Biohacking: Stark, schön, unsterblich?

Seit der Mensch ist, optimiert er sich selbst. Aber nun überschlagen sich die Innovationen, die uns besser machen: künstliche Intelligenz, Genschere, Biohacking. Kommt jetzt die Unsterblichkeit?

Gläserner muskulöser Arm als Ausdruck der Selbstoptimierung
Der Mensch will immer besser werden. Dazu zählt auch, aber nicht nur, physische Stärke. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Selbstoptimierung von Geburt an. Menschen streben von Natur aus danach, ihre Kapazitäten stetig zu erweitern und das Beste aus sich herauszuholen.
  • Lösungsbegabung als Gefahr? Unsere Fortschritte bei KI, Biohacking und der Genschere sind beeindruckend. Sie öffnen aber auch die Tür für Missbrauch.
  • Die Grenze des Menschen. Ein Ziel der Forschung ist es, die mögliche Lebensspanne des Menschen zu erweitern. Momentan wird diese auf 125 Jahre geschätzt.
  • Die Definition von Unsterblichkeit. Nicht zuletzt müssen wir uns fragen, was Unsterblichkeit ist: Werden wir nach unserem Tod zu Chatbots auf Plattformen?

In meinem letzten Buch „Die Lösungsbegabung“ habe ich mich intensiv mit der Frage beschäftigt, was von den immer wieder kolportierten Gerüchten zu halten ist, dass sich der Homo sapiens am Sprung zu einer Transformation auf ein nächstes Level befindet. Das dafür ins Spiel gebrachte Handwerkzeug soll sich gerade durch die Konvergenz von Gen- beziehungsweise Biotechnologie und Informationstechnologie in Entstehung befinden.

Mehr im Dossier Ewiges Leben

Dabei muss heute zweifelsfrei der Bereich der künstlichen Intelligenz besonders hervorgehoben werden. Die künstliche Intelligenz wird vielerorts bereits als Universaltechnologie eingestuft, von vergleichbarer Bedeutung mit der Dampfmaschine oder der Elektrizität. Einerseits ist sie mittlerweile am laufenden Band Ursprung für Innovationen und neue Geschäftsmodelle. Und andererseits ist sie ein Motor, der den in der neolithischen Revolution sesshaft gewordenen und seit der industriellen Revolution in einer Industriegesellschaft lebenden Homo sapiens in der jetzigen digitalen Revolution in Bewegung hält – vielleicht sogar in Richtung Metaversum, eine digitale Parallelwelt, in der Virtualität und Realität zu einer „Virtual Reality“ verschmelzen.

Das Zusammenfließen digitaler Innovationen mit den Fortschritten in Bereichen wie etwa Genomdaten-Analysen, Gentherapie, Stammzellforschung, synthetische Biologie, Xenotransplantation, Robotik oder auch Nanotechnologie entfaltet aktuell in der Tat eine enorme wissenschaftliche Kraft. In der Humanmedizin wird die Konvergenz zwischen künstlicher Intelligenz und medizinischer Genetik im Rahmen der sogenannten Präzisionsmedizin ohne Zweifel wesentliche Errungenschaften zum Wohle der Patientinnen und Patienten bringen.

Fortschritt durch künstliche Intelligenz

Ganz allgemein wird der zukünftige Fortschritt durch die auf künstlicher Intelligenz basierende Interpretation von Daten beflügelt werden. Da aber die Vorteile zum Wohle der Menschheit erst durch die Vermeidung möglicher Nachteile vollständig zur Wirkung kommen, müssen all diese Entwicklungen von einer ethischen Diskussion begleitet werden. Nicht alles was gemacht werden kann, soll auch gemacht werden. Bioethik, digitale Ethik aber auch etwa digitale Bildung sind unverzichtbare Wegbegleiter und Ermöglicher eines Werte-fördernden Fortschritts, bei dem der Mensch mit höchstmöglicher Souveränität über sein Leben und seine Daten im Mittelpunkt steht.

Darauf muss auch deshalb mit Nachdruck hingewiesen werden, weil der Homo sapiens selbst, nicht selten ausgelöst durch gesellschaftliche Zwänge, dazu neigt, seine biologischen Grenzen verschieben zu wollen. Es muss uns stets bewusst bleiben, dass viele medizinische Innovationen, die dafür entwickelt werden den gesunden Urzustand des Menschen zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen, auch dafür verwendet werden könnten, Verbesserungsutopien zu befriedigen.

Selbstoptimierung seit Menschengedenken

Der Mensch arbeitet an sich selbst – schon seit Menschengedenken. Von Geburt an lernt und übt der Homo sapiens, um seine geistigen Kapazitäten besser ausschöpfen zu können, und er trainiert, um seine körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. All das erscheint logisch, richtig und wichtig, weil es zur individuellen Selbstentfaltung beiträgt und das Überleben sichert. Und all das erscheint auch ethisch erstrebenswert, solange der Mensch sich dabei innerhalb seiner von der Biologie gegebenen Grenzen bewegt. Wohingegen aber vollkommen klar ist, dass innovationsgetriebener Fortschritt nur möglich ist, wenn der Mensch immer wieder Grenzen überschreitet und Neuland betritt, wird es zumeist mit Sorge betrachtet, wenn es dem Menschen in den Sinn kommt seine eigenen biologischen Grenzen zu versetzen.

Der Homo sapiens neigt dazu, seine biologischen Grenzen verschieben zu wollen.

In anderen Worten: Das Optimum an Gesundheit, Wohlbefinden, Überlebenschance, Reproduktionsfähigkeit, Anzahl gesunder Jahre oder Lebenserwartung innerhalb des für den Menschen von Natur aus gegebenen Rahmen anzustreben ist mehr als opportun. Aber darüber hinaus zu gehen, die biologisch gegebenen Grenzen zu verschieben, den Menschen zu verbessern, mit Transhumanismus zu sympathisieren, hat nicht selten polarisierende Sprengkraft. Und trotzdem: Die Schwelle wurde bereits überschritten. Wenn auch bisher noch sehr zaghaft und vorsichtig, aber der Homo sapiens hat sich bereits auf den Weg gemacht.

Der Begriff „Biohacking“ steht für eine Vielzahl an Ansätzen, die von harmlosen Fitness- und Nahrungsempfehlungen über Chip-Implantate bis hin zu äußerst bedenklichen Anwendungen genetischer Eingriffe reichen können. Ein nicht mehr vom Selbstoptimierungsmarkt wegzudenkender Trend wird gerne unter dem Begriff „Neuroenhancement“ zusammengefasst. Psychoaktive Substanzen zur Konzentrationssteigerung, Stressresistenzsteigerung und Stimmungsaufhellung sind für viele Menschen heute bereits etablierte Wegbegleiter eines erfolgreichen Privat- und Berufslebens. Medizinische Körperimplatante wie Insulinpumpen bei Diabetes oder Cochlea-Implantate bei Gehörlosen leisten genauso wie etwa bionische Extremitätenrekonstruktionen Enormes zum Wohle von Betroffenen.

Und was bringt die Zukunft? „Brain Computer Interfaces“, wodurch eine Vernetzung von Computern mit dem menschlichen Gehirn ermöglicht werden, werden heute noch oft auf die Kopfhaut gesetzt. Firmen, wie etwa das von Elon Musk gegründete Unternehmen Neuralink, forschen bereits daran, dafür in Zukunft einmal implantierte Chips verwenden zu können. Stehen aktuell dabei begrüßenswerte Ansätze, wie etwa gelähmten Menschen dadurch helfen zu können, im Vordergrund, so wird aber bereits darüber diskutiert, solche Implantate eines Tages auch bei gesunden Menschen zur Anwendung zu bringen, um ihr Leistungsspektrum zu erweitern. Der Homo sapiens auf dem Weg zum Chip-Menschen?

Die Krux mit der Genschere

Im Jahr 2020 erhielten die Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna den Chemie-Nobelpreis für ihre Arbeiten zum Thema „Genome Editing“ mittels der so genannten Genschere CRSIPR/Cas9. Es gibt viele Erkrankungen, die durch Genmutationen ausgelöst werden. Die Genschere verspricht ein ideales Korrekturwerkzeug dafür zu sein. Somatische Gentherapien, die auf bestimmte Organe oder Gewebe beschränkt sind, stellen äußerst hoffungsvolle therapeutische Ansätze für ein breites Spektrum an Erkrankungen dar.

Dass diese Technologie aber auch bereits Begehrlichkeiten von Bodyhackern geweckt hat, ist an öffentlich zur Schau gestellten Ansätzen zu sehen, die darauf abzielen, durch Injektionen von CRSIPR/Cas9 Lösungen das Myostatin-Gen auszuschalten – mit der Idee, dadurch Muskelwachstum anzuregen.

He Jiankui
Der Forscher He Jiankui nahm 2018 erstmals Keimbahntherapie-Eingriffe vor. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. © Getty Images

Von Keimbahntherapie spricht man, wenn der gentherapeutische Ansatz (etwa am frühen Embryo im Zuge einer künstlichen Befruchtung) schließlich alle Zellen eines Menschen betrifft. Die Anwendung der Genschere ist noch von unspezifischen Effekten begleitet. Gene haben oft mehr als nur eine Aufgabe. Viele Merkmale werden von mehr als einem Gen beeinflusst. Die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Genen ist noch sehr wenig verstanden, die zusätzlich wirkenden epigenetischen Regulationen sind noch kaum aufgeklärt, die Wechselwirkungen zwischen genetischen Faktoren und Umweltfaktoren sind noch schwer erfassbar.

Und: Solche Eingriffe würden auch auf die nächsten Generationen weitervererbt werden. Das sind nur ein paar Gründe, warum heute noch breiter internationaler Konsens besteht, Keimbahntherapien nicht zur Anwendung zu bringen.

Wie alt kann der Mensch werden?

Auch betreffend seiner Lebensdauer hat der Mensch, so der aktuelle Stand des Wissens, eine biologische Grenze. Auch wenn es sich dabei nur um Schätzungen handelt, wird die absolute Grenze einer individuell möglichen Lebensdauer des Menschen oft auf etwa 125 Jahre eingestuft. Im Zusammenhang mit dem bisher Gesagten gilt es dabei verschiedene Aspekte getrennt zu betrachten: Einerseits konnte man in unseren Breiten eine überwiegend auf den medizinischen Fortschritt zurückzuführende zunehmende Annäherung der mittleren Lebenserwartung der Bevölkerung an die maximale Lebensdauer beobachten.

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Zahlen & Fakten

Viele Menschen werden älter. Die Menschen werden aber auch gesünder, fitter und vitaler älter als in der Vergangenheit – an den Schrauben des biologischen Alters haben wir also bereits gedreht. Aber wird es einmal möglich sein die Grenze der maximalen Lebensdauer zu versetzen? Wird es durch die Anwendung der oben angesprochenen Technologien und so mancher, die wir heute noch gar nicht kennen, in hundert, zweihundert oder dreihundert Jahren Menschen geben, die vielleicht 135 oder 145 Jahre alt werden?

Lösungsbegabung für ein ewiges Leben?

All jenen, die in diesem Zusammenhang an „Genome Editing“ denken, muss gesagt werden, dass die Rolle der Gene für das Altern zwar unumstritten, aber noch wenig verstanden ist. Und außerdem ist der Mensch dabei nicht auf seine Gene reduzierbar. Es ist und bleibt ein Prozess, der von der Wechselwirkung von Genetik und Umwelt geprägt ist. Nicht nur im Silicon Valley mehren sich die Stimmen jener, die noch viel weiter denken und den Homo sapiens unsterblich machen wollen:

  • Ray Kurzweil, Chef-Futurist bei Google, nimmt selbst täglich eine Vielzahl an Pillen zu sich und spricht zum Beispiel von Nanorobotern, die in Zukunft einmal etwa zum Zwecke permanenter Überwachung von Körperfunktionen durch den menschlichen Körper wandern werden.
  • Mark Zuckerberg und Larry Ellison, der Gründer von Oracle, investieren hohe Summen in Unternehmen, die an längerem Leben und Unsterblichkeit forschen.
  • Craig Venter, dessen Unternehmen einst als Erstes ein gesamtes menschliches Genom sequenzierte, hat sich zum Ziel gesetzt, den Rahmen der menschlichen Lebensdauer um ein paar Jahrzehnte zu dehnen.

Es ist heute bereits absehbar, dass viele dieser Unternehmen wertvolle Beiträge zur Erforschung und Behandlung typischer mit dem Alter assoziierter Erkrankungen, wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Makuladegeneration oder Demenz leisten werden. Und dass dabei irgendwann einmal das Versetzen der Lebensdauergrenze in Reichweite kommen könnte, kann vielleicht zumindest nicht ausgeschlossen werden. Das Erreichen der Unsterblichkeit ist allerdings nicht am Horizont erkennbar – so die aktuell überwiegende Ansicht der Wissenschaft.

Ewig leben als Chatbot

Vielleicht kommt es hierbei aber auch noch darauf an, was mit Unsterblichkeit genau gemeint ist. Die digitale Transformation wird ohne Zweifel auch die Virtualisierung verstorbener Menschen vorantreiben. Über künstliche Intelligenz können etwa Gesprächsmitschnitte, Videos oder Schriften analysiert werden – mit dem Ziel einen Chat-Bot zu kreieren, der denkt und spricht wie die oder der Verstorbene, mit dem man schließlich bis in alle Ewigkeit chatten könnte. Es ist heute bereits Realität, dass sich Eltern mit ihren auf Basis von Videoaufnahmen virtualisierten verstorbenen Kindern in der „Virtual Reality“ treffen. Der Homo sapiens auf dem Weg zum Chatbot-Menschen?

Wir sollten uns auf den Slogan Nicht dem Leben Jahre, sondern den Jahren Leben geben besinnen.

Ich möchte diesen Text nicht schließen, ohne zumindest die Frage aufgeworfen zu haben, ob eine theoretische Unsterblichkeit des Menschen überhaupt erstrebenswert sein kann? Welche Implikationen biologischer, ethischer oder psychologischer Natur würden sich ergeben? Wie steht es um das Verhältnis von Schaden und Nutzen? Mein Fazit: Wir sollten uns einerseits auf den schon etwas überstrapazierten Slogan „Nicht dem Leben Jahre, sondern den Jahren Leben geben“ besinnen und uns andererseits viel mehr mit jener „Unsterblichkeit“ oder besser vielleicht „Unvergänglichkeit“ beschäftigen, die möglicherweise ganz gut mit der Frage „Was bleibt von uns?“ beschrieben werden könnte.

Was wir weitergeben sollten

Was geben wir von unserem Denken, Wissen oder kreativen Schaffen wie an die nächsten Generationen weiter?  Und welche Konsequenzen hat unser heutiges Handeln für den Homo sapiens von morgen? In Zeiten von Kriegen, Flüchtlingskrisen, Terrorismus, Rassismus und Klimawandel gilt es, unsere höchste Konzentration darauf kompromisslos einzufordern.

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Conclusio

Seit Menschengedenken arbeitet der Homo sapiens an seiner Selbstoptimierung, aber nun hat er eine Vielzahl an neuen Werkzeugen zur Verfügung. Der Mensch könnte vor der Transformation auf ein neues Level der Menschheitsgeschichte stehen, quasi zum Menschen 2.0 werden. Die neuen Technologien, die das ermöglichen, sind vielversprechend und beeindruckend: künstliche Intelligenz, die massive Datenmengen auswerten kann, Implantate, die Menschen wieder hören lassen oder ihnen automatisch Insulin verabreichen; die weitgehend noch unerforschten Möglichkeiten durch die Genschere CRISPR/Cas9. Bringt all das die Menschen an einen Punkt, an dem sie nicht mehr sterben müssen? Es ist die falsche Frage. Die bessere Frage lautet: Was bleibt von uns, wenn wir dann sterben? Was können wir der nächsten Generation weitergeben?