Wie stabil ist die Eurozone?

Die Euroländer passen wegen unterschiedlicher Konjunkturzyklen nicht zusammen. Um die Eurozone zu einer funktionierenden Währungsunion zu machen, braucht es flexiblere Löhne und erhöhte Mobilität.

Illustration einer sich bewegenden Menschenmasse, die das Eurozeichen formt
Die Eurozone ist kein so einheitliches Gebilde, wie es den Anschein macht. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Zwischen Ideal ... In der Theorie gibt es gute Gründe für die Schaffung von Währungsunionen: Der Handel wird einfacher, der Wohlstand steigt.
  • ... und Wirklichkeit. In der Eurozone ist das nicht so einfach. Unterschiedliche Wirtschaftsstrukturen behindern den Erfolg ebenso wie eine fehlende Bankenunion.
  • Schönheitskorrekturen. Die Europäische Zentralbank tut, was sie kann, um die Konstruktionsfehler zu kaschieren. Auf lange Sicht braucht es aber Reformen.
  • Lösungswege. Strukturell muss sich einiges an der Eurozone ändern. Löhne und Preise müssen flexibler werden, die Mobilität muss steigen.

Die Schaffung eines gemeinsamen Währungsraums ist eine hochpolitische Entscheidung. Immerhin geben die teilnehmenden Staaten damit ein wichtiges wirtschaftspolitisches In­strument weitgehend aus der Hand. Doch abgesehen von dieser Frage gibt es auch volkswirtschaftliche Theorien und empirische Untersuchungen, die über die Sinnhaftigkeit einer Einheitswährung Auskunft geben.

Die klassische ökonomische Theorie optimaler Währungsräume stammt aus den 1960er-Jahren. Sie macht klar, wann Länder eine gemeinsame Währung haben sollten und wann nicht. Kein Problem gibt es demgemäß dann, wenn die Konjunkturzyklen der be­teiligten Länder einigermaßen ähnlich verlaufen. Dann gibt es nämlich für diese Länder keinen Grund, eine von den anderen Mitgliedern unabhängige Geldpolitik für die Konjunkturstabilisierung zu haben. Eine gemeinsame Währung erhöht in diesem Fall den Wohlstand, weil sie den Handel zwischen den beteiligten Regionen oder Staaten deutlich vereinfacht und damit stimuliert.

In einem Währungsraum wie der Eurozone, der so unterschiedliche Länder wie Finnland, Griechenland oder Irland umfasst, ist diese Voraussetzung offensichtlich nicht erfüllt. Die Wirtschaftsstrukturen dieser Länder sind so verschieden, dass die Konjunkturverläufe höchstens zufällig einmal übereinstimmen. In einer solchen Si­tuation ist eine gemeinsame Währung anspruchsvoller, denn es müssen andere Faktoren bei der Abfederung von makroökonomischen Schocks einspringen. Dabei stehen drei Mechanismen im Vordergrund.

Drei Ausgleichsmechanismen

  • Flexible Löhne und Preise: Befindet sich ein Land in einer Rezession, dann verbessern rasch sinkende Löhne seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit, ohne dass eine expansive Geldpolitik über eine Währungsabwertung dafür sorgen muss.
  • Mobile Arbeitskräfte: Sind die Arbeitskräfte international sehr mobil, können unterschiedliche konjunkturelle Entwicklungen aufgefangen werden, indem Arbeiter vom Rezessions- ins Boom­land wandern.
  • Ausgleichende Fiskalströme: Haben zwei Länder ein großes gemeinsames Budget, so sorgen länderübergreifende Fiskalströme für eine gewisse Konjunkturstabilisierung. Bei einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung etwa fließen in einer Rezession automatisch zusätzliche Ressourcen ins betroffene Land.

Wenn man sich diese Liste ansieht, dann wird klar, dass die Eurozone meilen­weit davon entfernt ist, auch nur über einen dieser Ausgleichsmechanismen zu verfügen. Löhne und Preise sind vor allem wegen der stark regulierten Arbeitsmärkte alles andere als flexibel. Die Arbeitsmobilität ist allein schon wegen der Sprachunterschiede im Euroraum bis heute relativ klein geblieben. Und da die Fiskalpolitik in der Eurozone ganz bewusst bei den Mitgliedsländern belassen blieb, fehlen auch ausgleichende Fiskalströme.

Finanzkrise zeigte Mängel auf

Da der Euro in der lang anhaltenden ökonomischen Schönwetterperiode vor der Finanz- und Wirtschaftskrise eingeführt wurde, blieben die Kosten der Konstruktionsfehler zu Beginn beinahe unbemerkt. Tatsächlich bauten sich in dieser Periode zwischen den Mitgliedsländern aber massive Ungleichgewichte auf, die mit der Finanzkrise schockartig offensichtlich wurden. Bei der Bekämpfung des existenzbedrohenden Schocks der Eurokrise wurde rasch klar, dass die oben skizzierte klassische Theorie, die in den 1960ern entwickelt worden war, die sich seither intensivierende Dynamik der Finanzmärkte und der internationalen Banken zu wenig auf dem Radar hatte.

Die jüngsten Krisen offenbarten rasch, dass es neben den klassischen noch ein paar weitere Konstruktionsfehler gab. Erstens erwies es sich als grober Fehler, mit der Währungsunion nicht auch gleich eine Bankenunion geschaffen zu ­haben. Große Banken waren zwar europaweit tätig, blieben aber national reguliert; und vor allem waren weiterhin die nationalen Behörden zuständig, falls eine solche Bank gerettet werden musste. Beides erwies sich in der Eurokrise als großes Problem.

Passanten vor der griechischen Zentralbank, deren Logo mit einem Graffiti verunstaltet wurde
Die Griechenlandkrise ließ 2010 Zweifel an der Währungsunion aufkommen. © Getty Images

Zweitens wurde – damit zusammenhängend – unterschätzt, wie rasch sich international tätige Banken und Nationalstaaten gegenseitig in den finanziellen Abgrund reißen können. Die Staatshaushalte drohen wegen der massiven Kosten von Bankenrettungen zu kollabieren. Gleichzeitig enthalten die Bankbilanzen meist große Bestände nationaler Staatsanleihen, sodass ein allfälliger Staatsbankrott die Banken in die Insolvenz zu reißen droht.

Drittens wurde nicht berücksichtigt, dass in einer Währungsunion Staaten, deren Zahlungsfähigkeit von den Finanzmärkten angezweifelt wird, rasch in gewaltige Liquiditätsprobleme ge­raten können. Die Mitgliedsstaaten können die eigene Währung (hier den Euro) selbst nicht schaffen – dies ­vermag nur die supranationale Europäische Zentralbank (EZB). In einer Krisensituation kann somit keine na­tio­nale Zentralbank als „Lender of last resort“ gegenüber dem Staat agieren und so die Situation beruhigen. Dieser Konstruktionsfehler verursachte während der Eurokrise massive Liquiditätsknappheiten.

Austritt nur mit hohen Kosten

Betrachtet man die Probleme der Eurozone, so wird also in verschiedenen Zusammenhängen klar, dass die Gemeinschaftswährung ein ökonomisch wenig ausgegorenes Konstrukt ist. Da stellt sich die offensichtliche Frage, warum die beteiligten souveränen Länder angesichts ihrer Schwierigkeiten nicht einfach den Euroraum verlassen. Die Antwort gab der bekannte Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen mit seinem Bonmot, dass ein Grexit – also der während der Eurokrise oft diskutierte Austritt Griechenlands aus der Eurozone – die Mutter aller Bankenstürme auslösen würde. Das lässt sich einfach darlegen, wenn wir den Grexit kurz gedanklich durchspielen.

Die Probleme zeigen, dass die Gemeinschaftswährung ein ökonomisch wenig ausgegorenes Konstrukt ist.

Der Grund für einen solchen Schritt wäre für Griechenland, mit einer eigenen Währung geldpolitisch eigenständig auf die Krise reagieren zu können. Konkret bedeutet dies, mit der wiedereingeführten Drachme würde eine deutlich expansivere Geldpolitik verfolgt, die insbesondere zu einer substanziellen Abwertung der neuen alten Währung gegenüber dem Euro führen würde; das ist der Mechanismus, mit dem das chronisch zu Inflation neigende Griechenland vor der Übernahme des Euro jeweils seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen europäischen Ländern erhalten hatte.

Das Problem ist allerdings der Übergang zur neuen Währung. Anders als bei einer klassischen Währungsreform, in der eine alte Währung verschwindet und durch eine neue ersetzt wird, bliebe der Euro in diesem Fall als Währung erhalten.

Euro statt Drachme

Da alle Griechen wissen, dass die Drachme gegenüber dem Euro stark an Wert verlieren würde, wird jeder es klar vorziehen, Euro statt Drachme zu halten. Und diese Tatsache würde schon bei der bloßen Ankündigung eines Grexit zur erwähnten Mutter aller Bankenstürme führen. Alle Griechen würden buchstäblich zu ihren Banken rennen, um ihre gesamten Euro-Guthaben abzuheben, bevor sie in deutlich weniger werthaltige Drachmen um­gewandelt werden könnten. Das griechische Bankensystem würde in kürzester Zeit kollabieren.

Ein Grexit – also der Austritt Griechenlands aus der Eurozone – würde die Mutter aller Bankenstürme auslösen.

Dieser Bankensturm wäre wohl aber nur der Beginn einer verheerenden Kaskade weiterer Effekte. Der Zusammenbruch des Bankensystems würde eine schwere Wirtschaftskrise aus­lösen, die unter anderem zu einem völligen Einbruch der Steuereinnahmen führte. Und die massive Abwertung der Drachme (in der ja neuerdings die Steuern zu zahlen wären) würde die Bedienung der weiterhin in Euro lautenden Staatsschulden so teuer machen, dass eine Zahlungseinstellung und damit ein Staatsbankrott praktisch unvermeidlich wären.

Und weil Steuern und Verschuldung als Finanzierungsquelle damit wegfielen, bliebe dem griechischen Staat nur noch ein Ausweg, nämlich sich der Noten­presse zu bedienen. Das aber ist – zahlreiche Beispiele der Wirtschaftsgeschichte demonstrieren dies eindrücklich – der direkte Weg in die Hyper­inflation.

Das Gebäude absichern

Tritt ein geschwächtes Land aus der gemeinsamen Währung aus, so riskiert es also einen Zusammenbruch seines Finanzsystems, eine schwere Wirtschaftskrise und unkontrollierbare Inflation. Da eine Auflösung des Euroraums nur mit inakzeptablen Kosten möglich wäre, bleibt als Ausweg aus den Konstruktionsproblemen nur die Verbesserung des bestehenden Ge­bäudes. Und das heißt letztlich, die bei der Schaffung der Eurozone versäumten notwendigen Integrationsschritte für eine funktionierende Währungsunion nachzuholen. Im Bereich der Finanzstabilität wurde hier inzwischen einiges getan. So waren die aus der Not geborenen wirtschaftspolitischen Innovationen während der Eurokrise letztlich Versuche, mit den ursprünglich nicht bedachten, im Zusammenhang mit dem Finanzsystem stehenden Problemen einer unvollständigen Währungsunion umzugehen.

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Zahlen & Fakten

Mit der Schaffung des Krisenfonds (Europäischer Stabilitätsmechanismus; ESM) wurde erstens der Gefahr von Staatsbankrotten und ihren Rückwirkungen auf die Solvenz von Banken begegnet. Mit der legendären „Whatever it takes“-Aktion des damaligen EZB-­Präsidenten Mario Draghi garantierte die EZB zweitens, dass sie bereit war, als letztinstanzlicher Kreditgeber auch für Mitgliedsstaaten in die Bresche zu springen, um damit deren Liquiditätsrisiken zu mindern. Und mit der Verlagerung der Aufsicht für die größten europäischen Banken zur EZB wurden drittens weitgehende Schritte in Richtung einer Bankenunion unternommen.

Mit besagten Maßnahmen konnten die wichtigsten im Zusammenhang mit dem Finanzsektor entstandenen Krisenherde angegangen werden, was während des Höhepunkts der Euro­krise ein chaotisches Auseinander­brechen der Eurozone verhinderte.

EZB lotet ihre Grenzen aus

Die EZB hat mit ihren massiven Interventionen in den letzten Jahren alles unternommen, um die wirtschaftlich geschwächten Euroländer zu stabilisieren. Damit ist sie aber nach Ansicht vieler Beobachter an den äußersten Rand dessen gegangen, was in ihrem Mandat liegt, und vor allem hat sie eine Liquiditätsschwemme und eine Nähe zur Politik geschaffen, die für die Zukunft nichts Gutes verheißen. Ewig kann sich die Eurozone jedenfalls nicht darauf verlassen, dass die EZB die Konstruktionsprobleme mit massiven Interventionen kaschiert. Und wenn die EZB wegen ansteigender Inflationserwartungen einmal restriktiver agieren muss, dann stehen vielen Mitgliedsländern starke Konjunktureinbrüche bevor, denen sie nur wenig entgegenzusetzen haben werden.

Strukturelle Reformen

Letztlich bleibt trotz der jüngsten Reformen zur Stärkung der Finanz­stabilität die Feststellung, dass die Euro­zone die in der klassischen Theorie optimaler Währungsräume genannten Voraussetzungen für ein krisenfreies Funktionieren nach wie vor kaum erfüllt; diese Faktoren sind eben wenn überhaupt, dann nur langfristig beeinflussbar.

Strukturelle Reformen in den Mitgliedsländern könnten helfen, Löhne und Preise zu flexibilisieren, aber derartige Reformen sind politisch extrem schwierig; trotzdem müssen sie eine zentrale Stoßrichtung bleiben. In Sachen Mobilität der Arbeitskräfte kann kaum etwas Zusätzliches getan werden. Bleibt einzig eine Stärkung der ausgleichenden Fiskalströme. Und hier setzt die Idee einer Fiskalunion mit ­einem substanziellen gemeinsamen Budget an. Weitergehende Schritte in diese Richtung sind wohl unvermeidbar, will man die Krisenresistenz der Eurozone nachhaltig verbessern.

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Conclusio

Eine Währungsunion in Gebieten mit ­unterschiedlichen Konjunkturzyklen ist ­eine schwierige Angelegenheit. So etwas funktioniert eigentlich nur, wenn Un­gleich­­gewichte durch hohe Mobilität der Arbeitskräfte und flexible Löhne aus­geglichen wird. Genau da hat die Euro­zone aber wenig zu bieten. Kein Wunder, dass die Staatsschuldenkrise fast zu einem Zusammenbruch der Währungsunion führte. Viele schwächere Staaten konnten sich damals kaum noch an den Kapitalmärkten finanzieren. Die Probleme ­werden seither durch die Europäische Zen­tralbank kaschiert, die massiv Staatsanleihen kauft und somit den Geldfluss zu den Regierungen fördert. Langfristig kommt die Währungsunion aber nicht an Strukturreformen vorbei. Löhne und Preise müssen flexibler werden. Und die Mobilität bleibt ein Faktor.