Mehr Resonanz für Autismus

Autismus ist nicht heilbar. Die positive Wirkung von Musiktherapie steht jedoch außer Zweifel: Sie ermöglicht Teilhabe an der Gesellschaft und macht soziale Interaktionen begreiflich – ganz ohne Sprache.

Illustration einer für sich allein sitzenden Frau
Menschen mit Autismus können in der Musiktherapie lernen, wie die Interaktion mit anderen funktioniert. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Spektrum. Autismus ist eine höchst individuelle Erkrankung, die den Betroffenen die Interaktion und Kommunikation mit ihrer Umwelt erschwert.
  • Diagnose. Oft ist die Sprache betroffen, aber auch zwanghafte Verhaltensmuster sind ein häufiges Merkmal. Autismus tritt schon im Kindesalter auf und ist nicht heilbar.
  • Therapie. Musik ist ein Weg, um Autisten ihre Umwelt begreiflicher zu machen. Sie kann bei der Strukturierung des Alltags helfen und erkennbare Rituale schaffen.
  • Selbstwahrnehmung. Außerdem können akustische Reize Verhaltensmuster aufzeigen. Statt Ticks wegzutrainieren, werden sie so präsent gemacht.

Wie das menschliche Gehirn die Umwelt und Mitmenschen wahrnimmt, wie es Informationen registriert, sie verarbeitet und Reaktionen setzt, funktioniert bei den meisten sehr ähnlich. Ein Blick, ein Wort, eine Geste können gegenseitiges Einverständnis erwirken und Zusammenleben möglich machen. Doch bei Menschen mit Autismus sind die Verbindungen im Gehirn und damit die Empfindungen anders, was sich im Verhalten, aber auch in den sozialen Beziehungen auswirkt. Die Erkrankung hat viele unterschiedliche Ausprägungen, deshalb sprechen wir in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vom Autismus-Spektrum.

Mehr im Dossier Music & Mind

Es ist medizinisch betrachtet eine tiefgreifende Entwicklungsstörung von Kindheit an, die sich im Erwachsenenleben fortsetzt. In vielen Fällen ist die Sprache betroffen. Häufig sehen wir Patienten mit als zwanghaft erlebten Verhaltensmustern, fast immer ist die Kontaktaufnahme zu anderen erschwert und die Kommunikation beeinträchtigt. Zwar hat der Film „Rain Man“ den Autismus einem breiten Publikum bekannt gemacht, doch ist die dort dargestellte Form einer Spezialbegabung eher selten. Viel häufiger sind autistische Kinder schwerst beeinträchtigt, weisen Intelligenzdefizite auf und haben große Probleme, mit ihren Mit­menschen und der Welt rund um sie zurechtzukommen.

Soziale Interaktion fördern

Besonders schmerzlich ist das für Eltern von autistischen Kindern. Wenn es nicht gelingt, eine Beziehung aufzubauen, weil zum Beispiel Blickkontakt nicht möglich ist, ist das Zusammen­leben schwer. Musik, also akustische Reize, kann eine alternative Möglichkeit zur Kontaktaufnahme sein. In musiktherapeutischen Einzelsitzungen wird im Spiel mit Klang und Rhythmus gearbeitet. So ist das Ziel einer Behandlung, dass Autisten mit anderen interagieren lernen. Es geht vor allem darum, Betroffenen eine Teilhabe an der Gesellschaft zu eröffnen.

Ein Beispiel: Kinder mit Autismus leiden sehr oft unter zwang­haften Verhaltensmustern. Sie wiederholen Bewegungen auf sehr stereotypische Art und Weise, viele haben auch sprachlich auffällige Ticks. Man nimmt an, dass Autismus auch eine Störung in der Selbst­regulierung sein könnte und damit die sozialen Interaktionen mit anderen erschwert.

×

Zahlen & Fakten

Es gibt Möglichkeiten, so ein Verhalten zu beeinflussen. Der verhaltenstherapeutische Weg bei Autismus ist, einen Tick wegzutrainieren. Die Musiktherapie schlägt jedoch einen anderen Weg ein. In den Sitzungen wird versucht, bestimmten auffälligen Verhaltensmustern einen Sinn zu geben, zum Beispiel indem man sie musikalisch aufgreift und sie dem Betreffenden dadurch spiegelt. Das kann dazu führen, dass der- oder diejenige überhaupt erst eine Wahrnehmung für das eigene Verhalten bekommt – und es auf diese Weise schafft, Muster zu überwinden.

Genereller gesprochen wird in den musiktherapeutischen Sitzungen sehr stark mit Ritualen gearbeitet. Zur Begrüßung und zum Abschied werden Lieder gesungen oder wird mit Instrumenten Musik gemacht. Dadurch ergeben sich neue Situationen der Inter­aktion, die sich in der Realität so nicht ergeben würden. Auch Bewegung zu Musik ist Teil von Musiktherapie für autistische Kinder.

Autismus als Bewegungsstörung

Es gibt die Hypothese, dass Autismus im Grunde eine Art von Bewegungs­störung sein könnte, genauer gesagt ein Defizit in der auditorischen und motorischen Steuerung im Gehirn. Gerade weil Musik viele Gehirnregionen gleichzeitig aktiviert, lassen sich Veränderungen erwirken. Voraussetzung ist ein sehr behutsamer und geduldiger Zugang vonseiten der Therapeuten. Sicher ist: Es braucht Zeit. Dass Musiktherapie bei Autismus eine Wirkung hat, ist allerdings evidenzbasiert und wissenschaftlich durch eine große Metastudie eines Health Technology Assessments belegt.

Sehr oft werden auch die Eltern in eine Musiktherapie miteinbezogen, vor allem dann, wenn Musik ein Mittel ist, den Kontakt mit einem Kind herstellen zu können. Lieder oder Rhythmen können helfen, den Alltag besser zu meistern. Man spielt zum Beispiel eine ganz bestimmte Musik, wenn sich ein Kind anziehen soll. Rituallieder können in schwierigen Situationen unterstützend wirken. Eine Musiktherapie kann mitunter aber auch sehr viele Jahre dauern, das Gehirn lernt nur durch viele, viele Wiederholungen.

×

Conclusio

Autismus ist eine sehr komplexe Erkrankung mit unterschiedlichen Erscheinungsformen. Nach neuesten Studien unterscheiden sich die Sinneswahrnehmungen und Reaktionen von Betroffenen substanziell, das erschwert die Kommunikation mit Menschen ohne Autismus. Die Erkrankung kann überaus belastend im sozialen Miteinander sein. Musik eröffnet in vielen Fällen einen Weg, eine zwischenmenschliche Verbindung herzustellen. Im Rahmen einer Musiktherapie kann es über akustische Reize wie Gesang oder Rhythmus gelingen, Rituale zu etablieren, die dabei helfen, Abläufe im Alltag besser zu meistern. Musiktherapie bei Autismus erfordert allerdings sehr viel Geduld und Know-how, auch auf interdisziplinärer Ebene. Die positive Wirkung ist allerdings evidenzbasiert und in großen Studien belegt.