Und was macht Ihnen Mut?

Die Erde zu retten ist eine Illusion. Mit ein wenig Mut können wir aber für ein Überleben auf einem veränderten Planeten sorgen. Hoffnung gibt es, denn die Menschen sind kreative Geschöpfe und haben vor allem eines: eine Wahl.

Illustration eines Mädchens vor einer Wand mit Superheldin-Schatten.
"Unsere Zukunft hängt davon ab, wofür wir uns in jedem Augenblick entscheiden." © Getty Images

Nach Corona ist vor der Klimakrise. Dieser Satz hat mir eine Weile gefallen, bis mir aufging, dass die Pandemie natürlich bereits ein Teil der Klima­krise ist. Und dass ich gar nicht so genau weiß, was Klima eigentlich bedeutet. Großwetterlage? Komplexe Wechselwirkung von Lebewesen und planetarem System? Atmosphäre, Stimmung, Gefühl? Vielleicht kann ich es am besten ex negativo begreifen, wie wir die Bedeutung von Dingen oft erst richtig erfassen, wenn wir sie verloren haben.

Für mich wird Klima als Krise greifbar, wenn ich die Erfahrung mache, dass das Wetter nicht mehr in die Landschaft passt. Und obwohl die Erde sich beständig verändert, glaube ich, dass es einen menschengemachten Klima­wandel gibt und dass es unsere gemeinsame Aufgabe ist, die Natur und die Tiere so gut wie möglich vor unserer eigenen Gier zu schützen. Ohne dabei jedoch der Illusion anheimzufallen, die Erde ließe sich retten oder gar end­gültig heilen.

Stattdessen geht es, um mit der Philosophin Donna Haraway zu sprechen, um ein gemeinsames Überleben auf einem beschädigten Planeten, getragen von dem Bewusstsein, dass jedes vor dem Aussterben bewahrte Tier und jeder nicht abgeholzte Baum es wert sind, sich dafür engagiert zu haben. Dabei ist unser Verhältnis zur Natur ebenso zwiespältig wie unser Verhältnis zu den Tieren: Während sich der Waldbestand in Europa in den letzten Jahren vergrößert hat, auch durch die verständige Pflege der Holzwirtschaft, wird der Amazonas täglich gerodet. Der Urwald weicht Ackerland oder Plantagen, die auch Dinge produzieren, die wir Europäer kaufen.

Was macht Ihnen Mut?

Die Welt ist unentwirrbar verflochten, weshalb es ebenso gilt, das Ganze in den Blick zu nehmen, wie den eigenen Standpunkt zu bestimmen. Und so blicke ich selbst nicht nur als Weltbürgerin, sondern auch als Europäerin, als Deutsche, als Frau, wobei jede Perspektive ebenso Möglichkeiten eröffnet wie blinde Flecken produziert. Weshalb ich glaube, dass nur ein aufrichtiges Ausloten des eigenen Standpunkts ein angemessener Beitrag zu einem gemeinsamen Nachdenken sein kann. Was Sie wiederum einlädt, sich selbst zu ver­orten. Woran glauben Sie? Wie geht es weiter, wie soll es weitergehen?

Und was macht Ihnen Mut? Mich hat es sehr ermutigt, dass es uns innerhalb eines Jahres gelungen ist, einen Impfstoff gegen Corona zu entwickeln. Diese wissenschaftliche Meisterleistung hat mich darin bestärkt, zu glauben, dass die menschliche Ingenuität mindestens ebenso groß ist wie unsere Dummheit. Wir brauchen diese Sternstunden des Forschens, denn die Herausforderungen der Zukunft können wir nicht nur durch Verzicht bewältigen. Wir benötigen neue Materialien, andere Formen der Energiegewinnung und endlich eine gute Idee, wie wir das verdammte Plastik wieder aus den Ozeanen bekommen. Aus den Tieren. Und aus uns selbst. Auf der einen Seite müssen wir also voranschreiten, forschen, erfinden, entwickeln, aber auf der anderen Seite auch zurückkehren, bewahren, wiederherstellen.

Mich hat es ermutigt, dass es uns innerhalb eines ­Jahres gelungen ist, einen Impfstoff gegen Corona zu entwickeln.

Diesen widersprüchlichen Anforderungen können wir gerecht werden, weil wir Menschen kreative Kreaturen sind, geistreiche Geschöpfe, die das ­Leben ebenso erleiden müssen wie gestalten können. Menschsein bedeutet, eine Wahl zu haben, und unsere Zukunft hängt davon ab, wofür wir uns in jedem Augenblick entscheiden – fürs Mit­laufen oder fürs Selber-Denken, für ­blinden Konsum oder für bewussten Genuss, für das Trennende oder fürs Zusammenleben.

Perspektiven teilen

Doch obwohl wir frei sind in unseren Entscheidungen, sind wir gebunden durch den Rahmen, in dem unser Tun und Lassen stattfindet. Es gibt nur eine Wirklichkeit – aber acht Milliarden menschliche Perspektiven darauf. Wobei wir dieser Wirklichkeit umso gerechter werden, je mehr Augen auf sie blicken. Ob Wikipedia, künstlerische oder wissenschaftliche Zusammen­arbeit oder andere Formen kollektiver Objektivitätsannäherung – am weitesten kommt unsere Spezies, wenn wir unsere Perspektiven aneinander schärfen und miteinander teilen.

Es gibt keine alternativen Fakten. Wirklichkeit ist das, was tatsächlich ­geschieht, unsere Perspektive ist das, was wir davon wahrnehmen können, und unsere Interpretation ist das, was diese Wahrnehmung für uns bedeutet. Und für mich ist Wetter, das nicht mehr in die Landschaft passt, ein greifbares Indiz dafür, dass mit dem Klima etwas nicht stimmt. Doch auch alles andere ist unendlich viel problematischer geworden, als ich, ein Kind der Neunziger und noch in der Stimmung eines ­„Endes der Geschichte“ aufgewachsen, mir je hätte träumen lassen.

Jeder Mensch ist ein Lichtblick – vielmehr, jeder Mensch besitzt die Freiheit, immer wieder einer zu werden.

Die große und umfassende Krise, die wir gerade erleben, hat grob gesagt zwei Schauplätze: unseren Umgang miteinander und unseren Umgang mit den anderen Spezies und dem plane­taren Ökosystem, wobei in den aller­meisten Fällen Egoismus, Ignoranz und Profitstreben die krisenhaft gewordene Missachtung des Lebendigen verursacht haben. Was wir jetzt erleben, ist die Rückkehr dieses Missachteten und ­Verdrängten. Ob es auf der zwischenmenschlichen Ebene um strukturellen Rassismus geht, um Sexismus oder um Queerfeindlichkeit oder wir auf planetarer Ebene mit überfluteten Küstenbereichen oder dem großen Arten­sterben konfrontiert werden: Alles ist dringlich. Alles ist laut. Und alles tut weh. Weshalb wir die große Krise auch als Einladung begreifen können, uns endlich allem bewusst und aufrichtig, also im besten Sinne aufgeklärt, zu stellen: den Folgen von Kolonialismus, Kommunismus, Faschismus und Neoliberalismus, den Schmerzen der Ausgegrenzten und unserer Abhängigkeit voneinander, von den Tieren und von der Natur.

Unsere Rolle auf Erden

Das Wort Krise kommt aus dem Griechischen und heißt Zuspitzung, Entscheidung. Was letztlich entschieden wird, ist die Frage, wer wir Menschen sind und sein wollen und was unsere Rolle auf Erden ist. Denn es wird nicht nur alles Verdrängte offenbar, sondern es will auch alles von uns wahrgenommen, aufs Neue geprüft und wieder sinnvoll geordnet werden.

Das betrifft uns alle gemeinsam, aber auch jeden und jede persönlich. Denn so, wie die hinreichende Bewahrung der Welt an jedem einzelnen Baum hängt, hängt unsere gemein­same Zukunft an jedem und jeder Einzelnen. Jeder Mensch ist ein Lichtblick – vielmehr, jeder Mensch besitzt die Freiheit, immer wieder einer zu werden.