Die Jungen sind besser als ihr Ruf


Mutig, zielstrebig und zuversichtlich stemmt sich die Jugend gegen die Untergangsstimmung. Trotz Krieg und Krisen lassen sich die Jungen nicht unterkriegen und nehmen ihr Leben in die Hand.

Illustartion von zwei Jugendlichen, Mädchen und Bub, die vor einer strahlenden aufgehenden Sonne stehen, im Hintergrund  auf den Seiten erkennt man Explosionen und Umweltverschmutzung
Trotz aller Krisen, sind vier von fünf Jugendlichen in Österreich, Deutschland und der Schweiz mit ihrem Leben zufrieden. © Roland Vorlaufer
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Auf den Punkt gebracht

  • Zuversicht. Mit dem Leben ist eine Mehrheit der Jungen zufrieden, die eigenen Karrierechancen werden positiv eingeschätzt.
  • Weltschmerz. Im Gegensatz zu den eigenen Perspektiven beurteilen die meisten Jugendlichen den Ausblick für die Gesellschaft negativ.
  • Realisten. Die Wünsche der Jugend sind keine utopischen Hoffnungen, sondern von den materiellen Problemen der Gegenwart geprägt.
  • Kampfgeist. Die Jugend zeigt sich bereit, Dinge anzupacken. Auf Staat und Gesellschaft wollen sie sich nicht verlassen, um Lebensziele zu erreichen.

Wie wird das Leben in 10 bis 20 Jahren sein? Welche Wünsche werden sich erfüllen lassen? Was wird aus den jetzt wichtigsten Problemen? Diese Fragen haben wir im Rahmen einer großen exklusiven Studie jungen Menschen in Österreich, Deutschland und der Schweiz gestellt. Angesichts des heute alle Diskurse beherrschenden Klima-Pandemie-Inflation-Energie-Krisenszenarios würde man wohl eine vorwiegend negative Sicht auf die Zukunft erwarten – zumal die sogenannte „Generation Z“ ohnehin im Ruf steht, das Leben eher passiv und pessimistisch anzugehen.

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Doch die Jungen sind besser als ihr Ruf und überraschend positiv eingestellt, wie die Pragmaticus-Jugendstudie 2023 zeigt: In allen drei Ländern ist die große Mehrheit der 16- bis 29-Jährigen mit dem Leben zufrieden und blickt optimistisch in die persönliche Zukunft. Mehr als 80 Prozent sind zufrieden oder eher zufrieden. Über 60 Prozent der Befragten sind davon überzeugt, ihre beruflichen Ziele erreichen zu können.

Von Lethargie kann keine Rede sein: Für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt plädieren in etwa zwei Drittel der jungen Österreicher, Schweizer und Deutschen. Mehr Unterstützung für sozial Schwache rangiert auf der Prioritätenliste der 2.500 Befragten in allen drei Ländern ähnlich hoch.

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Zahlen & Fakten

Aber es gibt nicht nur erfreuliche Nachrichten: So optimistisch die Jugend für ihr eigenes Leben ist, so düster sind die Erwartungen für die Zukunft der Gesellschaft. Nur ein Viertel äußert sich zuversichtlich. Zudem zerbrechen sich in Deutschland und Österreich über 55 Prozent der Befragten darüber den Kopf, ob es überhaupt zulässig sei, in einer dermaßen chaotischen und krisengebeutelten Zeit wie der unseren Kinder in die Welt zu setzen. In der Schweiz sind es „nur“ rund 40 Prozent.

Die ganze Jugendstudie

Optimistisch für die persönliche Zukunft und pessimistisch für die Zukunft der Gesellschaft – das ist nur auf den ersten Blick paradox: Die Jugend hat den Glauben an Staat und Gesellschaft weitgehend verloren, versucht aber im Einzelkämpfermodus, wenigstens ihre persönlichen Vorhaben erfolgreich zu realisieren. Die Jugend unserer Zeit er­scheint konformistisch. Ihr Konformis­mus ist aber nicht von Überzeugung ge­tragen, sondern beruht auf Kalkül. Weil in unserer Gesellschaft Anpassung mit beruflichem Aufstieg und gesellschaftli­cher Anerkennung belohnt wird, macht die Mehrheit beim taktischen Spiel der Unterwerfung unter die Macht der Ver­hältnisse mit.

Eigene Meinung? Lieber nicht

Wenn der Staat den Verzicht auf geistigen Individualismus und welt­anschauliche Souveränität weiterhin mit der Verteilung von Wachstums­gewinnen ausreichend belohnen kann, wird die Lage relativ ruhig bleiben. Ist er dazu nicht mehr imstande, wird die Jugend wieder rebellischer werden, keinesfalls aber revolutionär. Für eine Revolution fehlen ihr das theoretische Vermögen und der Wille zur Macht. Schon Herbert Marcuse hat vor 60 Jahren festgestellt, dass die Men­schen mittels Konsum so weitgehend in die moderne kapitalistische Gesell­schaft integriert sind, dass man von einer „Gesellschaft ohne Opposition“ sprechen könne.

Selbst den Untergang der Welt durch eine Klimakatastrophe vor Au­gen, unterwirft sich die Jugend mehr­heitlich dem politisch-ökonomischen System.

Die hervorstechends­te Leistung einer solchen Gesellschaft ist die Unterbindung des sozialen Wan­dels. Selbst den Untergang der Welt durch eine Klimakatastrophe vor Au­gen, unterwirft sich die Jugend mehr­heitlich dem politisch-­ökonomischen System. Es sind nur kleine Gruppen, die wirklich dagegen auftreten: Die Freitagsdemonstrationen werden über­wiegend von den Kids der privilegierten Bildungsschichten getragen, die „Klebe­ Rebellen“ stellen eine winzige Minder­heit dar.

Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa spricht in einem Interview in der Jän­ner­Ausgabe des Magazins Futurzwei von einer Gesellschaft, in der sich die Aggressivität gegen die Natur und in den zwischenmenschlichen Verhältnissen bis zur Unerträglichkeit hin verstärkt hat. Auch mit dem eigenen Selbst gehen die Menschen keineswegs achtsam um; es wird täglich ans Rad gebunden und durch Praktiken der Selbstoptimierung geschunden.

Klassenkampf von oben

Wo auch immer, im gesell­schaftlichen Alltag regiert der Kampf. Nur eine Minderheit der Jugend­lichen glaubt, dass sie einmal ein besseres Leben haben wird als ihre Eltern. Generell sind die Menschen heute nicht mehr kämpferische Aufstiegsoptimis­ten.

Große Teile der Jugend formen mit ihren Eltern Verteidigungsgemeinschaften, um die Konkurrenz aus unteren Gesellschaftsschichten abzuwehren.

Vielmehr haben sie das Gefühl, im­mer angestrengter arbeiten zu müssen, um das zu erhalten, was sie sich auf­gebaut haben. Gerade in der Mittelschicht domi­niert das Gefühl, gegen das Abrutschen in tiefere Gesellschaftsschichten an­kämpfen zu müssen. Die optimistische Aufstiegsaspiration ist einer defensiven Abwehrstimmung gewichen.

Das führt dazu, dass sich große Teile der Jugend mit ihren Eltern in Verteidigungsge­meinschaften zusammenschließen, um die Konkurrenz der aus unteren Gesellschaftsschichten nachdrängenden Mitbewerber abwehren zu können. Eine Folge davon ist, dass sich die Elternbindung der Jugendlichen drastisch verstärkt hat und die Mütter und Väter ihre Kinder wie Luftabwehrdrohnen ständig umkreisen. Die Jugend der Mittelschichten unserer Tage ist der permanenten wohlmeinenden Elternkontrolle ausgesetzt und unterwirft sich dieser mit Freude.

Jugend im Hier und Jetzt verankert

Der englische Philosoph Thomas Hobbes hat in seinem Hauptwerk, dem „Leviathan“, gemeint, dass dem Menschen nur Urteile über die Gegenwart und zum Teil über die Vergangenheit möglich seien. Die Zukunft wäre unverfügbar, weil sie nichts anderes sei als eine „Fiktion des Geistes“, der die Folgen vergangener Handlungen auf sie projiziert. Obwohl sich die Zukunft dem Menschen entzieht, ist sie nach wie vor ein begehrtes Objekt der Erkenntnis. In den 1960er-Jahren war die Gesellschaft förmlich zukunftssüchtig; man träumte von der Besiedelung des Meeresgrundes und des Mondes oder von der Entwicklung fliegender Autos.

Heute setzt die Mehrheit der Bevölkerung – vor allem aber die Jugend – auf ein Leben im Hier und Jetzt. Wenn man überhaupt gedanklich die Gegenwart verlässt, dann blickt man lieber in die als heile Welt erinnerte Vergangenheit zurück als in eine Zukunft voller möglicher Bedrohungen voraus. Doch ähnlich wie in den 1960er-Jahren ist die Jugend auch heute mit verwegenen technischen Innovationen konfrontiert, die alles verändern können.

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Eine Mehrheit setzt auf die weitgehende Digitalisierung des Alltags, die Unterstützung durch Roboter in Beruf und Freizeit, die Ausweitung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, neue Berufe und mehr Möglichkeiten zum Homeworking. Das Interesse am technischen Fortschritt ist in der Schweiz besonders ausgeprägt. Aber gleich neben den positiven Erwartungen an die technologische Entwicklung stehen deren schädliche Folgen.

So befürchtet rund die Hälfte der Befragten in allen drei Ländern eine kaputte Umwelt und ein zerstörtes Weltklima sowie das Aufgehen der Schere zwischen Arm und Reich. Diese Sorgen sind auch ein Hinweis darauf, dass die 16- bis 29-Jährigen trotz ihrer persönlichen Zuversicht nicht mehr an die Problemlösungskompetenz und die Zukunftsfähigkeit von Politik und Zivilgesellschaft glauben.

Das „besorgte Geschlecht“

Die größten fünf Zukunftssorgen der Jugend drehen sich um Umwelt- und Wirtschaftsthemen. Es sind dies der Umweltschutz, der Klimawandel, die steigende Inflation, Umweltkatastrophen und der sich ausbreitende Egoismus. Dieses Sorgenranking ist in den drei untersuchten Ländern beeindruckend homogen, geht aus der Studie hervor. Daran zeigt sich, dass die Zukunftsprobleme unserer Gegenwart in erster Linie globaler Natur sind. Die Angst vor weltumspannenden ökologischen und wirtschaftlichen Katastrophen treibt die Jugendlichen länderübergreifend am stärksten um.

So gut wie alle rezenten Jugend­studien zeigen, dass sich die jungen Frauen gravierend von ihren männ­lichen Altersgenossen unterscheiden. Diese Tendenz bestätigt auch die vor­liegende länderübergreifende Unter­suchung. Weibliche Jugendliche aus der Schweiz und aus Deutschland sind mit ihrem Leben deutlich weniger zufrieden als ihre männlichen Altersgenossen. In Deutschland sehen junge Frauen die Zukunft der Gesellschaft auch düsterer als junge Männer. Letztere zeigen in al­len drei Ländern eine weitaus größere Aufstiegszuversicht.

Ein Straßenbild im ukrainischen Ort Irpin des Künstlers Tvboy von einem Mädchen, gekleidet in den Nationalfarben, das einem Soldaten in Kampfmontur die Hand auf die Schulter legt.
Ein Straßenbild im ukrainischen Irpin. Dass junge Frauen sich mehr Sorgen wegen Krieg und anderen Katastrophen machen, wurzelt bereits in ihrer Erziehung zur Fürsorge um ihre Mitmenschen. © Getty Images

In allen von uns erhobenen Umfrage­daten schimmert durch, dass jungen Frauen von Politik und Gesellschaft nach wie vor geringere Anerkennung entgegengebracht wird. Frauen werden noch immer in höherem Maße zur Sor­ge um die anderen erzogen, während bei den Männern der Charakterzug der egozentrischen „Sorge um sich“ domi­niert. Deshalb ist es auch wenig ver­wunderlich, dass Frauen eine höhere Bereitschaft zeigen, in Familie und Ge­sellschaft Verantwortung für das Allge­meinwohl zu übernehmen.

Die multiplen Krisen gehen Frauen stärker nahe, und sie haben eine deut­lich höhere Bereitschaft, sich für die Krisenopfer einzusetzen. Diese auch von einer konservativ­-traditionellen Erziehung erzeugte Besorgtheit um die Mitmenschen und das permanente Ge­fühl der Verpflichtung zur humanitä­ren Hilfe führen auch dazu, dass junge Frauen in der Jugendforschung als das „besorgte Geschlecht“ bezeichnet wer­ den.

Engagierte Jugendliche

Günstiges Wohnen statt Utopien In Umwelt­ und Klimafragen tritt der Geschlechterunterschied besonders deutlich hervor. Fast doppelt so viele junge Frauen wie junge Männer glau­ben, dass in 20 Jahren unsere Umwelt kaputt und die Klimakrise außer Kon­trolle sein wird. Aber die jungen Frauen sind nicht nur besorgt, sie zeigen auch eine deutlich höhere Bereitschaft zum Engagement.

Vor dem Hintergrund die­ser empirischen Erkenntnis ist es nicht verwunderlich, dass die Symbolfiguren fast aller großen internationalen Bewe­gungen junge Frauen sind; man denke nur an Greta Thunberg in Schweden oder Luisa Neubauer und Carla Reemts­ma in Deutschland. „Wer Vertrauen erweist, nimmt Zu­kunft vorweg. Er handelt so, als ob er der Zukunft sicher wäre.“ Liest man dieses Zitat von Niklas Luhmann aus dem Jahr 1968, so findet man in ihm sofort die treffende Erklärung für die Skepsis großer Teile der Jugend.

Jun­ge Leute empfinden die Zukunft der Gesellschaft deshalb als unsicher und wenig erstrebenswert, weil sie der Politik kein Vertrauen mehr entgegenbringen. Ohne Vertrauen in die repräsentativen Institutionen des Staates wird die Zukunft notwendigerweise von einem Hoffnungsort zu einem Ort gefährlicher Ungewissheit. Die Wünsche der Jugend sind nicht voll romantisch-utopistischer Hoffnungen, sondern von den Problemen der Gegenwart geprägt.

Konjunktur prägt Sorgen der Jungen

Inflation und Teuerung haben zu einer Preisexplosion bei grundlegenden Gütern der Lebenssicherung geführt. Deshalb wünscht man sich in erster Linie ganz prosaisch „günstiges Wohnen“, „höhere Gehälter“ und „günstige Lebensmittel“.

Es zeigen sich aber gravierende Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich auf der einen und der Schweiz auf der anderen Seite: Während es der deutschen und österreichischen Jugend primär um die Befriedigung existenzieller materieller Grundbedürfnisse geht, kann es sich die Schweizer Jugend – wohl aufgrund der relativ niedrigen Inflationsrate im Land – leisten, die grundlegenden Existenzbedürfnisse links liegen zu lassen und sich den großen Menschheitsfragen zuzuwenden.

Werden die aktuellen Krisen nicht beigelegt, gehört die Zukunft dem egozentrisch-materialistischen Klassenkampf.

Dazu gehören abstrakte Großthemen wie Energiewende, Abschaffung von Atomwaffen und Klimawandel. Das materielle Sein bestimmt das Bewusstsein, sagte Karl Marx. Für den Soziologen Ronald Inglehart spiegelte jeder Wertewandel weitgehend die Bewegungen des Konjunkturzyklus wider. Die Ergebnisse der Pragmaticus-Jugendstudie 2023 belegen eindrucksvoll, wie richtig diese zwei Thesen sind.

Abstieg der Mittelschicht

Für die Jugend gilt deshalb, dass sie sich nur dann mit den großen globalen Ökothemen – den „unsichtbaren Bedrohungen“ (Ulrich Beck) – beschäftigen wird, wenn sie keine gravierenden materiellen Sorgen hat und einen Staat vorfindet, dem sie vertrauen kann. Werden die aktuellen Krisen nicht beigelegt, dann gehört die Zukunft eher nicht den idealistischen Musterschülern und ihrer sanften Rebellion für die Umwelt, sondern dem egozentrisch-materialistischen Klassenkampf der abstiegsbedrohten Mittelschicht.

Gemeinsam mit ihren Helikoptereltern befinden sich diese Jugendlichen schon seit Jahren im Modus der Selbstverteidigung. Es geht darum, den über Generationen aufgebauten Status zu erhalten. Das ist im Zweifel wichtiger als hehre Ideale.

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Conclusio

Die heutige Jugend ist mit mehreren, sehr unterschiedlichen Krisen konfrontiert: Pandemie, Krieg in Europa, Klimawandel und einer historisch hohen Inflation. In der Pragmaticus-Jugendstudie berichten 16- bis 29-Jährige aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, wie sie in die Zukunft blicken. Anders als es das Klischee von einer dünnhäutigen Generation vermuten ließe, zeigt sich die Jugend durchaus mutig und kämpferisch, allerdings haben die Jungen das Vertrauen in den Staat verloren und sehen sich eher als zurückgezogene Einzelkämpfer. Wobei vor allem junge Frauen auch Bereitschaft für gesellschaftliches Engagement demonstrieren. Unterm Strich sind junge Menschen zufrieden mit dem eigenen Leben und ihren Perspektiven. Die vielen Krisen lassen sie jedoch düster auf die Zukunft der Gesellschaft blicken.

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