Nein danke, keine Umerziehung

Hinter den immer heftiger werdenden Versuchen, unsere schöne Sprache politisch korrekt zu desinfizieren und ideologisch keimfrei zu machen, steht ein Angriff auf die bürgerliche Lebensart. Zeit, dagegen Widerstand zu leisten.

Illustration von Mann vor Tür
Ist Gendern eine Sackgasse? © Getty Images

Ich war, man kann es leider nicht anders beschreiben, viel zu lange viel zu naiv. Naiv war, die doch von Tag zu Tag deutlicher sichtbar werdenden Angriffe auf die bewährte Form der deutschen Sprache, landläufig als „Gendern“ bekannt, als Marotte einer kleinen, aber letztlich irrelevanten Gruppe unter­beschäftigter akademischer Leicht­matrosen, als Jungjournalisten camou­flierter Volksumerzieher und dem Zeitgeist hinterherhechelnder Manager zu verstehen; eine Torheit, die genauso vorübergehen wird, wie sie gekommen ist. Was für ein Irrtum.

Es hat ja grundsätzlich wirklich ­etwas Amüsantes, zu beobachten, wie sich die selbst ernannten Teufels­austreiber an der Sprache abarbeiten, um ihrer sinnlichen Vielfalt den Garaus zu machen und sie durch ein steriles, blutarmes und letztlich unbrauch­bares Gestammel zu ersetzen, bar jeder Schönheit und Vitalität. Wenn etwa die Stadt Bonn offiziell ihre Mitarbeiter dazu anhält, „Terrorisierende“ anstatt „Terroristen“ zu schreiben, ist das gewiss ein erheblicher Beitrag zum Fortschritt der Menschheit; besonders aus der ­Perspektive der Opfer der Terrorisierenden.

Doch was bisher wie da und dort aufpoppende Sumpfblasen des schlechten sprachlichen Geschmacks erschienen sein mag, hat in den letzten ­Monaten eine ungeheure Wucht und Dynamik angenommen. Aus kuriosen Einzelfällen wird gerade ein Tsunami, eine Massenvergewaltigung der deutschen Sprache. Das wird, so scheint es, nicht gut ausgehen. Es sei denn, wir beginnen uns langsam dagegen zu wehren.

Umbau der Sprache

Dabei geht es nicht nur um die Sprache an sich, sondern längst schon um das Denken und die Haltung. Wenn etwa eine österreichische deutsche Airline, die jahrzehntelang das Klischee vom hiesigen Charme bewirtschaftete, nun auf die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ verzichtet, offenbar um nicht der reaktionären Auffassung bezichtigt zu werden, es gäbe zwei ­Geschlechter, geht es schon um mehr als bloßes „Gendern“. Da geht es letztendlich um den Versuch, unsere Annahmen darüber, was falsch ist und was richtig, zu kontrollieren und zu verändern. Und genau deswegen war und ist es so naiv, den erzwungenen Umbau der Sprache als bloßen Unfug abzutun.

Wer über die Sprache herrscht, der herrscht auch über das Leben der Menschen, zumindest bis zu einem gewissen Grade.

Der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890–1935) hat genau erkannt, worum es wirklich geht: „Sprache ist eine Waffe.“ Wer über die Sprache herrscht, der herrscht auch über das Leben der Menschen, zumindest bis zu einem gewissen Grade. Wir haben es hier mit nicht weniger als einem Angriff auf die bürger­liche Lebensart und ihre Werte, ihre Regeln und natürlich auch ihre Sprache zu tun.

Es ist dies ein Angriff, der nicht nur auf der sprachlichen Ebene vor­getragen wird, sondern parallel dazu, wenn auch völlig unabgestimmt, auf einigen ganz anderen Feldern. Dass etwa die Sparer seit der Finanzkrise im Jahr 2008 durch eine halbseidene Politik des Geld­druckens laufend enteignet, die Schuldner hingegen belohnt ­werden, unterminiert grundlegende bürgerliche Werte wie Sparsamkeit, Verzicht zugunsten zukünftiger Investitionen und der Akkumulation von Vermögen, um Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen. Wo der Sparer der Trottel ist, der verschwenderische Leichtfuß auf Kredit hingegen derjenige, der am Ende gewinnt, werden die bürgerlichen ­Werte entsorgt wie stinkende Fisch­reste, die man möglichst schnell loswerden will.

Attacke auf bürgerliche Werte

Nicht weniger korrodiert wird die bürgerliche Gesellschaft in Europa durch eine völlig irregeleitete Einwanderungspolitik seit 2015, die dazu geführt hat, dass primär nicht jene nach Europa kommen, die wir hier tatsächlich dringend bräuchten, sondern in all zu vielen Fällen die, die unsere Gesellschaften zwar bereichern, aber auf eine Art, die von den bisher hier Lebenden eher nicht so goutiert wird.

Dass nun plötzlich bürgerliche, aufklärerische Errungenschaften wie die Gleichstellung von Mann und Frau, das Prinzip des säkularen Staats oder die Akzeptanz aller sexuellen Präferenzen wieder teilweise zur Disposition stehen, ist eine Attacke auf bürgerliche Werte.

Man müsste freilich schon ein wirrer Verschwörungstheoretiker sein, um hinter diesen ganz unterschied­lichen Angriffen einen Masterplan zu sehen. Dergleichen ist Blödsinn. Auffällig ist hingegen, dass sehr häufig Akteure, denen eine Umerziehung der Menschen durch eine neue Sprache ein ­Anliegen ist, oft auch eine Politik des Schulden­machens und Gelddruckens für eher richtig halten – und meistens auch die Zuwanderung aus Afrika und der islamischen Welt entspannt sehen. Was sie eint, ist der gut gemeinte ­Versuch, die bürgerliche Welt mit all ihren Defiziten und Unzulänglich­keiten durch eine neue, viel bessere zu er­setzen.

Nicht weniger korrodiert wird die bürgerliche Gesellschaft in Europa durch eine völlig irregeleitete Einwanderungspolitik.

Doch die Geschichte lehrt uns: Nur wenig hat so viel Unglück über die Welt gebracht wie das gut Gemeinte. Und dann gibt es da noch das kleine Pro­blem, dass die große Mehrheit der Bevölkerung das alles ganz anders sieht, die wollen nämlich am Wochenende „grillen statt gendern“, wie der deutsche ­Publizist Gabor Steingart das auf den Punkt gebracht hat.

Es ist die gleiche Mehrheit, die die Qualitäten eines deutschen Diesel­aggregats schätzt, Fleischessen als Genuss betrachtet und auch gerne mit dem Flieger in den Süden reist. Und die, wie alle Umfragen zeigen, auch die deutsche Sprache in ihrer bisherigen Form behalten möchte. Ob der vom Milieu der Wohlmei­nenden erwünschte Umbau zuerst der Sprache und danach der Gesellschaft demokratisch zu legitimieren sein wird, ist eher zweifelhaft. Nicht zu­fällig fordert der radikalere Teil dieser Strömung, etwa bei „Fridays for ­Future“, bereits einen „Systemwechsel“, und man kann sich durchaus vorstellen, was damit gemeint sein dürfte.

Zeit zu handeln

Es ist daher langsam Zeit, dass all jene, die sich die bürgerliche Lebensart nicht nehmen lassen wollen, endlich auf­wachen und handeln. Wirtschaftlich, indem sie sich schlaumachen, welche Unternehmen und Institutionen sich dem üblen Zeitgeist anpassen und welche nicht, und ihre Kaufentscheidungen entsprechend adaptieren; und ­politisch anhand der Positionen, die Politiker in dieser Frage vertreten.

Alles andere wäre naiv. Und ich weiß, wovon ich spreche.