Der blinde Fleck der Keynesianer

Als John Maynard Keynes in den 1930er-Jahren seine Theorien entwickelte, war es vielleicht verzeihlich, dass er die Geldschöpfung durch Banken ignorierte. Heute führt das zu Problemen.

Banker vor Prozentzeichen
Die Zentralbanker schauen dem Anstieg der Inflation vorerst zu. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Mehr Minus. Ein Streitpunkt unter Ökonomen ist, inwieweit Zentralbanken die staatlichen Haushaltsdefizite finanzieren.
  • Mehr Geld. Tatsächlich beeinflussen Zentralbanken mit dem Kauf von Staatsanleihen über den Umweg der Geschäftsbanken die Geldmenge.
  • Mehr Einkommen? Zusätzliches Geld fließt von Staaten an die Bürger, deren persönliche Einkommen auch während der Rezession gestiegen sind.
  • Mehr Inflation. Als Folge der Geldschöpfung dürften Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen anziehen – und damit die Kaufkraft der Menschen sinken.

Paul Krugman ist ein Nobelpreisträger und einflussreicher Wirtschaftskolumnist der New York Times. Wenn er über Geldpolitik schreibt, erwarten seine Leser, dass er versteht, wovon er spricht. Leider deutet seine Kolumne vom 21. Mai darauf hin, dass dies nicht der Fall ist. Man fragt sich, wie viele andere hochkarätige Ökonomen der keynesianischen Schule, die derzeit das Denken in Universitäten und Zentralbanken dominiert, ebenfalls nicht wissen, wovon sie reden.

Das große Bunkern

Professor Krugman weist in seiner Kolumne die Kritik zurück, dass die US-amerikanische Zentralbank (Fed) Geld druckt, um das Haushaltsdefizit der Bundesregierung zu finanzieren. Er behauptet: „Auf einer fundamentalen Ebene finanzieren die Haushalte das Defizit: Die Gelder, die von der Regierung geliehen werden, kommen aus den riesigen Ersparnissen, die von Familien getätigt werden, die einen Großteil ihres Einkommens in einem Umfeld sparen, das ihnen für einen hohen Teil ihres üblichen Konsums nicht sicher erscheint.”

Er räumt ein, dass die US-Haushalte ihre Ersparnisse nicht direkt an die Regierung übertragen können, sondern den Weg über die Banken gehen müssen: „Die Familien bunkern ihre Ersparnisse in den Banken. Die Banken wiederum häufen Reserven an – das heißt, sie verleihen an die Fed, die heutzutage Zinsen auf Bankreserven zahlt. Und die Fed hat Staatsanleihen gekauft.” Wenn einer meiner Studenten diese Sätze in einer Seminararbeit vorgetragen hätte, hätte ich ihn zur Seite genommen und vorgeschlagen, dass wir rekapitulieren, was hier wirklich vor sich geht.

Das Ausblenden der Rolle der Banken führt zu eklatanten Fehleinschätzungen der Keynesianer.

Tauschgeschäfte

Wenn eine Zentralbank eine Staatsanleihe kauft, gibt sie einen Auftrag an eine Geschäftsbank. Diese kauft die Anleihe von einem Marktteilnehmer und leitet sie an die Zentralbank weiter. Um die Transaktion abzuwickeln, zahlt die Zentralbank Reservegeld auf das Zentralbankkonto der Geschäftsbank ein. Im Gegenzug schafft die Geschäftsbank Bankengeld und schreibt es dem Anleiheverkäufer gut. Am Ende hat die Zentralbank einen neuen Vermögenswert in Form der Staatsanleihe und eine Verbindlichkeit in Form von Zentralbankgeld auf dem Konto der Geschäftsbank. Letztere hat Zentralbankgeld als Aktivum und Bankengeld als Passivum. Der Anleiheverkäufer hat seine Staatsanleihe gegen Bankengeld getauscht. Dadurch erhöht sich die Geldmenge.

Die Fakten unterstützen die buchhalterischen Überlegungen: Zwischen Januar 2019 und Februar 2020 blieben die Wertpapierbestände der Federal Reserve unverändert, und die Geldmenge (M2) stieg nur um eine Billion US-Dollar. Zwischen Februar 2020 und April 2021 stiegen die Wertpapierbestände um 3,5 und die Geldmenge um satte 4,8 Billionen US-Dollar. Ohne die Wertpapierkäufe wäre die Geldmenge in der Rezession wahrscheinlich gefallen.

Ein Rechenexempel

Nehmen wir an, der Staat tauscht nun mit dem Verkäufer der ersten Anleihe eine neue Anleihe gegen Bankengeld ein und überweist dieses Bankengeld an die privaten Haushalte. Nun steigt das verfügbare persönliche Einkommen. Dank des Transfers kann dies auch dann geschehen, wenn das Bruttosozialprodukt sinkt. So fiel das nominale Bruttosozialprodukt zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem zweiten Quartal 2020 um 2,4 Billionen Dollar, während das persönlich verfügbare Einkommen um 1,7 Billionen Dollar stieg.

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Zahlen & Fakten

Nehmen wir nun weiter an, dass die Haushalte keine Möglichkeit haben, den Anstieg des persönlichen verfügbaren Einkommens auszugeben. Infolgedessen steigen ihre Geldersparnisse. Zwischen Januar 2020 und Juni 2020 stiegen die Ersparnisse der Haushalte in der Tat um 3,2 Billionen Dollar, während die Geldmenge um 2,8 Billionen Dollar zunahm. Unterm Strich sind also die Geldersparnisse durch staatliche Transfers von Geld, das von der Zentralbank für die Regierung geschaffen wurde, gestiegen.

Trugschluss

Professor Krugman hingegen kommt in seiner Kolumne zu dem Schluss: „Die Fed ist nicht die venezolanische Regierung, die Bolívars druckt, um ihre Soldaten zu bezahlen; sie agiert im Grunde als Finanzvermittler für Investoren, die ihr Geld irgendwo sicher parken wollen. Und obwohl es viele Gründe gibt, sich über die Entwicklung der US-Wirtschaft Sorgen zu machen, stehen die Anleihekäufe der Fed und der Anstieg von M2 nicht auf der Liste. Beruhigen Sie sich.”

Er hat Recht, dass die Fed nicht die venezolanische Regierung ist, aber sie druckt Dollars für die US-Regierung. Man muss kein Monetarist sein, um zu erwarten, dass das nominale BIP steigen wird, wenn die Pandemie abklingt und die Haushalte ihre Bargeldersparnisse verringern. Dies wird die Produktion und die Beschäftigung ankurbeln. Aber angesichts des Ausmaßes der Geldschöpfung wäre es sehr überraschend, wenn nicht auch die Preise steigen würden.

Man muss kein Monetarist sein, um zu erwarten, dass das nominale BIP steigen wird, wenn die Pandemie abklingt.

Professor Krugman ist mit seiner Fehleinschätzung über die Auswirkungen der Geldpolitik nicht allein. Am 23. Februar sagte der Vorsitzende der Federal Reserve, Jerome Powell, bei einer Anhörung im Kongress: „Nun, als Sie und ich vor einer Million Jahren Ökonomie studierten, schienen M2 und die Geldmengenaggregate im Allgemeinen eine Beziehung zum Wirtschaftswachstum zu haben. Im Moment würde ich sagen, dass das Wachstum von M2, das ziemlich beträchtlich ist, nicht wirklich wichtige Implikationen für den wirtschaftlichen Ausblick hat. M2 wurde vor einigen Jahren aus der Standardliste der Frühindikatoren gestrichen, und die klassische Beziehung zwischen monetären Aggregaten und Wirtschaftswachstum in Bezug auf die Größe der Wirtschaft ist einfach nicht mehr gegeben. Wir hatten zu verschiedenen Zeiten ein großes Wachstum der Geldaggregate ohne Inflation, also (ist diese Beziehung) etwas, das wir verlernen müssen, denke ich.”

Blinder Fleck

Wie können führende Ökonomen und Zentralbanker zu solchen Schlussfolgerungen kommen? Die Antwort ist, dass die keynesianische Theorie die Geldschöpfung durch Banken komplett ignoriert. Als Keynes, inspiriert durch die Große Depression der 1930er Jahre, seine Theorie entwickelte, war dies vielleicht verzeihlich. In der Depression waren die Banken kraftlos, die Geldmenge schmolz dahin und der Staat hielt sich zurück. Keynes Rezept zur Überwindung der Misere waren höhere Staatsausgaben.

Heute jedoch führt das Ausblenden der Rolle der Banken zu eklatanten Fehleinschätzungen. Wie die Geschichte zeigt, hat eine starke Ausweitung der Geldmenge, insbesondere wenn sie durch Kredite an den Staat getrieben war, immer zum Kaufkraftverlust des Geldes geführt. Bis in die jüngere Vergangenheit hat das Geld vor allem an Kaufkraft für Vermögenswerte wie Aktien und Immobilien verloren. Jetzt zeichnet sich ab, dass sich der Kaufkraftverlust auf Waren und Dienstleistungen ausweiten dürfte. Statt Keynes weist nun die alte und von Milton Friedman erneuerte Quantitätstheorie des Geldes, nach der eine übermäßige Geldschaffung die Preise heben wird, den Weg.

Doch wie Jerome Powell zu Protokoll gab, haben die Zentralbanker diese Theorie verlernt. Sie belassen die Zinsen auf historischen Tiefständen und schauen dem Anstieg der Inflation rat- und hilflos zu. Die Geldsparer werden dafür zur Kasse gebeten.

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Conclusio

Seit Jahren versuchen die führenden Zentralbanken mit Hilfe von billionenschweren Anleihekäufen die Inflation anzufachen. Die Theorie dahinter, die vor allem von sogenannten Keynesianern vertreten wird, könnte eine Schwachstelle haben: Sie unterschätzt die Rolle von Banken bei der Geldschöpfung. Derzeit steigen die Preise für Konsumenten bereits stark an. Die Zentralbanken kommen womöglich in der jetzigen Situation zu spät, um auf die Bremse zu steigen. Sparern droht eine böse Überraschung, wenn sie ihr Geld auf Sparbüchern liegen haben.