Klimajugend – nur ein Mythos?

80 Prozent der Jugendlichen machen sich große Sorgen um das Klima. 40 Prozent nehmen an, dass das Klima in zwanzig Jahren außer Kontrolle ist. Aber nur gut die Hälfte will sich für das Klima engagieren. Warum?

Zeichnung von einer jungen Frau in gelber Latzhose, die mit Spaten in der Hand einem Mann in rosa T-Shirt zuschaut, wie er mit einer Gießkanne in der Hand hockend eine Pflanze bewässert. Im Hintergrund steht ein Schubkarren mit Erde, im Vordergrund ein Eimer aus Metall. Die Illustration ist Teil eines Beitrags über die Klimajugend. Es geht darum, dass auch andere Generationen Verantwortung haben. Zum Klimaschutz haben die Jugendlichen die stärksten und eindeutigsten Einstellungen.
Das Klima betrifft alle Generationen, befindet die Jugend von heute. © Getty Images

Fridays for Future, Letzte Generation – in den vergangenen Jahren haben immer wieder Klimabewegungen für Aufsehen gesorgt, die zu einem großen Teil von jungen Menschen getragen werden. Diese demonstrieren, kleben sich an Straßen fest oder werfen Essen auf Kunst. Und passen damit in das Narrativ der Klimajugend: Jugendliche, die den Umweltschutz politisch für sich gepachtet zu haben scheinen, vornehmlich grüne Parteien wählen und bereit sind, für den Erhalt der Umwelt einen hohen Preis zu bezahlen.

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Doch die Jugend ist keine homogene Gruppe, die sich allein dem Umweltschutz verschrieben hat, und nicht alle jungen Menschen wollen sich in ihre Rolle als „Generation Verzicht“ fügen. Wo steht die Jugend also wirklich, wenn es um das Thema Umweltbewusstsein geht? Die Pragmaticus-Jugendstudie 2023 zeigt ein differenziertes Bild von der angeblichen Klimajugend.

Große Sorge um das Klima

Umweltbewusstsein umfasst in der Soziologie zwei Komponenten: Zunächst bedarf es der Einsicht, dass der Mensch die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet. Zweitens benötigt es die Bereitschaft, die Umwelt zu schützen. Geht es um die Problemwahrnehmung, so zeigt sich, dass die Erderwärmung eine überragende Mehrheit der Jugendlichen ängstigt: Mehr als 80 Prozent der Befragten geben an, sich Sorgen über den Klimawandel zu machen, dicht gefolgt von der Furcht vor Umweltkata­strophen und -verschmutzung.

Die Studie

Damit liegen Umweltfragen im Ranking der Ängste noch vor Kriegen und Atomwaffen, Fragen der gesellschaftlichen Solidarität oder negativen wirtschaftlichen Entwicklungen wie steigender Armut und Inflation.

Lässt man die Jugendlichen über die Welt in 20 Jahren nachdenken, so sieht mehr als die Hälfte eine Zukunft mit kaputter Umwelt und kaputtem Klima, und rund 40 Prozent glauben, dass die Klimakrise in zwanzig Jahren außer Kontrolle sein wird. Klimawandel und Umweltverschmutzung beschäftigen also die junge Generation.

In Deutschland sorgen sich die allerjüngsten Befragten, die 16- bis 19-Jährigen, am meisten. Auch Geschlecht und Bildung spielen eine Rolle, wenn es um die Wahrnehmung der Klimaproblematik geht. In allen drei Ländern machen sich Frauen mehr Sorgen als Männer und Jugendliche mit hoher Bildung mehr Sorgen als Gleichaltrige mit weniger Bildung.

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Zahlen & Fakten

Trotz dieser Unterschiede ist die Umwelt durch die Bank ein Thema, das eine breite Mehrheit der jungen Menschen umtreibt. Die erste Komponente des soziologischen Verständnisses von Umweltbewusstsein ist somit erfüllt. Doch wie steht es um die Bereitschaft, die Umwelt zu schützen?

Starre Verhaltensmuster

Handlungsdruck sieht die junge Generation beim Natur- und Umweltschutz definitiv: Rund 80 Prozent erkennen diese Notwendigkeit. Damit liegt die Umwelt erneut auf Platz eins – vor Menschenrechten oder der Unter­stützung sozial schwacher Menschen.

Para­doxerweise ist die Bereitschaft der Jugendlichen, sich für die Umwelt einzusetzen, trotz des hohen Problem­bewusstseins überraschend gering. Nicht einmal die Hälfte gibt an, sich in diesem Bereich engagieren zu wollen. Auch hier finden sich erneut Unterschiede zwischen Geschlecht und Bildungsgruppe: Wieder sind es Frauen und Jugendliche mit hoher Bildung, die eine hohe Bereitschaft aufweisen. Nichtsdestotrotz ist auch in diesen Gruppen nur etwa jeder zweite Befragte bereit, das auch wirklich zu tun.

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Zahlen & Fakten

Der tiefe Graben zwischen Problemwahrnehmung und Handlungsbereitschaft mag überraschen, ist aber kein Phänomen, das nur die Jugend betrifft. In den Sozialwissenschaften wird dieser Unterschied als Attitude-Behavior-Gap, zu Deutsch Einstellungs-Verhaltens-Lücke, bezeichnet. Gemeint ist damit die Diskrepanz zwischen Umwelt­einstellungen und umweltfreundlichem Verhalten, die in allen Altersgruppen vorkommt.

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Während die Sorge um das Klima in den letzten Jahren stark angestiegen ist, hat sich umweltfreundliches Verhalten nur marginal erhöht. Einige Studien weisen allerdings auch darauf hin, dass die Einstellungs-Verhaltens-Lücke gerade bei jungen Menschen besonders groß sei. Während Jugendliche nämlich tendenziell umweltfreundlicher eingestellt sind, liegt ihre Bereitschaft, für das Klima Steuern zu zahlen oder aufs Fliegen zu verzichten, eher tiefer als bei den Älteren. Woher kommt diese Diskrepanz?

Keine Ressourcen

Zum einen ist Umweltschutz nur ein Problem von vielen, für das sich junge Menschen einsetzen wollen. Ähnlich viele Jugendliche sind bereit, sich für Menschenrechte, Gleichberechtigung, ältere oder sozial schwache Menschen zu engagieren. Weiters geben in der Befragung auch knapp die Hälfte an, dass Umweltschutz zwar wichtig sei, sie andere Themen aber noch wichtiger fänden. Den Jugendlichen mangelt es möglicherweise also nicht generell an Handlungsbereitschaft, sondern an den Ressourcen, sich für alle Themen einzusetzen, die sie wichtig finden.

Foto von einer Gruppe Jugendlicher die von Polizisten umringt auf dem Boden sitzen. In der Mitte des Bildes GretaThunberg. Das Bild soll das Engagement von Jugendlichen für das Klima zeigen.
Eingekesselt: Greta Thunberg im Januar 2023 bei den Protesten gegen die Zerstörung von Lützerath in Nordrhein-Westfalen durch den Energiekonzern RWE. © Getty Images

Auf der anderen Seite gibt es aber auch einen Teil der Jugendlichen, der nicht bereit ist, als erste Generation im großen Stil Verzicht zu üben. Nur etwa jeder Dritte glaubt, dass er es im Leben später besser haben wird als seine Eltern. Ähnlich viele sind sogar davon überzeugt, später ein schlechteres Leben zu führen als die Generation zuvor.

Ein gewisser Missmut gegenüber den Älteren, deren ökologisch verschwenderischer Lebensstil nun ausgebadet werden muss, ist wohl ebenfalls vorhanden: Immerhin knapp drei Viertel der Jugendlichen haben das Gefühl, dass von ihnen erwartet werde, die Fehler der Älteren beim Natur-, Umwelt- und ­Klimaschutz auszubügeln. Auch deshalb fehlt einigen Jugendlichen die Bereitschaft, sich zu engagieren. Sind das also schlechte Nachrichten für die Umwelt?

Nicht ernst genommen

Eine Auswertung deutscher, österreichischer und Schweizer Daten aus der Europäischen Sozialstudie (ESS) lässt einen Vergleich der Jugend mit den älteren Generationen zu. Dabei kommen drei interessante Erkenntnisse zutage: Erstens zeigt sich, dass über die gesamte Gesellschaft gesehen das Umweltbewusstsein hoch ist und in den letzten zwanzig Jahren weiter angestiegen ist.

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Zahlen & Fakten

Zweitens kommt heraus, dass die 16- bis 29-Jährigen ein deutlich geringeres Umweltbewusstsein aufweisen als die Älteren. Drittens begann sich diese Lücke in den letzten Jahren zu schließen; die Jugendlichen haben in ihrem Umweltbewusstsein stark aufgeholt. Die Wurzel dieser gesteigerten Pro­blem­wahrnehmung könnte nicht zuletzt auch in Bewegungen wie Fridays for Future begründet liegen.

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Zahlen & Fakten

Insgesamt bestärkt die neue Pragmaticus-Studie das heterogene Bild der jungen Generation. Auf der einen Seite steht die Klimajugend, die nicht nur die Umweltprobleme wahrnimmt, sondern auch bereit ist, sich für deren Beseitigung einzusetzen, und deren Ziel es ist, die gesamte Gesellschaft in ihrer Bewegung mitzureißen. So finden zwei Drittel der Befragten, dass in den Medien zu wenig über Natur-, Umwelt- und Klimaschutz berichtet werde, und rund 70 Prozent glauben, dass die Politik das Thema nicht ernst genug nehme.

Generationenaufgabe

Auf der anderen Seite stehen Jugendliche, die andere Sorgen haben als den Klimawandel, sich vor Krieg und Armut fürchten und keine Lust haben, Fehler ausbaden zu müssen, die sie nicht begangen haben. Dieser Teil glaubt nicht mehr, mit Engagement für Umweltschutz etwas bewirken zu können. Zwischen drei und vier von zehn Jugend­lichen denken, dass es bereits zu spät sei und man gegen den Klimawandel nichts mehr tun könne.

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass mehr als die Hälfte der jungen Menschen noch daran glaubt, den Klimawandel aufhalten zu können. Dass es bereits in zwanzig Jahren gelingt, glaubt aber nur eine kleine Minderheit.

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Zahlen & Fakten

Mit immerhin rund 45 Prozent der Jugendlichen, die zu eigenem Engagement bereit sind, werden in Zukunft sicher viele Maßnahmen umgesetzt werden können. Dennoch zeigt sich, dass Klima und Umwelt weder inhärent jugendliche Probleme noch die alleinige Verantwortung junger Menschen sind. Vielmehr braucht es eine Handlungs­bereitschaft in der gesamten Gesellschaft, um die Umwelt zu schützen.

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Conclusio

Berichte über Schülerproteste und jugendliche Aktivisten, die sich auf Straßen festkleben, erwecken den Eindruck von einer ganzen Generation, die sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben hat. Tatsächlich bereitet die Erderwärmung acht von zehn jungen Menschen große Sorgen – doch bereit zum Engagement ist nur knapp die Hälfte. Dieses Phänomen zieht sich jedoch durch die gesamte Gesellschaft und betrifft nicht nur Umweltthemen. Außerdem sticht die Jugend mit ihrem Umweltbewusstsein weniger hervor, weil ein Sinneswandel in allen Altersschichten statt­findet. Die Fülle an anderen Sorgen und die Einschätzung, dass Junge für Fehler der vorangehenden ­Generationen büßen sollen, tragen auch dazu bei, dass sich die Lust auf persön­lichen Verzicht und auf Klima-Engagement in Grenzen hält.

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