Wie gerecht sind Elektroautos?

Elektroautos sollen unsere Abhängigkeit vom Erdöl beenden. Es kann aber gut sein, dass erneut nur der reiche Norden profitiert – auf Kosten der Ressourcen des globalen Südens.

Foto eines Arbeiters in einer Mine vor Steinschutt mit gefüllten Säcken, der in die Kamera blickt. Das Bild ist Teil von einem Beitrag über die Rohstoffe, die für Elektroautos gebraucht werden.
Arbeit in einer Kobalt-Mine in der Demokratischen Republik Kongo. Schätzungen zufolge liegen 73 Prozent aller Kobalt-Vorkommen in dem afrikanischen Land, wobei China die meisten dieser Minen besitzt. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Zentrale Rolle. Der Verkehrssektor war in den letzten Jahrzehnten der Treiber des Ölverbrauchs. Daher sind nichtfossile Antriebe unabdingbar.
  • Teure Sache. Die Leistbarkeit von Elektromobilität für Schwellen- und Entwicklungsländer spielt im internationalen Diskurs kaum eine Rolle.
  • Fehlender Strom. Ein großer Teil der Länder dieser Erde verfügt nicht über ausreichend Elektrizität und Infrastruktur für die E-Mobilität.
  • Ressourcen-Fluch. Länder wie die DR Kongo verfügen über zentrale Ressourcen, profitieren aber nicht von diesem potenziellen Reichtum.

Der Verkehrssektor ist im weltweiten Vergleich nicht der größte Emittent von Treibhausgasen, den Hauptverursachern des Klimawandels. Dennoch gilt er weithin als der am schwierigsten zu dekarbonisierende Sektor. „Ohne die Umsetzung aggressiver und nachhaltiger Klimaschutzmaßnahmen könnten die Emissionen des Verkehrssektors schneller ansteigen als die Emissionen der anderen Sektoren“, warnte der Weltklimarat (IPCC) bereits 2014.

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Der Verkehrssektor hat sich in einzigartiger Weise auf einen einzigen Kraftstoff, Erdöl, verlassen. Erdöl liefert 95 Prozent des gesamten Energiebedarfs des Verkehrs weltweit. Der Straßenverkehr, sowohl der Personen- als auch der Güterverkehr, ist für fast drei Viertel aller Verkehrsemissionen verantwortlich.

Ein anhaltendes Wachstum dieser Aktivitäten könnte alle Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zunichte machen, so das IPCC. Kein Wunder, dass sich die Parteien auf der COP26, der Klimakonferenz der Vereinten Nationen 2021 in Schottland, darauf geeinigt haben, den Übergang zu emissionsfreien Fahrzeugen zu beschleunigen, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Ihr Ziel ist es, alle weltweit verkauften Neuwagen und Lieferwagen bis 2040 emissionsfrei zu machen, in den führenden Märkten sogar schon bis 2035 oder früher.

Unbequeme Fragen zum E-Auto

Derzeit bieten Elektrofahrzeuge, die emissionsarm mit Strom betrieben werden, das größte Potenzial zur Dekarbonisierung des Landverkehrs. Ihre rasche Einführung wird auch die größten negativen Auswirkungen auf die Ölnachfrage haben. Nach der Erfindung der elektrischen Glühbirne vor zwei Jahrhunderten wäre dies das zweite Mal in der Geschichte, dass die Elektrifizierung die Ölindustrie existenziell bedroht.

Foto einer offenen Mine mit rostrotem Sand. Unten in der Mine sind Menschen zu sehen. Das Foto ist Teil eines Beitrags über globale Gerechtigkeit und Elektroautos.
Viele Minen, in denen Kobalt für die Batterien von E-Autos abgebaut wird, sehen so aus wie die Kasulo-Mine in Kolwezi, Demokratische Republik Kongo. Die Minen sind eine Bedrohung für Ökosysteme und berüchtigt für schlechte Arbeitsbedingungen. Diese Mine gehört dem chinesischen Konzern Congo DongFang Mining. © Getty Images

Ein Großteil der Debatte über die Zukunft des Verkehrssektors und der E-Fahrzeuge konzentrierte sich auf technische Fragen, wie zum Beispiel die Festlegung von Zielen zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Aber auch qualitativen Fragen wird immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt: Wie wird sich die Einführung von E-Fahrzeugen auf die Milliarden von Menschen weltweit auswirken, die sich diese nicht leisten können? Und was würde das Ende des Erdöls für die Entwicklungsländer bedeuten, deren Wirtschaft davon abhängt? Werden bei der Energiewende Fragen der Gleichberechtigung und Gerechtigkeit außer Acht gelassen, besteht die Gefahr, dass sich die globale Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert und neuer Widerstand gegen die Klimabemühungen in den Entwicklungsländern entsteht.

E-Autos – ein boomender Markt

Erdöl kam zufällig in den Verkehrssektor. Zu Beginn wurde dieser fossile Brennstoff vor allem für die Beleuchtung verwendet. Als Thomas Edison die erste brauchbare elektrische Glühlampe entwickelte, sah sich die damalige Ölindustrie einer ernsthaften Bedrohung gegenüber: Die Öllampe war überflüssig geworden.

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Zahlen & Fakten

Doch kaum schloss sich eine Tür, öffnete sich eine andere, viel größere: die Entwicklung des Verbrennungsmotors, der dem Öl eine neue Lebensader eröffnete, die es bis heute aufrechterhält. Und während seine Verwendung in Sektoren wie der Stromerzeugung seit dem ersten Ölschock von 1973 rückläufig ist, konnte seine Dominanz im Verkehrssektor – auf den mehr als 65 Prozent des gesamten Ölverbrauchs entfallen – erhalten werden.

Die Zukunft des Verkehrssektors ist daher von zentraler Bedeutung für die Aussichten der Ölnachfrage. Heute nimmt die Elektrifizierung einen weiteren Anlauf in der Ölindustrie. Wenn sich die jüngsten Trends beim Verkauf von Elektrofahrzeugen fortsetzen und die entsprechenden Regierungspläne verwirklicht werden, wird das Ende des Ölzeitalters näher sein als ursprünglich angenommen. Die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Diversifizierung in den vom Öl abhängigen Volkswirtschaften ist dementsprechend viel dringlicher geworden.

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Zahlen & Fakten

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) hat sich der Absatz von E-Fahrzeugen im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt und erreicht mit 6,6 Millionen einen neuen Rekord. Auch wenn dies in absoluten Zahlen immer noch ein kleiner Anteil ist (Zum Vergleich: Der weltweite Pkw-Absatz stieg 2021 auf rund 66,7 Millionen Fahrzeuge, und heute gibt es weltweit mehr als 1,4 Milliarden Autos) ist die Wachstumsrate atemberaubend. Der Marktanteil von E-Fahrzeugen hat sich 2021 im Vergleich zu 2019 vervierfacht, und im ersten Quartal 2022 wurden 75 Prozent mehr E-Fahrzeuge verkauft als im gleichen Zeitraum vor einem Jahr.

Eine Frage der Leistbarkeit

Es wird erwartet, dass die Dynamik anhält, wenn nicht sogar zunimmt, insbesondere da die Regierungen weiterhin Maßnahmen zur Förderung von E-Fahrzeugen einführen – von Subventionen und Steuergutschriften bis hin zu einem direkten Verbot des Verkaufs von neuen Fahrzeugen mit Diesel- oder Benzinmotor.

Foto von zwei Händen, die einen Sack zubinden. Das Bild zeigt die Arbeit in einer Kobaltmine.
Der Abbau von Kobalt ist Schwerstarbeit. Die Kasulo-Mine in Kolwezi ist eine offene Mine ohne spezialsierte Geräte. © Getty Images

In den Vereinigten Staaten sieht der kürzlich verabschiedete Inflation Reduction Act Steuergutschriften für E-Fahrzeuge von bis zu 7.500 Dollar vor, in der Hoffnung, das im letzten Jahr gesetzte Ziel zu erreichen, dass E-Fahrzeuge bis 2030 mindestens die Hälfte der Neufahrzeuge ausmachen. Norwegen hat den weltweit aggressivsten Plan angekündigt: Ab 2025 soll der Verkauf von neuen Benzin- und Dieselfahrzeugen verboten werden.

Der Eifer für Elektrofahrzeuge ist in den reichen, entwickelten Volkswirtschaften am größten. Unter den Entwicklungsländern bildet China – auf das die Hälfte des Verkaufszuwachses von Elektrofahrzeugen im Jahr 2021 entfiel – die Ausnahme. In anderen Ländern außerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist der Absatz von Elektrofahrzeugen mager. In Brasilien, Indien und Indonesien zum Beispiel machen E-Fahrzeuge laut IEA weniger als 0,5 Prozent der Autoverkäufe aus.

Die Erschwinglichkeit ist ein großes Hindernis. Auf den großen Märkten ist ein batteriebetriebenes Elektroauto in der Regel 20 bis 45 Prozent teurer als ein herkömmliches Auto. Subventionen können helfen, die Lücke zu schließen, aber nicht alle Regierungen können die großzügigen Zuwendungen, die für die reicheren Länder typisch sind, aufrechterhalten, vor allem nicht in den ärmeren Ländern, die mit den hohen Lebensmittel- und Energiepreisen konfrontiert sind. Die Mehrheit der Weltbevölkerung, die vor allem in den Entwicklungsländern lebt, kann sich keinen Zugang zu einem eigenen Fahrzeug oder in vielen Fällen zu keiner Form des motorisierten Verkehrs leisten.

Ressourcen für E-Autos

Ein weiterer entscheidender Punkt für die Verbreitung von E-Fahrzeugen ist der Zugang zu Elektrizität. Eine Studie des Energy for Growth Hub schätzt, dass sage und schreibe 45 Prozent der Weltbevölkerung keinen Zugang zu einer zuverlässigen Stromversorgung haben. Wenn sich das nicht ändert, wird die Verbreitung von E-Fahrzeugen in diesen Ländern erheblich eingeschränkt sein.

Die Metalle und Mineralien, die für die Herstellung von E-Fahrzeugen und deren Batterien benötigt werden, werden in einer Reihe von Entwicklungsländern abgebaut, wie zum Beispiel in der kobaltreichen Demokratischen Republik Kongo (einem der fünf ärmsten Länder der Welt). Da der Markt für Elektrofahrzeuge wächst, wird der Abbau dieser Mineralien und Metalle entsprechend zunehmen.

Foto einer Verkaufs- oder Verhandlungssituation vor einer mit Graffiti bemalten Wand in einem Gebäude.
Die Qualität von Kobalt schwankt, auch innerhalb einer Mine: Preisverhandlungen mit dem Abnehmer des Kobalt. Getty Images

Abgesehen vom ökologischen Fußabdruck bergen diese Aktivitäten auch sozioökonomische und politische Risiken in ärmeren Ländern, denen oft die Institutionen fehlen, um einen Ansturm von neuem Kapital zu bewältigen – das Phänomen des „Ressourcenfluchs“. In vielen Entwicklungsländern führt der Ressourcenreichtum nicht zu nachhaltigem Wachstum, sondern verschlimmert sogar die Armut, die er zu beseitigen versprach.

Wenn die drei oben genannten Probleme nicht angegangen werden, kann die Verbreitung von E-Fahrzeugen mit der Energiewende, wie sie von den reicheren Ländern definiert wird, in Einklang gebracht werden – aber sie wird nicht gleichmäßig verteilt sein. Dies wird wahrscheinlich zu Unmut in den ärmeren Ländern führen, was sich negativ auf die Klimaschutzagenda auswirken wird. Schon jetzt haben sich Begriffe wie „Klimakolonialismus“ und „grüner Kolonialismus“ durchgesetzt.

Was ist gerecht?

In einer Studie aus dem Jahr 2020 wird eine „gerechte Energiewende“ als eine „Konvergenz von Energiewende und sozioökonomischen Belangen“ beschrieben. In ähnlicher Weise erkennt die auf der Weltklimakonferenz COP26 verabschiedete Erklärung zu emissionsfreien Fahrzeugen an, „wie wichtig es ist, den Übergang zu emissionsfreien Fahrzeugen gerecht und nachhaltig zu gestalten, damit keine Gemeinschaft zurückbleibt“.

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Zahlen & Fakten

Unter den derzeitigen Bedingungen außerhalb der am weitesten entwickelten Länder bleibt jedoch unklar, wie die ehrgeizigen globalen Ziele für umweltfreundliche Fahrzeuge erreicht werden können, ohne dass viele Regionen zurückbleiben.

Eine schnelle Umstellung auf Elektrofahrzeuge wurde weithin gefördert, ohne dabei Ziele wie das siebte UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung zu berücksichtigen, das sich auf den „Zugang zu erschwinglicher, zuverlässiger, nachhaltiger und moderner Energie für alle“ bezieht.

Solange die Gerechtigkeit bei der Dekarbonisierung des Verkehrs nicht im Mittelpunkt steht, werden Elektrofahrzeuge ein Luxus bleiben, der für viele Menschen in ärmeren Ländern unerreichbar ist, und sie werden der Klima-Agenda mit größerer Skepsis begegnen.

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Conclusio

Klimagerechtigkeit hat viele Facetten und droht beim Klimaschutz oft unter den Tisch zu fallen. Die Dekarbonisierung des Verkehrssektors ist ein Beispiel dafür: Der reichere globale Norden ist einer der Hauptnachfrager für Elektroautos, die Ressourcen dafür stammen aus Ländern des globalen Südens, die aber nicht von dieser Nachfrage profitieren. Teilweise verschlimmert der Reichtum an Ressourcen die Armut. Länder, die nicht ausreichend über Elektrizität verfügen, können nicht auf den E-Antrieb umsteigen, und der größte Teil ihrer Bevölkerung kann sich Elektroautos nicht leisten. Eine global gerechte Energiewende verlangt Aufmerksamkeit für alle sozioökonomischen Aspekte der Umstrukturierung.

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