Warum Kernkraft heute so sicher ist

Die Forschung hat die Sicherheit der Kernenergie zur Priorität gemacht. Mit Erfolg: Mit jeder neuen Generation von Reaktoren wurden Nuklearanlagen sicherer und effizienter.

Illustration von Menschen, die für Atomkraft demonstrieren
Radioaktivität ist gefährlich – doch moderne Kernkraftwerke sorgen für sauberere Energie und sind sehr sicher. © Antonio Sortino/Synergy Art
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Auf den Punkt gebracht

  • Eindrucksvolle Statistik. Kernkraft zählt ganz klar zu den sichersten Arten, saubere Energie zu erzeugen.
  • Große Ausbaupläne. Immer mehr Länder, etwa die Vereinigten Arabischen Emirate, setzen auf Kraft durch Kernspaltung.
  • Sichere Kleinreaktoren. Die neuesten Generationen von Reaktoren sind durch ihre Konstruktion automatisch gegen das Durchschmelzen geschützt.
  • Umweltfreundliche Energie. In Kombination mit Sonne, Wind und Wasser können Kernkraftwerke ein wirksames Mittel im Kampf gegen den Klimawandel sein.

Fliegen ist für die meisten Menschen beängstigender, als mit dem Auto zu fahren – obwohl Letzteres erwiesenermaßen gefährlicher ist. Eine Analogie lässt sich zur Kernenergie ziehen: Gemessen an der Zahl der Todesfälle pro Strommenge zählt sie zu den sichersten und saubersten Energiequellen, auf die wir derzeit zurückgreifen können. Das ist vor allem verglichen mit fossilen Brennstoffen der Fall. Trotzdem ist die Skepsis der Öffentlichkeit gegenüber Kernenergie – zumindest in unseren Breitengraden – größer.

Mehr im Dossier Atomkraft

Pro Terawattstunde erzeugter Energie (das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von 27.000 Menschen in der EU) gibt es aufgrund von Unfällen und Luftverschmutzung im Zusammenhang mit Braunkohle 32,72 und mit Kohle 24,62 Tote. Die Kernenergie verzeichnet 0,07 Tote. Das zeigt eine Statistik der Online-Plattform „Our World in Data“ des deutschen Ökonomen Max Roser. Um die Kerntechnologie noch sicherer zu machen, arbeiten Ingenieure seit Anfang dieses Jahrhunderts an neuen Generationen von Reaktoren, die zudem effizienter sind und teilweise sogar mit radioaktivem Abfall beschickt werden können.

„Atoms for Peace“

Wenn es um den Bau von Kernkraftwerken geht, spielt die Reaktorsicherheit seit jeher eine zentrale Rolle. Um zu verstehen, wie sich die Sicherheit von Reaktoren in den vergangenen 40, 50 Jahren weiterentwickelt hat, ist ein Blick auf die Geschichte der Kernenergienutzung notwendig. Ein wesentlicher Anstoß zur raschen Ausbreitung von Kernreaktoren weltweit war die „Atoms for Peace“-Rede von US-Präsidenten Eisenhower am 8. Dezember 1953. Bisher geheim gehaltene Kenntnisse über die Kernspaltung wurden nach dieser freigegeben und allen Ländern die Unterstützung der USA zur Verbreitung der Kernenergie zugesagt.   

Nach Eisenhowers Rede entstand im Zeitraum 1955 bis Ende der 1960er-Jahre in vielen Ländern die 1. Generation von Kernkraftwerken. Damals noch mit einer elektrischen Leistung von 300 Megawatt. Zum Vergleich: Ein Reaktor mit 1000 Megawatt erzeugt im Jahr etwa so viel Strom, wie nötig ist, um die Stadt Wien zu versorgen.

Sicher ist sicher

Die Technologie der 1. Generation entsprach dem technischen Stand der 1950er-Jahre und umfasste bereits einen Sicherheitsbehälter zum Schutz vor Störfällen, Notkühlsysteme, sowie dreifach parallele elektronische Steuerungs- und Sicherheitssysteme (sogenannte 2 von 3 Systeme). Das heißt, wenn zwei von drei Messgrößen abweichen, dann kommt es zu Gegenmaßnahmen. Diese 2 von 3 Systeme werden in allen komplexen Technologien (Luftfahrt, Hochgeschwindigkeitszüge, Eisenbahnsteuerung, Raumfahrt) eingesetzt. Heute sind die Kernkraftwerke dieser Generation alle stillgelegt und zum großen Teil abgebaut.

Aufwendige Nachrüstungen

Für die nachfolgenden Reaktoren der 2. Generation gab es zahlreiche Verbesserungen: Sie hatten eine höhere Leistung, im Bereich um 800 Megawatt Leistung, das entspricht dem Stromverbrauch einer Großstadt, einen verstärkten Sicherheitsbehälter und mehrfach ausgelegte Nach- und Notkühlsysteme. Noch heute sind einige dieser Anlagen in Betrieb, sie wurden jedoch aufwendig aufgerüstet, um dem heutigen Stand der Technik nahezukommen.

Ursprünglich war für diese Reaktoren eine technische Lebensdauer von 40 Jahren vorgesehen. Eine Periode, die auf anfänglichen Abschätzungen der Techniker beruhte und erst durch Messungen während des Betriebes genauer ermittelt werden konnte. Zahlreiche Anlagen erhielten daher seitens der Behörden die Bewilligung von Lebensdauerverlängerungen um zehn bis 20 Jahre. Anlagen der 2. Generation sind noch in allen Ländern, die Kernkraftwerke betreiben in Betrieb (wie zum Beispiel Russland, allen Nachbarländern Österreichs, Frankreich, USA, Asien usw.). Heute gilt es, diese durch modernere Reaktoren der Generation III zu ersetzen.

Digitalisierung und 3. Generation

Anfang der 1990er-Jahre wurden in den Industrieländern (USA, Russland, China, Süd-Korea, Deutschland und Frankreich in Zusammenarbeit) Konzepte entwickelt, um die behördlichen Zulassungsverfahren zu vereinheitlichen. Vorzugsweise handelte es sich dabei um Druckwasserreaktoren (Generation III) mit einer Leistung von circa 1.000 bis 1.500 Megawatt Leistung. Die Sicherheits- und Schutzsysteme wurden komplett digitalisiert, der Sicherheitsbehälter wurde auf Grund von 9/11 gegen Flugzeugabstürze ziviler Maschinen ausgelegt und zum Auffangen der Kernschmelze wurden in manchen Ausführungen Core-Catcher (keramische Wannen zum Auffangen der Kernschmelze) oder externe Druckbehälter-Flutung vorgesehen. Dabei wird der Druckbehälter von außen in der unteren Hälfte mit Wasser umspült, um ein Durchschmelzen von innen zu verhindern.

Mit Ende 2020 sind weltweit 443 Kernkraftwerke in Betrieb, etwa zwei Drittel davon sind Druckwasserreaktoren, die sich weltweit durchgesetzt haben. Generell gibt es circa zehn unterschiedliche Typen von Kernkraftwerken, die sich im Aufbau und Kühlmittel unterscheiden. Ein Druckwasserreaktor besteht aus einem dickwandigen (25 Zentimeter) Druckbehälter, in dem Wasser (hoher Druck von circa 160 bar, Temperatur circa 320 Grad) erwärmt wird (1. Kreislauf). Dieser gibt die Wärme auf einen zweiten Kreislauf ab, dort verdampft das Wasser und der Dampf treibt eine Turbine an, die mit einem Stromgenerator gekoppelt ist.

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Zahlen & Fakten

Ungefähr 50 Kernkraftwerke der Generation III sind weltweit bereits in Betrieb oder in Bau, weitere 150 bis 200 Anlagen sind in Planung oder Vorbereitung. Allein China plant 44 neue Kernkraftwerke, Russland 24. Als erster Staat im arabischen Raum haben die Vereinigten Arabischen Emirate nach eigenen Angaben im Sommer 2020 ein Kernkraftwerk in Betrieb genommen, auch andere Länder der Region wollen nachziehen.

Als Kernkraftwerke der Zukunft gelten Reaktoren der Generation IV (Leistung um 1.000 Megawatt), sowie die Gruppe der Small Modular Reactors (SMR). Um die Reaktoren der Generation IV marktreif zu machen, schlossen sich 13 der größten Industrienationen (Argentinien, Australien, Brasilien, Kanada, China, Frankreich, Japan, Korea, Russland, Süd-Afrika, Schweiz, Großbritannien, USA) und die EU als Ganzes zusammen. Diese Anlagen nutzen den Brennstoff effizienter aus, indem sie das im Reaktorkern eingebaute Uran stärker verbrauchen als ältere Anlagen. Sie sind wirtschaftlich wettbewerbsfähig, produzieren weniger radioaktiven Abfall und sind noch sicherer.

Wirkungsgrad wirkt auch für Sicherheit

Deklariertes Ziel ist ein inhärent sicheres System. Das meint eine Art Schutz durch Naturgesetze vor einer Kernschmelze, Störfällen, Unfällen oder menschlichem Versagen. Sämtliche Generation IV Reaktoren arbeiten bei wesentlich höheren Betriebstemperaturen als Generation II und III. Damit wird der Wirkungsgrad höher, es wird mehr Uran gespalten und bei Betrieb wird ein Teil des erzeugten Plutoniums gleich wieder zur Energieproduktion verbraucht. In den älteren Generationen war dieses Plutonium Teil des hochaktiven Abfalls.

Moderne Atomkraftwerke sind gegen eine Kernschmelze geschützt.

Derzeit wird an sechs konkreten Reaktorsystemen (ausgehend von bisher erprobten Prototyp-Reaktoren mit flüssiger Natrium- oder Heliumkühlung, sowie überhitzten Dampf, flüssigem Blei oder Salzschmelze) geforscht, drei davon sind sogenannte Schnelle Brutreaktoren. Der Reaktorkern eines Brutreaktors besteht aus einer Spaltzone, wo die Uran-Kerne gespalten werden und Wärme und Neutronen erzeugt werden. Diese Spaltzone ist von einem Brutmantel umgeben, wo überschüssige Neutronen in anderen Urankernen eingefangen und diese dann in Plutonium umgewandelt werden. Sie produzieren also mehr Kernbrennstoff als sie verbrauchen. Das ist stark vereinfach gesagt möglich, indem sie bisher nicht nutzbaren Kernbrennstoff nutzbar machen. Außerdem können sie das Plutonium von bereits existierenden Kernkraftwerken der Generation II und III als Brennstoff nutzen.

Bei all diesen Reaktorprojekten – nicht alle sind gleich aussichtsreich – sind jedoch noch umfangreiche Vorarbeiten zu leisten, die international aufgeteilt werden. Es ist damit zu rechnen, dass diese Generation frühestens in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnt.

Kernschmelze unmöglich

Die Small Modular Reactors, an denen derzeit ebenfalls intensiv geforscht wird, haben eine vergleichsweise geringe Leistung (unter 300 Megawatt) und greifen auf bereits erprobte Konzepte zurück. Sie werden für jene Länder entwickelt, die nur kleine Stromnetze zur Verfügung haben. Das ist vor allem in Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika der Fall. Durch die Miniaturisierung können die Anlagen vorgefertigt und am Standort rasch zusammengebaut werden. Sie sind ultrasicher konzipiert, kommen mit wesentlich weniger Pumpen und Rohrleitungen aus, könnten auch unterirdisch errichtet werden und der Brennstoffzyklus kann bis auf vier Jahre verlängert werden.

Durch die geringe Leistung und durch passive Kühlsysteme ist eine Kernschmelze unmöglich. Passiv heißt, dass bei Störfällen zur Kühlung des Kerns keine Stromversorgung notwendig ist. Die Kühlung erfolgt durch natürliche Zirkulation ohne Pumpen. Es sind circa 50 unterschiedliche Modelle in Entwicklung und einige davon haben bereits die behördlichen, nationalen Genehmigungen erhalten, wie zum Beispiel die Reaktorkonzepte NuScale, Terrapower (USA) und CAREM (Argentinien). Weiters sind auch neuartige Reaktorkonzepte, wie der Dual Fluid Reaktor in Entwicklung.Dabei zirkuliert ein Salzschmelze-Brennstoff. Ein Durchgehen des Reaktors, also eine Kernschmelze, aus prinzipiellen Gründen ist nicht möglich, weil der Brennstoff schon in flüssiger Form eingesetzt ist.

Kleinreaktoren können neben der Stromerzeugung auch für Fernheizzwecke, Industriewärme und Agrokomplexe (zum Beispiel Beheizung von Glashäusern oder Fischteichen) eingesetzt werden. Zwei dieser Mehrzweck-Kleinreaktoren des Modells KLT mit 2x35 Megawatt Leistung befinden sich bereits auf einer schwimmenden Plattform in Sibirien und versorgen eine Region mit circa 100.000 Einwohnern mit Strom und Wärme. Hinzu kommt weitere industrielle Nutzung.

Energieversorgung der Zukunft

Dabei hat die Kernenergie den großen Vorteil, dass durch sie eine Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Denn Kernkraftwerke sind sogenannte Grundlast-Kraftwerke. Das heißt, sie sind monatelang bei voller Leistung in Betrieb und stellen die Stromversorgung eines Landes zu jedem Zeitpunkt sicher. Auch Flusskraftwerke, sowie Kohlekraftwerke sind Grundlastkraftwerke. Dem gegenüber stehen Spitzenlastkraftwerke, die bei erhöhtem Strombedarf wie zum Beispiel morgens oder abends oder bei großer Kälte eingeschaltet werden.

Dazu gehören Gaskraftwerke oder Speicherkraftwerke, die in sehr kurzer Zeit dazu geschaltet werden, um einen Blackout zu verhindern. Anders als Kohle- oder Gaskraftwerke produzieren Kernkraftwerke in Betrieb aber kein CO2. Vor allem in Hinblick auf den Klimawandel wäre die Energieversorgung durch Energieträger ohne CO2-Emission (Wind, Solar, Wasser, Nuklear) optimal. Vorausgesetzt, die Sicherheit von Kernkraftwerken durch die neuen ultrasicheren Anlagen kann demonstriert werden und die Entsorgung radioaktiver Abfälle wird schrittweise durch Endlagerbauten gelöst.

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Conclusio

Sicherheitsbedenken sind das Kernelement der Kritik an Kernkraft. Damit die klimafreundliche Art Energie zu produzieren, eine Zukunft haben kann, wird mit Hochdruck an neuen Reaktortypen geforscht. Tatsächlich sind diese innovativen Systeme sicher und effizient. Wenn Kernkraft am Stand der Technik verwendet wird, kann sie in Kombination mit Sonne, Wind und Wasser ein smarter Ausweg aus der Klimakrise sein. Voraussetzung: Forschung und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Hochtechnologien.