Klangvoll aus der Depression

Depressionen sind eine schwere psychische Erkrankung. Musiktherapie hilft Betroffenen, wieder ein Gefühl der Selbstbestimmtheit zu entwickeln und die oft lähmende Schwere hinter sich zu lassen.

Illustration einer am Laptop sitzenden Frau mit Kopfhörern
Durch rhythmische Impulse leistet Musiktherapie einen wichtigen Beitrag zur Behandlung von Depressionen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Krankheitsbild. Depression ist eine schwere psychische Erkrankung, die sich auch auf das körperliche Wohlbefinden auswirken kann.
  • Komplexität. Die Symptome einer Depression sind vielfältig und höchst individuell. Häufig treten Erschöpfung, fehlende Tagesstrukturen und sozialer Rückzug auf.
  • Therapie. Rational lässt sich das betroffene Nervensystem nicht beeinflussen. Musik bietet einen Weg, den körpereigenen Antrieb auf intuitive Art wieder zu aktivieren.
  • Achtsamkeit. Bei der Musiktherapie lernen Patienten, über strukturierte Rhythmen und bewusstes Atmen den Weg zu einem bewussten Selbsterleben zurückzufinden.

Der Zusammenhang von Musik und Gesundheit – und damit von Musik als Heilmittel bei Krankheit – ist bereits seit Jahrhunderten bekannt. Schon der der deutsche Dichter Novalis schrieb im 18. Jahrhundert: „Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem, die Heilung eine musikalische Auflösung.“ Dieser Satz zeigt eine mögliche Haltung des musiktherapeutischen Handelns auf: Sie beinhaltet, dass jeder Patient einzigartig ist und damit auch jede Intervention auf das jeweilige Krankheitsbild zugeschnitten sein sollte.

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Das klinische Bild einer Depression ist hinlänglich bekannt und zeigt sich unter anderem in anhaltend gedrückter Stimmung, in Schlafstörungen, Interessen­- und Freudlosigkeit an alltäglichen Aktivitäten und in Form von Gefühllosigkeit. Bei vielen Betroffenen ist das Selbstwertgefühl stark reduziert, es fehlt an Selbstvertrauen. Auch endlos kreisende Gedanken und die Neigung, unaufhörlich über Probleme zu grübeln gehören zur Symptomatik. Aus all diesen Komponenten kann sich eine Art innere Starre entwickeln. Häufig entstehen daraus auch Muskelverspannungen und chronische Schmerzen.

Wie gelähmt sein

Depression schränkt die Lebendigkeit und Dynamik im Umgang mit anderen ein. Musiktherapeutisch sprechen wir von einer verminderten Resonanzfähigkeit. Dieser Zustand verkleinert den Handlungsspielraum massiv, manchmal verschwindet er sogar vollkommen und erzeugt so den Eindruck vollständiger Handlungsunfähigkeit.

Eine Depression lässt sich physiologisch erklären: Sie ist eine Beeinträchtigung des vegetativen Nervensystems, auf das wir keinen bewussten Einfluss nehmen können. Bei einer Depression ist die Balance der Körperrhythmen, konkret des Sympathikus und des Parasympathikus, beeinträchtigt. Der Sympathikus ist für die Aktivierung und den Antrieb verantwortlich; der Parasympathikus, konkret der Vagus-Nerv, für die Regeneration und Erholungsfähigkeit.

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Zahlen & Fakten

Durch das zyklische Zusammenwirken dieser beiden Steuerorgane mit dem Sinusknoten, dem Schrittmacher des Herzens, entsteht die Herzratenzvariabilität. In einem gut koordinierten Organismus wirken diese Körperrhythmen zusammen. Doch bei einer Depression ist dieses Zusammenspiel gestört – und genau das spiegelt sich in der Herzratenvariabilität wider.

Im EKG sichtbar

In einem Elektrokardiogramm lässt sich sehen, wenn der Vagus und der Sympathikus aus dem Gleichgewicht geraten sind. Hierbei definiert sich ein Grundprinzip lebender Organismen: Durch eine hohe Vagusaktivität kann Selbstorganisation und Selbstheilung stattfinden. Letzteres kann auch als Rhythmizität und Schwingungsfähigkeit bezeichnet werden. Bei depressiven Menschen ist diese Schwingungsfähigkeit eingeschränkt.

Meine Aufgabe als Musiktherapeutin sehe ich darin, Menschen auf dem Weg zu begleiten, durch Musik wieder einen achtsamen Kontakt zu sich selbst und anderen Menschen herzustellen. Eine Balance an Aktivierungs- und Entspannungsangeboten bildet das Fundament der musiktherapeutischen Intervention bei Depression.

Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem, die Heilung eine musikalische Auflösung.

Novalis

Es gibt zwei unterschiedliche Wege: In der aktiven Musiktherapie werden einfach strukturierte Spiele angeboten. Alles, was klingt und Rhythmus erzeugt, hat Platz – es können verschiedene Trommeln, ein Gong, Zupf- oder Seiteninstrumente sein, aber auch weniger bekannte klangerzeugende Instrumente wie die Kalimba oder ein Monochord sollen zum Ausprobieren anregen.

Die musiktherapeutischen Interventionen im Rahmen der rezeptiven Musiktherapie helfen hingegen, den eigenen Rhythmus wiederzuentdecken. Es sind basale Atem- und Körperübungen, mit denen sich innere und äußere Begrenzungen bewusst machen lassen. Ziel ist ein positives und vielfältiges Selbsterleben. Einfache Rhythmen und Klangstrukturen im musikalischen Spiel können hier ein Gefühl von Stabilität schaffen.

Auf den Atem achten

Überaus wirkungsvoll ist für viele Menschen mit Depressionen ein Body-Scan am Anfang einer Sitzung. Das ist eine meditative Methode, bei der Patienten dazu eingeladen werden, gedanklich jeden Teil des eigenen Körpers wahrzunehmen und aktiv zu spüren. Diese Achtsamkeitsübung verfolgt das Ziel, ganz bei sich selbst zu bleiben, sich von Kopf bis Fuß wieder spüren zu lernen.

Diese Aufmerksamkeit für sich selbst – auf eine nicht wertende Art und Weise – ist von großer Bedeutung. Dabei geht es sehr zentral auch um den eigenen Atemrhythmus, der eine Möglichkeit ist, zum Beispiel quälendes Gedankenkreisen zu stoppen. Auch die Regulierung von Impulsen wird in dieser Entspannungsarbeit gefördert. Auf diese Art und Weise kann es gelingen, durch gezielte Fokussierung auf Körpermechanismen die Balance zwischen innerer und äußerer Rhythmik wiederherzustellen.

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Conclusio

Eine Depression ist eine Störung des vegetativen Nervensystems, bei der der körpereigene Rhythmus zwischen Antrieb und Regeneration aus dem Gleichgewicht gerät. Musiktherapie kann ein effizienter Baustein sein, um das geschwächte System wieder in Einklang zu bringen – denn Klang aktiviert nicht nur viele Gehirnareale gleichzeitig, sondern fördert auch das Bewusstsein für den eigenen Körper. Werden Patienten achtsamer im Umgang mit sich selbst, erlangen sie auch ein Gefühl der Selbstbestimmtheit zurück. Das kann dabei helfen, Phasen von Antriebslosigkeit zu überwinden und Tagesstrukturen zu schaffen.