Vom Ozean lernen

Die Ozeane sind einer der größten natürlichen CO2-Speicher unserer Erde. Im Kampf gegen den Klimawandel können wir sie noch stärker einbinden – müssen aber behutsam vorgehen.

Seegras am Meeresboden
Das CO2-Speicherpotenzial von Seegras ist enorm, es ist aber weltweit bedroht – unter anderem durch Düngemittel. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Zeitdruck. Die Erderwärmung schreitet in einem Ausmaß voran, das unverzügliches Handeln erfordert. Wir müssen mehr tun, als nur CO2-Emissionen zu reduzieren.
  • Blauer Planet. Wir können versuchen, CO2 aktiv aus der Atmosphäre zu entnehmen. Die Ozeane sind natürliche CO2-Senken, aber diese Prozesse verlaufen langsam.
  • Natur nachhelfen. Es gibt zahlreiche Methoden, um den Meeren bei der CO2-Aufnahme unter die Arme zu greifen: von Elektrolyse bis hin zu Eisendüngung.
  • Ökosysteme schützen. Viele dieser Ansätze stellen heftige Eingriffe in die Natur dar. Es ist wichtig, lokale Schäden gegen den globalen Nutzen sorgfältig abzuwägen.

Auch aus Sicht eines Meeresforschers ist klar, dass sich die Frage, ob wir unsere Klimaziele erreichen, an Land entscheiden wird. Ein Stopp der Erderwärmung kann nur durch einen Stopp der CO2-Emissionen erreicht werden, die zu einem Großteil an Land entstehen. Diese Emissionen müssen drastisch und schnell reduziert werden – bis auf null. Nach zu vielen Jahrzehnten eines zu wenig ambitionierten klimapolitischen Handelns und entsprechend fortschreitender Erderwärmung ist die Zeit inzwischen so knapp, dass die vereinbarten Temperaturziele von zwei oder sogar 1,5 Grad Celsius nicht mehr alleine durch Emissionsvermeidung erreicht werden können.

Auch in den optimistischsten Szenarien des gesellschaftlichen, technischen und politischen Wandels erwarten wir, dass sich zwischen fünf und 15 Prozent unserer heutigen Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts nicht vermeiden lassen werden. Das sind insbesondere Emissionen aus Landwirtschaft, Flug- und Schwerlastverkehr, Zement- und Stahlerzeugung und Müllverbrennung. Diese Restemissionen müssen durch gleichzeitige CO2-Entnahme aus der Atmosphäre und anschließende sichere Speicherung ausgeglichen werden, um auf Netto-Null zu kommen. Das kann an Land geschehen, wo freie Flächen schon jetzt ein knappes Gut sind – oder eben im Ozean.

Ozeane als Klimastabilisator

Die Oberfläche unseres Planeten besteht zu 70 Prozent aus Wasser, das in ständigem Gasaustausch mit der Atmosphäre steht. Da der Ozean mehr als 50 Mal so viel Kohlenstoff enthält wie die Atmosphäre, ist er im globalen Kohlenstoffkreislauf der Hauptakteur, der in der Erdgeschichte immer wieder massive Einträge von CO2 in die Atmosphäre – beispielsweise durch großräumige vulkanische Aktivitäten beim Auseinanderbrechen früherer Superkontinente – aufgefangen hat. Ohne diese klimastabilisierende Wirkung des Ozeans hätte die Evolution des Menschen niemals stattgefunden, da sich flüssiges Wasser und somit die Grundlage allen Lebens sonst nicht hätte halten können.

Eine Schildkröte schwimmt im Meer des Great Barrier Reef
Eine Grüne Meeresschildkröte beim Great Barrier Reef vor Lady Elliot Island, Australien. © Getty Images

Aus Sicht der Klimapolitik hat der Ozean allerdings ein Handicap: Er ist viel zu langsam. Auch wenn er bisher tagtäglich etwa ein Viertel der menschengemachten CO2-Emissionen aufnimmt und so dafür sorgt, dass die Erde sich nicht noch schneller erwärmt, wird es Tausende von Jahren dauern, bis auch der große Rest den Weg in den Kohlenstoffspeicher Ozean gefunden hat. Hier gibt es nun eine Vielzahl von Ideen, die natürliche Aufnahme von CO2 durch den Ozean zu beschleunigen. Man kann sie nach ihren Wirkungsmechanismen in physikalische, biologische und chemische Verfahren unterscheiden.

Tatsächlich gibt es eine Reihe prinzipiell vielversprechende marine Ansätze zur Beschleunigung der Aufnahme von CO2 aus der Atmosphäre. Die Frage, welche dieser Methoden in der Praxis gut funktionieren könnte, wird in aktuellen Forschungsprojekten mit Hochdruck und viel Optimismus untersucht.

  • Die bereits von mehreren Ländern praktizierte Speicherung von CO2 unter dem Meeresboden eignet sich vor allem für Restemissionen, die an Punktquellen wie Biomassekraftwerken, Industrie- und Direct Air Capture-Anlagen in konzentrierter Form anfallen.
  • Biologische Verfahren wie Renaturierung von Küstenökosystemen oder Düngung von marinen Ökosystemen durch künstlichen Auftrieb können nur einen kleinen Teil der Restemissionen ausgleichen. Die Dauerhaftigkeit der Speicherung ist aufgrund sich weiter ändernder Umweltbedingungen schwer zu gewährleisten.
  • Bei den chemischen Verfahren gibt es eine Vielzahl theoretischer Optionen wie die Einbringung von Gesteinsmehl bis hin zu chemischen Reaktoren im Meer und Elektrolyseanlagen an Land.

Physikalische Methoden

Ideen zu physikalischen Verfahren zur CO2-Aufnahme und -Speicherung beinhalten das Einleiten von komprimiertem verflüssigten CO2 entweder in geologische Speicher tief unter dem Meeresboden oder in tiefe Wasserschichten des Ozeans. Eine direkte Einleitung von CO2 in das Meerwasser ist durch internationale Abkommen zur Müllentsorgung im Meer verboten. Es ist bemerkenswert, dass wir für den Ozean in dieser Hinsicht ein stärkeres Schutzregime installiert haben als für die Atmosphäre, in die wir unseren „Müll“ CO2 bis heute völlig legal entsorgen und weltweit verteilen dürfen.

Untermeerische CO2-Deponien

Nicht generell verboten ist die Einlagerung von CO2 in geologische Speicher unter dem Meeresboden. Eine solche Einlagerung in leergepumpten Erdgaslagerstätten oder tiefen Sandsteinformationen wird von Norwegen bereits seit Jahrzehnten betrieben und inzwischen auch von weiteren Ländern, etwa den Niederlanden und Großbritannien, erschlossen. Tatsächlich ist unter der Nordsee ausreichend Speicherplatz für viele Jahrzehnte der erwarteten europäischen Restemissionen. Solche untermeerischen CO2-Deponien sind eine vielversprechende Option, um einen großen Teil der Restemissionen zu entsorgen, die an Punktquellen in Industrie und Energiewirtschaft anfallen und damit relativ leicht in eine noch aufzubauende CO2-Transportlogistik einzuspeisen wären.

Unter der Nordsee ist ausreichend Speicherplatz für viele Jahrzehnte der erwarteten europäischen Restemissionen.

Völlig risikolos ist diese Option jedoch nicht. Leckagen an Bruchzonen im Gestein oder nicht kartierten oder unsauber verschlossenen alten Bohrlöchern können nicht komplett ausgeschlossen werden. Forschungsarbeiten zu simulierten CO2-Leckagen haben gezeigt, dass sich selbst in der flachen Nordsee das am Boden austretende CO2 noch in der Wassersäule auflösen und nicht in die Atmosphäre gelangen würde. Das Risiko für Atmosphäre und Klima erscheint damit überschaubar und in jedem Fall kleiner als bei der Emission des CO2 direkt in die Atmosphäre. Das sich im Wasser auflösende CO2 würde allerdings im Umkreis der Leckage zu einer starken Versauerung führen, bis hin zu tödlichen Effekten für unmittelbar betroffene lokale Ökosysteme am Meeresboden.

Biologische Methoden

Biologische Verfahren zur Erhöhung der Kohlenstoffaufnahme des Ozeans nutzen die Photosynthese von Algen, die CO2 aus dem Wasser aufnehmen. Da dafür Licht als Energiequelle benötigt wird, findet dieser Prozess nur dicht an der Meeresoberfläche und in engem Kontakt mit der Atmosphäre statt. Das von den Algen aufgenommene CO2 wird durch Gasaustausch schnell durch nachströmendes CO2 aus der Atmosphäre ersetzt. Für den CO2-Gehalt der Atmosphäre und das Klima spielt es daher zunächst keine Rolle, ob ein CO2-Molekül von einer Pflanze an Land oder im Ozean aufgenommen wird. Entscheidend ist, wie lange die Biomasse oder ihre Abbauprodukte so gespeichert werden, dass das bei ihrer Zersetzung wieder freigesetzte CO2 nicht wieder in die Atmosphäre gelangt. Eine solche Speicherung kann im offenen Ozean durch Absinken in große Tiefen oder aber in flachen Küstengewässern durch Einbringen von Kohlenstoff in Schlicksedimente, beispielsweise in Seegraswiesen und Salzmarschen oder mittels Speicherung in Form von Holz in Mangrovenwäldern erfolgen.

Mangroven im Wasser
Weltweit gibt es Initiativen, um Mangroven-Wälder wieder aufzuforsten, hier zum Beispiel in Thailand. © Getty Images

Als erstes wurde vor bereits zwei Jahrzehnten die Düngung durch den Mikronährstoff Eisen untersucht, der vor allem im südlichen Ozean das Algenwachstum begrenzt. Mikronährstoff bedeutet im Gegensatz zu (Makro-)Nährstoffen wie Nitrat und Phosphat, dass schon geringe Eisenmengen zu einem großen Anstieg der CO2-Aufnahme führen können. Eisendüngung spielt auch für natürliche Klimaschwankungen eine wichtige Rolle: So haben Änderungen im Eintrag von eisenhaltigem Wüstenstaub während der kalten und damit relativ trockenen und staubigen Eiszeiten mit dazu beigetragen, den atmosphärischen CO2-Gehalt der damaligen Atmosphäre zu verringern und das Klima weiter abzukühlen. Ein Ausspruch des Pioniers der marinen Eisenforschung, John Martin, illustriert den anfänglichen Enthusiasmus hinsichtlich der klimatischen Hebelwirkung von Eisen: „Gebt mir einen Tanker voll Eisen und ich gebe Euch die nächste Eiszeit“.

Ozeane mit Eisen düngen

In mehreren internationalen Eisendüngungsexperimenten konnte gezeigt werden, dass die Zugabe von Eisen tatsächlich zu einem verstärktem Algenwachstum führen kann. Auch wenn ein Großteil der Algen sofort dicht an der Meeresoberfläche wieder zersetzt wird, sinkt ein kleiner Teil der Biomasse ab und wird erst dort wieder zu CO2 zersetzt. In großen Wassertiefen kann es Jahrhunderte dauern, bis die Ozeanzirkulation das Wasser mit dem darin enthaltenen CO2 wieder an die Meeresoberfläche und damit in unmittelbaren Kontakt mit der Atmosphäre bringt. Bis dahin könnte die Menschheit durch die vorübergehende CO2-Entnahme aus der Atmosphäre zumindest Zeit gewinnen.

Gebt mir einen Tanker voll Eisen und ich gebe Euch die nächste Eiszeit.

John Martin (Ozeanograf)

Eine kontinuierliche Düngung aller durch Eisen limitierten Meeresgebiete hätte theoretisch das Potenzial, vorübergehend eine Menge CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen, die den für Mitte des Jahrhunderts erwarteten Restemissionen entspricht. Das beträfe immerhin fast ein Drittel der Fläche des globalen Ozeans, vor allem den aufgrund von Wind und Wetter wenig zu Schiffsreisen einladenden südlichen Ozean. Eine großräumige Düngeaktion würde aber auch zu massiven Veränderungen der marinen Ökosysteme und Stoffkreisläufe führen. So würden auch andere wichtige Nährstoffe wie Nitrat und Phosphat verstärkt in den mit Eisen gedüngten Meeresgebieten aufgebraucht und stünden nicht mehr in vollem Umfang in anderen Regionen des Weltozeans für die biologische Produktion zur Verfügung. Das könnte nicht nur Auswirkungen auf die Fischerei haben, sondern auch zu Sauerstoffarmut in der Tiefsee führen.

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Zahlen & Fakten

Solche möglichen Nebeneffekte haben sich als ein entscheidender Faktor bei der Bewertung der marinen Eisendüngung herausgestellt. Wie schon bei dem oben betrachteten Leckage-Risiko ist hier eine Abwägung zwischen lokalem Schaden und globalen Nutzen erforderlich. Während bei Leckagen aus untermeerischen CO2-Deponien räumlich eng zusammenhängende Flächen von der Größe weniger Fußballfelder signifikant betroffen wären, könnten die ökologischen Auswirkungen der Eisendüngung auch weit entfernt von den Düngeregionen spürbar sein. Die Forschung hat hier mit zur Entwicklung eines internationalen Abkommens beigetragen, das heute die Eisendüngung im Ozean verbietet. Es kann aber auch als Rollenmodell für einen verantwortungsvollen Umgang mit anderen marinen CO2-Entnahmemethoden dienen.

Mit Algenfarmen CO2 binden

Viel Rückenwind hat in den letzten Jahren die Erforschung des CO2-Entnahmepotenzials von küstennahen Ökosystemen erfahren, insbesondere Seegraswiesen, Salzmarschen und Mangrovenwäldern. Diese Systeme werden häufig mit dem Begriff „Blue Carbon“ umschrieben. Pro Quadratmeter können sie bei ungestörtem Wachstum bis zu hundertmal mehr CO2 aufnehmen als ein typischer Wald. Viele dieser Systeme sind jedoch in den vergangenen Jahrhunderten durch menschliche Eingriffe und den Klimawandel stark geschädigt worden. Eine Renaturierung hätte daher neben der CO2-Entnahme auch positive Auswirkungen auf Artenreichtum und Küstenschutz.

Blue Carbon wird vielerorts als einfach umzusetzende, öffentlichkeitswirksame und gesellschaftlich akzeptierbare Klimaschutzmaßnahme gesehen. Der klimatische Effekt ist wegen der global gesehen relativ kleinen Küstenstreifen, in denen diese Ökosysteme wachsen können, allerdings relativ überschaubar und liegt im Prozentbereich der für Mitte des Jahrhunderts erwarteten Restemissionen. Letztlich dürfte die CO2-Entnahme tatsächlich eher ein Nebeneffekt des Hauptaspekts Schutz und Wiederherstellung von küstennahen Ökosystemen sein.

Seetang Unterwasser und im Sonnenlicht
Seetangwälder sind wichtige Lebensräume – nicht nur für Fische, sondern auch zahlreiche Mikroorganismen. © Getty Images

Eine Idee, um diese räumliche Begrenzung auf Flachwassergebiete entlang der Küsten zu umgehen, besteht in der Installation von Algenfarmen im offenen Ozean. Solche Farmen können sowohl einzellige Phytoplanktonarten als auch Makroalgen wie Seetang produzieren, die an schwimmenden Gerüsten wachsen und anschließend auf den Meeresboden absinken. Alternativ könnten sie aber auch geerntet und so verwendet werden, dass das gebundene CO2 nicht wieder in die Atmosphäre gelangt. Um ausreichend Nährstoffe für das Pflanzenwachstum bereitzustellen, erscheint das Hochpumpen von nährstoffreichem Tiefenwasser an die Oberfläche vielversprechend. Dafür gibt es bereits autonome Pumpsysteme, die durch Wellenenergie angetrieben werden.

Tiefenwasser hat allerdings auch hohe CO2-Konzentrationen, sodass die Netto-Bilanz dieses Verfahrens stark von den lokalen Bedingungen und der Effizienz der Kohlenstoff- und Nährstoffaufnahme der Makroalgen abhängt. Das hochgepumpte Wasser schichtet sich auch nicht einfach auf der Meeresoberfläche auf, sondern verdrängt dort das ursprüngliche Oberflächenwasser in einer kompensierenden Abwärtsbewegung nach unten. Bei einer großflächigen Anwendung kann dies die Schichtung und sogar die Zirkulation des Ozeans verändern. Eine verlässliche Abschätzung aller Auswirkungen dieser Prozesse auf das Klimasystem ist derzeit nicht möglich, wird aber in laufenden Forschungsprojekten intensiv erforscht.

Chemische Methoden

Chemische Methoden der CO2-Entnahme nutzen aus, dass CO2 im Meerwasser sofort Kohlensäure bildet, die im chemischen Gleichgewicht mit den gelösten Salzen der Kohlensäure steht. Durch die Verbrennung fossiler Energieträger steigt aktuell der CO2-Überdruck in der Atmosphäre, was den Gasaustausch über die Meeresoberfläche in Richtung Ozean verstärkt – ähnlich wie in einem Wassersprudler. Diese CO2-Aufnahme führt zu einer Versauerung des Ozeans, der sich erhöhende Kohlensäureanteil wiederum zu einer beschleunigten Auflösung von Kalkgestein, -sedimenten und -schalen, etwa von Meeresbewohnern wie Miesmuscheln und Korallen. Aus dem Feststoff Kalk bilden sich dabei unter Verbrauch von Kohlensäure im Meerwasser gelöste Carbonat- und Hydrogencarbonat-Ionen. Der Verbrauch der Kohlensäure im Meerwasser erhöht den CO2-Druckunterschied zwischen Atmosphäre und Ozean, was zu einem Nachströmen von CO2 aus der Atmosphäre und damit zu einer CO2-Entnahme führt.

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Zahlen & Fakten

Luftaufnahme des Great Barrier Reef vor Australien
Das Great Barrier Reef vor Australien. Das Korallenriff ist durch Versauerung und Erwärmung bedroht. © Getty Images

Ozean-Versauerung – der „böse Zwilling“ der Ozean-Erwärmung

  • Die Ozeane haben seit der industriellen Revolution rund ein Viertel aller menschengemachten CO2-Emissionen aufgenommen.
  • Das CO2 wird durch den Kontakt mit Wasser zu Kohlensäure. Dadurch verschiebt sich der ph-Wert der Meere von 8,2 auf 8,1. Das entspricht einem Absinken des ph-Werts um 30 Prozent in Richtung „sauer“. Natürlicherweise sind die Meere leicht basisch.
  • Die kalten Meeresregionen sind besonders von der Versauerung betroffen, weil sich CO2 leichter in kaltem Wasser löst. Der Prozess schreitet in den Polar-Regionen besonders schnell voran.
  • Wie schon bei dem letzten Versauerungsereignis vor 56 Millionen Jahren bedroht der sinkende ph-Wert alle Lebewesen mit Kalkschalen bzw. -skeletten wie Muscheln und Korallen besonders stark, aber auch kalkbildende Pflanzen wie die Kalkalge. In einem saureren Meer fehlen die Baustoffe für den Kalk. Das Great Barrier Reef erlebt zur Zeit eine Korallenbleiche, das heißt, das Riff droht abzusterben.
  • Mit den Kalkalgen, Kalkschalen-Tieren und Korallen geht die Nahrungsgrundlage von Meeressäugetieren und Fischen verloren; Küstengebiete verlieren ihren Schutz vor Sturmfluten.
  • Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) geht davon aus, dass der ph-Wert der Ozeane innerhalb der nächsten sieben Jahrzehnte um 100 bis 150 Prozent sinken wird. Das AWI nennt die Versauerung daher auch den „bösen Zwilling“ der Erwärmung.
  • Wenn das Meer weniger basisch ist, also saurer, gerät der Kohlenstoffkreislauf der Erde aus der Bahn: Bereits durch die dünneren Kalkschalen wird weniger CO2 gebunden, weniger Kohlenstoff zum Meeresgrund transportiert und in Tiefenschichten eingelagert.

Aufgrund der langsamen Umwälzbewegung des Ozeans kann es Jahrhunderte bis Jahrtausende dauern, bis das mit CO2 angesäuerte Oberflächenwasser mit Gestein am Meeresboden in Kontakt kommt, dort chemisch reagiert und anschließend wieder an die Meeresoberfläche und in den Kontakt mit der Atmosphäre gelangt. Auf Zeitskalen von vielen tausenden von Jahren wird der Ozean so das von der Menschheit emittierte CO2 absorbieren und chemisch neutralisieren. Eine Idee, diesen Prozess wesentlich zu beschleunigen, besteht in der gezielten Auflösung von Kalk oder der Einbringung anderer basischer Substanzen bereits im Oberflächenwasser. Dadurch wird das Säurebindungsvermögen des Meerwassers, also seine Alkalinität, erhöht. Das Einbringen und Auflösen von Gestein oder anderen basischen Substanzen in das Meerwasser wird auch Alkalinitätserhöhung genannt.

Alkalinisierung: Gestein auflösen

Ein Vorteil der chemischen Alkalinitätserhöhung ist, dass sie keine gezielten Eingriffe in marine Ökosysteme beinhaltet. Es muss aber dennoch darauf geachtet werden, dass die Chemie des Meeres in einem „natürlichen“ Rahmen bleibt und sich keine ungewünschten Auswirkungen auf marine Ökosysteme ergeben. Ein Nachteil der Methode ist der gewaltige Materialaufwand: Um eine Tonne CO2 chemisch zu neutralisieren, müssten je nach Gesteinsart ein bis fünf Tonnen Gestein aufgelöst werden. Um eine möglichst große Kontaktfläche zwischen Wasser und Gestein zu haben, muss das Gestein dabei möglichst fein gemahlen werden.

Um Deutschlands Restemissionen auszugleichen, wäre ein Bergbau in Größe des heutigen Kohlebergbaus erforderlich.

Als Gestein eignen sich neben Kalk vor allem magmatische Gesteine wie etwa Basalt. Verschiedene Gesteinsarten unterscheiden sich in ihrem CO2-Aufnahmepotenzial, in ihrer Löslichkeit, aber auch in den Beimischungen von düngenden oder toxischen Verbindungen. Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten ist es, geeignete Gesteinsarten und Verfahren der Einbringung zu identifizieren, die sich vom Einstreuen von Gesteinsmehl in die Wassersäule oder in Küstennähe bis hin zu einer Auflösung in chemischen Reaktoren an Land und anschließender Einleitung der Lösungsprodukte in das Meer erstrecken.

Die Umweltverträglichkeit muss für diese Methode nicht nur im Hinblick auf das Meer, sondern auch auf das Land geprüft werden. Abbau, Bearbeitung und Transport der großen Gesteinsmengen würden sicherlich nicht ohne ökologische und gesellschaftliche Auswirkungen bleiben. Um etwa die erwarteten Restemissionen von Deutschland alleine durch Auflösung von Gestein auszugleichen, wäre ein Bergbau in der Größenordnung des heutigen Kohlebergbaus in Deutschland erforderlich.

Elektrolyse von Meerwasser

Möglicherweise attraktivere Varianten der Alkalinitätserhöhung können sich aus elektrochemischen Ansätzen ergeben, in denen die Ionenkonzentrationen des Meerwassers durch Elektrolyse so beeinflusst werden, dass neben der Produktion von Wasserstoff auch die Aufnahmekapazität für CO2 gesteigert wird. Die Elektrolyse von Meerwasser stellt wegen der darin enthaltenen Salze und resultierenden Säuren allerdings noch eine erhebliche Herausforderung an die Prozesstechnik dar. Bisher ist nicht klar, ob und unter welchen Bedingungen sich elektrochemische Methoden der Meerwasserbehandlung für eine CO2-Entnahme aus der Atmosphäre eignen könnten. Der Strombedarf ist ähnlich wie bei der Herstellung von grünem Wasserstoff gewaltig und sollte natürlich aus erneuerbaren Quellen bedient werden.

Ozeane als Akteure gegen den Klimawandel

Allen CO2-Entnahmeverfahren ist gemein, dass sie lokal erhebliche Eingriffe in die Natur darstellen – mit dem Ziel, die globalen Auswirkungen der CO2-Emissionen auf die Natur zu vermindern. Entscheidungen für oder gegen den Einsatz solcher Verfahren werden daher in der Regel lokalen Schaden gegen globalen Nutzen abwägen werden müssen. Solche Abwägungsprobleme kennen wir gut, denn die Gesellschaft muss sich an Land andauernd damit auseinandersetzen und Lösungen finden. Müllkippen und Kläranlagen sind gute Beispiele dafür, dass unter bestimmten Umständen lokale Nachteile für einen globalen Nutzen in Kauf genommen werden.

Bei Hausmüll und Abwasser, aber auch bei Sondermüll bis hin zum Atommüll haben wir gelernt, dass eine weltweite Verteilung des Mülls ethisch nicht akzeptabel ist und der Müll in der Regel trotz (und gerade wegen) der Restrisiken dicht am Verursacher zu entsorgen ist. Niemand hat gerne eine Mülldeponie oder Kläranlage im Garten. Dennoch hat die Gesellschaft es geschafft, hier generell akzeptierte Lösungen für eine Entsorgung auszuhandeln. Es ist nicht einzusehen, warum das nicht auch für den Abfallstoff CO2 gehen sollte. Der Ozean kann uns hier helfen. Eine umsichtige, wissenschaftlich unterfütterte und transparente Diskussion der Optionen muss geführt werden, damit die Gesellschaft informierte Entscheidungen über den Einsatz von marinen CO2-Entnahmeverfahren treffen kann. Wir können nicht nichts tun.

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Conclusio

Wollen wir die ambitionierten Klimaziele der nächsten Jahre erreichen, genügt es nicht, nur unsere Emissionen zu reduzieren. Stattdessen müssen wir aktiv CO2-Entnahmeverfahren erschließen – und können uns dabei an unseren Weltmeeren orientieren. Die Ozeane sind gigantische CO2-Senken, die immense Mengen Kohlenstoff aus der Atmosphäre ziehen und speichern. Um diesen Prozess zu beschleunigen und zu verstärken wurden in der Wissenschaft bereits diverse Verfahren identifiziert. Das Problem: Sie alle riskieren auf die eine oder andere Weise die Zukunft der marinen Ökosysteme. Es bedarf einer ehrlichen Diskussion über den konkreten Nutzen jeder dieser Maßnahmen, um eine informierte Entscheidung über ihre Anwendung zu fällen. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass der Zweck nicht alle Mittel heiligt – aber dass uns auch die Zeit davonläuft, es allein bei Worten zu belassen.