Wege aus der Teilzeitfalle

Immer mehr Menschen arbeiten – freiwillig – in Teilzeit. Die einen verweisen auf fehlende Kinderbetreuungsangebote, die anderen suchen die Schuld bei den Millennials und ihrer Forderung nach einer Work-Life-Balance. Ein dritter Faktor wird oft übersehen.

Ein Demonstrant hält ein Protestschild gegen steigende Mietpreise in Berlin, 2021
Rasant steigende Mietpreise treffen nicht nur in Berlin auf stagnierende Einkommen. Die jüngeren Generationen haben in den meisten europäischen Großstädten keine Perspektive mehr auf Wohneigentum – oder den Lebensstandard ihrer Eltern. © Getty Images

In der Debatte über mehr Vollzeitjobs sind Subventionskürzung und Kinderbetreuung die am meisten debattierten Rezepte. Dabei könnte das eigentliche Problem übersehen werden.

Erstens: was bringt der Ausbau von Kinderbetreuung wirklich? Ausbau von Kinderbetreuung! Diese Forderung erhält ungeteilte Zustimmung und gilt als Maß aller Dinge in der Diskussion über mehr und längere Beschäftigung, die wir angesichts des Arbeitskräftemangels immer intensiver führen. Ein genauerer Blick auf die Kinderbetreuung lässt allerdings Zweifel daran aufkommen, dass deren Ausbau tatsächlich der einzige Weg aus der Teilzeitfalle sein könnte. Die These geht nämlich von einer falschen Annahme aus: Dass die Teilzeit ausschließlich unfreiwillig sei und die Erwerbstätigkeit bei einem besseren Betreuungsangebot ausgedehnt würde.

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Das Bild ist jedoch differenzierter. So zeigt eine Arbeit von Josef Zweimüller und Koautoren, dass sich der Gender Gap nach dem Ausbau der Kindergärten in Österreich nicht sehr stark verändert hat. Allerdings muss man dazu sagen, dass in der Vergangenheit vor allem neue Plätze zur Verfügung gestellt wurden, während die Ausweitung der Öffnungszeiten sehr selten war. Die Folge: Frauen, die ohnehin erwerbstätig sein wollten, hatten es durch den Ausbau leichter. Die Präferenzen anderer Frauen hat der Ausbau aber wohl nicht verändert. Interessant wäre allerdings zu erheben, wie groß der Effekt ist, wenn die Öffnungszeiten der Kindergärten tatsächlich so ausgeweitet würden, dass beide Partner länger arbeiten können.

Mehr Kinderbetreuung, weniger Teilzeit?

Auch andere Zahlen belegen ein relativ hohes Ausmaß an Freiwilligkeit, wie beispielsweise jene aus dem Familienbericht 2022. Mehr als die Hälfte der Frauen will laut dieser Untersuchung im relevanten Alter „selbst betreuen“, etwa 15 Prozent meinen, die Betreuung wäre zu teuer oder nicht vorhanden.

Diese Befunde werden allerdings durch andere Arbeiten kontrastiert, die zu deutlich optimistischeren Ergebnissen kommen: etwa aus Deutschland, wo 2013 der bereits bestehende Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr ausgeweitet wurde. Dieses „natürliche Experiment“ erlaubt es, die Reaktion des weiblichen Arbeitsangebots zu berechnen. Auf die Einführung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung reagierten bis zu 40 Prozent der Frauen mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder der Ausweitung ihrer Arbeitszeit. Weitere Arbeiten widmeten sich der Abschaffung der Nachmittagsgebühren und kamen zu dem Ergebnis, dass auch diese zu signifikanten positiven Effekten auf das weibliche Arbeitsangebot geführt hat.

Mütter mit Babys und Kleinkindern nehmen am 29. Oktober 2022 in London an einem Protestmarsch unter dem Motto "March of the Mummies" teil, um bessere Betreuungsangebote für Kinder zu fordern
Generation Screwed: In London fand am 29. Oktober 2022 ein Protestmarsch names „March of the Mummies“ statt, der eine Verbesserung der unzureichenden und zu kostspieligen Kinderbetreuungsangebote forderte. © Getty Images

Interessant ist auch die Feststellung, dass regional gesehen die geringste Erwerbsquote der Frauen mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren nicht im konservativen Tirol, sondern im progressiven Wien mit landesweit bestausgebauter Kinderbetreuung zu finden ist: In der Bundeshauptstadt arbeiten nur knapp mehr als 60 Prozent, verglichen mit 80 Prozent in den anderen Bundesländern. Hier liegt die Hypothese nahe, dass der ausschlaggebende Faktor die andere Bevölkerungsstruktur mit hohem Migrationsanteil ist und weniger die institutionellen Faktoren.

Davon unabhängig steht außer Frage: aus bildungspolitischer und volkswirtschaftlicher Sicht ist der Ausbau hochqualitativer Elementarpädagogik von enormer Bedeutung.

Was ist mit den anderen Frauen?

Fast 60 Prozent der Frauen, deren jüngstes Kind älter als 15 Jahre ist, arbeiten immer noch Teilzeit. Dies lässt sich kaum mit der Verfügbarkeit von Kindergartenplätzen erklären, auch nicht mit Kinderkrippen oder Ganztagsschulen. Ab einem Alter von circa 45 Jahren ist der am häufigsten genannte Grund für Teilzeitarbeit bei Frauen: „keine Vollzeittätigkeit gewünscht“. Könnten hier andere Faktoren eine Rolle spielen, wie der Wirtschaftsminister andeutete?

In diesem Fall sprechen wir in den meisten Fällen von einer „Zweitverdienerin“ – und in solchen Konstellationen ist neben dem eigenen Einkommen natürlich auch eine Reihe von steuerlichen Aspekten und Leistungen zu berücksichtigen. Dazu gehören die Progression der Einkommensteuer, die Ausweitung der Negativsteuer in den letzten Jahren und die Befreiung von der Arbeitslosenversicherung für Geringverdiener.

Auch der hohe Eingangssteuersatz der Einkommensteuer mit hohen Freibeträgen wirkt hemmend: Wir beobachten in den Daten der Einkommensteuer ein sogenanntes „Bunching“ – übersetzt Ballung oder Anhäufung. Das bedeutet, dass deutlich mehr Personen knapp unter der 11.000-Euro-Grenze arbeiten als darüber.

Dazu kommen noch die Möglichkeit der Mitversicherung in der Krankenversicherung für EhepartnerInnen sowie die Witwen- und Witwerpensionen, die die eigenen Pensionsansprüche erweitern. Zum letzten Punkt gibt es auch empirische Evidenz: Männer, die im Zuge der Reform 2000 eine Kürzung ihrer Ansprüche um 34 Prozent hinnehmen mussten, hatten langfristig eine um bis zu 5,4 Prozentpunkte höhere Erwerbsquote. Eine Kombination aus steuerlichen Anreizen, Pensionsansprüchen des Partners und staatlichen Leistungen macht es für viele Zweitverdiener attraktiver, auf mehr Arbeitsstunden zu verzichten.

Die Frage der (fehlenden) Perspektive

Sowohl die Kinderbetreuung als auch die Zweitverdienerfrage können jedoch andere Faktoren nicht erklären. So ist die durchschnittliche Arbeitszeit der Männer in Österreich von 39,5 Stunden im Jahr 2004 auf 33,7 Stunden im Jahr 2021 gesunken. Die Zahl der Männer mit einer Normalarbeitszeit unter 35 Stunden hat sich seit 2004 mehr als verdoppelt. Hier können wir nur spekulieren: Sind es die „Millennials“, die mehr Wert auf Freizeit legen? Liegt es an der Zusammensetzung des Arbeitsangebots, die sich insbesondere nach der Öffnung des Arbeitsmarktes 2011 verändert hat? Oder spielen auch hier steuerliche Rahmenbedingungen eine Rolle?

Mietrechtsaktivisten in New York, 2021
New York, 2021: Während der Corona-Pandemie konnten sich viele New Yorker ihre Miete nicht mehr leisten. Der für ältere Generationen einst selbstverständliche Weg zum Eigenheim ist aufgrund der extrem hohen Mietpreise auch in den USA für Millennials und die GenZ nur noch in seltensten Fällen eine Option. © Getty Images

Ein wilder Gedanke: Viele Menschen haben die Perspektive des Aufbaus und des Aufstiegs verloren. Während die Verbraucherpreisinflation von 2010 bis 2021 bei knapp über 30 Prozent lag, haben sich die Immobilienpreise in Österreich in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt. Die Belastung der Arbeit mit Steuern und vor allem SV-Beiträgen ist in den letzten 20 Jahren trotz unzähliger Steuerreformen mehr oder weniger konstant geblieben – und das auf einem europäischen Spitzenniveau.

Für eine 70-Quadratmeter-Wohnung müssen laut einer Untersuchung der Beratungsgruppe Deloitte im Jahr 2021 mehr als 10 Bruttojahresgehälter aufgebracht werden, womit Österreich den unrühmlichen dritten Platz in Europa einnimmt. Netto gerechnet ist der Abstand noch deutlich größer. Perspektivlosigkeit – auch wenn es nur meine Arbeitshypothese ist – ist ein heißer Kandidat für die Erklärung des Teilzeitphänomens.

Viele Menschen haben die Perspektive des Aufbaus und des Aufstiegs verloren.

Der Arbeitskräftemangel hat neben den demografischen Gründen viele Ursachen wie beispielsweise den Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden – eben auch bei Männern. Die Kinderbetreuung sollte bei den Reformüberlegungen nicht außer Acht gelassen werden, ist aber bei den Überlegungen in Richtung Ausweitung der Vollzeitjobs bestenfalls ein Faktor von vielen. Was mit Sicherheit zur Lösung beitragen würde:  Ein grundsätzliches Überdenken des Abgabensystems. Wenn die eigene Arbeit mehr Früchte trägt, steigt auch die Bereitschaft, die Erwerbstätigkeit auszudehnen.

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