Naturschutz ist der Schlüssel

Versiegelung, Entwaldung, Entwässerung: Die Zerstörung von Natur ist der wesentliche Treiber des Klimaproblems. Der Erhalt von Ökosystemen und Biodiversität muss im Zentrum jeder Lösung stehen.

Folgen des Klimawandels: Trockenheit und Dürre vernichteten die Holzernte im Harz
Der Harz in Deutschland im August 2021. Dürre, Stürme und nachfolgende Borkenkäfer haben die Holzernte vernichtet. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Zwei Seiten, ein Problem. Klimakrise und Artensterben sind Symptome. Das Problem ist die Zerstörung der ökologischen Grundlagen unseres Lebens.
  • Es ist nicht nur das Öl. Versiegelung, Entwässerung und Naturzerstörung treiben den Klimawandel voran und verschlimmern seine Folgen.
  • Schutz vor den Folgen. Wir brauchen Artenvielfalt und intakte Ökosysteme, um uns vor den Folgen des Klimawandels zu schützen.
  • Technik ist nicht genug. Die Ausbeutung der Natur darf nicht fortgesetzt werden, da ein Leben im neuen Klima nur mit der Natur möglich ist.

Wir spüren und wissen es alle auf die eine oder andere Weise: Wir sind gerade Zeugen der rasanten Zerstörung des grünen Fundaments des Planeten Erde.

Nahezu drei Viertel der bewohnbaren Oberfläche des Planeten hat der Mensch sich schon untertan gemacht; meist, indem die ursprünglichen Lebensräume in Agrarflächen oder genutzte Wälder umgewandelt wurden. Diese Entwicklung schreitet stetig mit immer größerer Geschwindigkeit weiter voran: Jedes Jahr wird eine Waldfläche der Größe von 250.000 Quadratkilometern gerodet – etwa die dreifache Fläche Österreichs. Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind nach Schätzungen des Weltbiodiversitätsrates vom Aussterben bedroht. Allein in Österreich werden täglich (!) zwölf Hektar Boden verbaut und versiegelt. Das sind 120.000 Quadratmeter, jeden Tag. Innerhalb von nur 20 Jahren haben wir 40 Prozent der Brutvögel verloren. An immer mehr Orten in Österreich ist der „stumme Frühling“, vor dem die Biologin Rachel Carson 1962 warnte, keine Fiktion mehr, sondern Realität.

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Wir haben etwas falsch verstanden

Die Liste der Verluste ließe sich noch lange fortsetzen. Warum überhaupt ein Inventar der Verluste führen? Das Faktum, dass wir in einer vom Menschen verursachten und sich mit dramatischer Geschwindigkeit verschärfenden Umweltkrise leben, ist unumstritten und überdies ja weithin bekannt. Wir brauchen diese Inventur, weil wir etwas ganz Grundlegendes bis heute falsch verstehen, und das hindert uns an der Lösung des Problems: Indem wir natürliche Lebensräume vernichten, verlieren wir auch den Kampf gegen den Klimawandel. Etwa 25 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen entstehen nämlich nicht durch die Verbrennung fossiler Energie, sondern weil wir die Natur zerstören. Sie sind eine direkte Folge der Biodiversitätskrise.

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Zahlen & Fakten

Der rasante Verlust an Biodiversität und der voranschreitende Klimawandel sind zwei akute Symptome mit einer gemeinsamen Ursache: dem Überschreiten der planetaren Grenzen durch die unersättliche Ressourcengier der Menschheit – besonders der reichsten Menschen und Länder der Erde.

Sind wir bereit für eine Lösung?

Inzwischen ist deutlich, dass wir damit die Grundlagen unseres Wohlstands (und unserer Gesundheit, nebenbei bemerkt) nachhaltig, womöglich für immer, gefährden. Das World Economic Forum (WEF) in Davos hat in seinem Global Risks Report 2022 den Biodiversitätsverlust und den Kollaps von Öko­systemen als eines der drei gravierendsten globalen Risiken für die Menschheit eingestuft. Die anderen beiden Risiken sind das Versagen der Klimapolitik und die Folgen von Extremwetter. Das WEF liegt richtig: Naturzerstörung und Klimawandel sind zwei Seiten derselben Medaille.

Der Klimawandel in Österreich: Flut in Hallein (Salzburg)
Sturzfluten nach Starkregenfällen in Hallein in Salzburg, Österreich im Juli 2021. © Getty Images

Durch Zerstörung natürlicher Lebensräume wie Wälder und Moore und durch die zu intensive Nutzung landwirtschaftlicher Flächen werden große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt. Manchmal kann man quasi live dabei sein und es sehen, etwa bei Waldbränden; meistens ist es unsichtbar: etwa, wenn Moore entwässert werden, Torfboden langsam abgebaut wird und als Kohlendioxid in die Luft entweicht. Was den Klimawandel in Wahrheit antreibt, ist die Zerstörung von Natur.

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Zahlen & Fakten

Welche Schlussfolgerungen muss man aus diesem Befund ziehen? Zuallererst einmal: Wenn wir wirklich eine Klimawende wollen, dann kann das nur mit der Natur als Partner gelingen, nicht gegen sie. Dieser Befund ist in der Wissenschaft Konsens. Die Wiedervernässung von Feuchtgebieten, der Schutz und die Wiederherstellung von Lebensräumen, der Verzicht auf übermäßige Düngung, die Einrichtung von Schutzgebieten – all dies sind Natur- und Klimaschutzmaßnahmen in einem. Solche Maßnahmen stärken unsere Widerstandskraft gegen die Folgen des Klimawandels.

Ein intakter Wald kann nun einmal einem Sturm oder einer Hitzewelle viel besser trotzen als ein übernutzter, und – in einem Gebirgsland wie Österreich besonders wichtig – er schützt auch viel besser vor Lawinen, Muren und Hochwässern. Eines muss uns bei all dem nämlich bewusst sein: Wir können den Klimawandel nicht mehr vermeiden, wir können uns aber bestmöglich vor den Folgen schützen. Daraus ergibt sich, dass eine Trendwende zu einer an der Natur orientierten und das Klima schützenden Politik im Gleichklang erfolgen muss.

Auch Konflikte sind lösbar

Für Landnutzer wie Bauern und Forstwirte heißt dies, dass sich eine nachhaltige Landnutzung deutlich mehr rechnen muss als die Naturzerstörung, die bisher durch die Subventionen finanziert wurde. Wir müssen geeignete Rahmenbedingungen für nachhaltige Landnutzung schaffen.

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Zahlen & Fakten

Die Möglichkeiten sind vorhanden – etwa im Rahmen einer Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik. Oder durch den dringend nötigen Ausbau des jüngst in Österreich eingerichteten Biodiversitätsfonds auf eine Dotierung von einer Milliarde Euro. Oder indem wir den Flächenverbrauch auf ein Hektar pro Tag begrenzen. Oder indem wir Ökosysteme restaurieren. Umgekehrt ist offensichtlich, dass unausgereifte und in vielen Fällen unerprobte technologische Lösungen auf Kosten der Natur keine angemessene Antwort auf den Klimawandel sein können. Geoengineering geht nicht weit genug, weil es sich in der Regel auf Symptombekämpfung beschränkt. Das ist jedoch ein Spiel mit dem Feuer. Kein Arzt würde einem Schwerkranken eine Medikation verschreiben, die nicht die Ursache der Erkrankung bekämpft. Genau das aber ist Geoengineering.

Unser Planet braucht keine Sym­ptombehandlung. Schon gar nicht, bevor nicht die erprobten, sicheren und rasch umsetzbaren Maßnahmen, die die Biodiversitäts- und Klimakrise gemeinsam an den Wurzeln packen, vollumfänglich umgesetzt sind. Erinnern wir uns: Nur noch rund zwanzig Prozent aller Lebensräume in Österreich sind intakt. Und wir brauchen jeden ursprünglichen Lebensraum, um mit den Folgen des Klimawandels klarzukommen.

Naturschutzgebiet Degermoos
Das Degermoos im Allgäu: Nach jahrzehntelanger Entwässerung wird das Moor nun renaturiert – als Waffe gegen den Klimawandel. © Getty Images

Auch wenn Synergien zwischen Klimaschutz und Naturschutz weitaus überwiegen, so ist klar, dass es Konflikte gibt. Am stärksten sind sie dort, wo Erzeugung erneuerbarer Energie Eingriffe in der Natur nach sich zieht – seien es Wasserkraftwerke oder Windräder. Hier müssen wir Kompromisse suchen. Diese können so aussehen, dass die Errichtung neuer Wasserkraftwerke in den letzten verbliebenen naturnahen Flüssen Österreichs ein No-Go bleiben muss, während an anderen Orten Wasserkraft möglich sein wird und sinnvoll ist. Ähnliches gilt für neue Windräder – auch hier braucht es eine Abwägung zwischen Naturschutz und Klimaschutz. Dies wird nicht immer einfach sein, ist aber lösbar.

Man muss es nur machen

Der Österreichische Biodiversitätsrat hat vor einigen Jahren schon die nötigen Maßnahmen aufgelistet, um den Artenverlust bis 2030 zu stoppen. Ebenso hat das Climate Change Centre Austria – der Verbund der Klimaforscher und -forscherinnen Österreichs – einen Klima-Maßnahmenplan vorgelegt. Entscheidungsträger wissen also, was nötig ist, um Klima- und Naturschutzpolitik gemeinsam umzusetzen. Die große Mehrheit der Österreicher erwartet sich, dass dies gelingt. Rasch, ambitioniert, transparent, auf Basis wissenschaftlicher Evidenz.

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Conclusio

Was wir jetzt dringend brauchen, sind Antworten auf die Frage, wie wir mit den zu erwartenden Folgen des Klimawandels wie Überflutung, Dürre und Extremwetter umgehen. Der Verlust an Natur und Bio­diversität ist eine der Hauptursachen des Klimawandels und das größte Risiko für die Menschheit. Indem wir die Naturzerstörung stoppen und, wo immer es geht, sogar rückgängig machen, etwa durch Entsiegelung, machen wir Wirtschaft und Gesellschaft widerstandsfähig. Lösungen durch Naturschutz sind sicher, erprobt und sofort umsetzbar und daher jeder ­individuellen oder technischen Lösung überlegen. Wenn wir nichts tun, um die verlorene Artenvielfalt wieder zu erhöhen und verlorene Ökosysteme zu retten, verstärken wir den Treibhaus­effekt. Naturschutz ist unsere beste Waffe im Kampf gegen den Klimawandel.