Wie die EU den Westbalkan verliert

Unter russischem Einfluss sind Staaten des Westbalkans dabei, sich von der Demokratie zu verabschieden. Die EU sollte dabei nicht einfach zusehen, sagt der Politikwissenschaftler Vedran Džihić im Video.

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„Das Schicksal von Ukraine und Balkan sind miteinander verwoben“, sagt der Politologe Vedran Džihić. Es geht um die Bewahrung des demokratischen Pfades in der Region.

Der Krieg in der Ukraine habe die geopolitischen Variablen des Westbalkans verschoben, sagt der Politikwissenschaftler Vedran Džihić im Video-Interview: Sollte die Ukraine den Krieg verlieren, sei dies der „Todesstoß für pro-europäische Kräfte in der Region.“

Man will von der EU vor allem das Geld. Rechtsstaatlichkeit ist nicht Teil des Konzepts.

Serbien steht für Džihić idealtypisch für eine transaktionalistische Politik, wie sie sich auch in anderen Staaten am Westbalkan ausbreite. „Man will von der EU vor allem das Geld und verfolgt zugleich eine enge Zusammenarbeit mit Russland und China“, so sein nüchterner Befund. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić stärkt auf diese Weise die nationalistischen Kräfte in Serbien und die Anhänger einer serbischen Expansion. „Rechtsstaatlichkeit ist nicht Teil dieses politischen Konzepts“, warnt Džihić.

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Zahlen & Fakten

Eine Frau mit langen Haaren überquert zwei Einkaufstaschen tragend eine Straße. Das Bild illustriert einen Beitrag über Russland und den Balkan.
„Glory To Russia“ steht auf dieser Hauswand in Banja Luka in Bosnien-Herzegowina. © Getty Images

Russland und „der“ Balkan

  • Kurz nachdem Russland die Ukraine im Februar 2022 angegriffen hatte, drohte der russische Botschafter der Bevölkerung Bosnien Herzegowinas: Was der Ukraine passiere, könne auch ihr passieren, sollte Bosnien und Herzegowina erwägen, der Nato beizutreten, so Igor Kalabuchow im Februar und März 2022.
  • Das Schüren ethnischer Konflikte und die Stärkung der Nationalismen, die auch der Hohe Beauftragte der UN in Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt, als Treiber der Entdemokratisierung der Westbalkan-Region und als Ursache eines möglichen neuen Krieges interpretiert, sind feste Bestandteile der russischen Einflussnahme auf dem Balkan. Über Bosnien Herzegowina schreibt Schmidt: „Mit einer nationalistischen Apostrophierung (kann) man eben auch heute noch die Korruption, unter der alle im Land leiden, über­tünchen.“
Rückenansicht eines Mannes mit einer Lederweste mit einem großen Wolfsemblem. Der Wolf fletscht die Zähne und ist von Flammen umgeben. Das Bild ist Teil eines Beitrags über den Balkan und
Bosnien-Herzegowina im März 2023: Mitglieder der Nachtwölfe bei einer pro-russischen Kundgebung nationalistischer Serben. © Getty Images
  • Russland setzt auf vielfältige Strategien, um die politische Lage im Westbalkan über die Nationalismusschiene zu beeinflussen etwa durch die Förderung von Vereinen, wie die Präsenz von nationalistischen Vereinigungen auf dem Westbalkan, zum Beispiel die der Nachtwölfe, eine ultranationalistische, ursprünglich russische Bikergruppe.
  • Russland blockiert die Anerkennung des Kosovo als unabhängigen Staat durch die Vereinten Nationen. Ein Signal an Serbien und Präsident Aleksandar Vučić, das zeigt, dass Russland auf Seiten der serbischen Nationalisten steht, die den Kosovo für sich reklamieren.
  • Der Einfluss macht sich ganz direkt bezahlt: Der Verbündete Russlands, Milorad Dodik, Vertreter der Republika Srbska, sorgte dafür, dass Bosnien Herzegowina ebenso wie Serbien, wo Aleksandar Vučić bislang auf der Seite Putins steht, keine Sanktionen gegen Russland verhängte.
  • Die Kirche spielt bei der russischen Strategie eine besondere Rolle: Die serbisch-orthodoxe Kirche und die russisch-orthodoxe Kirche sind Verbündete in der Unterstützung des serbischen Nationalismus.
  • Eines der wichtigsten Druckmittel von Putin ist Energie. Serbien hat noch 2022 trotz Sanktionen ein Abkommen für Gaslieferungen mit Russland geschlossen. Zugleich besitzt Russland Anteile an fossiler Infrastruktur wie etwa Raffinerien. Zugleich investiert die staatliche Sberbank in Infrastrukturprojekte in der Region.
Eine Statue mit einer russischen oder serbischen Fahne verhüllt. Es illustriert einen Beitrag über den Balkan, den Westbalkan und die Beziehungen zu Russland.
Eine Statue des russischen Zars Nikolaus II in Banja Luka. Er verfolgte Ende des 19. Jahrhunderts eine expansive Außenpolitik für das imperialistische Russland. © Getty Images
  • Russland schreckte bereits vor dem Angriff auf die Ukraine nicht vor gewaltsamen Interventionen auf dem Westbalkan zurück. 2016 scheiterte ein Putschversuch in Montenegro, bei dem auch die Ermordung des damaligen Präsidenten Milo Ðukanović geplant war. Auch war der russische Geheimdienst 2017 am Sturm auf das Parlament in Nordmazedonien beteiligt, bei dem Parlamentarier zum Teil schwer verletzt wurden. Ein russisches Ziel dabei könnte die Neuordnung des Balkan mit nur drei großen Staaten – Serbien, Albanien, Kroatien – sein, vermutet das IPG-Journal.
Foto einer bemalten Hauswand, dargestellt ist eine Karte des Kosovo wobei die Umrisse rot, blau und weiß sind, die Farben Serbiens.
Eine Karte des Kosovo in den serbischen Farben im April 2023 in Podgorica in Montenegro. Der neu gewählte Präsident Jakov Milatovic will innerhalb von fünf Jahren den EU-Beitritt realisieren und Montenegro stärker in die NATO einbinden. © Getty Images
  • Die Analystin Ivana Stradner wies in Foreign Affairs auf den Ernst der russischen Einflussnahme hin. Neben der militärstrategischen Bedeutung und dem Zugang zur Adria geht es Russland um die politische, militärische und wirtschaftliche Destabilisierung Europas: „Das größere Ziel von Putin ist die Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten von Moskau. Und der Balkan ist Teil dieser Strategie.“ Bei den Interventionen geht es immer wieder darum, die Beziehungen der Länder zur EU zu untergraben und das Vertrauen in die EU zu irritieren. Es kommt Russland entgegen, dass Länder wie Mazedonien bereits mehr als ein Jahrzehnt im Status Beitrittskandidat hängen.

Über Vedran Džihić

Vedran Džihić ist Senior Researcher am oiip und Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Außerdem ist er Non-Resident Senior Fellow am Center for Transatlantic Relations, School of Advanced International Studies, John Hopkins University, Washington D.C. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Demokratie und Transformationsprozesse, europäische Integration, Zivilgesellschaft und Protestbewegungen, Außenpolitik, Konfliktforschung und Nationalismus. Sein regionaler Schwerpunkt liegt auf Ost- und Südosteuropa und den USA. Er hat zahlreiche Bücher, Artikel und Analysen zu diesen Fragen veröffentlicht und schreibt regelmäßig Beiträge für nationale und internationale Medien.

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Illustration von Dževad Karahasan
war Schriftsteller und Dramaturg

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