Ja, es geht auch ohne russisches Gas

Die Abkehr von Kohle, Öl und Gas ist ein wirtschaftlicher Kraftakt, aber er lohnt sich. Energieautarkie bringt Wohlstand, sichere Energie und vor allem Unabhängigkeit.

Energieautarkie: Illustration eines Mannes, der vor einer Stadtsilhouette eine übergroße Glühbirne auf dem Rücken trägt
Die Stromversorgung stellt die größte Hürde auf dem Weg zur Energieautarkie in Europa dar. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Späte Einsicht. Befürworter einer Energiewende gab es schon lange – nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes, sondern auch mit dem Ziel größerer Unabhängigkeit.
  • Positive Effekte. Energieautarkie sichert die Welt für nachfolgende Generationen, macht krisensicher und ebnet den Weg Richtung Klimaneutralität.
  • Aus- und Umstieg. Der Krieg in der Ukraine bringt Politik und Wirtschaft jetzt unter Zugzwang. Das ist gut so, denn die Abkehr von fossilen Brennstoffen ist machbar.
  • An einem Strang. Autarkie findet nicht nur im Kleinen statt. Die nötige Infrastruktur sollte auch auf Gemeinde-, Länder- und EU-Ebene zur Verfügung gestellt werden.

In Krisenzeiten hat ein Begriff stets Hochkonjunktur: Autarkie. Es macht sich eine Sehnsucht nach Selbstversorgung breit, befeuert von echten oder vorgestellten Versorgungskrisen. Der Mensch verzichtet nicht gerne, deshalb führen Erwartungen von Knappheit zu Hamsterkäufen oder zum Anlegen der vom Zivilschutz empfohlenen Vorräte. So rasch diese Reaktionen auftauchen, so schnell verschwinden sie auch wieder. Versorgungsengpässe werden behoben, die Märkte beruhigen sich, Angebot und Nachfrage finden ein Gleichgewicht, schlimmstenfalls bei etwas höheren Preisen.

Spätestes dann verliert auch der Wunsch nach Autarkie an Wichtigkeit. Man geht wieder zum gewohnten Lebensstil über. So geschehen nach den beiden Ölpreiskrisen in den Siebzigerjahren, die uns schmerzhaft unsere Abhängigkeit von billigem Erdöl aus dem Nahen Osten und unsere Erpressbarkeit durch die OPEC vor Augen geführt haben.

Selbstversorgung und Unabhängigkeit

Die Bemühungen Europas, die Abhängigkeit vom Erdöl zu reduzieren, waren nur von kurzer Dauer. Zu deutlich war das Signal des dauerhaft sinkenden Ölpreises. Der Aus- und Umstieg, ja selbst eine effizientere Verwendung von Erdölprodukten waren ökonomisch nicht darstellbar und politisch irrelevant: Weder die fundamentale Abhängigkeit noch die Tatsache, dass es sich bei den erdölexportierenden Ländern fast durchwegs um Menschenrechte missachtende Regime handelt, führten zu Maßnahmen, die den Verbrauch von Erdöl reduziert hätten.

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Zahlen & Fakten

Das darf nicht noch einmal passieren. Inzwischen ist die Notwendigkeit des vollständigen Ausstiegs aus den fossilen Energieträgern in Politik und Wirtschaft angekommen. Der Krieg in der Ukraine wird dem zwischendurch immer wieder erlahmenden Bemühen um Energieautarkie wohl ein dauerhaftes Momentum verleihen. Wie auch der Erkenntnis, dass der organisierte Boykott des Kaufs von Gütern – aktuell Erdgas und Erdöl aus Russland – den Anbieter unter Druck setzen kann.

Die diffuse Sehnsucht nach Autarkie geht jedoch weit über die Energieversorgung hinaus. In letzter Zeit haben wir durch unterschiedlichste Vorfälle erlebt, wie schädlich lange, intransparente Wertschöpfungsketten sein können. Der Kaminofen im eigenen Heim erzeugt eine gewisse Sicherheit; es liegt im Trend, eigenes Gemüse anzubauen. Darüber hinaus zeigt ein Blick auf die Produktionstabellen der Statistik Austria, dass Österreich bei landwirtschaftlichen Produkten – geprägt von den Erfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg – Selbstversorgungssicherheit als nationales Ziel postuliert hat.

Energieautarkie beim Hausbau ist keine Illusion

Bei der Energieautarkie ist es nicht ganz so einfach, hier muss zwischen den unterschiedlichen Varianten differenziert werden. Energieautarkie bei Wohn- und Bürogebäuden kann ohne Weiteres erreicht werden. Voraussetzungen sind: optimierte Gebäudelage, exzellentes Oberfläche-Volumen-Verhältnis, Heizung, Kühlung und Lüftung auf dem besten verfügbaren Stand der Technik, höchste Energieeffizienz hinsichtlich der Gebäudehülle und der verschiedenen Stromverbraucher, inklusive Ladestation und E-Pkw, eine große Photovoltaikanlage samt Stromspeicher – das sind die wesentlichsten Elemente eines energieautarken (und klimaneutralen) Gebäudes.

Energieautarkie bei Wohn- und Bürogebäuden kann ohne Weiteres erreicht werden.

Der Strombezug aus dem Netz kann minimiert, die Stromeinspeisung sogar zur Regel werden. Womit das Plusenergiehaus erreicht wäre, das als Standard längst in die Bau- und Wohnbauförderungsgesetze der Bundesländer Einzug halten sollte. Auch der Zusammenschluss mehrerer Gebäude zu Energiegemeinschaften ist ein gangbarer Weg zur Energieautarkie. Auf diesem Weg können unterschiedliche Nachfragen und Lastgänge ausgeglichen werden, Überschüsse erzeugten Stroms werden nahegelegenen Verbrauchern zur Verfügung gestellt. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Energieautarkie bei Bestandsgebäuden wesentlich herausfordernder, technisch und finanziell aufwändiger zu erreichen ist – aber keinesfalls unmöglich.

Österreichs Potenzial bei den Erneuerbaren

Ländliche Gemeinden verfügen zumeist über ausreichende Flächen für Photovoltaikanlagen oder – bei Eignung – für Windkraftanlagen sowie oftmals über Waldgebiete und damit über beträchtliche Energiequellen. In Verbindung mit Bemühungen zur Reduktion des Energiebedarfs von Gebäuden stellen energieautarke, klimaneutrale Gemeinden – oder auch solche, die Energie sogar exportieren – ein realistisches Ziel dar, solange keine großen Energieverbraucher wie Industrieunternehmen angesiedelt sind. Für flächenmäßig begrenzte Städte, vor allem auch solche mit Industrie, ist Energieautarkie hingegen nicht machbar.

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Zahlen & Fakten

Die Bundesländer Burgenland, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg können und sollten Energieautarkie und darüber hinaus den „Export“ von Energie aus erneuerbaren Quellen anstreben. Für Bundesländer mit hoher Dichte und energieintensiven Industrieunternehmen (Niederösterreich, Oberösterreich und Steiermark sowie das flächenmäßig sehr begrenzte Wien) bleibt Energieautarkie ein auch langfristig nicht erreichbares Ziel – obwohl Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 eigentlich machbar ist.

Die EU und speziell Österreich haben hervorragende topografische, klimatische, technische, ökonomische und organisatorische Voraussetzungen für Energieautarkie. Ein systematischer, verfahrensmäßig stark beschleunigter Ausbau von Photovoltaik und Windenergie könnte zur Energieautarkie (und Klimaneutralität) führen. Allerdings benötigt das einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten und muss eng abgestimmt werden mit dem ebenfalls im gesamtgesellschaftlichen Interesse zu bevorzugenden Ausbau der Stromnetze sowie der Speicher- und Elektrolysekapazitäten, der im Übrigen auch gegen so manchen „Not in my backyard“-Widerstand durchgesetzt werden muss.

Energieautarkie ohne fossiles Gas

Energieautarkie und Klimaneutralität kann nur erreicht werden, wenn die meisten Heizungen, fast alle Verkehrsmittel und viele industrielle Prozesse auf den Betrieb mit elektrischem Strom umgestellt werden, bei gleichzeitiger Nutzung aller Effizienzreserven.

Ein Teil der industriellen Prozesse wird auch künftig gasförmige Energieträger benötigen. Diese Rolle wird weitestgehend „grüner Wasserstoff“ übernehmen, der mit Strom elektrolytisch gewonnen wird. Wenn die Sonne scheint, der Wind weht und die Wasserkraftwerke auf Hochtouren laufen, werden die Wasserstofflager gefüllt. Natürlich werden auch flüssige E-Fuels, Methan aus Biomasse, Methanol und Ammoniak eine gewisse Rolle spielen.

Energieautarkie ist machbar, sprich: Österreichs Importe von Erdöl und Erdgas könnten innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte beendet werden. Vielleicht werden wir uns von so manchem liebgewonnenen Luxus wie exzessivem Billigfliegen oder Autofahren in der Stadt verabschieden müssen.

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Zahlen & Fakten

Tauernwindpark in Österreich
Der Tauernwindpark in der Steiermark. Er produziert Strom für circa 20.000 Haushalte. © Unsplash/Thomas Galler

Die 7 Vorteile der Energieautarkie

  1. Die Energieautarkie ist ein unverzichtbarer Teil der Roadmap Richtung Klimaneutralität.
  2. Österreichs Handelsbilanz würde sich deutlich verbessern.
  3. Die bei Industrieunternehmen erforderlichen Investitionen, etwa auch in Forschung und Entwicklung, würden die Wettbewerbsfähigkeit und den Standort stärken.
  4. Eine Vielzahl hochwertiger, zukunftsfähiger Arbeitsplätze würden geschaffen werden.
  5. Die Erpressbarkeit Österreichs würde sich verringern.
  6. Die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen würde wachsen.
  7. Österreich und seine Leitunternehmen würden ihre Verantwortung in der Wertschöpfungskette ernst nehmen. Die Finanzströme in und aus Staaten und Unternehmen, die aus Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsperspektive problematisch sind, würden versiegen – zumindest zum Teil.

Natürlich dürfen die Hürden und Probleme einer radikalen Energiewende nicht unterschätzt werden. Wir erleben stark steigende Energiepreise, die Boykottunfähigkeit gegenüber einem Kriegsverbrechen verübenden Russland, eine sich zuspitzende Klimakrise und eine seit Jahrzehnten nicht dagewesene Inflationsrate. Aber wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit reif für den Ausstieg aus Öl und Gas?

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Conclusio

Mit heute vorhandenen und längst bewährten Technologien lässt sich in Österreich eine weitgehende Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern erreichen. Allerdings ist die Energiewende kein Projekt, das sich in wenigen Jahren stemmen lässt. Die Netzinfrastruktur muss massiv ausgebaut und die Produktion erneuerbarer Energien ausgeweitet werden. Doch die geo- und klimapolitischen Vorteile eines Ausbaus der Energie-Autarkie liegen auf der Hand: Schließlich soll die Versorgungs­sicherheit erhalten bleiben – nicht nur in Energiefragen.