Online bis zur Erschöpfung

Immer nur Input und kaum Zeit für Pausen machen Computer und Handy zu einem Risiko für die geistige Gesundheit. Wer den Fokus bewahren will, fängt mit Selbstbeobachtung an.

Illustration eines gestressten Hirns bei einer Therapiesitzung
Mediales Multitasking versetzt unser Gehirn in einen Zustand von Dauerstress. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Bildschirmzeit. In den letzten 20 Jahren hat die Digitalisierung viele Bereiche des Lebens erfasst. Wir verbringen bis zu sieben Stunden pro Tag im Internet.
  • Multitasking. Schreiben, Buchhaltung, Shopping: Zwischen Anwendungen hin und her zu springen, ist ganz normal geworden. Doch für das Gehirn ist das Stress.
  • Konzentration. Stress heißt auch, dass wir uns immer schlechter konzentrieren können. Inzwischen driftet unsere Aufmerksamkeit schon nach 47 Sekunden ab.
  • Selbstbeobachtung. Wer an Konzentrationsschwäche leidet und erschöpft oder vergesslich ist, sollte sich bewusst Limits für die Zeit im Netz setzen.

Das menschliche Gehirn funktioniert, wie es will, und selten so, wie wir uns das vorstellen. Unsere grauen Zellen können sich nur für eine sehr begrenzte Zeitspanne einer konkreten Aufgabe zuwenden, dann schweifen sie ab. Dass die Aufmerksamkeitsspannen seit dem Beginn des Computerzeitalters immer kürzer geworden sind, ist eine Tatsache und Teil meiner Forschungsarbeit.

Mehr im Dossier Aufmerksamkeit

In den 1990er-Jahren wurde fast ausschließlich auf Papier gelesen, in den 2000er-Jahren haben die Computerbildschirme Einzug gehalten. Wir verschickten die ersten E-Mails, es gab immer mehr Websites, die wir immer regelmäßiger besuchten. Sie wurden Teil der Alltagsroutine. Damit verbunden war Multitasking. Aufgaben wurden nicht mehr hintereinander, sondern ­parallel erledigt. Das hat alles verändert.

Im Jahre 2000 betrug die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne drei Minuten. Das heißt: Nach 180 Sekunden Konzentration schweifen die Gedanken ab, machen eine kurze Pause, um dann wieder neu einsteigen zu können. Das ist immer so – egal ob man irgendetwas durchdenkt, ein Buch liest oder am Computer arbeitet. Allein: In den letzten 20 Jahren ist diese Aufmerksamkeitsspanne auf nur 47 Sekunden zurückgegangen. Als Ursachen dafür konnten wir die intensive Nutzung von Computern identifizieren.

×

Zahlen & Fakten

Smartphone Bildschirm mit diversen Notifications
Wenn die Notifications kein Ende nehmen, artet die permanente Vernetzung schnell in Stress aus. © Unsplash/Sara Kurfeß

Hirn im Stress

  • Derzeit nutzen circa 4,95 Milliarden Menschen weltweit das Internet. 4,62 Milliarden davon nutzen auch soziale Medien. Das sind 58,4 Prozent der Weltbevölkerung.
  • Knapp sieben Stunden verbringen wir durchschnittlich jeden Tag im Internet – genau so lange, wie wir im Schnitt schlafen.
  • Spitzenreiter im globalen Vergleich sind die Menschen in Südafrika: dort surft man knapp elf Stunden pro Tag. Am diszipliniertesten sind die Japaner. Sie sind durchschnittlich 4,5 Stunden am Tag online unterwegs.
  • Zusammengerechnet wird die Welt allein im Jahr 2022 mehr als 12,5 Billionen Stunden online verbringen.
  • Fast jeder vierte Internetnutzer zwischen 16 und 64 nutzt Social Media für die Arbeit.
  • Einer Studie von 2018 zufolge wechselt der durchschnittliche Arbeitnehmer täglich mehr als 1100 Mal zwischen 35 arbeitsrelevanten Apps.
  • Eine weitere Studie aus demselben Jahr belegt, dass der durchschnittliche Smartphone-User knapp 3 Stunden pro Tag mit dem Gerät verbringt und dabei 101 Mal zwischen Apps hin- und herwechselt.

Toxisches Multitasking

Das scheinbar mühelose Springen von einer Anwendung in die nächste ist heute eine Selbstverständlichkeit. Wir sind uns aber nicht bewusst, dass dieses Multitasking für unser Gehirn ein Stressfaktor sein kann. Je höher das Stresslevel, umso schlechter die Leistungsfähigkeit. Doch weil wir keinen bewussten Zugriff auf unsere Denkvorgänge haben und daher nicht wissen, wie es dem Gehirn eigentlich geht, bemerken wir es nicht.

Multitasking ist nicht vorteilhaft für unsere geistige Gesundheit. Jeder Computerbenutzer weiß, wie sehr die digitale Welt und besonders soziale Medien zum Multitasking verführen. Ich würde sogar sagen, dass alles in der digitalen Welt vom Aufbau so ausgelegt ist, dass es den Geist weiter und weiter treibt – nicht selten verliert man beim Surfen den Fokus. Denken funktioniert über Assoziationen. Das bedeutet: Wir denken einen Gedanken, der Gedanke bringt uns auf eine Idee, wir verfolgen diese weiter – und so weiter. Wenn man das nur lange genug macht, dann kann es vorkommen, dass man den Ausgangspunkt vergessen hat. Stress, das ist eine empirische Erkenntnis, erschwert das Fokussieren – insofern lassen sich auch die verkürzten Aufmerksamkeitsspannen erklären.

Die große Erschöpfung

Um einen Vergleich zu verwenden: Das menschliche Denken kann man sich vorstellen wie eine Tafel in einer Schulklasse. Was auf eine Tafel geschrieben wird, ist sichtbar und kann vom Gehirn erfasst werden. Will man von einem Thema zum nächsten springen, müssen Inhalte gelöscht werden. Erst dann kann man sich den neuen Informationen auf der Tafel widmen. Das heißt: Es müssen permanent Inhalte gelöscht werden, damit neue Informationen aufgenommen werden können.

Stress erschwert das Fokussieren – insofern lassen sich auch die verkürzten Aufmerksamkeitsspannen erklären.

Der Vorgang des Löschens ist mit Aufwand verbunden. Wer am Computer arbeitet, springt also nur scheinbar mühelos zwischen verschiedenen Programmen hin und her: Zuerst werden E-Mails beantwortet, dann wird kurz auf Social Media vorbeigeschaut, dann springt man von dort in ein Excel-Sheet, weil man gerade daran arbeitet, und dann ins Internet, um etwas zu recherchieren. Bei jedem dieser Wechsel muss das Vorherige gelöscht werden. Wenn man sich dieses Löschen wie auf einer Tafel bildlich und damit mit einem Schwamm vorstellt, kommt man ganz schön ins Schwitzen. Im übertragenen Sinne ist das aber genau das, was unser Gehirn den ganzen Tag machen muss. Löschen, um Platz für Neues zu machen. Vieles läuft an einem Arbeitstag am Computer parallel. Es ist kein Zufall, dass viele das als eine große Erschöpfung erleben.

Zumal: Permanente Ablenkung in Kombination mit Stress wirkt sich auf die Gedächtnisleistung aus. Um Wissen in unser Gehirn aufnehmen zu können, braucht man Zeit. Neue Informationen müssen erst als solche erkannt, dann in innere Bilder umgewandelt oder in bestehende Bilder eingeordnet werden. Nur so gelingt es, neue Informationen sinnstiftend zu verankern und damit auch wieder abrufbar zu machen.

Zurück zur Selbstbestimmung

Wenn Informationen zu schnell wechseln, merkt man sie sich einfach nicht. Dabei spielt aber auch das „Framing“ eine Rolle, also die Umgebung, in der man vor einem Bildschirm sitzt. Ist man positiv eingestellt, fällt einem natürlich vieles wesentlich leichter als mit einer negativen Grundstimmung.

Wie lässt sich also der persönliche Umgang mit Computern optimieren? Zentral ist die Selbstbeobachtung. Das dafür notwendige Werkzeug haben wir zur Verfügung, deshalb empfehle ich drei grundlegende Dinge:

  • Erstens: die Meta-Wahrnehmung. Das klingt erst einmal abstrakt, lässt sich aber sehr leicht über eine Frage er­klären: „Welchen Wert hat das, was ich gerade in der digitalen Welt mache, für mein Leben?“ Wenn einem Social Media wirklichen Mehrwert und nicht bloß Frust bringt, ist das in Ordnung.
  • Zweitens: die Verweildauer. Die Forschung zeigt, dass Menschen in dieser Hinsicht eine schlechte Selbsteinschätzung haben. Das ist auch insofern verständlich, weil vor allem soziale Medien so aufgebaut sind, dass man sich länger dort aufhält, als man vorhatte.
  • Drittens: die Verankerung in der Realität. Viele Aktivitäten haben sich bereits in die digitale Welt verlagert. Deshalb ist es sinnvoll, immer wieder einmal zu überprüfen, wie viel Zeit man in der virtuellen und in der echten Welt verbringt. Gerade wenn es um Freundschaften geht, ist die Wirklichkeit um vieles facettenreicher. Mimik und Körpersprache sind in der digitalen Welt vollkommen ausgeklammert, dabei sind sie für das Feintuning von sozialen Kontakten wesentlich. Echte Gespräche mit Menschen sind um vieles be­glückender als Chats im Internet.

Gehirn trainieren

Wer sich diese Fragen beantwortet, kann das Nutzungsverhalten justieren und dadurch Selbstbestimmung bewahren. Da kann es dann auch passieren, dass man Versuchungen wie etwa dem Like-Button bewusst widersteht. Auch dem Impuls, zwischen digitalen Anwendungen zu wechseln, muss man nicht nachgeben. Zu Beginn mag das schwierig sein, doch nach und nach wird es leichter. Das Gehirn ist wie ein Muskel und lässt sich trainieren.

Dabei möchte ich Social Media nicht verteufeln. Denn unser Gehirn mag diesen geistlosen Durchlauf von Information an sich gern. Man sollte sich nur bewusst Zeit dafür nehmen. Solange man die Zügel in der Hand behält, ist es prinzipiell nichts Schlechtes.

×

Conclusio

Die Digitalisierung hat die Arbeit und das Freizeitverhalten verändert. Viele Menschen verbringen einen Großteil ihres Tages vor Bildschirmen. In dieser Welt der digitalen Reizüberflutung fällt es uns immer schwerer, bei einer Aufgabe zu bleiben. Das Multitasking ist aber ungesund: Je öfter wir zwischen Aufgaben hin- und herspringen, desto stärken treiben wir unsere eigene Erschöpfung voran – und unsere Konzentrationsspanne wird immer kürzer. Ein Weg aus dem Teufelskreis: Die eigene Zeit im Internet bewusst beobachten und soziale Medien nicht nur passiv konsumieren, sondern das digitale Leben aktiv mitgestalten.