Zeit für solares Geoengineering?

Solares Geoengineering ist riskant – sehr riskant sogar. Dasselbe gilt aber auch für die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und den Klimawandel. Trotzdem emittieren wir weiterhin CO2. Nehmen wir das richtige Risiko in Kauf?

Satellitenaufnahme von Hurrikan Dorian im Jahr 2019
Hurrikan Dorian, 2019. Solares Geoengineering könnte Wetterereignisse auf der ganzen Welt außer Kontrolle bringen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Temperatur regeln. Die Erde erwämt sich, und das zu schnell. Statt die Ursachen anzugehen, könnten wir uns auch dem Temperaturproblem widmen.
  • Klima konstruieren. Solares Geoengineering will die Solarstrahlung reduzieren, die den Erdboden erreicht. So soll künstlich ein kühleres Klima geschaffen werden.
  • Konsequenzen enorm. Würde uns das gelingen, könnten wir manche Folgen des Klimawandels spürbar abmildern. Gänzlich aufgehoben würden sie aber nicht.
  • Glück herausfordern? Das viel größere Problem: Solares Geoengineering birgt Gefahren und extreme Risiken. Ein Fehlexperiment könnte uns die Zukunft kosten.

Solares Geoengineering stellt alles, was wir über den Klimawandel und die Klimapolitik zu wissen glauben, auf den Kopf. Egal, ob das CO2 in der Atmosphäre gleich bleibt oder sogar steigt – solares Geoengineering ist, in der Theorie, ein Temperaturregler in unserer Hand. Es hebt die Verbindung zwischen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und den globalen Durchschnittstemperaturen auf und ist die einzige klimapolitische Maßnahme, die zu so einem Schritt in der Lage ist.

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Dabei ist dieses Instrument auch höchst problematisch. Solares Geoengineering geht nicht direkt an die Ursache des Klimawandels heran – es bekämpft nur die globalen Durchschnittstemperaturen, das aber schnell und kostengünstig. Das ist, kurz gesagt, auch der Grund, weshalb der Einsatz von Solar Radiation Management (SRM)-Technologien trotz aller Einwände keine Frage des Ob, sondern des Wann ist.

Vom „Trittbrettfahrer“ zum „Gratisfahren“

Die Ökonomie hat ein eindeutiges Urteil darüber, was die Ursache der übermäßigen CO2-Emissionen in der Atmosphäre angeht: Die Vorteile der CO2-Emissionen sind privatisiert, während die Kosten der eigenen Verschmutzung weitgehend sozialisiert sind. Die Lösung liegt auf der Hand: Der Preis für CO2 muss der Differenz zwischen den privaten und den sozialen Grenzkosten entsprechen. Anders formuliert: Niemand hat ein unmittelbares Eigeninteresse daran, als Erster die Kosten der CO2-Minderung zu tragen. Das gilt für Einzelpersonen und Unternehmen ebenso wie für Staaten. Warum sollte man sich zu etwas verpflichten, wenn andere es nicht tun? Ökonomen sprechen hier von einem „Free Rider“ („Trittbrettfahrer“) Phänomen.

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Zahlen & Fakten

Schwarzweißaufnahme eines Mannes, der sich während Hurrikan Carol an einem Baum festhält
Extremwettereignisse wie Hurrikan Carol 1954 – bald das neue Normal? © Getty Images

Solar Radiation Management

  • Solares Geoengineering, auch solare Strahlungsmodifikation genannt, englisch Solar Radiation Modification, SRM. Darunter werden Technologien und Maßnahmen zusammengefasst, die die Sonneneinstrahlung beeinflussen sollen – indem etwa Schwefeldioxid in die Stratosphäre eingebracht wird oder auch Kohlepartikel in der Atmosphäre verstreut werden. Die Partikel würden den Himmel verdunkeln, sodass weniger Sonnenlicht auf die Erde gelangt, oder ihn, wie bei der „Wolkenaufhellung“ durch Salzpartikel, heller machen, damit die Strahlung reflektiert wird, bevor sie auf die Erdoberfläche trifft.
  • Da das lebensfreundliche Erdklima mit mittleren Temperaturen von (ehemals) circa 15 Grad das Ergebnis eines Gleichgewichts des Kohlenstoffkreislaufs ist, adressiert SRM nur ein Symptom: die überdurchschnittliche Erwärmung.

Wirkung und Risiken

  • Solar Radiation Modification hat eine unmittelbare Kühlungswirkung.
  • SRM könnte in Teilen der Erde die Fähigkeit der Biosphäre, Kohlenstoff aufzunehmen, erhöhen.
  • Die Technologie könnte eventuell dazu führen, dass mehr Anstrengungen unternommen werden, den Klimawandel zu bremsen – oder aber im Gegenteil zu mehr Emissionen führen.
  • Die Technologien sind noch nicht ausgereift: Es gibt keine Methode, ausreichende Mengen Aerosole in die Stratos- oder oder Atmosphäre zu bringen. Dies trifft auch auf die Wolkenaufhellung oder die Wolkenimpfung zu.
  • SRM muss permanent eingesetzt werden, da es die Ursachen der Erderwärmung nicht adressiert. Wird SRM je eingestellt – ob freiwillig oder unfreiwillig – ist ein enormer globaler Temperatursprung die Folge, mit allen Konsequenzen.
  • Schwefeldioxid schädigt die Ozonschicht. Je mehr freigesetzt wird, desto mehr. Die Ozonschicht schrumpft ohnedies – trotz des Verbots von Fluorchlorkohlenwasserstoffen. Abgesehen von der schädlichen UV-Strahlung verursacht dies Kosten in der Landwirtschaft von 68 Milliarden US-Dollar.
  • Die Wirkung der Kühlung ist regional unterschiedlich: Das heißt es kann in Teilen der Welt zu Dürren kommen, in anderen Teilen der Welt zu enormen Niederschlägen und Überflutungen.
  • Stürme und Zyklone werden häufiger auftreten. Da die Kipppunkte des Klimasystems noch nicht verstanden sind, kann man nicht abschätzen, wie sich SRM auf die globalen Meeresströmungen auswirken würde. Groß angelegtes SRM kann das ganze Klimasystem stören.

Beim solaren Geoengineering dreht sich eben dieser Effekt vollkommen um. Solares Geoengineering ist mehr oder weniger gratis – zumindest verglichen mit den möglichen Konsequenzen. „Gratis“ ist natürlich eine leichte Übertreibung: Die Kosten für solares Geoengineering belaufen sich, Pi mal Daumen, auf einen einstelligen Milliardenbetrag pro Jahr, und sein Einsatz ist mit potenziell großen Risiken verbunden. Dafür wären wir aber in der Lage, die weltweiten Temperaturen zu kontrollieren. Das wiederum ist Macht, und Macht bedeutet Risiko. Es bedeutet aber auch, dass wir uns von einem „Free Rider“-Effekt hin zu einem „Free Driver“-Effekt bewegen könnten – also dem des „Gratisfahrens.“

Drei Gedankenspiele

Welche Pfade könnten uns konkret auf den Weg des solaren Geoengineerings bringen? Gehen wir einige Szenarien durch. Vergessen Sie dabei bitte nicht: Was Sie gleich lesen werden, ist falsch. Jedenfalls wird es sich wahrscheinlich als falsch herausstellen. Ich weiß nicht, wer am 20. Januar 2025 als Präsidentin der Vereinigten Staaten vereidigt wird. Ich weiß nicht, was auf den Philippinen im Jahr 2035 oder in Saudi Arabien im Jahr-2045 geschehen wird. Das liegt in der Natur von Zukunftsszenarien – aber genau deshalb sind sie auch so aufschlussreich.

Szenario I: Die „rationale“ Klimapolitik

Montag, 20. Januar 2025: Eine neue US-Präsidentin tritt ihr Amt an. Geleitet von grünen Konjunkturprogrammen waren die Jahre zuvor schon weltweit Billionen in hocheffiziente, kohlenstoffarme Infrastrukturen geflossen. Motiviert durch den russischen Einmarsch in die Ukraine versuchen mittlerweile seit drei Jahren die USA, die EU, China und viele andere Länder, sich klimapolitisch gegenseitig zu übertrumpfen. Indien hat gerade ein überaus ambitioniertes CO2-Emissionsziel bekannt gegeben. Groningen pumpt temporär wieder Erdgas, aber Europa ist am Weg bis 2030 aus Erdgas vollkommen auszusteigen. Alle haben verstanden, was auf dem Spiel steht; die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen ist gut.

Solares Geoengineering ist mehr oder weniger gratis – zumindest verglichen mit den möglichen Konsequenzen.

Die weltweiten Treibhausgasemissionen sind jedes Jahr um ein bis drei Prozent zurückgegangen. Nun sollen Technologien zur Kohlenstoff-Entnahme und zur Erforschung des solaren Geoengineerings erforscht werden, weil das Tempo noch nicht ausreicht.
Das US-Energieministerium soll Technologien zur Kohlenstoff-Entnahme fördern. Die Industrie macht mit, weil 2030 eine nationale Kohlenstoffsteuer von über 100 Dollar pro Tonne Kohlendioxid vorgesehen ist. Ölkonzerne wollen ihr Geld nun damit verdienen, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entnehmen und ihn entweder in Form von flüssigen Brennstoffen zu liefern oder ihn ganz unter der Erde zu vergraben. Für solares Geoengineering sind 100 Millionen Dollar jährlich vorgesehen.

Aus den internationalen Forschungsgemeinschaften sowie privat gegründeten Foren und Initiativen entsteht eine Art globaler Steuerung für diese Klimapolitik, die Emissionsreduktion, Kohlenstoffentnahme und Geoengineering kombiniert. Aber: Es bleibt Aufgabe der Politiker, eine Entscheidung zu treffen, die hoffentlich von soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen und einem Verständnis für die gemeinsame Zukunft des Planeten geleitet wird.

Szenario II: Die Krisenpolitik

Wechseln wir von der „rationalen“ Welt in die Welt, wie sie 2035 (oder früher) aussehen könnte: Manila erholt sich gerade von einem weiteren tropischen Wirbelsturm der Spitzenklasse, wieder haben Millionen von Menschen ihr Zuhause verloren. Die ungewöhnlich hohen Oberflächentemperaturen der Ozeane führen zu regelmäßigen zerstörerischen Stürmen nicht nur in den Küstenregionen, im Golf von Mexiko herrscht ständiger Ausnahmezustand, auf der ganzen Welt werden Rekordtemperaturen gemessen, es herrschen überdurchschnittliche Dürren, Waldbrände und andere Wetterextreme, die bereits die österreichische Ski- und die australische Strandsaison fast auf einen Schlag zunichte machten. „Überdurchschnittlich“ hat 2035 jede Bedeutung verloren. Wetterextreme sind die neue Normalität. Selbst die aggressivsten Anpassungspläne werden alle paar Jahre neu angepasst.

Jetzt will man ein noch nicht erprobtes Verfahren dem Realitätstest unterziehen: solares Geoengineering. Die Philippinen sind bereit, als Startplatz zu dienen. Australien sagt finanzielle Unterstützung und technisches Fachwissen zu. Norwegen, Schweden und Dänemark unterstützen aus humanitären Gründen, wobei sie innerhalb der Europäischen Union einen Alleingang unternommen haben. (Die deutschen Grünen, die immer noch Teil der Regierungskoalition sind, haben jegliche Bemühungen in Deutschland und damit auf EU-Ebene blockiert.) Alle anderen, einschließlich der Vereinigten Staaten und China, schauen müde zu; Indien und Nigeria unterstützen stillschweigend.

Unter Asche verschüttetes Dorf nach Ausbruch des Vulkans Pinatubo
Ein von Asche verschüttetes Dorf auf den Philippinen nach dem Ausbruch des Vulkans Pinatubo im August 1992. © Getty Images

Es wird beschlossen, einen „sicheren“ Weg einzuschlagen und Schwefeldioxid zu verwenden, der Ausbruch des Pinatubo im letzten Jahrhundert gilt als „natürliches“ Vorbild. Die Versuche, eine globale Steuerung zu etablieren, scheitern, bis sich eine unabhängige Gruppe von führenden Persönlichkeiten aus aller Welt findet, die sich der radikalen Transparenz verpflichten. Dass die globalen Durchschnittstemperaturen durch die Menschheit reguliert werden, wird immer selbstverständlicher.

Szenario III: Millionen von Geo-Technikern

Das Jahr 2035, vielleicht auch 2045. Das solare Geoengineering beginnt mit unzähligen Ballons, die von Privatpersonen in die Luft gelassen werden und jeweils fünf, zehn oder maximal 20 Kilogramm Schwefeldioxid in die untere Stratosphäre befördern. Zugleich gibt es von Saudi-Arabien ausgehend Experimente mit Raketen. Im Nachhinein wird klar: Es war der Versuch, größere Mengen von Aerosolen in die untere Stratosphäre einzuführen. Warum Saudi-Arabien? Für Saudi Arabien ging es um die ökonomische und gesellschaftliche Existenz: Die Verbrauchsnormen in Europa und den USA hatten das Autofahren effizienter gemacht. Dies wiederum hatte die Ölnachfrage und Ölpreise gesenkt, aber die Ölnachfrage anderswo ansteigen lassen.

Allein die Aussicht auf eine noch strengere Klimapolitik hatte die Saudis und andere dazu gebracht, noch mehr Öl zu fördern und schließlich selbst ganz auf fossile Brennstoffe zu setzen. Lieber Exportieren als selbst konsumieren, hieß die Devise. So viel wie möglich pumpen, solange noch jemand bereit ist, für Öl und Gas zu bezahlen. So wurden Umweltgruppen in den Vereinigten Staaten und in einer Handvoll europäischer Länder mobilisiert, jene selbstgebastelten Ballons in die Luft zu bringen. Alle Versuche, dieses Geoengineering zu unterbinden, scheitern. Es ist ein dezentrales System und damit praktisch unbesiegbar, vergleichbar mit dem internationalen Drogenhandel.

Zeit, zu handeln

Ja, dieses dritte Szenario ist mehr noch als die anderen beiden „hochspekulativ“. Aber ist überhaupt eines dieser Szenarien wahrscheinlich? Nein. Oder besser gesagt: Ich weiß es nicht, und sonst auch niemand. Die Szenarien sind technisch machbar, ökonomisch relevant. Politisch? Keine Ahnung. Sie zeigen, welche Elemente solares Geoengineering wahrscheinlich machen, und sie zeigen, wie wir – ohne Plan – auch ins Geoengineering hineinschlittern können.

Wir leben in einer Welt, in der der wahre Preis für jede Tonne CO2 ein Vielfaches dessen ist, was die große Mehrheit der Welt offenbar zu zahlen bereit ist. Die Risiken eines ungebremsten Klimawandels sind nur allzu offensichtlich. Der Drang nach einer schnellen technischen Lösung ist nur allzu real. Was mich nachts oft wach hält – und das im wahrsten Sinne des Wortes – ist die Angst, dass wir in solares Geoengineering hineinstolpern. Dass wir – wir Forscher – etwas Grundlegendes übersehen, und dass die Zeit einfach nicht auf unserer Seite ist.

Was mich nachts oft wach hält, ist die Angst, dass wir in solares Geoengineering hineinstolpern.

Nachdem Ausbruch des Pinatubo 1991, der die globale Durchschnittstemperatur um 0,5 Grad Celsius senkte, dauerte es 25 Jahre, bis der erste Artikel in der Fachzeitschrift Nature erschien, der die Auswirkungen der Streuung des Sonnenlichts auf die Landwirtschaft abschätzte. Währenddessen sterben heute Menschen an den Folgen des ungebremsten Klimawandels. Die eindeutige Antwort ist natürlich, den Klimawandel einzudämmen: die CO2-Emissionen und andere Treibhausgase zu reduzieren, und zwar jetzt. Das ist vielleicht der beste Nutzen des solaren Geoengineerings heute: den Menschen Angst zu machen, damit sie den Klimawandel stärker eindämmen. Aber was ist, wenn wir durch solares Geoengineering mehr Menschen retten könnten?

Das unvermeidliche Glücksspiel

Etwas philosophischer formuliert: An welchem Punkt wird aus einem Unterlassungsfehler ein Begehungsfehler, wenn wir nicht genug CO2 einsparen? Wenn wir glauben, dass wir diese Schwelle überschritten haben – und das tue ich ganz sicher –, ab wann gilt dann etwas Ähnliches für Geoengineering? Genau an diesem Punkt kommen wir wieder auf das „Risiko“ zurück, das mit dem solaren Geoengineering verbunden ist. Es zu verfolgen ist riskant, vielleicht sogar unangemessen riskant. Nicht zu handeln ist ähnlich riskant, vielleicht sogar noch riskanter. Keine einfache Nutzen-Kosten-Analyse wird uns sagen, welchen Weg wir einschlagen sollen.

Bei der Entscheidung geht es um eine Risiko-Risiko-Abwägung, bei der die Risiken eines ungebremsten Klimawandels gegen die Risiken einer möglichen Fortsetzung des solaren Geoengineering abgewogen werden. Das ist eine höchst unangenehme Situation. Es ist ein Glücksspiel, und zwar ein planetarisches. Es ist ein Glücksspiel, zu dem wir gedrängt werden: „nicht ob, sondern wann“. Mir wäre es viel lieber, wenn wir vorbereitet wären, wenn es so weit ist.

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Conclusio

Die einen wollen die Wolken aufhellen, die anderen dem Planeten einen Sonnenschirm verpassen: Solares Geoengineering wirkt auf den ersten Blick wie eine innovative Herangehensweise an den Klimawandel. Tatsächlich ist es aber eine der unberechenbarsten Methoden, um die globale Erwärmung in den Griff zu kriegen – und verspricht weniger schnelle und umfangreiche Erfolge, als gerne von seinen Befürwortern behauptet. Dennoch sollten wir die Frage nicht ignorieren, ob die Gefahren, vor denen wir bereits jetzt stehen, in Wahrheit nicht noch größer sind als die Risiken der künstlichen Klimakontrolle. Der Zeitpunkt, ab dem es nicht mehr entschuldbar ist, zu warten, könnte schon bald gekommen sein. Und einen zweiten Planeten haben wir nicht – unabhängig davon, für welches Vorgehen wir uns entscheiden.