Die Zukunft rollt im Untergrund

Die Schweiz errichtet mit „Cargo sous terrain“ ein neues System für den Gütertransport. Der Clou: Es ist fast zur Gänze unterirdisch angelegt und funktioniert vollautomatisch. Dieses private Projekt soll die Logistik revolutionieren.

Illustration eines Umrisses der Schweiz, gefüllt mit Häusern und typischen Landessymbolen und Produkten wie Käse, Schokolade, Alphörner. In der Mitte geht ein ein grßer Tunnel durch das Land, in dem dem automatisierte Frachtwaagen unterwegs sind.
Logistik der Zukunft: Fracht-Roboter konkurrieren künftig auf dem Transportmarkt mit der traditionellen Bahn und Lkw. © Vera Sammalisto/Synergy Art
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Auf den Punkt gebracht

  • Bahnbrechend. Das unterirdische Logistiksystem für die Zentralschweiz „Cargo sous terrain“ soll ab 2031 Straße und Schiene entlasten.
  • Neue Wege. Die automatisierten Gütertransporter werden auf unterirdischen Bahnen zu Logistikzentren fahren.
  • Platzfrage. Das Tunnelsystem schont die Landschaft, doch Zugangsterminals in dicht verbautem Gebiet sind eine Herausforderung.
  • Weiter Weg. Das rein private Projekt kommt ohne staatliche Subventionen aus. Teststrecken gibt es noch keine.

Lkw machen Lärm, verursachen immer noch Abgase und verstopfen die Straßen. So weit die allseits bekannten Nachteile des Warentransports auf der Straße. Doch die Eisenbahn ist als Alternative nicht immer geeignet, und ihre Kapazitäten lassen sich nicht endlos steigern. Wohin also mit der ständig steigenden Menge an Gütern, die jeden Tag transportiert werden müssen?

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In der Schweiz nimmt derzeit ein Projekt Gestalt an, das – wenn alles klappt wie geplant – ab 2031 ganz neue Wege im Transportverkehr eröffnet. Das Vorhaben läuft unter dem Titel „Cargo sous terrain“ (CST) und soll in den nächsten Jahren auf Initiative der Wirtschaft realisiert und privatwirtschaftlich betrieben werden. Im Endausbau soll das digital gesteuerte unterirdische Logistiksystem die Zentren der Schweiz verbinden, Schienen und Straßen entlasten, die Umweltverschmutzung sowie den Energiebedarf reduzieren und für die pünktliche Lieferung von Waren sorgen.

Wohin also mit der ständig steigenden Menge an Gütern, die jeden Tag transportiert werden müssen?

In der Cargo sous terrain AG als Dachorganisation sind alle maßgeblichen Akteure als Investoren, Aktionäre oder Projektpartner eingebunden. Zu den bekanntesten Aktionären zählen Schweizer Unternehmen wie Credit Suisse, Coop, Migros, Schweizerische Post und Swisscom. Die Kosten für die erste, 70 Kilometer lange Teilstrecke sind mit drei Milliarden Schweizer Franken veranschlagt. Ein Gesetz über den unterirdischen Gütertransport (UGüTG) schaffte im September 2021 die rechtliche Basis für das Projekt. 

Innovation für die Zukunft?

Und so funktioniert CST: Die Infrastruktur basiert auf einem Netz von einröhrigen Tunneln, die jeweils Platz für drei Fahrspuren bieten. Die beiden äußeren dienen als Richtungsbahnen für den Regelbetrieb, die mittlere ist eine Reservespur für Überholungen, Service- und Pannendienst. In den Tunneln fahren autonome Transportroboter mit je zwei Palettenplätzen – entweder allein oder sie bilden kurze Züge. Die Betriebsgeschwindigkeit wird dauerhaft bei rund 30 km/h liegen.

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Zahlen & Fakten

Illustration, wie das Cargo sous terrain System funktioniert: Ein Tunnel mit autonomen Frachtrobotern führt unter ein urbanes Logistikzentrum, ein Frachtlift bring Paletten mit Gütern nach oben, dort stehen ein Lieferwagen und ein Fahrradkurier bereit.
Gütertransport ohne Stau. © Vera Sammalisto/Synergy Art

Vergleich: Straße, Schiene und Tunnel

Im CST-System verkehren Einheiten aus zwei Transportrobotern von je 3 Meter-Länge. Die Gesamtkapazität je Stunde und Richtung liegt bei 1.800 dieser Einheiten mit jeweils vier Paletten, also insgesamt 7.200 Paletten.

Eine Bahnstrecke mit aktueller Sicherungstechnik kann von Güterzügen mit 80 km/h im Vier-Minuten-Takt befahren werden und auf eigenen Gleisen je Stunde und Richtung 15 Züge mit jeweils 1.224 Paletten aufnehmen. Die vergleichbare Systemkapazität beträgt somit 18.360 Paletten, erfordert aber eigene Gleise.

Im Straßengüterverkehr können reservierte Hochleistungsstraßen unter Berücksichtigung des Ein- und Ausfädelns 500 Lkw je Stunde und Fahrspur aufnehmen, die mit jeweils 36 Paletten beladen sind. Die Systemkapazität je Richtungsspur und Stunde liegt bei 18.000 Paletten.

Die Übergabe vom Tunnelsystem an die Oberfläche erfolgt in Terminals, die alle 10 bis 20 Kilometer angeordnet sind. Ähnlich der Eisenbahn wird es mehrere Parallelspuren geben, sodass die Transportroboter ohne Unterbrechung des laufenden Betriebs herausgeholt beziehungsweise wieder eingeschleust werden können. Die Fahrbahnen sind über ein Liftsystem mit dem Oberflächenbereich des Terminals verbunden, wo die Paletten auf die Straße gebracht werden. 

Kein Pilot

Die technische Ausführung des CST-Systems wurde bisher weder im Detail veröffentlicht noch durch den Bau einer Pilotstrecke demonstriert. Trotzdem sind die wichtigsten Teile der Planung bekannt:

  • Die Transportroboter werden in einem personalfreien Tunnel auf Rädern ohne mechanische Spurführung fahren. Sie steuern autonom, können sich also selbst lenken und alle Abstände einhalten. Spurwechsel auf Kommando der Leitstelle sind im Tunnel überall möglich.

  • Der Betrieb erfolgt ausschließlich elektrisch. Die Fahrzeuge werden über elektromagnetische Induktion berührungslos mit Strom gespeist, ähnlich dem kabellosen Laden einer elektrischen Zahnbürste.

  • Die Bildung von Fahrzeuggruppen oder sogar kurzer Züge ist möglich.

  • Vermutlich werden die Transportroboter mit Gummireifen auf Asphalt- oder Betonfahrbahnen fahren. Damit sind in Bezug auf Fahrwiderstand und Energiebedarf ähnliche Werte zu erwarten wie bei Straßenfahrzeugen, die mit 30 km/h unterwegs sind.

Vor Baubeginn gilt es allerdings noch einige Schwierigkeiten zu lösen. Die Errichtung der Tunnel mit einem Durchmesser von jeweils rund sechs Metern stellt kein grundsätzliches Problem dar und wird voraussichtlich über Tunnelbohrmaschinen bewerkstelligt, die wie ein Maulwurf arbeiten. 

Wo ist Platz für die Terminals?

Allerdings steigt der logistische Aufwand mit der Länge der Tunnel stark an, sodass sogenannte Zwischen-Angriffe – also zusätzliche Zugänge zwischen den Terminals – von Vorteil wären. Deren Genehmigung im dicht besiedelten schweizerischen Mittelland dürfte nicht einfach werden.

Der auf der freien Strecke vorgesehene Betrieb ist ebenfalls machbar. Hingegen sind Gestaltung und Anbindung der Terminals, genannt Hubs, eine echte Herausforderung: Große Anlagen müssten täglich mehrere tausend Paletten zwischen Straße und CST-System umschlagen – was hunderte Lkw-Fahrten zum und vom Terminal bedeutet. Das macht ihre Positionierung in der dicht besiedelten Schweiz schwierig.

Für einen Hub braucht es allerdings nicht nur ausreichend Platz; auch die Anbindung an das Straßennetz muss funktionieren und zugleich raumverträglich sein. „Existierende Logistikzentren“, von denen auf der Website der CST die Rede ist, gibt es zwar, doch sie arbeiten in der Regel schon heute an ihrer Kapazitätsgrenze.

Die Grenze des Systems

Die prinzipielle Einschränkung des CST-Systems ist dessen Konzentration auf kleinteilige Wirtschaftsgüter, die heute im Stück- und Sammelgutverkehr – meist auf der Straße – befördert werden. Bisher sind im System nur Palettenstellplätze vorgesehen, allenfalls auch Doppelpaletten. Doch schon jetzt gibt es viele Güter, für die eine Palette nicht ausreicht, beispielsweise alle TV-Geräte ab 55 Zoll, für die eine Euro-Palette einfach zu klein ist.

Ein Arbeiter in England steht auf einem kleinen Gabelstapler und versetzt eine Europalette beladen mit Kisten voller Tomaten aus Spanien.
Kleine Güter werden genau für den Transport auf Europaletten verpackt. Doch schon größere TV-Geräte sprengen die Dimension der logistischen Platzeinheit von 1.200 mal 800 cm. © Getty Images

Damit CST für andere Transportwege wirklich eine Entlastung darstellt, muss die Kapazität groß genug sein. Geplant sind derzeit rund 7.200 Paletten je Richtung und Stunde. Schiene und Straße kommen auf rund 18.000 Paletten – allerdings nur, wenn für den Transport eigene Fahrspuren zur Verfügung stehen. Auf den bestehenden Verkehrswegen ist dieser Wert kaum zu erzielen.

Ergänzung zu Straße und Schiene

Alles in allem lässt sich sagen, dass CST Schiene und Straße nicht ersetzen wird, aber eine gute Ergänzung sein kann. Da sich das System prinzipiell nicht für den Haus-zu-Haus-Verkehr eignet, muss es eine sehr gute Anschlussfähigkeit zu Straße und Bahn bieten. Der Wechsel der Verkehrsträger erhöht die Komplexität für die Kunden; ihnen muss also ein Mehrwert geboten werden, insbesondere bezüglich Kosten und Qualität.

Der Vorteil von Cargo sous terrain liegt im unterirdischen Zubau von Transportkapazität in einer der am dichtesten besiedelten Regionen Europas. Das ist auf den ersten Blick sehr attraktiv, bezieht sich aber bislang nur auf die Anlagen auf freier Strecke. Den Terminals sind noch keine konkreten Flächen zugeordnet.

Weniger Flächenbedarf

Der ökologische Vorteil des elektrisch betriebenen CST-Systems wird sich nach der Elektrifizierung aller Verkehrssysteme relativieren. Allerdings ist der Flächenbedarf eines Tunnelsystems im Vergleich zum Ausbau von Straße oder Schiene viel geringer, sofern dieser Vorteil nicht durch die Terminals kompensiert wird. 

Geradezu revolutionär ist der privatwirtschaftliche Ansatz, den sich die CST-Betreiber auf die Fahne geheftet haben.

Geradezu revolutionär ist der privatwirtschaftliche Ansatz, den sich die CST-Betreiber auf die Fahne geheftet haben. Für den Bau der Infrastruktur und den Betrieb der Tunnel werden keine Subventionen eingesetzt. Die Planung von Eigenwirtschaftlichkeit eines kompletten Verkehrssystems ist in den letzten Jahrzehnten vollkommen verloren gegangen. Nun wird sie wieder als ein selbstverständliches Element wirtschaftlichen Handelns betrachtet. 

Das ist auch deshalb wichtig, weil nach der ökologischen Gleichstellung aller Verkehrsträger die Rechtfertigung für staatliche Subventionen schwinden wird. 

Wenn CST eine ausreichend große Nische im Markt findet, kann es eine sehr sinnvolle Ergänzung der bestehenden Verkehrssysteme werden. 

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Conclusio

Das digitale, voll automatisierte Logistiksystem „Cargo sous terrain“ (CST) kann in der Schweiz Schienen und Straßen entlasten und die Umweltverschmutzung reduzieren. Ab 2031 sollen autonome Transportroboter in eigenen Tunneln Waren zwischen den großen Zentren der Schweiz transportieren. In das Projekt sind alle maßgeblichen Akteure als Investoren, Aktionäre oder Projektpartner eingebunden. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind geschaffen, technisch ist CST machbar, auch wenn noch einige Probleme zu lösen sind. Dazu zählen insbesondere die Errichtung der Verlade-Terminals und deren Anbindung an das bestehende Straßennetz. Der privatwirtschaftliche Ansatz ist geradezu revolutionär: Für den Bau der Infrastruktur und den Betrieb des Tunnels werden keine Subventionen eingesetzt. 

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