultiviertes Fleisch mehr als für konventionelles zu zahlen, das können sich laut der Boku-Umfrage nur sechs Prozent der Befragten vorstellen.

Dazu kommt noch eine bedeutende Kleinigkeit: Geschmack. „Er schmeckt schon nach Fleisch“ – so beschreibt Christoph Mayr seinen Burger. Begeisterung klingt anders, insbesondere wenn jeder Bissen tausende Euro kostet. Es war „nicht das beste Fleisch, das ich je gegessen habe“, gibt er zu, und er weiß auch, warum: „Wir arbeiten mit einer Nährlösung, die die Rolle von Blut übernimmt. Die Lösung ist nicht rot, und Blut hat auch einen Eigengeschmack, den man als Konsument erwartet – und die Lösung eben nicht.“

Am Anfang steht die Biopsie

Der Weg zur Nahrungsmittelrevolution ist noch weit. Insgesamt, sagt Experte Neil Stephen, habe die Industrie drei große Aufgaben zu lösen, um massentauglich zu werden: „Die Zellauswahl, den Nährboden und die Skalierung der Produktion.“ Das klingt zunächst alles eher technisch, aber die Frage, wie kultiviertes Fleisch eigentlich genau hergestellt wird, ist dennoch spannend.

Infografik Laborfleisch

Zunächst ist ein Ausgangsmaterial erforderlich, aus dem das Fleisch wachsen kann. „Wir brauchen für kultiviertes Fleisch Stammzellen, in unserem Fall solche vom Rind“, erklärt Christoph Mayr von Mirai Foods. „Dafür kann man entweder eine Gewebeprobe von einem frischen Stück Fleisch nehmen oder bei einem lebenden Tier eine Biopsie machen; das ist ein harmloser Vorgang, vergleichbar mit Blutabnehmen.“ Viele Hersteller setzen auf genveränderte Zellen, weil diese robuster sind. Für Mirai Foods ist das keine Option: „Es ist in Europa nahezu unmöglich, genmanipuliertes Fleisch auf den Markt zu bringen.“

Das Laborfleisch-Problem mit Kälberserum

Diese Zelle, gentechnisch verändert oder nicht, braucht eine Nährflüssigkeit – und das ist ein weiterer Punkt, bei dem Laborfleisch oftmals hinter den eigenen moralischen Vorgaben zurückbleibt: Ein Hauptbestandteil vieler Nährmedien ist Fetales Kälberserum, eine Substanz, die aus dem Blut ungeborener Kälber gewonnen wird. Für all jene, die auf eine Abkehr vom Tierleid hoffen, wird Laborfleisch, für das man schwangere Kühe schlachten muss, kaum eine Alternative darstellen.

Zwar forschen Laborfleischhersteller an Alternativen, die allerdings werden aller Wahrscheinlichkeit nach von Genmanipulation abhängig sein – was die Europäische Union als Absatzmarkt eher ausschließen würde. Wenn auch dieses Problem gelöst ist, bleibt eigentlich nur mehr eines: den globalen Fleischhunger zu stillen – also die Fähigkeit, genug Fleisch herzustellen, um Supermärkte in aller Welt damit zu bestücken. „Das meint den Bau größerer und besserer Bioreaktoren, die es den Zellen ermöglichen, in den Nährmedien mit einem hohen Volumen zu wachsen“, erklärt Neil Stephens. Die Farm der Zukunft wird wie eine Hightechbrauerei aussehen, in der Fleisch statt Bier heranreift. Auch wenn es aktuell nur unförmige Fleischklumpen sind.

Zebraschnitzel und Löwenrippen

„Der aktuelle Stand der Technologie eignet sich nur für die Herstellung von verarbeitetem Fleisch wie eben Burgern oder Nuggets“, sagt Stephens. „Ganze Stücke wie Steaks sind eine viel komplexere technische Herausforderung, da es sich um strukturierte Produkte handelt, die mehrere Gewebetypen auf sehr spezifische Weise miteinander verbinden.“

Warum essen wir Rind, Schwein, Huhn? Weil sich diese Tiere gut halten lassen. Das ist nicht unbedingt das bessere Fleisch.

Christoph Mayr, Unternehmensgründer Mirai Foods

Von welchen Tieren die Zellen kommen, ist übrigens sekundär; und das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten: Ein Zebraschnitzel ist genauso denkbar wie Ribs vom Löwen – Craft Meat statt Craft Beer sozusagen. „Warum essen wir Rind, Schwein und Huhn? Das hat weniger mit dem Geschmackserlebnis zu tun, sondern weil sich diese Tiere gut halten lassen. Das ist nicht unbedingt das bessere Fleisch – vielleicht ist Straußenfleisch besser als Hühnerfleisch“, sagt Christoph Mayr. Seine Fantasie geht sogar noch weiter: „Ich kann mir vorstellen, dass es Fleisch geben wird, das es in der Natur nicht gibt. Dass man das Muskelgewebe eines Tieres mit dem Fett eines anderen Tieres kombiniert.“

Auch die Palette der tierischen Produkte endet nicht beim Fleisch: In den USA gibt es bereits Eis in acht Sorten mit Milch aus dem Labor – ob „Buttery Pecan“ oder „Blueberry Pie“. Modern Meadow, das als Laborfleisch-Start-up begann, versucht sich jetzt an der Herstellung von Lederprodukten aus dem Bioreaktor. Und Geltor gelang es, das längst ausgestorbene Mastodon in Form von Gummielefanten wiederauferstehen zu lassen: Weil die DNA des Ur-Elefanten sequenziert ist, konnte das Unternehmen Mastodongelatine herstellen, die es dann eben zu Gummitierchen verarbeitete.

Wenn schon keinen Jurassic Park, dann könnten wir also zumindest bald ein Mammut-Steakhouse bekommen. Damit all das passiert, muss nicht nur die Technologie verfeinert werden: Die Produkte müssen auch von Lebensmittelbehörden weltweit abgesegnet werden, nicht nur in Singapur.

Was ist Fleisch?

Dafür ist die philosophische Frage zu klären, was Laborfleisch eigentlich ist. Unter Fleisch, so definiert es das österreichische Lebensmittelbuch, „sind alle für den menschlichen Genuss verwendbaren Teile geschlachteter oder erlegter warmblütiger Tiere zu verstehen, die sich zum menschlichen Genuss eignen oder hiefür bestimmt und genusstauglich i. S. des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes sind“.

Darunter fällt Laborfleisch nicht, weil dafür keine Tiere geschlachtet werden; ein pflanzliches Produkt ist es aber auch nicht. Dazu kommt, jedenfalls in der EU, ein kompliziertes Zulassungsverfahren: „Es ist nicht so, dass es einmal ein Zulassungsverfahren für kultiviertes Fleisch gibt und dann alle Produkte zugelassen sind. Wir müssen einen eigenen individuellen Zulassungsprozess durchlaufen“, erzählt Christoph Mayr. Aber letzten Endes wird wohl auch das der Markt regeln: Wenn die Menschen Appetit auf Mastodon-Fleisch oder einfach nur tier- und klimafreundliche Chicken Nuggets entwickeln, wird das auch in den Supermärkten aufliegen.

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Conclusio

Zwar hat kultiviertes Fleisch noch einige Hürden zu überwinden – auf technischer und regulatorischer Ebene –, aber die Technologie wird wohl nicht mehr aufzuhalten sein: In wenigen Jahren wird Fleisch aus dem Bioreaktor in den Supermärkten aufliegen. Und dann wird es seinen einzig relevanten Test bestehen müssen: die Akzeptanz des Konsumenten. Wenn es zum Ladenhüter wird, wird es auch ganz schnell wieder aus den Regalen verschwinden. Und es sind viele Faktoren, die zu bedenken sind: Der Preis genauso wie der Geschmack, denn schließlich muss kultiviertes Fleisch auch alle seine vollmundigen Versprechen einlösen. Es soll ohne Tierleid auskommen und klimafreundlich sein – sonst werden Konsumenten keinen Grund sehen, vom klassischen Fleischkonsum, wie er schon immer war, abzugehen.