Wie Fake News Feindbilder schaffen

Wie sich Fake News von Postings über Spinnen in Yukka-Palmen zu einer Bedrohung für die Demokratie entwickelten – und wie sie im Zuge der Corona-Krise explodierten.

Ein Demonstrant beim Sturm auf das US-Kapitol, der ein Handy in die Höhe hält
Mit dem Smartphone in eine Parallelwelt: Fake News führen immer häufiger zu politisch motivierter Gewalt. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Urbane Legenden. Die über Social Media verbreiteten Falschmeldungen waren zunächst eher harmlos, sie handelten etwa von Spinnen in Yucca Palmen.
  • Die Politisierung von Fake News. Ab 2014 wurden Fake News politisch, Russland setzte sie in der Krimkrise ein, 2016 beeinflussten sie die US-Präsidentschaftswahl.
  • Die Eskalation namens Corona. 2020 explodierten die Falschmeldungen wegen der Corona-Pandemie – und sie wurden immer manipulativer.
  • Ritualmordlegende. Die Radikalisierung scheut auch nicht davor, jahrhundertealte Mythen wiederzubeleben, um die vermeintlichen Feinde zu dehumanisieren.

Wer sich tagtäglich mit Falschmeldungen und Social Media beschäftigt, der bemerkt, dass sich Falschmeldungen auf Social Media in den vergangenen Jahren verändert haben. Sie haben ihren Charakter verändert, sie haben ihre Intention verändert, die Menge hat sich verändert, aber auch die Intensität hat sich gesteigert.

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Mein Name ist André Wolf und ich bin Mitarbeiter bei Mimikama, einem Verein gegen Internetmissbrauch. Der Verein selbst wurde eigentlich gegründet, um Menschen auf Social Media zu helfen, sie zu unterstützen, wenn sie auf irgendwelche Klickfallen stoßen oder auf urbane Legenden treffen. Dass sich Social Media zu einem manipulativen Instrument wandeln kann, welches auch politisch genutzt wird, hatten wir 2011 so noch nicht auf dem Schirm. Es waren anfangs eigentlich diese harmlosen sogenannten urbanen Legenden, die häufiger aufgetaucht sind. Es gab Geschichten über todbringende Spinnen in Yucca Palmen oder über HIV-infizierte Nadeln in Kinosesseln. Diese Geschichten hatten keinen Wahrheitsgehalt, wurden jedoch über Social Media in verschiedenster Form weiterverbreitet.

Die Nadel im Kinosessel

Gerade die Geschichte mit der HIV-infizierten Nadel in Kinositzen ist interessant, weil es sich hierbei um eine sogenannte dynamische Falschmeldung handelt. Dynamisch bedeutet, dass die Falschmeldung eine Komponente beinhaltet, die sich ändern und anpassen kann. Aufgrund dieser Anpassung gewinnt die Falschmeldung dann eine neue Dynamik und wird wieder neu verteilt.

Falschmeldungen wirken immer dann gut, wenn sie für die Nutzer maßgeschneidert werden.

Im Falle der urbanen Legende mit der Nadel im Kinosessel war die dynamische Komponente der Ortsname – so verbreitete sich die Nachricht beispielsweise zunächst unter Nutzern in Wien, dann Berlin; wenig später wurde dieselbe Warnung für Hamburg, Köln, Graz oder Linz ausgegeben werden. Inhaltlich immer noch falsch, jedoch durch den veränderten Ortsnamen mit neuer Dynamik ausgestattet. Anhand dieser urbanen Legende konnte man schon ein wichtiges Element festmachen: Die Betroffenheitslage der Adressaten ist unwahrscheinlich wichtig. Immer dann, wenn sich jemand in einer Mitteilung betroffen sieht, neigt man dazu, diese ebenfalls zu verbreiten. Falschmeldungen wirken also immer dann gut, wenn sie für die Nutzer maßgeschneidert werden.

2014 als Zäsur

Über einige Jahre hinweg schienen Facebook und Social Media größtenteils eher unpolitisch zu sein. Das änderte sich jedoch schlagartig vor einigen Jahren. Besonders seit 2014 und der Annexion der ukrainischen Halbinsel durch Russland konnte man zunehmend politische Inhalte auf Social Media bemerken. Es dürften verschiedene synergetische Effekte gewesen sein, die zu einer verstärkten Politisierung geführt haben. Einerseits war auf internationaler Ebene die Krimkrise natürlich ein Thema, viele Medien berichteten von russischen Propagandaaktionen auf Social Media. Begriffe wie Troll-Armee oder Putinbots tauchten in diesem Zusammenhang auf. Das Ergebnis dieser Propaganda soll eine nachhaltige Manipulation und Falschdarstellung politischer Verhältnisse gewesen sein.

Szene von den Maidan-Protesten in Kiev 2014
Mit den Maidan-Protesten in der Ukraine begann 2014 die – von Russland ausgehende – Politisierung von Fake News. © Getty Images

Zum gleichen Zeitpunkt entdeckten auch rechtspopulistische Parteien in Europa das Internet und vor allem Social Media als ihren Aktionsraum. Die frisch gegründete AfD konnte beispielsweise 2014 schon auf günstigem und einfachem Wege auf der Klaviatur von Social Media spielen. In Österreich war es die FPÖ, deren Politiker Social Media exzellent zu nutzen wussten. Grenzüberschreitungen und Tabubrüche wurden über Social Media veröffentlicht, in dem Wissen, dass diese Inhalte eine Vielzahl von Menschen erreichen, die dann darüber diskutieren.

Reforminstrument oder Propaganda?

Gleichzeitig ist seit spätestens 2014 das Internet endgültig zum Massenmedium herangereift. Aufgrund des flächendeckend verfügbaren Internets sowie der ständigen Verfügbarkeit von Endgeräten – fast alle haben ein Smartphone –, konnten nahezu alle jederzeit auf Social Media zurückgreifen. Es geht also nicht allein darum, ob ein Medium generell existiert oder verfügbar ist, sondern ob es massentauglich ist. Erst dann wird es richtig interessant, dieses Medium zur Verbreitung von Informationen (welcher Art auch immer) zu nutzen.

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Zahlen & Fakten

Die Massentauglichkeit neuer Medien hat in der Vergangenheit häufiger schon zu dramatischen Entwicklungen geführt. Es war der Buchdruck, der zur Massentauglichkeit des Buches führte. Er ermöglichte den Reformatoren des Mittelalters, ihre Schriften zu verbreiten – und am Ende fand sich Europa in einem dreißigjährigen Glaubenskrieg. Im Dritten Reich wurde das Radio durch günstige Volksempfänger massentauglich gemacht und primär für manipulative Propaganda genutzt.

Und nun haben wir das Internet, über das manipulative Inhalte verbreitet werden. Speziell Donald Trump bewies ab 2016 der Welt, wie wenig Fakten von Interesse sein können, wenn man eine Entertainment-Politik betreibt und über Social Media – in seinem Fall Twitter – die Menschen unterhält und auch mit Falschmeldungen füttert. Auf Social Media verbreiteten sich im Wahlkampf 2016 Falschmeldungen über Trumps politische Gegner bezüglich eines Kinderpornorings in einer Pizzeria in Washington, D.C., während Trump sich gleichzeitig laut schimpfend auf Twitter äußerte. Sein politisches Programm spielte eine untergeordnete Rolle, Brot und Spiele traten in den Vordergrund.

Das Heranreifen von Fake News und Mythen

Bereits 2015 und 2016 konnten wir beobachten, dass Falschmeldungen und auch bestimmte Narrative auf Social Media dazu genutzt wurden, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Bei Narrativen handelt es sich um sinnstiftende Erzählungen; das sind Geschichten, die plausibel und vertraut klingen, so dass man ihnen Glauben schenkt. Diese Narrative werden zudem durch eine geschickte Wortwahl verstärkt – man spricht an dieser Stelle vom sogenannten Framing. Beides in Kombination kann Falschmeldungen, Manipulationen oder am Ende sogar absurde Verschwörungsmythen plausibel klingen lassen.

Fernsehbildschirm mit der Nachricht Polish
Eine Bar in Warschau reagiert mit Humor auf Fake News zu Corona. © Getty Images

Gerade in der Zeit der Coronakrise haben wir diese Elemente in einem sich entwickelnden Modell beobachten können. Wir sprechen hier von einem Eskalationsstufenmodell, in dem kleine Falschmeldungen sich zu gefährlichen Mythen entwickeln können, die am Ende auch gesellschaftlich destabilisierend wirken. Zu Beginn der Corona-Krise wurden auf Social Media viele kleine Falschmeldungen und Kettenbriefe verbreitet. Das lag natürlich auch daran, dass viele Menschen verunsichert und verängstigt waren. Es gab noch nicht viele Informationen über das Coronavirus und somit war Munkeleien Tür und Tor geöffnet. Viele dieser Falschmeldungen waren noch gar nicht böswillig gemeint, sondern resultierten allein aus der Unwissenheit heraus. Zu diesem Zeitpunkt konnte man noch recht gut analysieren, was an den verschiedenen Meldungen falsch war und was nicht.

Die Eskalation von Covid-Fake News

In der zweiten Eskalationsstufe war das schon nicht mehr so einfach. Diese zweite Stufe begann im März 2020, als es weitere Erkenntnisse zum Coronavirus gab. Auf einmal tauchten einzelne Medizinermeinungen auf, die konträr zum allgemeinen wissenschaftlichen Konsens veröffentlicht wurden. Verschiedene, vor allem alternative Medien, nutzten diese einzelnen Meldungen und veröffentlichten sie in einem Maße, das sie als gleichwertig zum allgemeinen wissenschaftlichen Konsens erschienen ließ. Hier ließ sich kein Faktencheck in dem Sinne mehr machen, denn viele der Basisaussagen waren korrekt. Die Interpretationen jedoch waren fehlerhaft.

Wirklich schwierig wurde es jedoch während der dritten Eskalationsstufe. Sie begann Anfang April und änderte alles. Hier tauchten auf einmal sehr viele Verschwörungsmythen auf. Dies war jene Phase, in der speziell die sogenannten QAnon-Mythen nach Europa schwappten. Es handelte sich um Mythen, die auf der Metaebene einen Angriff auf Regierungen darstellten. Gleichzeitig wurde auch eine Abneigung gegen Wissenschaft und Medizin mit diesen Mythen erreicht.

Im Oktober 2020 wurde speziell in Deutschland behauptet, dass Kinder verstorben seien, weil sie eine Maske tragen mussten.

Die vierte Eskalationsstufe ist nun das Resultat aus den vorangegangenen Stufen: Menschen wurden, angetrieben von Falschmeldungen und Mythen, so stark radikalisiert, dass sie auf die Straße gingen oder am Ende sogar mit Gewalt reagierten. So ist es zum Beispiel noch gar nicht lange her, dass das Robert-Koch-Institut in Deutschland mit Brandsätzen beworfen wurde. Ein gutes Beispiel für die Methoden in diesem Radikalisierungsprozess sind die Mythen um verstorbene Kinder: Im Oktober 2020 wurde speziell in Deutschland behauptet, dass Kinder verstorben seien, weil sie einen Mund-Nase-Schutz tragen mussten. Das stimmt natürlich nicht, und auch die Polizei musste auf Social Media reagieren und diese Falschmeldung klarstellen. Dennoch hat dieses Narrativ überlebt und Menschen radikalisiert.

Die Ritualmordlegende ist durch Fake News zurück

Die Radikalisierung war in diesem Fall recht einfach, denn diese Mythen beinhalten ein Narrativ, das schon Jahrhunderte alt ist, jedoch vertraut klingt: Ein mehr oder weniger stark definierter Feind wird entmenschlicht, indem man ihm vorwirft, Kinder zu quälen oder gar umzubringen. Es handelt sich um das uralte Motiv der sogenannten Ritualmordlegenden. Diese werden entsprechend auch in der Coronakrise angewendet. Politiker oder Wissenschaftler werden zu Feindbildern gemacht und entmenschlicht. Die Entmenschlichung wiederum ist ein ganz wichtiger Aspekt, da es einfacher ist jemanden anzugreifen, den man nicht mehr als Menschen betrachtet. Genau an dieser Schwelle stehen wir derzeit.

Nicht alle Menschen werden durch Falschmeldungen so sehr radikalisiert, dass die gewalttätig werden. Viele Menschen werden jedoch so sehr verunsichert, dass sie den Glauben an Politik, Medizin, Technik und auch Fortschritt verlieren. Falschmeldungen und Manipulationen sind dementsprechend ein Mittel, um diese Art der Skepsis und Ablehnung hervorzurufen.

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Conclusio

Nicht erst seit der Covid-Pandemie verbreiten sich Fake News wie ein Virus. Manche der weit verbreiteten Mythen beziehen sich auf Narrative, die bereits Jahrhunderte alt sind – und gerade deshalb so vertraut wirken. Durch das Aufkommen von sozialen Medien hat sich nicht nur die Verbreitung von Falschnachrichten beschleunigt, sie werden auch immer häufiger zu politischen Zwecken eingesetzt. Ganz gleich aber, ob es sich um Fake News zum Krieg in der Ukraine, Covid-19 oder andere, die Demokratie bedrohende Verschwörungstheorien handelt: Die größte Gefahr, die von Desinformation ausgeht, liegt in der Entmenschlichung des zuerst kreierten Feindbildes. Dem muss entgegengewirkt werden, um das Risiko für Gewalteskalationen zu mindern.