Afrika braucht keinen Babysitter

Afrikas Staaten sitzen auf dem Pulverfass der stetig wachsenden Bevölkerung. Langfristig hilft den Afrikanern nur Wirtschaftswachstum und rigorose Familienplanung. Entwicklungshilfe, wie wir sie kennen, schadet Afrika nur.

Schulmädchen in Afrika
Bessere Bildung für Mädchen ist eine der größten Herausfordungen für Afrika. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Explosives Pulverfass. Afrika ist der letzte Kontinent, auf dem die Bevölkerung weiter wächst. Im Durchschnitt bekommen Frauen südlich der Sahara fünf Kinder.
  • Brain Drain. Vor Ort gibt es wenig Perspektive. Mangels Zukunftschancen erwägen fast vier von zehn Menschen in Afrika auszuwandern.
  • Hilfe versickert. Gut gemeinte Entwicklungshilfe aus dem Westen gibt es zwar, aber sie fließt oft in die falschen Taschen. Korruption wird dadurch einzementiert.
  • Regionales Vorbild. Es gibt aber Ausnahmen. Länder wie Ruanda beweisen, dass Fortschritt aus eigener Kraft entstehen kann.

Zeig mir, wie groß eine Familie ist, und ich sag dir, wie viel Einkommen sie hat. Dieser Satz ist so natürlich zu einfach, aber in ihm steckt viel Wahrheit. Fast überall auf der Welt ging der wirtschaftliche Aufstieg in den letzten Jahrzehnten mit der Verkleinerung der Familien einher. In Bangladesch bekommt eine Frauen heute im Durchschnitt 2,14 Kinder, vor dreißig Jahren waren es noch knapp fünf. Dasselbe Phänomen lässt sich in anderen Teilen Asiens beobachten, genauso in Südamerika und in allen wirtschaftlich schwachen Teilen dieser Welt. Es bleibt nur eine große Ausnahme: Afrika.

Südlich der Sahara bekommen Frauen noch immer im Durchschnitt fünf Kinder, in besonders armen Ländern sind es bis zu sieben. „Eine Frau ist nur dann eine Frau, wenn sie viele Kinder in die Welt bringt“, schreibt Ursula Ott in einer Reportage über Uganda im Magazin Chrismon. „Solange das in einer Kultur gilt, hilft es wenig, flächendeckend Kondome abzuwerfen.“ Die Mädchen und Frauen hätten nur die Chance, ihr Land nach vorne zu bringen, wenn sie nicht „mit 13 schwanger die Schule verlassen.“ Damit spricht Ott einen zentralen Punkt an: Mädchen mit guter Ausbildung bekommen weniger Kinder. Die Frauen sind der Schlüssel zu Afrikas Zukunft.

Migrationsdruck

Die aktuelle Situation sorgt für gesellschaftlichen Sprengstoff. Jedes Jahr rücken über 30 Millionen junge Afrikaner neu in den Arbeitsmarkt auf, für viele dieser jungen Menschen fehlt Beschäftigung. 66 Prozent der Bevölkerung haben nach einem Bericht der Kommission der Afrikanischen Union (AU) nur prekäre Jobs. 280 Millionen Afrikaner hätten vulnerable Arbeitsverhältnisse und nur jede zehnte Frau habe eine bezahlte Arbeit.

Kein Wunder, wenn afrikanische Autokraten ihre arbeitslosen und rebellierenden jungen Männer loswerden wollen und gut ausgebildete Afrikaner ihre Kompetenzen gerne außerhalb Afrikas einsetzen würden. Laut Umfragen würden mehr als ein Drittel der Bewohner Afrikas gerne auswandern, viele davon nach Europa.

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Zahlen & Fakten

Es kommen nicht die Ärmsten, da diese nicht tausende Dollar an Schlepperorganisationen zahlen können; es sind die Jungen und Risikobereiten. Sie kommen, weil bei geglückter illegaler Überfahrt ein Asylverfahren winkt und nur wenige Ausreisepflichtige tatsächlich zurückgeschickt werden. Paul Collier, Direktor des Zentrums für afrikanische Ökonomien in Oxford, warnt seit Jahren vor dieser fehlgeleiteten Migrationspolitik.

Viel geändert hat sich bisher nicht, obwohl Collier zeitweise die deutsche Bundesregierung beraten hat. Eine großzügige finanzielle Unterstützung der Rückkehr von illegalen Migranten, die keine Chance auf Asyl in Europa haben, wäre billiger und humaner als die jetzigen Verfahren. Stattdessen setzt Europa weiterhin auf Entwicklungshilfe, obwohl die Ergebnisse dieser Maßnahme ernüchternd sind. Und auch in Afrika selbst wächst der Widerstand gegen die Hilfsgelder – oder zumindest ihre unkontrollierte Ausschüttung.

Umdenken notwendig

Denn an fehlender Unterstützung kann es nicht liegen, dass sich Afrika zum Armenhaus entwickelte. Die Hoffnung, dass es gelingen könnte, durch noch mehr Geld halbwegs demokratische und rechtsstaatliche Entscheidungsprozesse herbeizuführen und eine leistungsfähige Verwaltung zu schaffen, ist Wunschdenken. Dauerhafte Reformen kommen nur aus der Mitte der jeweiligen Gesellschaft. Wenn es den Reformwillen gibt, sollten wir die Institutionen stärken, aber das geht nur, wenn man ihnen mehr Verantwortung zumutet.

Afrika braucht keine Babysitter. Je weniger sich die Welt um Afrika kümmert, umso besser geht es Afrika.

Paul Kagame (Präsident von Ruanda)

Überall in Afrika sind Investitionsruinen – sogenannte Weiße Elefanten – zu besichtigen: Wracks von Unimogs und Baugerät, zerstörte Maschinen, verrostete landwirtschaftliche Geräte, heruntergekommene Straßen und Gebäude, brachliegende Brunnen. Ein deutscher Experte des Centrums für internationale Migration und Entwicklung (CIM) schrieb mir, dass er während seiner Arbeit in Tansania eine vor wenigen Jahren gebaute Straße nicht finden konnte. Sie wurde geplant und ordentlich abgerechnet. Obwohl sogar auf Karten eingetragen, hat es sie niemals gegeben. Solche Beispiele gibt es zuhauf. In kaum einem anderen Ministerium der Bundesregierung wird immer noch so viel Geld so unkontrolliert ausgegeben wie im Entwicklungshilferessort.

Machterhalt gesichert

Der südafrikanische Soziologe und Unternehmensberater Moeletsi Mbeki, Bruder des ehemaligen Präsidenten Thabo Mbeki, lässt keinen Zweifel daran, dass die Unterentwicklung Afrikas von den eigenen Eliten verschuldet ist. Er plädiert für ein Umdenken in der Entwicklungshilfe. Solange die Herrschenden von den Geberländern mit Geld versorgt werden, könnten sie weitermachen wie bisher. Das hieße, dass sie nicht auf Steuereinnahmen aus dem eigenen Land angewiesen sind. Mbeki will die Entwicklungshilfe nicht abschaffen, aber an politische Konditionen gebunden sehen. Afrikanische Regime haben die Mechanismen der Entwicklungshilfe durchschaut und machen sie sich zunutze.

Die meinungsführende Wohltätigkeitsindustrie ist die einzige Industrie weltweit, die keine Rechenschaftsberichte ablegen muss. Es muss nur der Mittelabfluss gesichert sein. Horst Köhler, der ehemalige deutsche Bundespräsident, Afrikakenner und zumindest im Englischen nicht von einem Dolmetscher abhängig, hat schon vor zwei Jahren Entwicklungsminister Gerd Müller wissen lassen: „Mehr Geld ist kein Selbstzweck. Mehr Geld fördert manchmal vor allem den Status quo, wenn der berüchtigte Mittelabflussdruck und seine Schwester, die Absorptionsfähigkeit, ihre Kraken ausstrecken und dafür sorgen, dass nicht die beste, sondern die bequemste Idee finanziert wird.

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Zahlen & Fakten

Kritik verhallt

Entwicklungsminister Müller hat 44 afrikanische Länder besucht, aber doch immer als Staatsgast, dem eine falsche Realität vorgegaukelt wird. Auch von den dort präsenten deutschen Organisationen. Ehemalige Entwicklungspolitiker, die davon ausgehen, etwas vor Ort verändert zu haben, sind bei ihren Besuchen nie über Staatsessen und internationale Konferenzräume hinausgekommen. Schon für einen einfachen Abgeordneten wird bei seinen Reisen der rote Teppich ausgerollt. Wie soll sich da bei deutschen Entscheidern ein korrektes Bild ergeben?

Der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka sagt über den gutmenschlichen Drang: „Diese Bonos, Geldofs, und wie sie alle heißen, sagen, dass man uns helfen muss und unterstellen damit, dass wir dazu selbst nicht in der Lage sind – was im Klartext heißt: Das ist Rassismus“. Auch die Ökonomin Dambisa Moyo aus Sambia kritisiert die „Kolonisierung der afrikanischen Debatte durch weiße Männer, ob Popstars oder Wissenschaftler […] alle glauben zu wissen, was das Beste für Afrika ist.“ Kritiker wie Moeletsi Mbeki, Wole Soyinka, Dambisa Moyo, sowie die Literaten Teju Cole und José Eduardo Agualusa stehen mit ihren Einwänden gegen die sogenannte Hilfe auf verlorenem Posten. Zu viele verdienen gut daran und niemand kann für das Versagen verantwortlich gemacht werden.

Kigali Skyline, Ruanda
Leuchtturm in Afrika: Das Geschäftsviertel in Ruandas Hauptstadt Kigali florierte in den vergangenen Jahren. © Getty Images

Anders schaut die Situation in Ruanda aus. Präsident Paul Kagame sagte 2018 in einem Interview mit der Zeitschrift Jeune Afrique: „Afrika braucht keine Babysitter. Je weniger sich die Welt um Afrika kümmert, umso besser geht es Afrika.“ Ruanda hat eine gesellschaftliche Entwicklung, stabile Gemeinwesen und große wirtschaftliche Fortschritte vorzuweisen. Gelder, die anderswo im Korruptionssumpf versickern, gehen in Ruanda tatsächlich in Entwicklungsprojekte.

Es wurde – vorwiegend aus eigener Kraft – erreicht, was viele Afrikaner für ihr Land nur zu träumen wagen. Ruanda bietet wirklich bescheidenen Wohlstand, wozu auch Sicherheit gehört. Um dies zu erreichen, bedurfte es starker und verantwortungsbewusster Institutionen, Standards und Denkweisen. In den schiffbrüchigen Booten im Mittelmeer finden Ruander sich daher nicht. Im Gegenteil, immer mehr in den Kriegswirren ausgewanderte Ruander kehren zurück in ihre Heimat.

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Conclusio

400 Millionen Menschen aus Afrika erwägen auszuwandern. Entwicklungshilfe brachte keinen nennenswerten Fortschritt. Bescheidenen Wohlstand für eine breitere Bevölkerung schufen nur wenige Länder, etwa Ruanda oder Botswana, die im Korruptionswahrnehmungsindex besser abschneiden als manch europäischer Staat. Wohlstandswachstum ging weltweit stets mit sinkenden Geburtsraten einher. Besser ausgebildete Mädchen bekommen weniger Kinder. Staaten, die Ausbildung, Sicherheit und Chancen bieten, müssen aus eigener Kraft stabile Institutionen entwickeln. Hilfsgelder können dagegen korrupte Politiker an der Macht halten. Unterstützung aus westlichen Ländern sollte sich darauf konzentrieren, den Rechtsstaat zu stärken. Die Verantwortung für Reformen muss den Menschen vor Ort überlassen werden.