Keine Angst vor dem starken Mann?

Wenn Österreich den Bundespräsidenten wählt, geht es um ein Amt mit mehr Macht, als man gemeinhin annimmt: Es kommt alles darauf an, dass der Bundespräsident auf der Seite der Demokratie steht.

Bundespräsident ist mächtig: Schwarz-weiß Foto des österreichischen
Das österreichische Parlament 1935: Der Austrofaschismus wurde mit Hilfe einer nicht adressierten Geschäftsordnungskrise des Nationalrats 1933 möglich. © Getty Images

Österreich wählt einen Bundespräsidenten. Wie auch schon vor sechs Jahren war der Wahlkampf von Sehnsüchten – bei den Kandidaten selbst, aber auch bei Teilen des Wahlvolks – nach dem „starken Mann“ geprägt: Ein Präsident, der es den Eliten zeigt und auf Seiten des Volkes steht. Dabei war das alles nicht so gedacht.

Ursprünglich, also in der mittlerweile über 100 Jahren alten Verfassung (das B-VG), sollte der Präsident schließlich eine nur geringe Rolle spielen: „Jede Einwirkung in die Innenpolitik war dem Präsidenten untersagt“, wie es in einem damaligen Beitrag zur Reform des B-VG heißt. Ohne Minister beziehungsweise die Bundesregierung konnte und sollte er nicht viel tun. Mehr noch, er war an deren Vorschläge gebunden – „Angebote, die er nicht ablehnen konnte“ also. Den Nationalrat konnte der Bundespräsident damals ebensowenig auflösen wie Notverordnungen erlassen oder Minister ablehnen. Er hatte eine „rein repräsentative“ Stellung.

Mehr als nur ein Symbol

Das war historisch naheliegend, in Österreich waren eben erst beinahe 650 Jahre Habsburger-Monarchie an ihr Ende gelangt. So sehr so einige den alten Kaiser heute romantisieren mögen, damals wollte man keinen gewählten Ersatz. Das Volk, wenn auch nicht direkt, sondern über gewählte Parteien, sollte regieren.
Nur führte diese Herrschaft letztlich zu Chaos, das freie Spiel der Kräfte und die Wehen der Nachkriegszeit waren keine gute Kombination. Die heutige Polarisierung hatte im Vergleich zu damals das Intensitätslevel einer Debatte über den Literaturnobelpreis.

Als Ausweg aus dem Dilemma wurde der Bundespräsident aufgewertet. Freilich ohne eine Alleinherrschaft oder zumindest ein präsidentielles System à la Frankreich, USA oder seit Kurzem Türkei einzuführen. Aber ihm (kein gendern notwendig) eben doch mehr als nur symbolische Kompetenzen zu geben: Wenn er es drauf anlegt, kann er heute den Nationalrat auflösen, konkret, indem er eine ihm gewogene Regierung bestellt (ein paar gute Freunde werden sich schon finden), die einen entsprechenden Antrag stellt, auf die Regierungszusammensetzung Einfluss nehmen, Gesetzen die Beurkundung verweigern oder in Ausnahmefällen – Krieg und sonstige Krisen –im Alleingang vorübergehend wirksame Verordnungen erlassen. Diese müssen so schnell wie möglich dem Nationalrat – eben, sobald er wieder zusammentreten kann – vorgelegt werden, der verlangen kann, dass sie von der Bundesregierung wieder außer Kraft gesetzt wird. Sofern diese Bundesregierung allerdings aus den oben genannten guten Freunden des Präsidenten besteht, könnte es passieren, dass sie das verweigert.

Destruktives Potenzial

Der Präsident kann also nicht oder nur eingeschränkt gestalten, wohl aber nerven. Vor allem kann er eine, um ein großes Wort zu bemühen, Verfassungskrise herbeiführen. Das Amt baut letztlich, wie in jeder Demokratie, darauf, dass es von einer einigermaßen vernünftigen Person ausgeführt wird. With great power comes great responsibility, wie wir von Spiderman wissen (oder, wer es bildungsbürgerlicher mag, von Lord Acton).

Nun ist man bei manchen Kandidaten nicht ganz sicher, ob sie sich dieser Verantwortung bewusst sind. Anlässlich des Wahlkampfs ging es um alle möglichen Fragen, die jenseits der Kompetenzen eines Bundespräsidenten liegen: Von Pensionen über die Legalisierung von Cannabis bis hin zu einem NATO-Beitritt (den eh so gut wie niemand will) oder den Russland-Sanktionen. Man darf sich also fragen, ob sie, sofern sie gewählt werden würden, mit einem Schlag Zurückhaltung üben würden oder ob ein im Vergleich zu allen Vorgängern (wieder kein gendern notwendig) unüblich aktiver, wenn nicht hysterischer Mann in der Hofburg sitzen würde.

Der gute Diktator

Das kommt freilich nicht von ungefähr. Mag die heutige Lage im Vergleich zur eingangs genannten Zwischenkriegszeit immer noch äußerst gemütlich sein, sie war schon mal gemütlicher. Das weckt Sehnsüchte nach jemandem, der (a) die Lage im Griff hat, (b) entschlossen handelt und (c) auf Seiten derjenigen steht, die ihn – im Gegensatz zum Kanzler und den übrigen Regierungsmitgliedern – direkt gewählt haben. Den Extremfall dieser Bedürfnisbefriedigung kann man in „personalisierten Diktaturen“ beobachten.

Schwarz-weiß Fotografie des Wiener Rings mit einem Kastanienverkäufer und Spaziergängern.
Wien um 1900, im Hintergrund das Parlamentsgebäude. © Getty Images

Geschichtlich alles schon mal da gewesen, bekommt dieser Trend angesichts des jahrzehntelangen globalen Rückbaus von Demokratien zwar nicht neue, aber doch eine andere Dimension. In ihnen ergebenen Medien omnipräsente Männer, die keine Kritik an ihrer Person erlauben und mit denen viel und ohne die wenig weitergeht im Staate. Vorsitzender für eh alles („chairman for everything“). Als aktuelle Quasi-Lehrbuchfälle gelten Rodrigo Duterte, Recep Tayyip Erdoğan, Xi Jinping, und natürlich Wladimir Putin). Auch im Zeitalter von Putschen und Revolten gibt es gar nicht so wenige alternde Autokraten, die im Amt sterben (werden): Der seit 1982 in Kenya regierende und mittlerweile 89 Jahre alte Paul Biya, der 91jährige Raúl Castro (Kuba) oder der mit seinen 80 Jahren verhältnismäßig junge Äquatorialguineer Teodoro Obiang Nguema Mbasogo, der dafür umso länger regiert (konkret seit 1979).

Davon sind wir in Österreich freilich weit entfernt, zumal die Amtszeit auf zwei Perioden beschränkt ist (in vielen lateinamerikanischen Ländern übrigens überhaupt auf lediglich eine). Aber ob zukünftige Präsident stets zurückhaltende Staatsdiener, sozusagen oberste Notare der Republik sein werden, die darauf achten, ihr politisches Gewicht nicht allzu inflationär – vulgo entwertend – einzusetzen, darf bezweifelt werden. Je lauter die Welt, desto lauter (irgendwann zumindest) der Bundespräsident. Ob das schon bald passieren wird, ist freilich eine andere Frage.