Wolkenimpfung: Eine riskante Idee

Können wir Wolken impfen, um sie wärmedurchlässiger zu machen und die Erde zu kühlen? Theoretisch ja – allerdings ist die Idee bereits im Grundsatz problematisch.

Zirruswolken in Schottland
Sie heißen Eiswolken, blocken aber einen Teil der Wärmeabstrahlung: Zirruswolken. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Wolkendecke. Für die Erderwärmung spielen Wolken eine wichtige Rolle. Besonders die dünnen Zirruswolken dienen als Wärmespeicher der Atmosphäre.
  • Klimawirkung. Würden wir alle Zirruswolken entfernen, würde das den Planeten um bis zu 4 Grad Celsius abkühlen. Die Klimakrise wäre damit jedoch nicht gelöst.
  • Geoengineering. Wissenschaftler untersuchen, was passiert, wenn wir Zirruswolken ausdünnen, um sie wärmedurchlässiger zu machen.
  • Risiko. Das Resultat: Vorerst gibt es viel zu viele Unbekannte, um das Verfahren zu empfehlen – insbesondere im Hinblick auf mögliche Extremwetterereignisse.

Ich interessiere mich schon seit meiner Jugend für Umweltthemen, in der Schule und zu Beginn meines Studiums habe ich ehrenamtlich für einen Jugendverband gearbeitet und dabei Workshops über den Klimawandel koordiniert. Zu der Zeit hörte ich zum ersten Mal von der verrückten Idee, das Klima künstlich zu verändern, und zwar in einer Broschüre mit dem Titel „Geopiraterie“. Inzwischen bin ich Klimaphysiker und untersuche, ob man das Klima verändern kann und die Erde kühlen, indem man Zirruswolken verdünnt. Ich bin selbst zum Geopiraten geworden.

Zirruswolken als Wärmedecke

Ich arbeite als Wolkenphysiker mit Computermodellen, um zu verstehen, wie hauchdünne Zirruswolken – die aus Billionen von Eiskristallen bestehen – unser Klima beeinflussen. Sie wissen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung, dass Temperaturen normalerweise sinken, wenn Wolken die Sonne verdecken. Zirruswolken sind jedoch anders. Sie sind relativ dünn und lassen daher den Großteil der Sonneneinstrahlung durch. Andererseits blockieren sie, ähnlich wie Treibhausgase, einen Großteil der Langwellenstrahlung, die von der Erde ausgeht. Man kann sich Zirruswolken wie Decken vorstellen, die die Erde zusätzlich erwärmen und den Treibhauseffekt verstärken.

Zirruswolken sind wie Decken: Sie erwärmen die Erde und verstärken den Treibhauseffekt.

Würden wir alle Zirruswolken sofort entfernen, würde sich der Planet um etwa 4 Grad Celsius abkühlen. Das entspricht etwa dem Vierfachen des derzeitigen Temperaturanstiegs aufgrund menschengemachter Treibhausgasemissionen. Dieser Artikel soll kein Plädoyer für Geoengineering sein, aber wenn wir uns eine künftige Gesellschaft vorstellen, die die schwierige Entscheidung zu fällen hat, bei der Schadensbegrenzung des Klimawandels auch auf Geoengineerung zurückzugreifen, dann könnte die Ausdünnung der Zirruswolken eine verlockende Option sein. Sie steuert der Wirkung von Treibhausgasen wirksamer entgegen als andere solare Geoengineering-Methoden, etwa sogenannte Stratospheric Aerosol Injections, und hätte wahrscheinlich weniger negative Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und unsere Ökosysteme.

Mehr Eiskristalle, größere Klimawirkung

Aber was sind eigentlich Zirruswolken – und wie entstehen sie? Grundsätzlich bilden sich Wolken an Stellen in der Atmosphäre, wo es zu Aufwärtsbewegungen kommt. Diese sind oft mit Turbulenzen verbunden. Erinnern Sie sich an Ihren letzten Flug mit einem Flugzeug durch eine Wolkenschicht? Ich wette, es war ein holpriger Flug! Auch die Bildung von Eiskristallen, aus denen Zirruswolken bestehen, erfordert starke Aufwinde bei sehr kalten Temperaturen, in der Regel kälter als minus 40 Grad Celsius. Wenn in diesen Aufwinden Aerosole – winzige Tröpfchen aus Schwefelsäure und Wasser – gefrieren, entstehen sogenannte „saubere Zirren“: Sie enthalten in der Regel eine große Anzahl von Eiskristallen, die den in der Umgebungsluft vorhandenen Wasserdampf sammeln.

Es gibt noch einen zweiten Typ von Zirruswolken. Wenn Winde feste Aerosolpartikel, vor allem Staub, in Höhen treiben, in denen sich Zirruswolken bilden, wird deren Bildung vereinfacht: Alles, was es braucht, ist ein mäßiger Aufwind und genügend Feuchtigkeit. Diese Bedingungen sind oft schon zwischen sieben und 15 Kilometer Höhe erfüllt. Die „schmutzigen Zirren“, die sich auf diese Weise bilden, bestehen aus einer geringeren Anzahl von Eiskristallen. In diesem Fall kann jeder der Eiskristalle einen größeren Anteil des gesamten in der Luft vorhandenen Dampfes aufnehmen und daher zu größeren Dimensionen heranwachsen.

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Zahlen & Fakten

Diagramm zur Klimawirkung von Zirruswolken
Die unterschiedliche Klimawirkung „sauberer“ und „schmutziger“ Zirruswolken. © Blaž Gasparini

Entscheidend ist, dass der Entstehungsmechanismus von Zirruswolken ihre Klimawirkung bestimmt, da diese mit der Anzahl der Eiskristalle in der Wolke skaliert. Mit anderen Worten: Eine Wolke mit mehr Eiskristallen erwärmt das Klima stärker als eine Wolke mit weniger Eiskristallen. Da die größeren Eiskristalle schneller aus der Atmosphäre fallen, haben schmutzige Zirruswolken im Vergleich zu sauberen Zirruswolken zudem eine kürzere Lebensdauer, was die Atmosphäre für die langwellige Strahlung durchlässiger macht und somit zu einer geringeren Erwärmung führt.

Geoengineering mit enormen Nebenwirkungen

Wolkenforscher sind sich dieser Prozesse seit langem bewusst. Der Vorschlag, unsere Atmosphäre mit festen Aerosolen zu „impfen“ (Fachausdruck: „seeding“), um mehr schmutzige als saubere Zirren zu bilden, wurde aber erstmals 2009 vom amerikanischen Wissenschaftler David Mitchell formuliert. Das Ziel, auf diese Weise die Zirruswolkenschicht zu verdünnen, hätte in etwa denselben Effekt, als würde man eine dicke Winterdecke gegen eine dünnere Sommerdecke tauschen: mehr Wärme und somit mehr terrestrische Strahlung könnte ins Weltall entweichen. Der resultierende Kühleffekt würde möglicherweise ausreichen, um die gesamte bisher vom Menschen verursachte globale Erwärmung auszugleichen.

Das Geoengineering-Potenzial von Zirruswolken ist allerdings aus verschiedenen Gründen noch sehr unsicher. Wir wissen nicht, welchen Teil der Wolken wir wirklich verändern können oder wie häufig saubere Zirren wirklich vorkommen. Großflächige Veränderungen von Zirruswolken, indem man die Wolken impft, sind daher mit einer Reihe potenzieller unerwünschter Nebenwirkungen verbunden, die meine Kolleginnen und Kollegen und ich anhand von Modellstudien untersuchen. Dabei zeigt sich immer wieder dasselbe Problem: „Impft“ man die Wolken mit zu vielen Partikeln, wird die Zirruswolkenschicht dicker statt dünner. Dieser so genannte „Overseeding“-Effekt würde die Zirrusdecke des Planeten somit verdichten und zu einer weiteren Erwärmung des Klimas führen – das Gegenteil dessen, was wir erreichen wollen.

Nahaufnahme eines Eiskristalls, wie er auch ähnlich in Zirruswolken vorkommt.
Je mehr Eiskristalle, desto stärker tragen Zirruswolken zur Klimaerwärmung bei. © Getty Images

Darüber hinaus könnte die Ausdünnung der Zirruswolken andere Wolkentypen in unerwünschter Weise verändern – und damit einen Teil der durch Zirren verursachten Abkühlung zunichte machen. Veränderungen der Zirruswolken könnten auch zu extremeren Starkniederschlagsereignissen führen und möglicherweise das Überschwemmungsrisiko erhöhen. Zudem gehen wir davon aus, dass die Ausdünnung von Zirruswolken nur in Regionen wirksam wäre, in denen normalerweise saubere Zirruswolken vorkommen, und dass der erzielte Effekt im Winter am stärksten wäre. Das wiederum könnte bedeuten, dass es zu Veränderungen der regionalen Temperatur- und Niederschlagsmuster kommt. Und selbst wenn wir einen Weg finden, die mit der Ausdünnung der Zirruswolken verbundenen Risiken zu minimieren, bleibt noch ein weiteres Problem: die Frage der Umsetzung.

Großer Forschungsbedarf

Die kurze und knappe Antwort auf die Frage, wie genau wir Wolken impfen würden, lautet: „Wir wissen es nicht“. Die Idee der Zirrenausdünnung ist neu und lebt bisher nur in der virtuellen Welt der Klimamodelle; die Machbarkeit wurde noch nicht untersucht. Im Prinzip könnten wir Verkehrsflugzeuge nutzen und dem Flugzeugtreibstoff eine kleine Menge Staub oder ähnliche Partikel beimischen, die die Bildung von schmutzigen Zirren auslösen. Saubere Zirruswolken bilden sich allerdings nur an bestimmten Orten, allen voran über Bergen und dem Ozean rund um die Antarktis – ein Gebiet, in dem fast keine kommerziellen Flüge stattfinden.

Eine bessere Strategie könnte es daher sein, eine spezielle Flotte von Flugzeugen oder autonomen Drohnen aufzustellen, deren einziger Zweck es wäre, Aerosole zu vorbestimmten Jahreszeiten an vorbestimmte Orte zu transportieren. Doch selbst bei einer solch gezielten Wolkenimpfung wäre es unwahrscheinlich, dass die Partikel gleichmäßig über größere Gebiete verteilt werden, um den beschriebenen Overseeding-Effekt zu vermeiden. Die atmosphärischen Winde und Turbulenzen in den Zirren könnten zwar zur Verteilung der Aerosole beitragen, aber der Vorgang wäre dennoch stark von den lokalen Wetterbedingungen abhängig – und entsprechend schwer zu kontrollieren.

Zirruswolken sind eine der am wenigsten erforschten Komponenten des Klimasystems. Solange es keine Studien dazu gibt, wie die technisch komplizierte Ausdünnung dieser Wolkenschicht effektiv umgesetzt werden kann, sind Aussagen über das Geoengineering-Potenzial dieser Strategie sehr schwierig. Eben deshalb sollten wir vorerst auch nicht mit ihr spielen – zumindest nicht außerhalb der sicheren Umgebung von Computermodellen und kontrollierten Laborexperimenten.

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Conclusio

Eiswolken tragen dazu bei, das Klima zu erwärmen. Wissenschaftler untersuchen derzeit die Möglichkeit, Zirruswolken zu verdünnen, um die Erde abzukühlen – etwa mittels „Staubimpfungen“, die die Wolkendecke porös machen sollen. Der modellierte Kühleffekt für den Planeten wäre enorm. Aber: Der Eingriff ist potenziell sehr schwer, die Folgen veränderter Niederschlags- und Temperaturmuster ungeklärt. Solange die genaue Funktionsweise von Eiswolken derart unerforscht bleibt, ist es schlichtweg zu riskant, reale Experimente mit dieser Komponente des Klimasystems zu betreiben. Bevor wir Wolken impfen, benötigen wir einen sehr viel besseren Wissensstand.