Bürokratie abbauen – aber wie?

Unternehmen müssen in Österreich immer mehr Ressourcen für bürokratische Tätigkeiten aufwenden. Das geht auf Kosten der Wertschöpfung. Es geht aber auch anders, wie internationale Beispiele zeigen.

Illustration zweier Hände, die durch red tape, das englische Wort für Bürokratie, gebunden sind
Das gefürchtete red tape: Bürokratie bindet Unternehmern weltweit die Hände. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Zusätzlicher Arbeitsaufwand. Bis zu einem Arbeitstag pro Woche müssen Jungunternehmer für bürokratische Tätigkeiten aufwenden.
  • Unternehmer als Aushilfsbeamte. Bürokratie bindet Ressourcen und hält das Unternehmen von seiner eigentlichen Tätigkeit ab. Wertschöpfung geht verloren.
  • Politischer Wille gefragt. Es geht aber auch anders: Länder wie die Niederlande zeigen, dass Bürokratie zielgerichtet abgebaut werden kann.
  • Weniger ist mehr. Bürokratieabbau ist ein Wohlfahrtsprogramm. Von den frei gewordenen Mitteln profitieren Wertschöpfung und Mitarbeiter.

„Ich bin ein Wirt im Bürokratiedschungel, holt mich hier raus“, meinte der Präsident der Wiener Gastronomen im Jahr 2018. Seither ist es nicht besser geworden mit der teils unsinnigen und immer teureren Bürokratie.

Die Wirte sind nicht alleine. Anlässlich einer Pressekonferenz der KMU Forschung Austria im Jahr 2018 hielt Ökonom Christian Kutsam eine Flasche eines Reinigungsmittels in die Luft. In einem privaten Haushalt steht diese Falsche problemlos in der Abstellkammer. Doch im Unternehmen muss dafür ein Sicherheitsdatenblatt angelegt werden. Bei Zuwiderhandlung haftet die Geschäftsführung.

Bürokratie hat einen doppelten Kosteneffekt: Sie verbraucht Ressourcen und hält Unternehmen von der Wertschöpfung ab.

Bürokratie ist ein flächendeckendes Problem in Österreich – aber nicht nur dort. Verschiedene Studien hoben hervor, dass sich in Unternehmen zwischen 0,9 und 3,4 Mitarbeiter ausschliesslich mit bürokratischen Aufgaben beschäftigen. Für Jungunternehmen berechnet das Market-Institut einen Bürokratieaufwand von durchschnittlich 8,33 Stunden pro Woche. Das ist ein ganzer Arbeitstag, der mit Formularen und Abklärungen statt mit Innovation und Verkauf vergeudet wird.

Dabei kennt Bürokratie verschiedene Facetten: Abrechnungen, Formulare, das Aufstellen von Hinweisschildern, Kontrolltätigkeiten, Investitionen und selbst die Pflichtveröffentlichung in der Wiener Zeitung. Das alles kostet Geld und Mühe. Bürokratie hat also einen doppelten Kosteneffekt: Sie verbraucht Ressourcen und sie hält die Unternehmenden von der Wertschöpfung ab.

Außer Spesen nichts gewesen

Diesen doppelten Kosteneffekt sollte man nicht unterschätzen. Die erste Komponente ist mehr oder weniger klar: Bürokratie verbraucht Ressourcen. Wenn eine Änderungsschneiderei ein Lagerkonzept für Chemikalien erstellen muss, dann sind dafür Zeit und Ausgaben notwendig: Das Konzept muss ausgearbeitet und die entsprechenden Formulare zur Kontrolle des Chemikalienbestandes – meist Reinigungsmittel, Kleber und Insektenspray – entworfen und gedruckt werden.

Es braucht Schaukästchen, wo die Formulare öffentlich einsehbar sind. Falls es noch keine verschließbaren Behälter für die Alkohole gibt, sind diese ebenso anzuschaffen. Und wenn das alles vorhanden ist, muss die Liste der Kleber in regelmässigen Abständen überprüft und kontrolliert werden. Zur Erinnerung: Wir reden von einer Änderungsschneiderei.

Stapel an Akten in einem Büro
Akten über Akten: Bürokratie kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld. © Getty Images

Es kann nun eingewendet werden, dass die Zeit und Ausgaben für die Änderungsschneiderei überschaubar sind. So eine Aktion kostet nicht einmal 100 Euro. Wer so argumentiert, verkennt aber die wahre Dimension des Problems: Erstens verbleibt die Bürokratie nicht bei nur einer solchen Auflage; ein durchschnittlicher Klein- und Mittelbetrieb (KMU) muss in Österreich jährlich zwischen 500 und 600 solcher Handlungen vollziehen. Zweitens sind alle KMUs betroffen, also etwa 345.000 Firmen.

Dann gibt es noch einen zweiten, verborgeneren Kosteneffekt: Bürokratie führt zu Verlusten in der Wertschöpfung. Während die Änderungsschneiderin ihr Lagerkonzept aufstellt, umsetzt und kontrolliert, verliert sie produktive Zeit. Die Unternehmerin will das tun, was sie am besten kann: Die Wünsche der Kundinnen und Kunden erfüllen – so verdient sie auch ihr Geld. Doch die bürokratischen Tätigkeiten zwingen sie etwas zu tun, wofür sie nicht bezahlt wird. Während sie als „Beamtin“ waltet, verliert sie die Früchte ihrer eigentlichen Arbeit, also Wertschöpfung.

Kostenwahrheit

Die Bürokratie führt also zum Verlust der unternehmerischen Tätigkeit, zum Verlust der Produktivität und zum Verlust von Umsätzen. Die Unternehmerin hat mit anderen Worten weniger Geld erwirtschaftet. Das ist nicht allein ihr Problem, sondern auch das ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Wenn die Unternehmerin davon abgehalten wird, ihrer Wertschöpfung nachzugehen, kann sie auch weniger Lohn bezahlen.

Bürokratie generiert also verschiedene Kosten, die direkt und indirekt alle schlechter stellen: Unternehmerinnen und Unternehmer, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Kundinnen und Kunden. Können diese Totalkosten gemessen werden? Die Antwort lautet: ja. Es bestehen verschiedene Ansätze für die Messung der Bürokratiekosten. Sehr robust ist die Methode der Bertelsmann-Stiftung in Deutschland. Sie ist auch schon beim obigen Beispel zum Einsatz gekommen.

Gemessen am BIP gehen in Österreich über zwölf Prozent der Wertschöpfung jährlich wegen Bürokratie verloren.

Zunächst geht die Methode dem zeitlichen Aufwand nach, der erforderlich ist, um Bürokratieauflagen zu erfüllen. Sie bewertet diesen Aufwand und zählt auch die Zusatzausgaben, die getätigt werden müssen, um die bürokratischen Vorschriften zu erfüllen, zum Beispiel Anschaffungen. Anschließend ermittelt die Methode, auf wie viel Wertschöpfung Unternehmen verzichten mussten, um den Bürokratieaufwand zu erfüllen. Damit wird auch der Verlust von Produktivität und von Umsätzen in die Rechnung aufgenommen. Schließlich geht es darum, die vollen Kosten der Bürokratie zu beziffern.

Und diese sind enorm: Mit der Bertelsmann-Methode hat der Schweizerische Gewerbeverband sgv die Bürokratiekosten in der Schweiz auf etwa 70 Milliarden Euro pro Jahr beziffert. Für Deutschland lautet das Preisschild etwa 420 Milliarden Euro pro Jahr. Würde die Methode auf Österreich angewendet, wäre das Ergebnis um die 50 Milliarden Euro pro Jahr. Gemessen am Bruttoinlandprodukt sind das über zwölf Prozent der Wertschöpfung, die jährlich wegen Bürokratie verloren gehen.

Reformen wagen

Was kann man dagegen tun? Diese Frage zu stellen ist einfach, sie zu beantworten ist es nicht. Denn: Nicht alle bürokratischen Regeln sind an sich schlecht. Und selbst wenn sie es wären, würde kein staatliches Amt sie freiwillig reduzieren. Je mehr Bürokratie es gibt, desto mehr Macht haben die Ämter, desto mehr Leute können sie anstellen und desto mehr können sie regulieren. Das ist ein sich selbst verstärkender Mechanismus.

Daher braucht es für den Bürokratieabbau Regeln. Das scheint kontraintuitiv zu sein – Bürokratie aufbauen, um Bürokratie abzubauen? Die Herangehensweise ist aber eine andere. Bürokratie muss mit den eigenen Waffen geschlagen werden. Wie geht das? Auf der einen Seite muss vorhandene Bürokratie abgebaut und auf der anderen die Entwicklung neuer gebremst werden.

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Zahlen & Fakten

Es gibt Länder, die es tatsächlich geschafft haben Bürokratie abzubauen und Bürokratiekosten zu senken. Dazu gehören etwa die Niederlande, Neuseeland oder Singapur. Ihr Rezept ist jeweils ähnlich: Die Regierung gibt Ziele vor, um wie viel die Bürokratie-Kosten zu reduzieren sind. Diese verbindlichen Ziele umfassen lokale Verwaltungen, Gesetze, Verordnungen und bürokratische Tätigkeiten. Zudem werden die Ziele öffentlich kommuniziert und gemessen. Es gibt mindestens einen jährlichen Bericht darüber.

Hingegen gibt es für die Bremse neuer Bürokratiekosten verschiedene Rezepte. Südkorea und Großbritannien haben „one in one out“ Regelungen. Für jede neue Vorschrift muss eine bestehende abgebaut werden. Deutschland hat den Normenkontrollrat. Diese regierungsunabhängige Instanz berechnet die Kosten von neuen Vorschriften und macht Vorschläge, wie diese gesenkt werden können. Die Schweiz will eine Bremse einführen. Regulierungen, die über 10.000 Firmen betreffen oder Kosten von mehr als 25 Millionen Euro verursachen, müssten von einer qualifizierten Mehrheit im Parlament angenommen werden. Wenn diese nicht erreicht ist, entfällt die Regulierung.

Wer profitiert?

Warum ist der Abbau von Bürokratie wirtschaftlich und gesellschaftlich wichtig? Bürokratieabbau ist ein Wohlfahrtsprogramm. Bürokratie und ihre Kosten wirken sich wie Fixkostenblöcke auf die Unternehmen aus. Mit dem Abbau von Bürokratie werden zugleich Kosten eingespart und das Unternehmen kann Geld und Ressourcen freisetzen.

Unternehmerinnen und Unternehmer können die frei gewordenen Mittel in die Wertschöpfung stecken. Davon profitieren alle: Zunächst die Unternehmen selber, dann die Gesellschaft. Denn die Investition von Mitteln in das Unternehmen verstärkt Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitgeberfunktion und führt so zu höheren Löhnen, mehr Arbeits- und Ausbildungsplätzen oder einfach besseren und günstigeren Produkten.

Der Abbau von unnötiger Bürokratie hat also eine positive Auswirkung auf den Wohlstand und auf die Lebensqualität der gesamten Gesellschaft. Gerade im Nachgang zu den wirtschaftlichen Verlusten im Zuge der Covid-19-Pandemie kommt dem Abbau von Bürokratie und ihrer Kosten eine erhöhte Bedeutung zu. Abbau und Bremsung neuer Bürokratie führt zur Vitalisierung oder Ankurbelung der ganzen Wirtschaft gleichermaßen: jedes Unternehmen kann davon profitieren. Obendrein kostet ein solches Programm den Steuerzahlenden nichts. Es verlangt aber von der politischen Führung Bereitschaft und konsequente Umsetzung.

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Conclusio

Die überbordende Bürokratie belastet Unternehmen in Österreich zusehends. Wichtige Ressourcen werden in Unternehmen für bürokratische Tätigkeiten aufgewendet und haben negative Auswirkungen auf Produktivität und Innovationsleistung – und damit auf den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand. Laut Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung gehen in Österreich jährlich zwölf Prozent der Wertschöpfung durch Bürokratie verloren, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Dabei zeigen Länder wie die Niederlande oder Neuseeland längst, dass Bürokratie auch zielgerichtet abgebaut werden kann, etwa indem für jede neue bürokratische Regel eine andere ad acta gelegt wird. Selbst Deutschland hat ein eigenes Gremium zum Bürokratieabbau ins Leben gerufen. Österreich sollte diesem Beispiel folgen, statt weiter seine eigene Wirtschaft zurückzuhalten.