Auch den Alpen droht ein Wasserkonflikt

Energie, Erholung, Ernährung: Wassernutzung kann mit dem Klimawandel zum Streitfall werden. Rolf Weingartner, Hydrologe der Universität Bern, über friedliche Wege aus der Wasserkrise.

Staudamm in den Tiroler Alpen
In Österreich gibt es fast 60 Staudämme. Wasserkraft spielt eine entscheidende Rolle im Energiemix der Alpenrepublik. © Getty Images

Rolf Weingartner ist emeritierter Professor für Hydrologie an der Universität Bern und forscht seit Jahrzehnten zu den Themengebieten Gebirgs- und Hochwasserhydrologie. Er war Projektleiter des „Hydrologischen Atlasses der Schweiz“ und sitzt im wissenschaftlichen Beirat der Schweizer Gletscher-Initiative. Sein Ziel: Das gesellschaftliche Bewusstsein dafür stärken, wie sehr sich der Klimawandel bereits jetzt auf die Alpen auswirkt – und was wir dagegen tun können.

Herr Weingartner, auch die Alpenregionen sind nicht immun gegen potenziellen Streit um das Wasser. Ein Umstand, auf den Sie schon länger hin­weisen. Wo verlaufen die wesentlichen Konfliktlinien?

Rolf Weingartner: Eine wesentliche Konfliktlinie ergibt sich aus den Veränderungen infolge des Klimawandels. Die Wassermengen, die die Alpen zu den Nutzerinnen und Nutzern bringen, werden auch in Zukunft gleich bleiben – über das ganze Jahr gesehen. Aber der Klimawandel verteilt die Verfügbarkeit von Wasser unregelmäßiger, und darauf sind wir nicht eingestellt. Es wird mehr Niederschlag in den Wintermonaten geben, und immer weniger davon fällt als Schnee. Die Sommermonate hingegen werden trockener sein.

Rolf Weingartner
Prof. Dr. Rolf Weingartner ist seit 2019 emeritiert, forscht aber noch immer zur Hydrologie der Alpen. © Manu Friederich

Aus dieser Konfiguration erwachsen dann die eigentlichen Nutzungskonflikte: zwischen dem Tourismus, der Wasserkraft, dem Bedarf von Industrie und Landwirtschaft. Nicht weil es zu wenig Wasser gibt, sondern weil man das, was verfügbar ist, anders managen muss. Wenn das nicht geschieht, wird sich vor allem der klassische Konflikt zwischen Energiegewinnung aus Wasserkraft und der Notwendigkeit von naturnahen Landschaften in den Alpen verstärken. Klimawandel und Energiekrise machen es noch dringlicher, eine Lösung zu finden. Zum Beispiel entstehen im Zuge der Gletscherschmelze neue Landschaften. Wenn sich die Gletscher zurückziehen, bleiben Gletscherseen und Senken zurück. Wer darf sie nutzen? Sollen sie überhaupt genutzt werden, und wenn ja, wie? Sollen wir Dämme bauen für Wasserkraft? Die Frage, die sich mit großer Macht stellt, ist, wie diese neuen Landschaften in Zukunft genutzt werden sollen.

Von Tourismus bis Wasserkraft: Die Alpen sind ein Wirtschaftsfaktor für Länder wie Österreich und die Schweiz. Wird man auf bestimmte Nut­zungen verzichten müssen?

Man bekommt nur dann ein Problem mit dem Wasser, wenn man nichts macht. Aufgrund des Krieges in der Ukraine hat sich die Sorge um eine Stromlücke im Winter weiter verstärkt. Zur Erhöhung der Winterproduktion wird mehr Speicherraum benötigt. Und auch zur Überbrückung der Wasserengpässe im Sommer brauchen wir Speicher. Wir haben jetzt also die Diskussion, die Wasserkraft auszubauen und die Speicherkapazitäten zu erhöhen. Es geht aber vor allem um das Management der insgesamt reichlich vorhandenen Ressourcen. Und darüber wird meiner Ansicht nach viel zu wenig debattiert.

Man bekommt nur dann ein Problem mit dem Wasser, wenn man nichts macht.

Wie kann der Ausgleich dann gelingen?

Wir müssten uns erstens über­regional darüber verständigen, welche Nutzungen wir wo wollen. Es geht zweitens um die Entflechtung der Nutzungen: Wir können an geeigneten Orten Wasserkraftwerke bauen und sie ökologisch verträglicher machen, an anderen Orten andere Nutzungen bevorzugen. Drittens sollten wir Alternativen entwickeln: Im Sommer kann die Energie aus Photovoltaik kommen, wenn die Speicher multifunktional genutzt werden – zum Beispiel im Sommer für Bewässerung und im Winter für die Stromerzeugung. Es ist alles eine Frage des Managements. Mit Planung lassen sich die meisten Konflikte vermeiden.

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