Wir müssen uns wehren!

Ob in Moskau oder Peking: Autokraten sind überzeugt von der eigenen Überlegenheit und verteidigen ihre Regimes mit Vehemenz. Genauso entschlossen sollten wir uns für demokratische Werte einsetzen.

Foto von Xi Jinping auf einer Videoleinwand, im Vordergrund stehen zwei uniformierte Frauen mit Gesichtsmasken. Das Foto begleitet einen Beitrag über China und die chinesische Wirtschaft.
Ein überlebensgroßes Bild von Xi Jinping mit der Flagge der UNO vor dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in Peking im Oktober 2022. © Getty Images

Gelegentlich schützen Romane davor, von der Realität allzu sehr überrascht zu werden. Das Skript für die erniedrigende Abführung von Hu Jintao anlässlich des 20. Parteitags der Kommunistischen Partei Chinas hätte Ken Folletts aktuellem Polit-Thriller „Never“ entnommen sein können.

Nach Innen muss jegliche Kritik an Politik und Partei unterdrückt werden.

Neben diesen und anderen Intrigen, die keineswegs eine Spezialität der KP sind, sticht in Folletts Roman jedoch das Gefühl der Bedrohung durch den Westen hervor. Die Vorstellung, Amerika habe es einzig und allein darauf abgesehen, China zu zerstören, ist geradezu eine Obsession der darin geschilderten Führungsmannschaft. Dabei schwingen historische Ressentiments ebenso mit wie die Überzeugung, dass ihre Kultur, ihr Reich und ihre Errungenschaften letztlich überlegen seien.

Hilfe aus dem Westen ist unerwünscht

Liest man sich, ausgehend von dieser spannenden Fiktion, in die bisherige Amtsführung Xis zurück, springt einem der Fokus auf die Sicherheit regelrecht ins Auge. Im Inneren muss jegliche Kritik an Politik und Partei unterdrückt werden; nach außen gilt es, neben der Versorgungssicherheit und intakten Lieferketten in erster Linie für die erwähnte Bedrohung durch den Westen gewappnet zu sein.

Die inzwischen von vielen Seiten kritisierte Null-Covid-Politik steht zwar im Dienst der Volksgesundheit, läuft aber letztlich darauf hinaus, das eigene Volk einzusperren und dabei die Effektivität der neuesten Überwachungstechnologien zu testen. Hilfe aus dem Westen, etwa in Form wirksamer Impfstoffe, ist jedenfalls nicht erwünscht.

Um seine Sicherheitspolitik umzusetzen, rief Xi bereits 2014 die neue „Central National Security Commission“ ins Leben, in deren Zuständigkeitsbereich gemäß dem Magazin „Foreign Affairs“ alle politischen, militärischen, wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen, technologischen, ökologischen, biologischen, polaren, nuklearen sowie sämtliche die innere Sicherheit, den Cyberspace, Übersee und Unterwasser betreffenden Fragen gehören. Bei der Umsetzung geht es nicht mehr nur um die Erhaltung der Stabilität, sondern um Prävention und Kontrolle.

China sieht die USA als Sicherheitsrisiko

Im April dieses Jahres präsentierte Xi zudem in einer wegen des Kriegs in der Ukraine wenig beachteten Rede die neue „Global Security Initiative“ GSI, deren offizielles Ziel die „gemeinsame Sicherheit der Welt“ ist, die im Grunde aber die Pax Americana als globales Sicherheitsrisiko darstellt und damit direkt herausfordert. Für deren Umsetzung wird etwa die Wolfs­krieger-Diplomatie – benannt nach einem Kino­film mit nationalistisch-aggressivem Unterton – eingesetzt, die liberale Gastländer rhetorisch angreift.

Weniger liberale Regimes werden, wenn sie es denn wünschen, technologisch unterstützt, beispielsweise durch Huaweis „Safe ­City“-Plattformen, die Gesichts­erkennung, Social-Media-Monitoring und weitere Überwachungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Von den USA wurde dies auch schon als „Autorita­rismus-Export“ bezeichnet.

An Interpretationen des rasanten chinesischen Aufstiegs zur Weltmacht und dessen möglicher Folgen hat es in den letzten Jahren nicht gemangelt. Aller­dings sind einige davon schon überholt. Das vor gut 15 Jahren diagnostizierte „Chimerica“, die wirtschaftliche Symbiose der beiden Großmächte, hatte nicht mit einem Wirtschaftskrieg gerechnet. Das Konzept „Wandel durch Handel“ darf als gescheitert bezeichnet werden. Meine Prognose, wonach Chinas groß angelegtes soziales Experiment, den Menschen wirtschaftliche Freiheit zu geben, ihnen die politische jedoch zu verwehren, scheitern dürfte, wurde durch die technologische Überwachung obsolet.

Chinas Wirtschaft als Sicherheitsregime

Aus denselben Gründen bin ich auch kritisch, wenn Ökonomen Xis Niedergang aufgrund wirtschaftlicher Schwäche voraussagen. Das passt zwar in die Geschichte des Reichs, wonach Revolten jeweils dann stattfanden, wenn der Kaiser sein „Mandat des Himmels“ nicht erfüllen und den Menschen kein anständiges Leben bieten konnte. Aber gegen derlei Aufstände hat die heutige Elite mit ihrem ausgeklügelten Überwachungsapparat ebenfalls bereits vorgesorgt.

Xi Jinping steht im Ausstieg eines Flugzeugs und winkt. Er wird von Kapelle empfangen. Das Bild soll die Bedeutung der Wirtschaft und des arabischen Raum für China illustrieren.
Xi Jinping trifft am 7. Dezember 2022 in Riad, Saudi Arabien ein. China strebt eine größtmögliche Unabhängigkeit von europäischen und US-amerikanischen Märkten an. © Getty Images

Weniger beachtet wird, dass Xi seinen konzeptionellen, institutionellen und organisatorischen Sicherheitsfokus auch ideologisch untermauert. Er selbst hat in Schriften und Referaten sehr genau dargelegt, wie er sich sein China vorstellt. Getreu der marxistisch-leninistischen Theorie befürwortet er eine gleichere Gesellschaft und mehr Staat in der Wirtschaft. Die Umsetzung ließ nicht auf sich warten, wie auch west­liche Unternehmen in China zu spüren bekamen.

Der Kern ­dieser Weltanschauung aber ist die materialistische Dialektik, die die Realität als ständigen Kampf widerstreitender Pole versteht – Autokratie gegen Demokratie, Kapitalismus gegen Sozialismus: ein Kampf, der nur durch den sprunghaften Übergang von Quantität in Qualität, wie es im entsprechenden Schriftenkanon heißt, gewonnen werden kann.

Von Stärke zu Überlegenheit

Die spürbar steigende wirtschaftliche, technologische und militärische Konkurrenzfähigkeit Chinas soll also, dies meine Interpretation, in plötzliche Überlegenheit umschlagen – mit noch unklaren Konsequenzen.

Bereits bei Putin tappte der Westen in seine eigene Falle, dessen mögliches Verhalten nur durch die Brille der eigenen Kosten-Nutzen-Logik abzuschätzen – und deshalb nicht mit einem Einfall in die Ukraine zu rechnen. In keinem Fall darf der Westen diesen Fehler noch einmal machen. Auch China funktioniert nicht einfach nach dem Kosten-Nutzen-­Prinzip. Xis Theoriegebäude, solide untermauert und als Vorgabe verstanden, dominiert den Diskurs. Umgekehrt kennt China seinerseits unsere Logik bestens und weiß, dass die Kosten westlicher Wirtschaftssanktionen in ungleich stärkerem Maße auf uns selbst zurückfallen würden als jene gegen Russland.

Müssen wir uns also auf das Schlimmste gefasst machen? Entsprechend dem Kampfgeist, den Xi Jinping am Kongress von seinen Zuhörern forderte? Zumindest der eingangs erwähnte Roman endet so – mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten. Wie auch immer sich die Dinge entwickeln: China steht zu seiner Überzeugung, dass seine Autokratie überlegen ist und gesichert werden muss. Genauso entschlossen sollten wir es mit unseren  unseren freiheitlichen Demokratien halten.