Im All wird aufgerüstet

China arbeitet eifrig an der Aufrüstung im Weltraum während sich die USA in ihrer Vormachtstellung herausgefordert fühlen. Das Risiko für ein Kräftemessen steigt – mit potenziell fatalen Folgen für die Erde.

Blick von der ISS auf die Erde
Die ISS soll bis 2031 außer Betrieb genommen werden. China arbeitet bereits an einer eigenen Raumstation. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Weltraum als Kriegsschauplatz? Die Raumfahrtindustrie wächst rasant. Das betrifft nicht nur den kommerziellen Bereich, sondern auch den militärischen.
  • Multilateral statt bilateral. Anders als im Kalten Krieg gibt es eine Vielzahl von Akteuren im All – darunter auch Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
  • Chinas Aufholjagd. China positioniert sich zunehmend als große Weltraumnation. Wie friedlich die Absichten hinter dem Vormarsch ins All sind, ist aber unklar.
  • Gefahr für die USA. Die Vereinigten Staaten haben die meiste Infrastruktur im All und sind dadurch besonders angreifbar. Bündnisse sollen den Frieden wahren.

Ohne PNT wäre unsere Welt eine andere. Die Abkürzung steht für Positions-, Navigations- und Zeitsignal, es wird von den verschiedenen globalen Satellitennavigationssystemen zur Verfügung gestellt; das bekannteste ist GPS. Das PNT-Signal trägt nicht nur dazu bei, dass Autos effizient ankommen, sondern liefert auch Daten, die für Banken, Börsen, Stromnetze und sogar das Internet von entscheidender Bedeutung sind. Ganz zu schweigen von vielen militärischen Funktionen.

Mehr im Dossier Weltraum

Während aber militärische PNT-Signale verschlüsselt sind, können zivile Signale gefälscht oder gestört werden – was bereits mehrfach unter Beweis gestellt wurde. Wie sehr die Welt vom PNT-Signal abhängig ist und wie potenziell verwundbar sie dadurch ist, ist vielen Menschen – und auch oft Politikern – aber nicht klar. Das Beispiel zeigt jedenfalls: Das Weltall wird im 21. Jahrhundert für Politik, Wirtschaft und Sicherheit von entscheidender Bedeutung sein. Regierungen und Militärs sind zunehmend angewiesen auf Technologien und Dienstleistungen, die durch die Weltraumforschung entstanden sind oder das All nutzen. Weshalb sich der Weltraum zu einem zunehmend umkämpften Bereich entwickelt, mehr noch: Der Weltraum wird zunehmend zu einem Ort der Kriegsführung.

Die Aufrüstung im All

Die militärischen Spitzen einiger Staaten sind sich der einzigartigen Informationsvorteile bewusst, die Weltraumsysteme bieten, und sie entwickeln Technologien, die darauf abzielen, die Weltrauminfrastruktur anderer Staaten zu stören oder beschädigen. Ihnen kommt dabei zugute, dass der derzeitige Rechtsrahmen – der Weltraumvertrag von 1967 – veraltet und oft nicht in der Lage ist, den aktuellen – geschweige denn künftigen – Herausforderungen gerecht zu werden. All das zusammengenommen erhöht die Spannungen und Wahrscheinlichkeit von Konflikten, die im All ihren Ausgang nehmen.

Neben dem PNT stützen sich Streitkräfte im All in großem Umfang auf Bereiche wie Aufklärung und Nachrichtendienst, strategische und taktische Kommunikation, Zielerfassung, Raketenwarnung und -verfolgung und in jüngerer Zeit auch auf die Steuerung von UAVs – also Drohnen. Höhere Investitionen führen zu besserer Technologie. Darüber hinaus hat sich die Raumfahrt auch zu einem wichtigen Wirtschaftszweig entwickelt: Laut Erhebungen von Organisationen wie der Space Foundation und BryceTech hat die Raumfahrtindustrie ein Volumen von etwa 400 Milliarden Dollar, und es gibt Schätzungen, wonach es bis zum Ende des Jahrzehnts eine Billion Dollar erreichen wird.

Wie im Kalten Krieg, nur anders

Es steht also viel auf dem Spiel, nicht nur in militärischer Hinsicht. Während des Kalten Krieges wurde die überwiegende Mehrheit der Satellitenstarts von den USA oder der UdSSR durchgeführt, drei Viertel aller Starts wurden als militärisch eingestuft. Heute macht der kommerzielle Sektor über achtzig Prozent der Weltraumwirtschaft aus. Neben den Raumfahrtriesen treten auch kleine Raumfahrt-Start-ups in den Markt ein und immer mehr Staaten haben Raumfahrtprogramme.

Der Raumfahrtsektor sieht also ganz anders aus als die bilaterale Ordnung des frühen Raumfahrtzeitalters. Er wird – das doch wieder eine Parallele zum Kalten Krieg – zunehmend zu einem Gradmesser für technologische Fähigkeiten und möglicherweise zu einem Schaufenster dafür, welches politische System die beeindruckendsten Gewinne erzielen kann: das marktorientierte Unternehmertum oder die zentralisierte Kommandowirtschaft.

×

Zahlen & Fakten

Oft ist es schwierig, Aktivitäten zu charakterisieren und gutartige von feindseligen Absichten zu unterscheiden. Die meisten weltraumbezogenen Technologien haben ein Doppelnutzungspotenzial, zivil wie militärisch. Die Entscheidungsprozesse in Staaten wie China sind undurchsichtig und es fehlt an einem strategischen Dialog zwischen den großen Raumfahrtnationen, was zu weiterem Misstrauen führt. Keiner dieser Faktoren wirkt stabilisierend; und da die wichtigsten Raumfahrtnationen ihre Programme und Ambitionen ausweiten, wird es unweigerlich zu Krisenherden kommen.

Chinas rasanter Fortschritt

Die größte Aufmerksamkeit erlangte zuletzt Chinas Raumfahrtprogramm. Allein in den vergangenen beiden Jahren wurden Entwicklungen verzeichnet, die die gesamten Leistungen vieler Nationen im Weltraum in den Schatten stellen. Die wissenschaftlichen und zivilen Programme sind ein gutes Zeichen für den Fortschritt und die Ambitionen des Landes: Die Chang'e-Mondmissionen sind als erste auf der dunklen Seite des Mondes gelandet (Chang'e 4 im Jahr 2019) und haben Proben von der Mondoberfläche zur Erde zurückgebracht (Chang'e 5 im Jahr 2020). Die ersten Teile von Chinas Raumstation der zweiten Generation – Tianhe – wurden vor kurzem in die Umlaufbahn gebracht, um eine Alternative zur Internationalen Raumstation (ISS) zu schaffen. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem letztere sich dem Ende ihrer Betriebsdauer nähert.

×

Das chinesische Raumfahrtprogramm

1964China schickt seine erste, mit acht Mäusen bestückte, Forschungsrakete ins All.
1970Beim zweiten Versuch gelingt es China, seinen ersten Satelliten, auch als Mao-1 bekannt, in den Orbit zu schießen.
1999Nach zwei erfolglosen Programmen für bemannte Raumfahrt startet das Raumschiff Shenzhou 1, hat aber noch keinen Astronauten an Bord.
2000Mit dem Satelliten BeiDou-1 schafft China eine eigene Alternative zur Navigation via GPS.
2003Yang Liwei wird der erste chinesische Astronaut im All – und China neben den USA und Russland die dritte Nation, die zu bemannter Raumfahrt imstande ist.
2008Zhai Zhigang spaziert als erster Chinese im All.
2013Die Chang’e-3-Mission bringt China als dritte Nation auf den Mond, wo es den Rover Yutu absetzt.
2019Chang’e 4 landet auf der der Erde abgewandten Seite des Mondes – zum ersten Mal erreicht Chinas Raumfahrtprogramm etwas, das sonst noch niemandem gelungen ist.
2020China schickt die Sonde Tianen-1 zum Mars, sie landet erfolgreich am 14. Mai 2021.
2021Das erste Modul der chinesischen Raumstation Tiangong wird ins All geschickt.

Aber es sind die militärischen Elemente von Chinas Raumfahrtprogramm, die Fragen nach seiner wahren Natur aufwerfen. Im November 2021 sorgte das Land mit dem Test eines mutmaßlichen Fractional Orbital Bombardment Systems (FOBS) für Aufsehen. Mit dieser Technologie können auch nukleare Raketen aus dem Orbit abgeschossen werden. Aktuell verfügt kein Staat über die Technologie, eine solcherart abgefeuerte Rakete abzufangen. Was genau China getestet hat, ist zwar unklar – es könnte auch ein Hyperschall-Gleitfahrzeug gewesen sein –, aber die Auswirkungen bleiben dieselben.

Angriff des Göttlichen Drachens

Ähnlich vage sind die Informationen über einen angeblichen Test eines wiederverwendbaren Raumflugzeugs im September vergangenen Jahres. Die knappen Presseberichte der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua verlautbarten lediglich, dass mit einer Rakete des Typs Langer Marsch 2F ein „wiederverwendbares experimentelles Raumfahrzeug“ in die Umlaufbahn gebracht wurde und dass Start und Landung erfolgreich verlaufen seien. Es wurden keine Bilder gemacht, aber ein kommerzieller Bildgebungssatellit des US-Unternehmens Planet hat das Raumschiff möglicherweise nach dem Flug auf der Landebahn aufgenommen.

Die Mission kam zwar – wie auch die FOBS-Mission – überraschend, doch es gab bereits zuvor Hinweise auf Arbeiten in diesem Bereich. Im Jahr 2007 enthüllten die chinesischen Medien ein Raumflugzeug namens Shenlong („Göttlicher Drache“), das an der Unterseite eines H-6-Bombers befestigt war. Es wurde später nicht mehr gesehen, könnte aber Teil der Entwicklung des späteren Raumflugzeugs gewesen sein.

Chinesische Schulklasse beim Live-Unterricht mit Astronauten
Schüler einer Grundschule in China beim ersten Live-Unterricht von der Raumstation Tiangong, 9. Dezember 2021. © Getty Images

Vor dem Hintergrund eines aktiven Programms zur Abwehr der Weltraumaktivitäten anderer Staaten lassen diese Tests Zweifel an den erklärten friedlichen Absichten Chinas aufkommen. Ein 2007 durchgeführter Test von Anti-Satelliten-Raketen (ASAT) verursachte das größte von Menschenhand geschaffene Trümmerfeld aller Zeiten, während 2013 offenbar ein Flugtest einer ASAT durchgeführt wurde, die in der Lage ist, Satelliten in der 36.000 Kilometer von der Erde entfernten geostationären Umlaufbahn anzugreifen – was andere Weltraummächte nicht können. Hinzu kommt die nachgewiesene Fähigkeit der Raketen, Satelliten zu blenden, zu stören oder ihr Signal zu manipulieren.

US-amerikanische Abhängigkeit vom All

Am stärksten sind die Vereinigten Staaten von diesen Entwicklungen betroffen. Sie verfügen über den umfangreichsten Raumfahrtsektor weltweit, sind aber deshalb auch besonders angreifbar. Der Weltraum nimmt einen wichtigen Platz in den strategischen Überlegungen Washingtons ein, was zum Teil auf die U.S.-Erfolge im Kalten Krieg und die Symbolkraft der Raumfahrt als Ausdruck technologischer Leistungskraft zurückzuführen ist – aber eben auch darauf, dass die USA den Weltraum weitaus mehr erforscht und in ihn investiert haben als jede andere Nation der Welt. Weltraumaktivitäten gehören zum Kern der amerikanischen Sicherheitsstrategie und sind nicht nur in der nuklearen Abschreckung stark verankert.

Die USA verfügen über den umfangreichsten Raumfahrtsektor weltweit, sind deshalb aber auch besonders angreifbar.

Die Weltraumressourcen der USA bieten eine Vielzahl von Diensten und Fähigkeiten und verschaffen vor allem dem Militär enorme Vorteile. Gleichzeitig sind sie aber praktisch wehrlos und höchst verwundbar. Das führt zu einer sogenannten „Verwundbarkeitslücke“, einer destabilisierenden Dynamik: Auf der einen Seite sind Angriffe auf die Weltrauminfrastruktur der USA schwer abzuwehren, auf der anderen Seite scheinen sie eine eine hervorragende Möglichkeit zu sein, um Washingtons Informationsvorsprung zu vermindern. Eine robuste „Erstschlagskapazität“ zur Abschreckung potenzieller Gegner zu entwickeln, ist angesichts der Gefahr, die von Weltraumschrott ausgeht, aber zu riskant – besonders für die USA, weil sie eben über die meiste Weltrauminfrastruktur verfügen.

Risiko für die Erde

Während das Potenzial für Fehleinschätzungen und Missverständnisse zwischen den USA und China am größten ist, sorgen andere Staaten mit fortschreitenden Fähigkeiten für zusätzliche Komplexität. Russland, eine erfahrene Weltraumnation, verfügt über Technologien, die Satelliten sowohl zerstören als auch nur stören können. Indien hat einen aufblühenden Raumfahrtsektor, der sowohl kommerzielle als auch militärische Aktivitäten umfasst, und unterhält ein angespanntes Verhältnis zu China. Auch Japan verbündet sich zunehmend mit den USA, zusammen mit Indien und Australien – der Zusammenschluss dieser Staaten hat sich „Quad“ getauft und überschneidet sich auch mit den „5 Eyes“, einer jahrzehntealten Allianz zwischen den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland für den Austausch von Weltraumdaten und Geheimdienstinformationen.

Das Spiel um den Schutz strategischer Interessen im Weltraum ist somit zu einem bunten Mosaik von Rivalitäten geworden, ganz anders als der bilaterale Wettbewerb des Kalten Krieges. Das Ergebnis ist potenziell höchst brisant – nicht zuletzt, weil die Spannungen im Weltraum die Spannungen auf der Erde widerspiegeln werden. Es scheint zunehmend realistisch, dass der Funken, der einen Konflikt auf der Erde auslösen könnte, ein Ereignis im All ist – oder dass das Misstrauen im Weltraum die allgemeine Instabilität verstärken könnte. Es ist daher Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, sich um ein besseres Verständnis in diesem Bereich, um mehr Transparenz und Dialog zu bemühen. Wenn die Menschheit es zulässt, dass sich Konflikte in den Weltraum ausbreiten, werden wir nicht mehr in der Lage sein, die vielen wichtigen Dienste, von denen wir profitieren, in Anspruch zu nehmen. Und das Ergebnis könnte durchaus sein, dass wir uns wieder auf der Erde einschließen.

×

Conclusio

Die Raumfahrt entwickelt sich zu einem immer wichtigeren Wirtschaftszweig. Damit nimmt aber auch die Militarisierung im All zu, die sich längst nicht mehr auf die ehemaligen Kalte-Kriegs-Fronten beschränkt. Das neue Wettrüsten im All ist inzwischen ein multilaterales Unterfangen. Dennoch bilden sich derzeit zwei neue Antagonisten heraus: Der Platzhirsch USA, der mit Abstand über die meiste Weltrauminfrastruktur weltweit verfügt, und China, das in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Errungenschaften verzeichnet hat. Diesem technologischen Fortschritt wird auch Zukunft kein Einhalt zu bieten sein. Umso wichtiger ist es, dass Dialog und gegenseitiges Verständnis auf die Tagesordnung diplomatischer Begegnungen rücken. Ansonsten könnten die Spannungen im All auch zu Konflikten oder sogar einem Krieg auf der Erde führen.