Die neuen Frauen an der Macht

In jüngster Zeit erobern Frauen mit Sachverstand und Durchsetzungskraft höchste Ämter in der Politik. Die meisten bewähren sich – auch in Krisenzeiten. Doch alle sind sie dem besonderen Argwohn einer klischeeverseuchten Öffentlichkeit ausgesetzt.

Brüssel, März 2023: Kaja Kallas, Estlands Premierministerin, bei ihrer Ankunft beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU
Brüssel, 24. März 2023: Kaja Kallas, Estlands Premierministerin, bei ihrer Ankunft zum Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU. Die militärische Unterstützung der EU für die Ukraine war eines der wichtigsten Gesprächsthemen dieses Tages. © Getty Images

Covid-19, der russische Überfall auf die Ukraine, die Sicherheitspolitik: Das sind die jüngsten politischen Themen, in denen zum ersten Mal gleich mehrere Frauen als Ministerpräsidentinnen, Außenministerinnen, Parlamentarierinnen eine gewichtige Stimme hatten und entsprechend wahrgenommen wurden. Fast könnte man von einer „Zeitenwende“ beim politischen Personal sprechen, den berühmten „Hockeystick“ erkennen: jene Kurve, die lange kaum merklich ansteigt, um plötzlich in die Höhe zu schnellen. Deshalb lässt sich vielleicht zum ersten Mal darüber spekulieren: Betreiben Frauen anders Politik als Männer? Werden sie anders wahrgenommen und bewertet als ihre männlichen Kollegen?

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Im Nachgang zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS (um die es hier nicht geht) wurde ein Papier geleakt, das Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die sich durch unanfechtbare Fachkompetenzen, eine außerordentliche Dossierfestigkeit und einen für derartige Positionen völlig normalen Führungsanspruch auszeichnet und bei der Entscheidung und deren Verkündigung sämtliche Fäden in der Hand hielt, schaden sollte. Es enthielt Sparmaßnahmen bei der Altersvorsorge, die ihr Departement – das Finanzdepartement – vorschlug. Die Reaktionen kamen prompt: Nicht nur wurde ihre Position geschwächt, auch der Vorwurf war umgehend lanciert: Keller-Sutter habe ein Herz für große Banken, aber keines für kleine Rentner. 

Die amerikanische Philosophin Kate Manne beschreibt in ihrem Buch „Down Girl: Die Logik der Misogynie“ einen verblüffend ähnlichen Fall aus einem Wahlkampf in Australien. Der damalige Amtsinhaber sägte seine Konkurrentin ab, indem er durchsickern ließ, dass sie Mehrausgaben bei Altersrenten und bezahltem Elternurlaub mit Blick auf das gegenwärtige Haushaltsdefizit nicht unterstützen wolle. Dass sie diese Unterstützungen sofort wieder einführen würde, sobald das Defizit behoben sei, wurde wohlweislich nicht kolportiert. 

Frauen, die über Fachwissen zu Waffen und Munition verfügen, werden als Kriegsgurgeln, Panzerweiber und Huren bezeichnet.

Frauen seien, so Kate Manne, geduldet, auch in Führungspositionen, solange sie das tun, was man von ihnen erwartet: dienen, umsorgen und akzeptieren. Kurzum: Sie dürfen geben, aber auf keinen Fall nehmen. Die entsprechenden Leaks zielten genau darauf: Eine Frau darf nur eine „soziale“ Politik machen, sonst ist sie unmoralisch. Harte Sachargumente bleiben den Männern vorbehalten.

Gelernt, sich durchzusetzen

In jüngerer Zeit indes macht ein guter Teil des weiblichen Führungspersonals in der Politik jedoch genau das: Sie nehmen sich Freiheiten heraus und argumentieren strikt sachpolitisch. Sie fällen Entscheidungen und setzen diese entschlossen um – wenn es denn sein muss, auch entgegen den Erwartungen. Sie lassen das Protokoll fallen, wenn sie mit einer spontanen Reaktion mehr erreichen können – was vor allem dann der Fall ist, wenn ihre männlichen Gegenüber darauf setzen, dass sie zu schüchtern, weil wohlerzogen sind, um genau das zu tun. Und diese Frauen scheuen sich auch nicht, mit lang gehegten Traditionen zu brechen, wenn es die Situation erfordert.

Hamburg, Mai 2023: Finnlands Premierministerin Sanna Marin spricht bei der Verleihung des Helmut-Schmidt-Zukunftspreises
Hamburg, Mai 2023: Finnlands Premierministerin Sanna Marin spricht bei der Verleihung des Helmut-Schmidt-Zukunftspreises. Der Preis wird jährlich an eine internationale Persönlichkeit verliehen, deren Wirken für Demokratie und Gemeinwohl steht. © Getty Images

Im Rahmen der Pandemie war die Führung durch Frauen auffällig erfolgreich. Vier der zehn Länder mit den geringsten Sterberaten wurden von Frauen geführt – was man(n) gut und gerne auf deren Qualitäten in der Fürsorge und Kommunikation hatte zurückführen können. Ob das die einzigen Eigenschaften sind, die sie von Trump, Bolsonaro, Johnson & Co unterscheiden, bezweifle ich. Eher wahrscheinlich ist, dass sie, um es überhaupt so weit zu schaffen, viel erfahren und gelernt haben – nicht zuletzt, sich dennoch durchzusetzen.

Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine geht es nun aber nicht mehr um Gesundheit, sondern um Sicherheit und Waffen. Wenn Politikerinnen darüber sprechen, haben sie dabei natürlich die zivilen Opfer, ganz besonders die Frauen, im Blick, aber eben nicht nur. Sanna Marin führte Finnland in die NATO. Kaja Kallas, die estnische Premierministerin, machte klar, dass gegenüber dem Diktator keine Schwäche angezeigt sei und nur ein Sieg infrage komme. Die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd war das einzige Mitglied der Landesregierung, das sich öffentlich über die „nicht hilfreiche“ Haltung der Schweiz beim Thema Waffen-Wiederausfuhr äußerte.

Angriff auf die letzte Bastion

Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, setzt sich unmissverständlich für die Unterstützung der Ukraine ein, nicht nur, weil sie vor Ort war, sondern auch, weil sie weiß, dass Demokratie und Freiheit auf dem Spiel stehen. Der Vorstoß der Schweizer Parlamentarierin Maja Riniker, zumindest ausgemusterte Panzer an den Hersteller zurückzuverkaufen, um Lücken in deutschen Arsenalen zu füllen, hat politisch immerhin die erste Hürde genommen. 

Diese beiden – und viele weitere – Frauen, die über das notwendige Fachwissen bezüglich Waffen und Munition verfügen, werden als Kriegsgurgeln, Panzerweiber, Huren und dergleichen mehr bezeichnet; die sexuell gefärbten Fantasien dazu mag man sich gar nicht ausmalen. Dass sich zahlreiche Männer gegen die Forderung einer allgemeinen Dienstpflicht für beide Geschlechter aussprechen, überrascht nicht, verlören sie damit doch – so sehen sie es zumindest – ihre letzte exklusive Bastion.

Irak, März 2023: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock pflanzt mit Mirza Dinnayi, Gründer des kulturellen und sozialen Begegnungszentrums „House of Coexistence“, einen Baum.
Irak, März 2023: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock pflanzt mit Mirza Dinnayi, Gründer des kulturellen und sozialen Begegnungszentrums „House of Coexistence“, einen Baum. Baerbock wurde 2022 vom Magazin „Politik und Kommunikation“ zur Politikerin des Jahres gekürt. © Getty Images

Klar gehören auch die ehemalige britische Premierministerin Liz Truss oder die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu dieser neuen Generation von Frauen. Truss hat sich mit ihrem Amt, ihrer Ideologie und ihrer Personalpolitik offensichtlich überworfen und geht als die kürzestdienende Premierministerin in Englands Geschichte ein. Meloni aber bezieht im Gegensatz zu ihren Vorgängern eine klare pro-ukrainische Haltung, womit sie sich gegen Putin und gegen Orbán stellt. Umso mehr fragt man sich, ob, wann und wie sie ihre faschistische Parteizugehörigkeit zum Tragen bringen wird.

Als vor Jahrzehnten die ersten Frauen in exponierten Positionen scheiterten, hatten die Männer ihr Urteil rasch gefällt: Frauen sind auch nicht besser als wir! Wozu also brauchen wir sie? Die frühen Feministinnen antworteten lakonisch: Erst wenn auch zweit- und drittklassige Frauen – wie bisher Männer – in hohe Positionen kommen, ist die Gleichstellung erreicht.

Sind unsere Strukturen also offener für zweit- und drittklassige Leute geworden? Dazu mehr beim nächsten Mal.

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