Pasta, Rasta und andere Verbrechen

Von fremden Kulturen zu lernen gilt neuerdings als schwer verpönt. Wir sollten uns den Vorwurf der kulturellen Aneignung aber nicht gefallen lassen.

Illustration eines weißen Mannes beim Nudeln kochen
Nationalgerichte spielen oft eine große Rolle in der kulturellen Identität eines Landes – und werden entsprechend heiß verteidigt. © Getty Images

Sollten Sie, werte Leserin, geschätzter Leser, noch nie etwas von dem Begriff der „kulturellen Aneignung“ vernommen haben, dann können Sie sich einigermaßen glücklich schätzen. Denn das deutet jedenfalls darauf hin, dass Sie sich bisher klug von einer der absurdesten öffentlichen Diskussionen fernhalten konnten, die es auf dieser an absurden Diskussionen ja nicht gerade armen Welt derzeit gibt.

„Kulturelle Aneignung“, sei es kulinarisch, modisch oder auch spirituell, wird Sie bereichern und erfreuen.

„Kulturelle Aneignung“, so wird von vielen sich selbst als fortschrittlich verstehenden Zeitgenossen an Unis, in Redaktionen oder der Politik die durch und durch verwerfliche Übernahme von fremdem Kulturgut bezeichnet. Also wenn sich etwa weiße Frauen eine Rasta-Frisur machen lassen; britische Köche italienische Pasta-Rezepte neu interpretieren; oder Österreicherinnen Yoga betreiben, wie sie es gerade für richtig erachten.

All das sind, wenn wir die selbst ernannten Tugendwächter der politischen Korrektheit ernst nehmen, völlig unzulässige „kulturelle Aneignungen“, die vom Twitter-Volksgerichtshof streng zu bestrafen sind und zur Ächtung im Wege der „Cancel Culture“ führen können.

Intellektuelle Modetorheiten

Nun kann man mit Recht einwenden, derartige intellektuelle Modetorheiten seien für die ganz große Mehrheit der Menschen, denen ihre Vernunft und ihr gesunder Menschenverstand noch nicht abhanden gekommen sind und die sich von niemandem vorschreiben lassen wollen, welche Frisur sie tragen, was sie kochen und was sie auf der Yoga-Matte treiben, völlig wurscht. Schön wär’s.

Denn leider haben auch derart törichte und von der Wirklichkeit scheinbar völlig entkoppelte Theorien der akademischen, medialen und politischen Blase Auswirkungen auf das wirkliche Leben der wirklichen Menschen. Und zwar aus zwei Gründen.

Erstens, weil daraus eine Stimmung, eine gesellschaftliche Strömung entstehen kann, die irgendwann einmal tatsächlich reale Auswirkungen hat. Wenn etwa das durch und durch bereichernde, den Horizont und nicht zuletzt den Genuss steigernde gelegentliche Aneignen von fremden Gebräuchen, Kulturtechniken, Moden, kulinarischen Eigenheiten und anderen Facetten des Lebens plötzlich zu schlechtem Benehmen umdefiniert wird, werden wir alle ärmer an unser Leben bereichernden Erfahrungen werden, enger in unserem Denken und irgendwann einmal kulturell selbstverzwergt enden.

Wo kann noch ein „Opfer“ erfunden werden?

Und zweitens, weil die aufgeregte Debatte um das Thema „kulturelle Aneignungen“ auch Beleg dafür ist, wie sehr unseren Gesellschaften mittlerweile das Gespür dafür abhanden gekommen ist, was wichtig ist und was nicht, welche Probleme zu lösen sind und welche wir getrost sich selbst überlassen können – und nicht zuletzt dafür, dass wir zwar in der industriellen Produktion immer schwächer werden, aber dafür mit viel Energie immer neue Kategorien von „Opfern“ erfinden (diesfalls eben der „kulturellen Aneignung“).

In diesem Sinne: Genießen Sie den Sommer, und wenn Sie die Welt bereisen – was immer empfehlenswert ist –, betreiben Sie „kulturelle Aneignung“, sei es kulinarisch, modisch oder auch spirituell. Es wird Sie bereichern und erfreuen. Und lassen Sie sich die Freude daran nicht von ein paar Spießern verderben.