Neue Macht für Xi Jinping

Seit 2018 darf Chinas Präsident auf unbegrenzte Zeit regieren. Das ist aber nicht das eigentliche Problem. Größere Aufmerksamkeit sollten Xi Jinpings innerparteiliche Reformen erhalten.

Dieser Report erschien am 6. August 2018 auf Geopolitical Intelligence Services.

Chinas Nationaler Volkskongress
Präsident Xi Jinping bei seiner Rede am Nationalen Volkskongress. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Blick aufs Unwesentliche. Im Ausland fand die Abschaffung der Amtszeiten-Begrenzung für Chinas Präsidenten große Beachtung.
  • Kampf der Korruption. Fortan wird der chinesische Präsident einfacher gegen Bestechlichkeit im Land vorgehen können – aber auch gegen seine Konkurrenten.
  • Der große Verlierer. Premierminister Li Keqiang verlor durch die Verfassungsreform in vielen entscheidenden Bereichen an Einfluss.
  • Mit stabilem Kurs voran. China wird den Weg der Reformen auch in Zukunft gehen. Dieser Umstand ändert jedoch nichts am derzeitigen Regierungssystem.

China verabschiedete im Jahr 2018 mehrere Verfassungsänderungen – darunter eine, mit der die Amtszeitbegrenzung für das Präsidentenamt abgeschafft wurde. Obwohl dies enorme internationale Aufmerksamkeit nach sich zog, war die Änderung nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht sehr bedeutend. Chinas Präsident erfüllt in erster Linie traditionell eine symbolische Rolle: Der Präsident nimmt an zeremoniellen Anlässen teil und empfängt ausländische Vertreter, ernennt Botschafter, ratifiziert Verträge und kann diese auch wieder aufheben. Die Ausdehnung dieser Befugnisse über die zweimalige Amtszeit hinaus verleiht alleine noch keinen zusätzlichen Einfluss.

Historisch gesehen war das Amt des Präsidenten, das im Chinesischen immer noch mit „Vorsitzender“ übersetzt wird, nie bedeutungslos. Es wurde aber oft von Funktionären übernommen, die in der parteistaatlichen Machthierarchie nur an dritter oder sogar fünfter Stelle standen. Erst seit dem Jahr 1993 übernimmt der Generalsekretär der Partei auch die Präsidentschaft des Landes. Und diese Position des Generalsekretärs – die mit Abstand mächtigste in China – war durch die Parteiverfassung ohnehin nie auf zwei Legislaturperioden beschränkt. Inwieweit stärkt die Abschaffung der Amtszeitbeschränkungen die Macht von Präsident Xi Jinping also wirklich?

Strenges Alterslimit

Ein Blick auf die historische Entwicklung zeigt: In den letzten zwei Jahrzehnten galten für die Kommunistische Partei und den chinesischen Staatsapparat zwei strenge Regeln. Die erste verbat für alle Ämter, auch auf den höchsten Ebenen, die Ernennung von Funktionären, die älter als 68 Jahre waren. Dadurch waren die Spitzenpolitiker in den mächtigsten Ämtern – wie die des Generalsekretärs oder des Premierministers – im Allgemeinen jünger als 68. Kandidaten, die voraussichtlich zwei Amtszeiten absolvieren würden, waren zum Zeitpunkt ihrer ersten Amtszeit im Schnitt wesentlich jünger als 63. Das galt auch für Chinas Präsident Xi Jinping selbst, der 2012 mit 57 Jahren zum Generalsekretär ernannt wurde.

Die Wahrscheinlichkeit, dass China bald von einer Gerontokratie im Stil des Kremls der 1980er Jahre regiert wird, ist gering.

Die zweite dieser Regeln war, dass jeder Politiker – selbst auf höchster Ebene – nur zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten von fünf Jahren in einer bestimmten Position verrichten durfte. Diese Regel wurde 1982 für das Amt des Präsidenten und später auch für andere Ämter in die Verfassung aufgenommen; das Parteistatut kannte diese Regel prinzipiell aber nicht. Durch die Einheit von Staat und Partei in China wurde sie dennoch auch innerhalb der Partei angewandt.

Kombiniert mit einer meritokratischen Rekrutierungs- und Beförderungspolitik, die besondere Verdienste für das Land belohnt, prägten diese beiden Regeln seither das eigenwillige Parteistaatssystem Chinas.

Ohne Limits

2018 wurde sowohl die Begrenzung auf zwei Amtszeiten als auch auf ein bestimmtes Alter einstweilen für die Positionen des Präsidenten und des Vizepräsidenten aufgehoben. Wang Qishan, der im März 2018 zum chinesischen Vizepräsidenten ernannt wurde, war zum Zeitpunkt seiner Ernennung 69. Er ist der engste Vertraute Xis und beaufsichtigt eine drastische Anti-Korruptionskampagne, die gleichzeitig viele politischen Konkurrenten aus dem Weg räumt.

Wang, der als fähiger Manager und reformorientierter Politiker gilt, war wichtig genug, um trotz seines Alters in die Position des Vizepräsidenten befördert zu werden. Da die Alters- und Amtszeitgrenzen für alle anderen Ämter im Parteistaat aber eingehalten wurden, darf die Bedeutung dieser Veränderungen für das System insgesamt nicht überbewertet werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass China bald nur von alten Männern, also von einer Gerontokratie im Stil des Kremls der 1980er Jahre regiert wird, bleibt gering. Zumindest für die absehbare Zukunft wird das robuste meritokratische System mitsamt seinen regelmäßigen personellen Umbesetzungen und Aufwärtsmobilität bestehen bleiben.

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Zahlen & Fakten

  • 68 Jahre galt bislang als Altersgrenze, um in China ein hohes politisches Amt antreten beziehungsweise verlängern dürfen.
  • 57 Jahre alt war Xi Jinping, als er im Jahr 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei ernannt wurde. Seit 2013 ist er Staatspräsident.
  • 2018 wurde Xi vom amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes zur mächtigsten Person der Welt gewählt.
  • 1,5 Millionen chinesische Beamte mussten sich zwischen 2013 und 2018 wegen möglicher Korruption einem Disziplinarverfahren stellen.

Mehr Einfluss

Die Aufhebung der Amtszeitbegrenzungen hat Präsident Xis institutionelle Macht, die ohnehin schon enorm war, nicht erheblich ausgeweitet – andere Änderungen der Verfassung allerdings schon. Zu diesen gehört die Einrichtung einer neuen Anti-Korruptionsbehörde namens „Nationaler Aufsichtskommission“ (NSC). Ein System dieser Art gab es bereits mit der „Zentralen Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei Chinas“ (CCDI), die unter Vizepräsidenten Wang als Kontrollarm der Partei diente. In den vergangenen fünf Jahren wurden mit ihrer Hilfe 1,5 Millionen Disziplinarverfahren gegen Beamte eingeleitet – selbst auf den höchsten Machtebenen.

Die neugegründete NSC kann – wie auch die CCDI bisher – Beamte, die der Bestechung verdächtigt werden, festhalten, abhören, verhören und auch sonst mit weitreichenden Befugnissen gegen sie vorgehen. Anders als bei der CCDI ist das neue Gremium aber kein Parteiorgan, sondern eine staatliche Behörde, deren Befugnisse gesetzlich und nicht parteiintern festgelegt sind. Durch diese Unterscheidung hatten sich in der Tätigkeit der CCDI rechtliche Grauzonen geschaffen, welche die NSC nun durch einen gesetzlichen Rahmen umgehen kann. Außerdem verfügt die NSC über einen erweiterten Aufgabenbereich und die Befugnis, nicht wie bisher nur gegen Mitglieder der Partei, sondern auch gegen Nichtmitglieder vorzugehen.

Xi Jinping mit Ministern beim Gang in eine Plenarsitzung
Chinas Präsident Xi Jinping geht voran - mit Respektabstand folgt Regierungschef Li Keqiang. © Getty Images

Politisch ist für Xi Jingping ein Umstand noch wichtiger. Die Änderung entzieht Premierminister Li Keqiang und seinem Kabinett alle Befugnisse zur Korruptionsbekämpfung. Zwar bleibt die NSC bei der CCDI angesiedelt, aber ihr Chef Yang Xiaodu wird weiterhin Stellvertreter des CCDI-Chefs Zhao Leji bleiben. Zhao ist auch Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros – womit er im parteiinternen Rang höher ist als Yang, der Mitglied des erweiterten Politbüros ist.

Die Kommunistische Partei hat ihre Macht ausgebaut. Nunmehr können Beamte auf allen Ebenen überwacht werden, egal ob Parteimitglied oder nicht. Die Zahl der Überwachten Personen hat sich somit verdreifacht.

Parteireform

Ein weiterer Schritt, der auf der Sitzung vom 7. Juli 2018 zwar nicht in der Verfassung verankert wurde, aber für Chinas Regierungsführung von entscheidender Bedeutung ist, ist die Aufwertung der vier sogenannten „führenden kleinen Gruppen“ der Partei. Diese befassen sich mit Wirtschaft, Reformen, Außenpolitik und Cybersicherheit. In einem eher undurchsichtigen und bürokratischen Manöver wurden die vier „kleinen Gruppen“ zu Kommissionen erhoben – und die Macht des Präsidenten ebenfalls auf Kosten des Kabinetts gestärkt.

Premierminister Li Keqiang und seinem Kabinett wurden jegliche Befugnisse im Kampf gegen die Korruption entzogen.

Urteilt man anhand der Liste von Dokumenten, die von der Reformkommission gebilligt wurden, so sind die neuen Befugnisse dieser Kommissionen weitreichend. Auffallend ist, dass Premierminister Li weder als Stellvertreter noch als anwesend während der Sitzung vermerkt wurde. Ebenfalls wichtig ist, dass Liu He und Wang Huning – zwei enge Verbündete von Chinas Präsident Xi – als Direktoren der beiden wichtigsten Kommissionen für Wirtschaft und Reformen eingesetzt wurden. Das bedeutet nicht nur einen weiteren Machverlust für Li und das Kabinett, sondern festigt auch den ohnehin schon überwältigenden Einfluss Xis auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten Chinas.

Stabiler Kurs

Die sich verändernde Landschaft der chinesischen Politik allein sagt noch nicht viel über die zukünftige Ausrichtung des Landes aus. Die Schwächung der Macht von Premierminister Li und die erweiterten Befugnisse der Partei unter Chinas Präsident Xi sind an sich weder gute noch schlechte Entwicklungen für die restliche Welt – denn vorerst ändern sie nichts an der Stabilität des derzeitigen Regierungssystems, das seine wirtschaftlichen Erfolge weiter ausbaut. Nur Veränderungen in diesem Bereich wären ein Anlass für tiefergehende Bedenken bezüglich der Ausrichtung Chinas.

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Conclusio

Durch die Änderung der Verfassung hat Xi Jinping de facto das Recht, sein Amt als chinesischer Staatspräsident auf Lebzeiten auszuüben. Das Präsidentenamt hatte in China traditionell eher symbolische Bedeutung. Die jüngste Verfassungsänderung stärkt den Einfluss von Xi Jinping auch innerparteilich und innerstaatlich. Die scheinbar starre Bürokratie Chinas täuscht darüber hinweg, dass sich das System im Bedarfsfall als innovativ, flexibel und modern erweisen kann. China wird den Weg der Modernisierung konsequent weiter verfolgen. Behält das Land seine meritokratische Bürokratie und die Einführung marktfreundlicher Reformen bei, so wird es den wirtschaftlichen Erfolg der letzten vier Jahrzehnte fortsetzen können.