Gesundes Altern ist eine Frage der Politik

Gesund alt wird man nicht allein: Nicht nur die Gesundheitspolitik ist gefragt, sondern ebenso die Wirtschaftspolitik. Die setzt die Rahmenbedingungen für den berühmten gesunden Lebensstil.

Eine Frau in höherem Alter sieht gesund aus mit einer blauen Wollmütze und einer Kette mit einem Lederband und Steinen daran lächelt.
Selbstbestimmung ist ein wichtiger Faktor: Eine zufriedene Bäuerin in Nepal. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Alt werden. Mit den Lebensjahren steigt das Risiko, krank zu werden. Krankheit ist keineswegs nur eine Frage des individuellen Lebensstils.
  • Gesund bleiben. Die Lebensumstände haben einen starken Einfluss auf die Gesundheit. Wer keine Sorgen und weniger Stress hat, wird seltener krank.
  • Politik. Für ein gesundes Altern ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik genauso gefragt, wie die Gesundheitspolitik.
  • Gesellschaft. Damit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, ist die Kooperation aller Politikbereiche entscheidend.

Eines ist sicher: Möglichst lange leben, geistig und körperlich fit sein bis ins hohe Lebensalter – das ist der Wunsch der meisten Menschen. Doch Wunsch und Wirklichkeit klaffen oft weit auseinander, besonders in Österreich.

Hierzulande ist zwar die Lebenserwartung mit rund 84 Jahren für Frauen und 79 Jahren für Männer relativ hoch, die Anzahl jener Lebensjahre, die in guter Gesundheit verbracht werden, liegen mit 58 und 57 Jahren aber deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 65 beziehungsweise 64 Jahren. In Schweden, das dieses Ranking anführt, verbringen die Menschen sogar 73 Jahre in guter Gesundheit, also durchschnittlich rund 15 Jahre länger als in Österreich.

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Zahlen & Fakten

Keine Frage, grundsätzlich könnten alle darauf achten, ausreichend Bewegung zu machen, gesund zu essen und nicht zu rauchen. Doch der Staat darf die Gesundheit der Bevölkerung nicht ausschließlich der Eigenverantwortung überlassen: Nicht nur unser Verhalten erhält uns gesund oder macht uns krank, sondern vor allem die Verhältnisse, in denen wir leben. Von politischen Strategien und Maßnahmen in allen politischen Bereichen hängt die gesundheitliche Gesamtsituation eines Landes ab.

Gesund alt wird man nicht allein

Zwar ist Eigenverantwortung wichtig, wenn es um die Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit geht. Doch es braucht viel Wissen, Zeit und Geld, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Einem alleinerziehenden Elternteil mit Vollzeitjob, Haushalt und drei Kindern zu sagen, dass es doch „einfach“  mehr Sport machen und sich gesünder ernähren muss, ist wenig zielführend.

Leistbare Kinderbetreuung, eine schöne Wohnumgebung mit Spielplätzen, Radwegen und Grünanlagen und ein gut bezahlter Arbeitsplatz mit betrieblicher Gesundheitsförderung könnten schon eher dazu führen, die Gesundheit einer Familie positiv zu beeinflussen.

Die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Gesundheit liegen außerhalb des Gesundheitssystems.

Das in der Gesundheitsforschung etablierte Determinantenmodell von Göran Dahlgren und Margaret Whitehead macht deutlich, dass Gesundheit nicht nur von individuellen biologischen Faktoren wie Alter oder Erbanlagen, dem Zugang zu Krankenversorgung und dem Verhalten des Einzelnen bestimmt wird: Die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Gesundheit liegen außerhalb des Gesundheitssystems, konkret in der Sozial-, Bildungs-, Umwelt-, Arbeits- und Wirtschaftspolitik. Denn die Gesundheit hängt zu großen Teilen von Lebens- und Arbeitsbedingungen ab.

Auch soziale Beziehungen sowie Umweltfaktoren spielen eine große Rolle. Diese wirken tagtäglich auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden und haben somit Einfluss auf unsere Lebenserwartung und die Entstehung von chronischen Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauferkrankungen.

Gesundheit ist somit nicht gleich verteilt: Der Zusammenhang zwischen Bildung, Einkommen, Migrationshintergrund und Gesundheit ist vielfach belegt. Menschen mit einem niedrigeren formalen Bildungsgrad oder weniger Einkommen weisen eine schlechtere körperliche und psychische Gesundheit und eine niedrigere Lebenserwartung auf.

Gesundes Altern: Best Practice in Finnland und der Schweiz

Die Gesundheit der Bevölkerung wird also weitgehend durch politische Maßnahmen bestimmt, die über den Gesundheitssektor hinausgehen und kann daher nicht nur über die klassische Gesundheitspolitik beeinflusst werden. „Health in all Policies“ ist eine Strategie, bei der die gesundheitlichen Auswirkungen von Maßnahmen in allen Politikfeldern berücksichtigt werden. Der Fokus soll damit weg von individuellen Lebensstilen und -risiken hin zu gesellschaftlichen und sozialen Faktoren verschoben werden.

Auch in Österreich gibt es Bestrebungen in diese Richtung: Im Jahr 2012 wurden die in einem breiten, partizipativem Prozess erarbeiteten „10 Gesundheitsziele“ beschlossen, die den Handlungsrahmen für eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik darstellen, um die Zahl der gesunden Lebensjahre zu erhöhen. Bislang sind die Effekte allerdings überschaubar geblieben. Wie Prävention gelingen kann, zeigt ein Blick auf andere Länder.

Viele Länder haben Strategien erarbeitet, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen, Krebs, Diabetes und psychische Krankheiten zu reduzieren. Diese Erkrankungen sind in Europa für mehr als 80 Prozent der Todesfälle verantwortlich. Finnland hat bereits in den 1970er-Jahren ein breit angelegtes regionales Präventionsprojekt initiiert, dessen Ziel es war, Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch die Beteiligung anderer Sektoren wie Schulen oder Gemeinden zu reduzieren. Diese sektorenübergreifende Zusammenarbeit führte zu einer signifikanten Senkung der Sterblichkeit bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Eine gute Strategie in diesem Bereich verfolgt auch die Schweiz. Das übergeordnete Ziel, chronische Erkrankungen zu reduzieren, soll mit verschiedenen konkreten Maßnahmen wie Präventionsinitiativen oder Disease-Management-Programmen erreicht werden. Diese reichen von Maßnahmen für gesundheitsförderliche Arbeitsplätze bis hin zur Entwicklung gesunder Lebensräume und der Verbesserung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung.

Gute Politik fördert Gerechtigkeit

In vielen Präventions- oder Disease-Management-Programmen steht die Interaktion zwischen Patienten und Gesundheitspersonal im Fokus. Manche Länder wie Australien beschreiten auch unkonventionelle Wege, um die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu verbessern.

Schwarzweiß Foto von einer belebten Straße mit vielen Fußgängern und großen Schaufenstern. Eine ältere Frau ist mit einem Roller unterwegs, an dem eine Einkaufstasche hängt. Neben ihr läuft ein mittelgroßer Hund mit längeren Haaren.
Shopping mit Scooter und Hundebegleitung in London 1957. © Getty Images

Das australische Programm „Mental Health First Aid“ zum Beispiel kann man sich wie einen Erste-Hilfe-Kurs für psychische Erkrankungen vorstellen. Ziel ist es, Menschen über psychische Erkrankungen zu informieren, damit Angehörige, Freunde, Nachbarn und Bekannte psychisch belasteten Menschen helfen können. Es gibt standardisierte Kurse für Pädagogen und Pädagoginnen, aber auch für die gesamte Bevölkerung – etwa in Universitäten oder am Arbeitsplatz. Auch in Österreich können diese „Erste-Hilfe-Kurse für die Seele“ mittlerweile in einigen Bundesländern absolviert werden.

Nationale Strategien und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit oder Reduktion von chronischen Krankheiten sollten immer auf die Förderung der gesundheitlichen Chancengerechtigkeit abzielen. Bei Aktivitäten, die ausschließlich auf die Verbesserung des individuellen Gesundheitsverhaltens fokussieren, besteht die Gefahr, dass diese erst recht wieder nur von Menschen in Anspruch genommen werden, die ohnehin sozioökonomisch besser gestellt und bereits gesünder sind. Ein solches Vorgehen verstärkt die gesundheitliche Ungleichheit sogar noch weiter.

Es braucht gemeinsame Anstrengungen in allen Politikbereichen, damit alle Menschen die in Österreich leben – unabhängig von Alter, Herkunft, Bildung, Einkommen oder Geschlecht – die gleichen Chancen auf Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität haben. Dies nützt nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch der gesamten Gesellschaft.

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Conclusio

Gesundheit ist nicht ausschließlich eine Angelegenheit einer individuell gesundheitsbewussten Lebensführung, sondern hängt maßgeblich von vielen sozialen Faktoren im Umfeld ab. Diese Umgebungsbedingungen können staatlich gefördert werden. Insofern betrifft eine gesundheitsfördernde Politik nahezu alle Politikbereiche. „Health in all policies“ ist eine Evidenzbasierte Strategie, mit der sich die Lebenserwartung in guter Gesundheit für die Menschen steigern ließe. Viele Staaten in Europa sind mit diesem Ansatz bereits sehr erfolgreich.