Wenn das Licht ausgeht

Neun Jahre nach seinem Bestseller „Blackout“ sieht Marc Elsberg die Lage düsterer denn je: Stromausfälle nehmen zu, Cyberattacken sorgen für neue Bedrohungen. Die Energiewende verlangt zusätzliche Anstrengungen.

Silhouette einer Glühbirne vor schwarzem Hintergrund
Kein Strom, kein Licht: Bei einem Blackout werden ganz alltägliche Dinge zur Herausforderung. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Vernetzte Welt. Unser Leben wird zunehmend digitaler – nicht nur in den heimischen vier Wänden, sondern auch im internationalen Miteinander.
  • Totalausfall. Diese Vernetzung schafft aber auch Abhängigkeiten. Und fällt der Strom aus, kommen auch alle anderen kritischen Infrastruktursysteme ins Wanken.
  • Gefahrenquelle Internet. Nicht nur Naturkatastrophen können zum Auslöser von Blackouts werden. Auch Software-Sicherheitslücken stellen eine Bedrohung dar.
  • Systemische Risiken. Der nächste Blackout kommt bestimmt. Nicht nur die Politik, sondern auch jeder Einzelne sollte sich darauf vorbereiten.

Wie vernetzt und voneinander ab­hängig unsere Welt geworden ist, wurde mir schon vor Jahren bewusst. ­Damals habe ich erfahren, aus wie ­vielen Einzelteilen unterschiedlichster Herkunft eine simple elektrische Zahnbürste besteht. Diese Vernetzung, Globalisierung und Digitalisierung erlaubt uns – zumindest in einem Teil der Welt – in immensem Wohlstand, gesund und lange zu leben. Doch auf der anderen Seite beruht dieses System auch auf extrem vielen gegenseitigen Ab­hängigkeiten. Werden diese Liefer­ketten in irgend­einer Form unter­brochen, kann es zu Problemen bis hin zum Kollaps des Systems kommen.

Damals habe ich mir vorgenommen, ein Buch über diese von Abhängigkeiten geprägte Welt zu schreiben. Nur, wo muss man den Hebel ansetzen, um das in einem Thriller zu veranschaulichen? Bald merkte ich: Aus allen kritischen Infrastrukturen – von Logistik hin zu Geldversorgung oder Kommunikations­systemen – sticht eine besonders hervor: die Energieversorgung. Stoppt man dieses System, fallen alle anderen schnell mit.

Tagelang ohne Strom und Wasser

Seitdem vor neun Jahren mein Buch „Blackout – Morgen ist es zu spät“ erschienen ist, beschäftige ich mich durchgehend mit dem Thema. Es wird immer aktueller. Zuletzt standen wir am 8. Januar 2021 in Europa kurz vor dem Blackout. Und im Februar konnte man beobachten, was in Texas pas­sierte, als Millionen Menschen tagelang ohne Strom und Wasser waren.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Österreich, die Schweiz oder Deutschland von einem schweren Black­out betroffen sein werden. Schon während der Recherche für mein Buch haben mir alle Fachleute versichert (und das tun sie auch heute noch), dass man das Stromnetz nach einem Zusammenbruch innerhalb von wenigen Stunden, spätestens aber nach zwei bis fünf Tagen wiederherstellen kann. Unter der Bedingung, dass es eine natürliche Ursache für den Ausfall gibt – schlechtes Wetter, menschliches oder technisches Versagen –, Ursachen, die weder vorsätzlich herbeigeführt wur­den noch darauf ausgerichtet sind, das System zusammengebrochen zu halten.

Tickt eine digitale Zeitbombe?

Anders ist das bei einer Cyberattacke. Derartige Angriffe sind keine Fantasie mehr: 2016 wurde das Energiesystem der Ukraine von Russland attackiert, 2021 führte der Hack einer großen Pipeline in den USA zu Problemen.

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Zahlen & Fakten

  • 39:06 Minuten lang war ein österreichischer Haushalt im Jahr 2019 durchschnittlich ohne Stromversorgung.
  • 75 Mal pro Monat fällt in Pakistan durchschnittlich der Strom aus – der weltweit höchste Wert.
  • 4,5 Millionen Menschen waren im Frühjahr 2021 in Texas teilweise tagelang ohne Strom, als Blizzards das Netz lahmlegten – ins­gesamt dauerte die Strom­krise über zwei Wochen.
  • 210–700 Tote können direkt oder indirekt auf die texanischen Stromausfälle zurückgeführt ­werden.

Wir sind mittendrin in diesen Szenarien. Und es ist ein dauernder Wettlauf zwischen potenziellen Angreifern und den Sicherheitsbeauftragten des Systems. Wir können davon ausgehen, dass heutzutage jeder größere Staat, der im internationalen Machtpoker mitspielt, bereits in den Energiesystemen anderer Staaten mit geheimer Software präsent ist oder das zu­mindest versucht. Nicht nur der Osten im Westen, sondern auch umgekehrt. Jeder Staat versucht, sein System zu sichern. Aber niemand weiß, ob nicht schon längst irgendwelche digitalen Zeitbomben versteckt liegen.

Von abgeschnürten Gliedmaßen

Prinzipiell können die Angriffe sehr vielfältig sein. Die meisten Kriminellen versuchen jedoch nicht, gleich ganz Europa auszuschalten. Doch das kann auch durch einen unglücklichen Zufall oder durch schlechte Programmierung passieren. Das hat man 2010 am Beispiel Stuxnet gesehen, einer der Mütter des Cyber­kriegs: Der Computerwurm wurde für einen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen programmiert und benützt. Dabei wurden gezielt Siemens-Maschinen angegriffen, deren Software man in diversen anderen Anlagen weltweit findet. Ist dieser Code schlampig geschrieben oder kommt aus, kann es sein, dass er auch Systeme mit ähnlicher Software lahmlegt.

Das Wichtige ist, zu begreifen, dass wir in Europa völlig von­einander abhängig sind. In diesem Verbund lebt jeder vom Stromsystem des anderen.

Ein großer Blackout, der mit Absicht ausgelöst wird, kann im Wesentlichen von Terroristen oder kriegerischen Handlungen ausgehen. Was dann passiert, hängt von der Ursache ab. Meist kommt es irgendwo zu einer Stromüberversorgung und irgendwo zu einer -unterversorgung. Beides ist nicht gut. Bei einer Unterversorgung müssen schnell Kapazitäten besorgt werden, indem man entweder von woanders Strom bezieht oder Kraftwerke hochgefahren werden. Das sind heute meistens Gaskraftwerke, die in Reserve stehen. Doch aus Kostengründen wurden viele dieser Kraftwerke in den ver­gangenen Jahren stillgelegt. Außerdem kann man Großabnehmer wie Zementfabriken kurzzeitig vom Netz nehmen.

Wenn das nicht gelingt, muss man unsichere Bereiche abkoppeln. So als würde man eine Gliedmaße abschnüren, damit der restliche Körper überlebt. Die Gliedmaßen haben in diesem etwas schrägen Vergleich noch ein eigenes Herz, können sich also zur Not eine Zeitlang selbst aufrechterhalten – etwa mit Dieselgeneratoren.

Totale Abhängigkeit

Auch Überproduktion kann ein Pro­blem sein: Habe ich zu viel Strom in den Leitungen, greifen binnen Sekundenbruchteilen automatische Abschalt­mechanismen, damit die Leitungen nicht verschmoren. Das führt dazu, dass benachbarte Leitungen die Überlastung abbekommen und sich auch ausschalten. Dann hat man die para­doxe Situation, dass man zu viel Strom hat und dadurch plötzlich keinen mehr.

Man könnte das mit dem Blutdruck vergleichen: Ist er zu hoch oder zu niedrig, kollabiert der Mensch irgendwann. Das Wichtige ist, zu begreifen, dass wir dabei in Europa völlig von­einander abhängig sind. Man kann sich als Nationalstaat kaum von solchen Pro­blemen abkoppeln. Das ist ein euro­pä­ischer Verbund, wo jeder vom Stromsystem des anderen lebt.

Jeder Staat versucht, sein System zu sichern. Aber niemand weiß, ob nicht schon längst irgendwelche digitalen Zeitbomben versteckt liegen.

In den Staaten des globalen Nordens gab es so ein großflächiges Ereignis zum Glück noch nicht wirklich. Es gibt deswegen auch keine realen Vorbilder dafür, wie sich Menschen verhalten würden. Als in New York der Strom wegen des Hurrikans „Sandy“ im Jahr 2012 für zwei, drei Tage ausfiel, war die Bereitschaft zu helfen groß – schließlich wusste man schon, dass der Sturm kommt, und konnte sich vorbereiten.

Bei einem großflächigen Ereignis wird Hilfe überall gebraucht: Wasser kommt nicht aus den Leitungen, die Tankstellen können kein Benzin mehr pumpen, Geldautomaten keine Scheine mehr ausgeben. Und ohne Strom kein Internet, keine Kommunikation und Koordination zwischen den Opfern.

Es kann schnell kippen

Seit Erscheinen des Buches vor neun Jahren habe ich zwei Erkenntnisse gewonnen: Einerseits findet gerade die Energiewende statt – der notwendige Umbau hin zu Erneuerbaren. Wird die Grundlast nicht gedeckt, springt die Regelleistung ein, die im Moment großteils aus konventionellen Kraftwerken kommt. Damit das auch mit erneuerbaren Energiesystemen wie Wind- und Solarenergie klappt, muss man mehr und stärkere Leitungen verlegen sowie für ausreichend Speicher sorgen. Man muss sich bewusst sein, dass man hier ein komplett neues System baut und nicht einfach nur eine Energiequelle durch eine andere ersetzt.

Meine zweite Erkenntnis kann ich ­anhand eines Beispiels illustrieren: Ich werde oft zu Diskussionsveranstaltungen geladen, zu denen auch Vertreter von Unternehmen oder Behörden geladen sind. Sie erklären dann oft, dass sie nach der Lektüre meines Buches für mehr Sicherheit gesorgt haben. Das ist fein, aber: Ein, zwei Jahre später wird dieses Unternehmen durch Ransomware – also Schadprogramme, mit deren Hilfe ein Eindringling Zugriff auf Daten oder Computersysteme bekommt – erpresst und aufgefordert, sämtliche Kundendaten rauszurücken.

Wenn man über diese systemischen Risiken nachdenkt, muss man breiter denken, als es heute getan wird. Man müsste mehrere Bedrohungsszenarien mitdenken. Denn wir wissen nicht, was die nächste Krise ist: ein Stromausfall, eine weitere Pandemie oder zum Beispiel ein riesiger Chemieunfall.

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Conclusio

Der nächste Blackout kommt bestimmt. Seine möglichen Konsequenzen sind zu weitreichend, um die Gefahren zu igno­rieren und nicht dafür gerüstet zu sein. Die Vor­bereitung auf einen Blackout ist wie eine Versicherung, das gilt für Unter­nehmen genauso wie für Einzelpersonen. Jeder Einzelne von uns sollte jene Basisvorräte zu Hause haben, die von den Behörden empfohlen werden, um im Falle des Falles zirka eine Woche ohne Strom überleben zu können: Konserven, Wasser, aufziehbare Radios und Lampen. Würde das jeder Haushalt machen, wäre so eine Situation nur halb so wild. Macht es niemand, ist es wahrscheinlicher, dass Panik ausbricht. Was aber geboten ist: dass ­Politik und Unternehmen sich der Risiken bewusst sind und Vorkehrungen treffen, um die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts zu minimieren.