Die Superbugs aus unserem Essen

Wenn Bakterien resistent gegen Antibiotika werden, liegt das auch an unserer Ernährung: Massentierhaltung, Pestizide, Kunst-Dünger und unser einseitiger Speiseplan sind die Hauptverdächtigen.

Illustration eines Menschen, der mit Maispflanzen verbunden ist. Es geht um die Darstellung der Bedeutung der Ernährung für die Entstehung von Antibiotika-Resistenz, also um die Auswirkungen auf das Mikrobiom.
„Du bist, was du isst“: Die Macht der Ernährung hat mit unserem Mikrobiom zu tun. Alles was den Bakterien im Darm guttut, hilft uns. Pestizide gehören nicht dazu. © Francesco Ciccolella
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Auf den Punkt gebracht

  • Unterbelichtet. Der Faktor Ernährung ist als Ursache der Antibiotika-Krise noch weitgehend unbeachtet.
  • Jenseits der Antibiotika. Pestizide und Dünger tragen maßgeblich dazu bei, dass Antibiotika unwirksam werden.
  • Holobionten. Was Insekten, Pilze und Pflanzen schädigt, schädigt auch uns, denn um gesund zu sein, brauchen wir ein vielfältiges Mikrobiom.
  • Schutz. Auf einer individuellen Ebene kann eine abwechslungsreiche Ernährung helfen, Resistenzen zu vermeiden.

Antibiotikaresistenzen haben zahlreiche Ursachen. Ziemlich einleuchtend und wissenschaftlich abgesichert ist, dass Antibiotika und andere antimikrobiell wirksame Substanzen in den letzten Jahrzehnten viel zu freizügig verschrieben und verabreicht wurden.

Die Human- wie auch die Veterinärmedizin haben dadurch gleichermaßen dazu beigetragen, dass sich die Resistenzlage weltweit verschlimmert. Man könnte auch sagen, sie sind zu einem beträchtlichen Teil dafür verantwortlich. In der industriellen Tierhaltung werden Antibiotika zudem vor allem präventiv und – in manchen Ländern – als „Wachstumsbeschleuniger“ eingesetzt. Insgesamt bewirkt dies, dass Bakterien entstehen, die genetisch resistent gegen Antibiotika sind. Über die tierischen Ausscheidungen gelangen die resistenten Keime in die Umwelt und über unsere Nahrung schließlich in unseren Körper.

So weit sind die Zusammenhänge klar und auch weitgehend erforscht. Wenig beachtet blieb hingegen der Umstand, dass auch unsere Lebensmittelproduktion und Ernährungsweise eng mit den weltweit steigenden Antibiotika­resistenzen verknüpft sind.

Mehr über Ernährung

Das verbindende Element zwischen der Landwirtschaft, der Ernährung und der Entstehung von Resistenzgenen ist das Mikrobiom, die Gesamtheit der Bakterien, Pilze und sonstigen Mikroorganismen, die alle Lebewesen haben. Ein großes Reservoir für resistente Bakterien tragen zum Beispiel wir Menschen in uns selbst: Es ist unser Darm mit seiner Vielfalt von Bakterien.

Wir sind Holobionten

Unser Körper besteht Schätzungen zufolge aus etwa 30 Billionen Körperzellen und 38 Billionen Bakterien. Pilze, Einzeller und andere Mikroben sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Vor allem die warme, sauerstoff­arme Umgebung unseres Darmrohres, die täglich reichlich Nährstoffe bekommt, bietet den Mikrobiota – so die fachlich korrekte Bezeichnung für die Gesamtheit all dieser Mikroorganismen – ein attraktives Zuhause.

Das Darmmikrobiom setzt sich zusammen aus den Mikroorganismen inklusive ihrer Stoffwechselprodukte und Gene. Während unsere Körperzellen jeweils etwa 23.000 Gene haben, tragen wir allein in unserem Darm zwischen zwei und möglicherweise sogar zwanzig Millio­nen bakterielle Gene mit uns herum. Das heißt: Zumindest aus genetischer Sicht sind wir zu 99 Prozent Mikrobe.

Dieses Schicksal teilen wir mit sämtlichen Haustieren, Nutztieren, Wildtieren, Insekten und Pflanzen. Sie alle müssen als „Gesamtlebewesen“, also als Wirtsorganismus plus jeweiliges Mikro­biom, gesehen und verstanden werden. Die Wissenschaft hat inzwischen auch einen Namen dafür: Wir sind ­Holobionten. Als Holobionten ind wir gut vor Krankheiten und Infektionen geschützt, aber zugleich bilden Mikrobiome ein gutes Umfeld, damit Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln und weitergeben können.

Das Resistom

Die Gesamtheit der Bakterien in einem Mikrobiom, die Resistenzen ausgebildet haben, wird wissenschaftlich auch Resistom genannt, es ist ebenso individuell wie das restliche Mikrobiom. Die bloße Anzahl der Bakterien lässt darauf schließen, wie flexibel dieses Resistom ist: Es gibt schier unzählige genetische Kombinationsmöglichkeiten für Resistenzgene in unserem Mikrobiom.

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Zahlen & Fakten

Mikroskopische Aufnahme eines Bakteriums. Es ist ein Keim, der gegen Antibiotika resistent ist.
Der MRSA-Keim ist ein gefürchteter Krankenhauskeim geworden. Er ist gegen eine Vielzahl von Antibiotika resistent. © Getty Images

Was sind Superbugs?

Bakterien, die gleich gegen mehrere Antibiotika resistent sind, ist eine sensationelle genetische Anpassung gelungen.

  • Entstehung. Superbugs oder multiresistente Keime sind solche, die gleich ­mehrere Arten von Antibiotika ­tolerieren können. Sie entstehen bevorzugt dort, wo es viele Antibiotika gibt – wenn etwa Gülle aus der Schweinemast in die Böden gelangt oder auch im Darm von Tieren und Menschen durch die Einnahme von Antibiotika. Die Präsenz von Antibiotika führt zu einem sogenannten Selektionsdruck: Es überleben nur jene Bakterien, die sich genetisch so verändern, dass sie die antimikrobiellen Substanzen aushalten. Je größer das Toleranzspektrum ist, desto größer die Überlebenschancen.
  • Verbreitung. Die Fähigkeit zur Antibiotikaresis­tenz wird über die Gene an alle nachfolgenden Bakteriengenerationen weitergegeben. Neben Antibiotika tragen Pestizide, Mikroplastik und Medikamente heute aufgrund ihrer Vielfalt dazu bei, dass sich multiresistente Keime schnell entwickeln und schnell verbreiten, weil sie besser an diese Welt angepasst sind als die nicht resistenten Keime. Besonders besorgniserregend ist die Verbreitung über die Gewässer und Böden. Derart gelangen multiresistente Keime in Nahrungs- und Wasserkreisläufe. Der Keim Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) ist gegen das Antibiotikum Methicillin resistent, 20 Prozent dieser Keime entwickeln eine Multiresistenz. MRSA ist inzwischen in Krankenhäusern häufig und entwickelt sich stets weiter. Die WHO befürchtet, dass 2050 bereits zehn Millionen Menschen im Jahr wegen des Versagens von Antibiotika sterben werden.

Resistenz wird genetisch durch Mutation und Selektion gebildet und weitergegeben. Bakterien haben grundsätzlich eine ganze Reihe von Eigenschaften, die die Entstehung von Resistenzen ­begünstigen. Neben einer recht kurzen Generationsdauer können sie Gen­abschnitte, die für sie vorteilhaft sind, ziemlich rasch an andere Bakterien in ihrer Umgebung weitergeben. Dieser horizontale Gentransfer machen das Mikrobiom und das Resistom flexibel. Es befindet sich stets im Wandel.

Viele Resistenzgene gegen Antibiotika sind nicht erst entstanden, seit Antibiotika entwickelt wurden, sondern liegen als „stille Resistenzgene“ bereits in Bakterien vor und können bei Bedarf aktiviert werden. Untersuchungen an Bakterien aus 30.000 Jahre altem Permafrostboden haben gezeigt, dass bakterielle Gene, die für Resistenzen gegen Antibiotika aus der Gruppe der Glykopeptide, Beta-Lactame und Tetracyc­line zuständig sind, bereits lange vor der klinischen Anwendung von Antibiotika existierten. Bakterien mit diesen „alten“ Resistenzgenen sind besonders problematisch: Einen entsprechenden Selektionsdruck durch antimikrobielle Substanzen vorausgesetzt, können aus ihnen gefürchtete, weil vielfach resistente „Superbugs“ entstehen.

Resistenz durch Pestizide

Der Druck, Resistenzen auszubilden oder sie zu erweitern, kann nicht nur durch Antibiotika erzeugt werden, sondern auch durch andere antimikrobielle Substanzen wie Pestizide. Denn was für alle anderen Lebewesen gilt, gilt ebenso für Pflanzen und für die Ackerböden: Auch sie haben ein Mikrobiom und sind Holobionten.

Die Pestizide, die in der Landwirtschaft weltweit in großen Mengen eingesetzt werden, verändern das Mikrobiom der Pflanzen und der Ackerböden und sind in den Agrar-Ökosystemen heute praktisch überall vorhanden. Pestizide gelangen über die Nahrung direkt in unser inneres Ökosystem, das Darmmikrobiom. Einige wissen­schaftliche Untersuchungen der letzten Jahre beschäftigen sich damit, wie sich Antibiotikaresistenzen in Boden- und Darmbakterien unter dem Einfluss von Pestiziden ausbilden. Dabei zeigte sich, dass die Anwendung von Herbiziden wie Dicamba, 2,4-D und Glyphosat mit der Entwicklung von Resistenzen beziehungsweise mit einer erhöhten Toleranz gegenüber verschiedenen Antibiotika einherging.

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Zahlen & Fakten

Auch scheinen sich Resistenzen gegen verschiedene, häufig verschriebene Antibiotika in Anwesenheit von Pestiziden erheblich rascher zu entwickeln. In einer Studie berichteten die Autoren, dass sich bei Bakterien, die gleichzeitig Herbiziden und Antibiotika ausgesetzt waren, Mutanten mit höheren ­Resis­tenz­niveaus bis zu 100.000-mal so schnell (!) entwickelten.

Das ist ein alarmierendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Bakterien in der Umwelt kaum Grenzen kennen und sowohl mit der Nahrung als auch mit dem Wasserkreislauf in die mensch­liche Nahrung gelangen können. Insbesondere für Spitäler und Patienten in Pflegeeinrichtungen ist das durchaus bedrohlich.
Im Falle von Glyphosat sollten uns Ergebnisse wie die beschriebenen eigentlich nicht verwundern, weil dasHerbi­zid selbst als antimikrobiell wirksame Substanz patentiert wurde und daher vermutlich zur Entstehung von Antibiotikaresistenzen beiträgt.

Fataler Effekt von Glyphosat

Glyphosat wirkt auf ein Enzym, das in den Zellen von Mensch und Tier eigentlich nicht vorkommt. Zum Zeitpunkt der Zulassung von Glyphosat war noch nicht bekannt, dass der komplexe menschliche Organismus nur als Holo­biont verstanden werden kann. Auch heute wird der Effekt auf das Mikrobiom bei den zahlreichen Diskussionen um die gesundheitlichen Risiken von Glyphosat kaum berücksichtigt.

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Zahlen & Fakten

Foto einer Hummel, die von einer Astern-Blüte wegfliegt. Das Foto ist Teil eines Beitrags über den Zusammenahng von Antibiotika-Resistenz und Pestiziden durch die Ernährung
Der Einsatz von Pestiziden, auch im Garten, ist ein Problem für die Artenvielfalt und die Gesundheit. © Carolien Van Oijen unsplash

Pestizide – das ist drin

  • Lange Lebensdauer: Werden Wirkstoffe aus dem Verkehr gezogen, sind sie noch lang in der Nahrungskette vorhanden. Das Fungizid Hexachlorbenzol wurde 1981 verboten, ist aber kaum aus der Welt zu schaffen und im Gewebe von Delfinen, Walen und Robben nachweisbar, ebenso in Lebensmitteln.
  • Selbst ein Antibiotikum: Glyphosat, der Wirkstoff vieler Herbizide – am berühmtesten ist Round-up von Bayer-Monsanto –, wurde ursprünglich als Antibiotikum zugelassen bzw. patentiert. Glyphosat vernichtet als Breitband-Herbizid unterschiedlos alle Pflanzen, außer jenen die gentechnisch resistent gemacht wurden. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz hat errechnet, dass je verschwundener Pflanze 12 bis 15 Tierarten mitvernichtet werden.
  • Exportieren ja, anwenden jein: Die Zulassung von Thiamethoxam, ein Insektizid, wurde von der Europäischen Union zurückgenommen; in manche Mitgliedsstaaten, etwas in Frankreich, ist der Einsatz verboten. In der Schweiz müssen alle Vorräte bis Juli 2023 verbraucht werden. Das Gift, das in den USA vor allem bei Baumwolle, Soja und Mais versprüht wird, wirkt neurologisch, es stört zum Beispiel die lichtgesteuerte Motorik von Bienen. Insektizide mit Thiamethoxam dürfen in der EU produziert und in andere Länder verkauft werden.
  • Nachgelagerter Schaden: Durch das Insektizid Chlorantraniliprol, das Insekten lähmt und auf diese Weise tötet, werden Wasserorganismen geschädigt. Der Wirkstoff ist in der EU zugelassen und wird vor allem im Obstbau eingesetzt. Methiocarb ist ebenfalls ein Insektizid und Bestandteil von Schneckenkorn. Für Wasserlebewesen hochgiftig.

Das ist fatal, denn Bakterien besitzen genauso wie die Pflanzen und viele Pilze das Enzym EPSPS, den Wirkort von Glyphosat. Das macht sie, egal ob im Boden oder im Darm von Mensch und Tier, zu einem Angriffsort von Glyphosat. Hinzu kommt, dass Bakterien unterschied­liche Formen des Enzyms EPSPS aufweisen, wobei die Klasse I sensibel auf Glyphosat in geringster Konzentration reagiert, Klasse II aber eher oder gänzlich resistent ist. Leider zählen zahlreiche gesundheitsfördernde Bakterien unseres Darmmikrobioms zur Klasse I und viele potenzielle Krankheitserreger zur Klasse II.

Abseits von Pestiziden und klassischen Antibiotika haben auch verschiedene Medikamente und zahlreiche Umweltchemikalien, von denen bisher keine antibiotische Wirkung bekannt war, eine Wirkung auf die Bewohner unseres Darms und die Mikrobiome des Tier- und Pflanzenreichs.

Hinzu kommen ganze Reihen von modernen Umweltschadstoffen wie etwa Mikroplastik, Nanomaterialien, Nebenprodukte von Desinfektionsmitteln und Körperpflegeprodukten, die vermutlich das Auftreten und die Verbreitung von Antibiotikaresistenz­genen maßgeblich mit beeinflussen.

Was also können wir tun, um aus der Resistenzfalle zu kommen?

Wege aus der Antibiotika-Krise

Angesichts der dramatischen Folgen der sich ausbreitenden Antibiotikaresistenz ist eine Hinwendung zu einer ökolo­gischen Landwirtschaft, die ohne Pestizide auskommt und die gesunden Mikrobiota von Pflanze und Boden stärkt, dringend notwendig. Ebenso wichtig ist eine Abkehr von der industriellen Massentierhaltung.

Doch auch jede und jeder Einzelne kann etwas tun: Bereits die Zusammensetzung unserer täglichen Ernährung scheint sich erheblich auf das Resistom in den Bakterien unseres Darmmikrobioms auszuwirken. Diesen Schluss ziehen die Autoren einer US-amerikanischen Studie, bei der dieser Zusammenhang untersucht wurde.

Die Forscher fanden heraus, dass eine regelmäßige Ernährung mit einem höheren Anteil an löslichen Ballast­stoffen und einem niedrigeren Protein­gehalt, insbesondere aus Rind- und Schweinefleisch, mit einem deutlich geringeren Vorkommen von Resistenzgenen im Darmmikrobiom einherging.

Noch wichtiger als die Menge aufgenommener Ballaststoffe scheint aber die Vielfalt der Ernährung zu sein. Jene Menschen mit der höchsten Zahl von Resistenzgenen hatten eine signifikant geringere bakterielle Vielfalt im Darm. Das bedeutet umgekehrt: Eine abwechslungsreiche, pflanzenbasierte, ballaststoffreiche Ernährung kann offensichtlich auch das Darmresistom verringern und damit der Bildung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenz entgegenwirken.

Auch wenn Einzelne das Ruder nicht ganz herumreißen werden: Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung – und von unserem Mikrobiom können wir lernen, dass es die Masse macht.

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Conclusio

Alle mehrzelligen Lebewesen wie Menschen, Tiere und Pflanzen sind innen und außen von einem Ökosystem, dem Mikrobiom, besiedelt, das ihren Gesundheits­zustand maßgeblich mitbestimmt. Sowohl in der Umwelt als auch in den Mikrobiomen aller Lebewesen finden sich verschiedenste Antibiotikaresistenzgene, die sich über lange Zeiträume gebildet haben. Pestizide, Umweltschadstoffe und der (unvermeidbare) Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung verstärken die Resistenzbildung. Eine konsequente Ökologisierung der Landwirtschaft und eine Ernährungsumstellung in Richtung einer pflanzenbasierten und damit ballaststoffreicheren Ernährung sind wichtige Waffen im Kampf gegen zunehmende Antibiotikaresistenz. Auch der unkritische Einsatz von zahlreichen Medikamenten sollte in diesem Licht überdacht werden.

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