Wie wir Filterblasen zum Platzen bringen

Alle sind sich einig, dass Fake News ein Problem sind. Wie dem beizukommen ist, darüber herrscht Dissens. Drei Ansätze, die das Problem lösen könnten – wenn wir sie kombinieren.

Bildschirmanzeige der Factchecker-Webseite correctiv
Die Faktencheck-Seite Correctiv bewertet den Wahrheitsgehalt von Nachrichten anhand einer Pinocchio-Skala. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Konsens in Gefahr. Anhänger von Fake News bewegen sich in einer Parallelwelt, die bewusst die Diskursbereitschaft mit dem Rest der Gesellschaft aufkündigt.
  • Grundlage Demokratie. Eben weil es aber darum gehen sollte, demokratische Grundprinzipien zu schützen, ist ein „simples“ Verbot von Fake News keine Lösung.
  • Die Rolle der Netzwerke. Soziale Netzwerke könnten in die Pflicht genommen werden, Inhalte zu kontrollieren, haben aber kein wirtschaftliches Interesse daran.
  • Wir sind gefragt. Medienkonsumenten müssen daher lernen, die Informationen zu hinterfragen, die ihnen präsentiert werden – und das so früh wie möglich.

Am 19. November 2020 wurde im Deutschen Bundestag das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ beschlossen, welches das bestehende Infektionsschutzgesetz in wesentlichen Punkten veränderte. Nicht wenige sogenannte „Querdenker“ sahen hierin Parallelen zum Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten aus dem Jahr 1933. Wie können Menschen einen so abstrusen Vergleich anstellen?

Mehr im Dossier Fake News

Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Sie sind Opfer von Fake News geworden, die sie systematisch in die Irre geführt haben. Zwar ist die verzerrte Weltsicht mancher Querdenker nicht ursächlich auf einzelne falsche Klicks in den Weiten des Internets zurückzuführen. Doch aus Filterblasen, in denen massenhaft erfundene Geschichten kursieren, können regelrechte Parallelwelten erwachsen, die mit der Realität nicht mehr viel zu tun haben. Wer in eine solche Parallelwelt gerät, kann der Vorstellung verfallen, das Coronavirus sei nur ein Vorwand, um eine Diktatur einzurichten, durch die Impfung solle die Bevölkerung mit Mikrochips versehen werden und die Lockdown-Maßnahmen seien Teil eines düsteren Plans, eine neue Weltordnung zu implementieren.

Fake News gefährden unsere Demokratie

Fake News stellen aus verschiedenen Gründen ein Problem dar. Vor allem aber sind sie, wenn sie Überhand nehmen und toxisch genug sind, eine Bedrohung für unser demokratisches Gemeinwesen. Demokratie lebt vom Diskurs, und Diskurs setzt voraus, dass wir uns, auch wenn wir uns in vielen Fragen uneins sind, auf bestimmte Tatsachen einigen können; dass wir bestimmte Wahrheiten anerkennen. Dissens lässt sich nur rational ausräumen, wenn man sich auf eine gemeinsame Faktenbasis stützen kann, die beide Seiten anerkennen und die beide Seiten als Argumente akzeptieren.

Zwar greifen nicht alle Rezipienten von Fake News zu gewaltsamen Mitteln, aber eine kleine Minderheit wird dies tun.

Wer behauptet, die Bundesrepublik Deutschland gebe es eigentlich gar nicht, die Medien seien gleichgeschaltet und die Wissenschaft gekauft, der kündigt den Konsens auf, der zwischen Demokraten besteht, und ist mit vernünftigen Argumenten nicht mehr zu erreichen. Begründungen, die auf staatliche Gesetze, Medienberichte oder wissenschaftliche Erkenntnisse verweisen, laufen dann ins Leere. Die Grundlage, auf der Konsens erwachsen kann, ist zerstört.

Wohin dies führen kann, ließ sich am 6. Januar 2021 in Washington D.C. beobachten. Anhänger des scheidenden Präsidenten Donald Trump stürmten das Kapitol, um die Zertifizierung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl gewaltsam zu verhindern. Aus Sicht der Trump-Anhänger war die Aktion durchaus folgerichtig. Sie gingen davon aus, dass die Wahl durch die demokratische Partei manipuliert wurde und dem legitimen Wahlgewinner Trump eine zweite Amtszeit gestohlen wurde. Zwar greifen nicht alle Rezipienten von Fake News zu gewaltsamen Mitteln, aber eine kleine Minderheit wird dies tun. Nicht zuletzt das wirft die Frage auf, was wir gegen Fake News unternehmen können.

Sollte man Fake News verbieten?

Die direkteste Lösung wäre ein Verbot von Fake News. Allerdings ist nicht klar, wie sich dies mit den Werten eines freiheitlichen, demokratischen Gemeinwesens vereinbaren ließe. Das Recht auf Informationsfreiheit und freie Meinungsäußerung scheint durch ein solches Verbot eminent gefährdet. Zudem besteht Missbrauchspotenzial. Zwar wäre uns allen an einer Regelung gelegen, die gefährliche Fake News verbietet. Aber es ist denkbar, dass eine solche auch als Vorwand genutzt wird, mit dem man sich ungeliebte politische Positionen vom Hals schaffen kann. In den falschen Händen wäre das Instrument des Verbots also höchst gefährlich.

Der Philosoph Adriano Mannino hat kürzlich vorgeschlagen, dass wenigstens bewusst irreführende Informationen verboten werden könnten, beispielsweise manipuliertes Bildmaterial. Bei den sogenannten „Deep Fakes“, die er im Sinn hat, werden Videos so bearbeitet, dass Eindrücke von Ereignissen entstehen, die nie stattgefunden haben. Es ist zum Beispiel möglich, einer Person Aussagen in den Mund zu legen, die sie gar nicht getätigt hat. Mannino findet, dass ein Verbot solcher Deep Fakes auch angesichts des Rechts auf Meinungsfreiheit vertretbar wäre. Denn wer Bildmaterial manipuliert, äußert ja gar keine Meinung, sondern versucht damit nur zu manipulieren.

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Zahlen & Fakten

Deepfake von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg
Für Deep Fake-Videos werden auf Basis von Daten – etwa zu den Gesichtszügen – Algorithmen entwickelt. Hier ein entstehendes Deep Fake-Video von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. © Getty Images

4 Fragen und Antworten zu Deep Fakes

  • Wie funktionieren sie? Deep Fakes nutzen existierendes Bildmaterial von Personen, um darauf aufbauend einen Computeralgorithmus zu kreieren. Dieser ist dann dazu in der Lage, Bewegungen nachzubilden.
  • Kann das uns alle treffen? Theoretisch ja, in der Praxis nein. Je mehr Bildmaterial von einer Person existiert, desto mehr Daten stehen für den Algorithmus zu Verfügung – und umso überzeugender wird der Deep Fake.
  • Wie erkennt man Deep Fakes? Noch ist die Technik – selbst bei einer Fülle an Bildmaterial – nicht perfekt. Typische Schwachstellen sind eine steife Mimik, falsche Schatten auf dem Gesicht und eine eingeschränkte Motorik.
  • Wie gefährlich sind Deep Fakes? Eine der größten Risiken von Deep Fakes ist ihre Verwendung für politische Propaganda. Aber sie verändern, wie Menschen jegliches Videomaterial wahrnehmen – und können dazu führen, dass der Wahrheitsgehalt aller Aufnahmen angezweifelt wird, auch echter.

Fraglich ist nicht nur, ob das Argument trägt, sondern vor allem, wie weit ein solches Verbot reichen würde. Da Bildmaterial in der journalistischen Arbeit ständig editiert wird, ist allerdings erstens unklar, wo eigentlich die Grenze zwischen Manipulation und legitimer Bildbearbeitung verläuft. Zweitens kann bereits mithilfe einfacher Schnitte ein irreführender Eindruck erweckt werden. Eine Regelung, die auch dies verhindert, würde vermutlich auch legitime journalistische Arbeit stark behindern.

Die Rolle der sozialen Netzwerke

Ein zweiter Lösungsweg setzt auf das Verantwortungsbewusstsein der Betreiberfirmen, über deren technologische Plattformen sich Fake News maßgeblich verbreiten. Dieser Weg hat einen gewissen Charme, da er den Staat nicht zwingt, grundlegende Rechte seiner Bürger einzuschränken. Private Firmen sind plausiblerweise nicht verpflichtet, auf Informations- und Meinungsfreiheit Rücksicht zu nehmen. Sie können frei entscheiden, ob sie Fake News und diejenigen, die sie produzieren, von ihren Plattformen werfen wollen. Das tun sie bereits. Nach der Stürmung des US-Kapitols sperrten Twitter und andere soziale Netzwerke Donald Trumps Accounts wegen Verbreitung von Falschnachrichten und Anstiftung zur Gewalt.

Es scheint im Interesse der Social-Media-Firmen zu liegen, gegen Fake News spät, halbherzig oder gar nicht zu handeln.

Doch dieser zweite Weg ist ebenfalls problematisch. Plattformen wie YouTube haben kein wirtschaftliches Interesse daran, Fake News zu unterbinden – im Gegenteil. Nach Informationen von Tristan Harris, dem Präsidenten des Center for Humane Technology, das sich für die ethische Regulierung von Technologieunternehmen einsetzt, wurden beispielsweise die Videos des notorischen Verschwörungstheoretikers Alex Jones auf YouTube 15 Milliarden mal empfohlen, bevor dessen Kanäle gesperrt wurden. Denn solche Videos gehen häufig viral und spülen den Firmen viel Geld in die Kasse. Es scheint also im Interesse der Firmen zu liegen, spät, halbherzig oder gar nicht zu handeln.

Hinzu kommt, dass die Kommunikationsinfrastruktur, die Firmen wie Facebook, Youtube und Twitter bieten, in der heutigen Welt eine wesentliche Bedingung für die Ausübung von Redefreiheit darstellt. Wenn private Firmen darüber bestimmen, wer diese Infrastruktur nutzen darf, dann bestimmen sie faktisch darüber, wer sein Grundrecht auf Redefreiheit ausüben kann. Dies käme, wie es der Journalist Christian Schiffer kürzlich formuliert hat, einer „Privatisierung des Rechts“ gleich.

Was wir alle tun können

Ein dritter Lösungsweg führt über jeden Einzelnen von uns. Würden wir Nachrichten erst auf Plausibilität prüfen, bevor wir sie teilen, dann wären Fake News kein Problem. Diese Form der Eigenverantwortung würde das Problem der staatlichen Zensur ebenso vermeiden wie das Problem der Privatisierung des Rechts. Allerdings ist auch dieser dritte Lösungsweg problematisch. Zwar würden sich wohl die meisten Mediennutzer per Lippenbekenntnis der Forderung anschließen, dass man erst überprüfen und dann teilen sollte. Aber tatsächlich verhalten sich Nutzer oft anders – und das hat Gründe. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke optimieren den Gewinn der Betreiberfirmen, und der fällt umso höher aus, je mehr skandalöse, sensationelle Botschaften kursieren. Subtile Techniken regen uns dazu an, diese zu teilen und wir können uns dem nur schwer entziehen.

Protest gegen Fake News vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Der March for Science in Berlin 2017: Eine Protestbekundung gegen die Idee von „alternativen Fakten“. © Getty Images

Mit wenig viel erreichen

Die gerade beschriebenen Lösungen sind zu einfach, um der Komplexitäten des Problems Herr zu werden. Sie sind entweder ethisch problematisch, weil sie grundlegende Rechte tangieren, oder sie sind wirkungslos. Deswegen müssen wir verschiedene Lösungswege kombinieren, um Maßnahmen zu entwickeln, die mithilfe geringer Eingriffe in Freiheitsrechte möglichst viel erreichen. Es ist zum Beispiel bekannt, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Fake-News-Geschichten von einer winzigen Minderheit der Social-Media-Kanäle geteilt wird, die oft viele Nachrichten in kurzer Zeit sendet. Der Staat könnte Social-Media-Betreiber verpflichten, Nachrichten von Accounts, die sehr viele Posts erstellen, geringer zu priorisieren, sodass diese seltener in Newsfeeds erscheinen.

Würden wir Nachrichten erst auf Plausibilität prüfen, bevor wir sie teilen, dann wären Fake News kein Problem.

Auf diese Weise würde der Fluss von Fake News gedrosselt, ohne die Freiheit von Nutzern und Plattformbetreibern nennenswert einzuschränken. Außerdem könnten Faktenchecker eingesetzt werden, um Fehlinformationen in sozialen Netzwerken früh aufzuspüren, darüber aufzuklären und auf verlässliche Quellen zu verweisen. Die entsprechenden Organisationen – etwa Correctiv oder Mimikama – gibt es bereits. Man müsste sie nur staatlich fördern. Auch die Forschung muss gestärkt werden. Wir wissen derzeit noch zu wenig darüber, welche Eingriffe bei der Bekämpfung von Fake News nützlich sein könnten. Deswegen hinkt die Regulierung der sozialen Netzwerke den technologischen Tatsachen permanent hinterher. Fake News werden sich in Zukunft nur dann effektiv kontrollieren lassen, wenn wir das ändern.

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Conclusio

Falschnachrichten sind kein neues, aber ein neu massenwirksames Problem. Die Parallelwelten, die Fake News für ihre Konsumenten schaffen, können so vereinnahmend sein, dass sie nicht nur gewaltbereites Handeln provozieren, sondern auch essenzielle Grundprinzipien des demokratischen Miteinanders aufkündigen. Die eine richtige Lösung für das Problem gibt es nicht – aber eine Kombination von Ansätzen könnte zum Erfolg führen. Es reicht nicht, nur Maßnahmen seitens der Regierung und der sozialen Medien-Plattformen zu fordern, auch wenn diese durchaus in die Pflicht genommen werden müssen. Auch jeder einzelne von uns trägt die Verantwortung, Nachrichten auf ihre Plausibilität zu prüfen, bevor er sie mit anderen Usern teilt – und auf diese Weise den Glauben an wissenschaftlich fundierte Argumente in der Gesellschaft zu stärken.