Japans Bevölkerung steht Kopf

Japans Bevölkerung schrumpft und altert dabei rasch. Das Land braucht dringend weitreichende Maßnahmen, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern. An Reformmöglichkeiten mangelt es nicht – an der Bereitschaft zum Wandel aber schon.

Dieser Report erschien am 12. Juli 2017 auf Geopolitical Intelligence Services.

Shinjuku-Kreuzung in Tokio
Japans Bevölkerung überaltert. Die Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Schrumpfende Bevölkerung. Derzeitige Prognosen verkünden, dass die Zahl der Japaner bis 2065 von 126 Millionen im Jahr 2018 auf 88 Millionen sinken wird.
  • Altbewährtes Problem. Schon heute ist in Japan der Anteil der über-65-Jährigen mehr als doppelt so hoch wie der Anteil der unter 15-Jährigen.
  • Gesellschaftliche Spannungen. Dem Land gehen die Arbeitskräfte aus. Einwanderung könnte helfen, aber Japan verfolgt eine restriktive Migrationspolitik.
  • Bedarf für Gegenmaßnahmen. Neben kurzfristigen Lösungen braucht die japanische Gesellschaft tiefgreifende Reformen.

Die Angst vor einem Bevölkerungswachstum, das die Möglichkeiten der Nahrungsmittelversorgung übersteigt – die sogenannte „Malthusianische Falle“ – war früher weit verbreitet. Was aber, wenn eine Bevölkerung schrumpft? Dieser Trend, den gegenwärtig nicht nur die westlichen Industrienationen, sondern auch China und Japan erleben, wird durch einen zusätzlichen Aspekt noch weiter erschwert: Sinkt die Bevölkerungszahl erst einmal, ist es sehr schwierig, diese Entwicklung wieder umzukehren.

Hat der Prozess erst einmal eingesetzt...

Die demographischen Aussichten für Japans Bevölkerung sind düster: 2016 war das erste Jahr seit 1899, in dem in Japan weniger als eine Million Babys geboren wurden – und das, obwohl die Fertilitätsrate geringfügig wieder zu steigen anfing. Gleichzeitig erreichte die japanische Bevölkerung im Jahr 2015 nach Angaben des Nationalen Instituts für Bevölkerungs- und Sozialversicherungsforschung mit 127 Millionen ihren Höchststand. Prognostiziert wird nun, dass diese Zahl bis 2065 auf 88 Millionen schrumpfen wird.

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Zahlen & Fakten

Insgesamt rechnet Japan mit einem Bevölkerungsrückgang von 30 Prozent. Bis 2065 soll die ehemals mittelgroße demographische Macht eine Bevölkerungszahl erreicht haben, die in etwa der Größe der beiden Koreas entspricht. Noch katastrophaler ist: Während die Gesamtbevölkerung schrumpft, wird der Anteil der über 65-Jährigen weiter rapide ansteigen. Schon heute sind mehr als 27 Prozent der japanischen Bevölkerung älter als 65, während der Anteil der Kinder unter 15 Jahren auf ein Rekordtief von 12,7 Prozent gesunken ist.

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Zahlen & Fakten

Wie kann Japan diese Situation überwinden?

Japans Regierung ist sich dieser Tatsachen bewusst, hat aber bisher wenig Innovationsgeist gezeigt, um den Trend zu unterbrechen. Die Behörden haben wiederholt erklärt, dass sie eine Stabilisierung der Bevölkerung auf 100 Millionen bis zum Jahr 2060 anstreben. Wie kann dieses Ziel aber erreicht werden?

Für Japans Politiker ist es ein Problem, dass die beschleunigende Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung in eine Zeit fällt, in der das benachbarte China auf dem Vormarsch ist und seine Muskeln spielen lässt – insbesondere in Südostasien und im Süd- und Ostchinesischen Meer. Eine Krise des Vertrauens in die japanische Politik ist an dieser Stelle ebenso wenig wünschenswert, wie eine immer ältere Bevölkerung, die dazu neigt, den Status quo gegenüber Veränderung zu bevorzugen.

Kein multi-ethnischer Staat

Japans Bevölkerung ist nicht die einzige Industriegesellschaft, die mit niedrigen Geburtenraten und einer umgekehrten Alterspyramide zu kämpfen hat. In vielen Fällen hat jedoch eine offene Einwanderungspolitik dazu beigetragen, diese demographischen Verwerfungen zu korrigieren oder zumindest abzuschwächen. Japan verfolgt jedoch traditionell eine sehr restriktive Einwanderungspolitik – und es gibt keine nennenswerte politische Kraft im Land, die das ändern will.

Japan verfolgt traditionell eine restriktive Einwanderungspolitik – und es gibt keine nennenswerte politische Kraft im Land, die das ändern will.

Von den großen Ländern der Welt ist Japans Bevölkerung jene mit der größten ethnischen Homogenität. Ursprünglich waren die Japaner eine Mischung aus vielen verschiedenen Ethnien, wie es bei Inselvölkern üblich ist. Im Unterschied zu anderen Nationen hat sich Japan aber über die Jahrhunderte zu einem homogenen Nationalstaat ohne nennenswerte religiöse, ethnische, sprachliche oder kulturelle Minderheiten entwickelt.

Heute leben rund 2,1 Millionen Ausländer in Japan – das sind deutlich weniger als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Von den 11.000 Anträgen auf politisches Asyl, die im Jahr 2016 gestellt wurden, haben die japanischen Behörden nur 28 anerkannt. Das Hauptargument gegen die Aufnahme einer größeren Zahl von Ausländern ist der soziale Zusammenhalt des Landes: Japan ist das einzige große Land der Welt mit einem umfassenden Gesellschaftsvertrag, in dem die gegenseitigen Pflichten und Verantwortungen von Bürgern und Staat festgelegt sind. Der Erfolg des japanischen Entwicklungsmodells hängt wesentlich von der Uniformität seiner Bevölkerung ab.

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Zahlen & Fakten

  • 2016 war das erste Jahr seit 1899, in dem in Japan weniger als eine Million Babys geboren wurden.
  • 40 Prozent der japanischen Bevölkerung wird im Jahr 2065 älter als 65 Jahre sein.
  • 2,1 Millionen Ausländer leben in Japan. Sie machen deutlich weniger als 2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
  • Nur 28 von 11.000 Anträgen auf politisches Asyl wurden 2016 von den japanischen Behörden genehmigt. 

Gesellschaftliche Neugestaltung

Japan hat eine Reihe an politischen Maßnahmen ergriffen, um die Lage zu verbessern. Erstens wird versucht, den Mangel an Arbeitskräften durch Zeitarbeitskräfte aus dem Ausland abzumildern, wie beispielsweise bereits beim Projekt Tokyo 2020 geschehen. Die Arbeiter sind in diesem Falle projektbezogen beschäftigt; Familien dürfen nicht mitgebracht werden.

Parallel dazu fördert die Regierung auch die Automatisierung und Robotisierung der Industrie und im sozialen wie medizinischen Bereich. Menschliche Arbeit wird zunehmend durch Maschinen ersetzt; Konzerne wie Panasonic und Toshiba betrachten diese Sparte als Zukunftsmarkt. 2017 hat die japanische Regierung erklärt, dass Japan auf dem Gebiet der Biowissenschaften und insbesondere bei der Steigerung der Lebenserwartung durch eine Erhöhung der gesunden Lebensjahre die Nummer Eins auf der Welt werden will. Die dafür notwendigen Gesetze und Investitionen gibt es bereits.

Japanische Physiotherapeuten mit einer Patientin beim Training
Robotic soll helfen die demografischen Probleme in Japan zu lösen. © Getty Images

Veränderter Arbeitsmarkt

Zum anderen hat sich die Regierung verpflichtet, den Frauenanteil unter den Erwerbstätigen erheblich zu erhöhen. Dafür braucht es weitreichende soziale und institutionelle Reformen. Für japanische Frauen ist es schwierig ins Arbeitsleben zurückzukehren, wenn sie einmal geheiratet und eine Familie gegründet haben. Es gibt nicht nur ein soziales Stigma – es fehlt auch an Kinderbetreuungseinrichtungen, die es den Frauen ermöglichen, wieder zu arbeiten.

Für japanische Frauen ist es schwierig ins Arbeitsleben zurückzukehren, wenn sie einmal geheiratet und eine Familie gegründet haben.

Gleichzeitig wird in den kommenden Jahren der soziale Druck auf junge Frauen steigen, Kinder zu bekommen und zu heiraten. Da Japan traditionell eine Gesellschaft mit starkem Zusammenhalt ist, kann dieser soziale Druck sehr wirksam sein. Auch heute noch werden Frauen, die im Alter von dreißig Jahren nicht geheiratet haben, als „parasitäre Singles“ gebrandmarkt. Nachbarn und Verwandte setzen Eltern solcher „parasitärer“ Mittdreißiger häufig unter Druck. Es ist daher ebenfalls möglich, dass die japanische Regierung damit beginnt, kinderlose und ledige Menschen steuerlich zu bestrafen.

Blick in die Zukunft

Eine Neugestaltung des Sozialwesens, die nicht nur auf die traditionelle Kernfamilie abzielt, könnte die Belastungen für Eltern verringern. Es mag heute utopisch erscheinen, aber man darf nicht vergessen, dass Japan in Sachen Moral und Beziehungen zwischen den Geschlechtern eine letztlich sehr pragmatische Gesellschaft ist. Die vorherrschende Religion in Japan, der Shintoismus, kennt den Begriff der Sünde nicht, der andere Glaubensrichtung speziell in sexuellen Angelegenheiten stark prägt.

Sicher ist jedenfalls: Die Japaner werden nicht zulassen, dass ihre Bevölkerung ausstirbt. Sobald sich das Land für einen Modernisierungskurs entschieden hat, wird es diesen mit landeseigener Entschlossenheit und nationaler Einheit verfolgen.

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Conclusio

Die demographischen Aussichten für Japan sind düster. Die Bevölkerungszahl schrumpft, der Anteil der älteren Leute wächst. Japan ist eine sozial starre Gesellschaft. Viele Frauen bleiben nach der Hochzeit erwerbslos. Auch die traditionell strikte Einwanderungspolitik verstärkt das Problem. Der Wille zum Wandel ist aktuell noch gering. Um den Bevölkerungsrückgang abzumildern, braucht es soziale und institutionelle Reformen von oben – beispielsweise mehr Kinderbetreuungseinrichtungen und eine weniger rigide Einwanderungspolitik.