Mit Musik Trauma heilen

Ein Trauma ist eine schwere psychische Verletzung. Musiktherapie kann Patienten helfen, ein Gefühl der Selbstwirksamkeit wiederzuerlangen – insofern sie behutsam angewendet und individuell auf das Trauma abgestimmt wird.

Illustration einer nachdenklichen Frau vor einem Laptop
Musiktherapie kann helfen, Vertrauen wiederzugewinnen – ein wichtiger Schritt in der Traumabewältigung. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Ausnahmesituation. Kriegserlebnisse, Missbrauch, Naturkatastrophen – Trauma kennt viele Formen. Fast immer überfordert es die menschliche Psyche.
  • Schutzmechanismus. Das Gehirn kann traumatische Erlebnisse abspalten. Unverarbeitet bleiben sie aber in der Erinnerung des Menschen verborgen.
  • Flashbacks. Die Erinnerungen können plötzlich ins Bewusstsein zurückkehren und Angststörungen sowie Depressionen, aber auch Wutausbrüche auslösen.
  • Heilung. Posttraumatische Belastungsstörungen sind gut durch Psychotherapie behandelbar. In ausgewählten Fällen ist Musik ist eine wirksame Therapieoption.

Es gibt seelische Verletzungen, die so tiefgreifend sind, dass Menschen ihre Verankerung in der Welt verlieren. Es können Kriegserlebnisse sein, Naturkatastrophen, Terroranschläge, aber auch sexuelle Übergriffe oder Missbrauch. Solche Ereignisse finden für die Betroffenen stets unter extremen Stresssituationen statt und erzeugen ein Gefühl der absoluten Hilflosigkeit. Das kann nicht nur das Weltbild eines Menschen, sondern auch die Eigenwahrnehmung nachhaltig erschüttern.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist der medizinische Begriff für diese Störung. Man unterscheidet akute von chronischen Formen, also Einzelereignisse von Traumatisierungen, die über einen langen Zeitraum entstehen. Wer unter PTBS leidet, wird die Erinnerungen an die schrecklichen Ereignisse nicht los. Sie kehren in Form von Flashbacks, also dem plötzlichen Auftauchen von Erlebtem, wieder. Betroffene werden in der Nacht von Albträumen gequält, tagsüber befinden sie sich oft in einem Zustand andauernder Übererregtheit oder in negativen Stimmungslagen. Sie haben Selbstwertprobleme und leiden unter sozialer Handlungsunfähigkeit. Die Angst vor Flashbacks entwickelt sich mit der Zeit zu einer Angst vor der Angst.

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Spirale der Angst brechen

Wenn Traumata nicht behandelt werden, können sich in weiterer Folge die Symptome verstärken. Panikattacken, Schreckhaftigkeit oder Reizbarkeit, Wutausbrüche, depressive Zustände, Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung können sich fix etablieren. Die Störung hat kein einheitliches Gesicht, sondern hängt von der Lebensgeschichte, der Persönlichkeitsstruktur und der Art und Dauer der traumatischen Ereignisse ab. Nicht selten transformiert sich seelisches Leid auch in körperliche Beschwerden wie etwa Übelkeit, Kopfweh oder diffuse Schmerzen, die im ganzen Körper auftreten können.

Ein wichtiges Ziel einer PTBS-Behandlung ist es zuallererst, Patienten das Gefühl von Sicherheit und Selbstwirksamkeit zurückzugeben. Hier kann Musiktherapie einen wertvollen Beitrag leisten. Gemeinsames Musizieren bietet die Möglichkeit, selbstbestimmt musikalische Interventionen zu setzen, indem ein Patient beispielsweise den Rhythmus vorgibt. Auch gemeinsames Singen und die sogenannte Body-Percussion können helfen. Letztere bezeichnet die Zuhilfenahme von Händen, Füßen, Fingern und Mund zur Klangerzeugung, also das Musizieren mit dem eigenen Körper.

Musiktherapie ist ein sicherer Raum, in dem kontrolliert geübt, experimentiert und ausprobiert werden kann. 

Das Rhythmusgefühl über das gemeinsame Trommelspiel sowie die bewusste Wahrnehmung des eigenen Schritttempos können helfen, Panik- und Angstgefühle aufzulösen. Eine Besonderheit von Musik besteht darin, dass sie auf sämtliche Hirnregionen einwirkt. Außerdem werden Klänge, Geräusche und Rhythmen von Ungeborenen bereits im Mutterleib wahrgenommen, sind insofern Früherfahrungen und lange vor der Sprache präsent. Daher können gezielt eingesetzte musikalische Klangangebote bei Menschen mit sehr frühen Traumatisierungen ein Gefühl von Vertrauen und Geborgenheit erzeugen.

All das setzt ein Gegengewicht zur Trauma-Erfahrung – vorausgesetzt, dass Musik als etwas Positives erlebt wird. Anders verhält es sich, wenn Trauma-Ereignisse in Zusammenhang mit Musik stattgefunden haben und die Musik zum Trigger, also zum Auslöser, für Erinnerungen wird. So wird die laute, stundenlange Beschallung mit Musik in Teilen der Welt noch immer als Foltermethode eingesetzt. Musiktherapie muss deshalb sehr behutsam und in kleinen Schritten vorgehen. Wir klären Patienten über die Vielfalt möglicher Trigger-Reize auf und helfen ihnen so, ihre Symptome besser verstehen zu lernen. Im Rahmen der Therapie können sie wieder Vertrauen, Zutrauen und Selbstvertrauen gewinnen. Musiktherapie ist insofern ein sicherer Raum, in dem kontrolliert geübt, experimentiert und ausprobiert werden kann.

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Zahlen & Fakten

Gefühl von Sicherheit

Das Gefühl von Sicherheit ist für die Heilung von Traumafolgestörungen sehr wichtig, insbesondere bei geflüchteten Menschen. Ein positiver Asylbescheid oder ein Bleiberecht gilt als Voraussetzung, um Traumata bearbeiten zu können. Oftmals fehlen Betroffenen auch die Worte für Erlebtes, dann kann mithilfe von behutsam eingesetzten musikalischen Angeboten ein erster Zugang zu den Menschen geschaffen werden.

Ob Musik an sich eine heilende Wirkung hat? Das gemeinsame Hören von Musik – wir bezeichnen das als rezeptive Gruppenmusiktherapie – kann Glücksgefühle erzeugen, genauso wie gemeinsames Singen. Das kann ein gutes Gegengewicht zu kollektiven Traumatisierungen sein, so jedenfalls die Erfahrung mit Holocaustüberlebenden. „Wir haben überlebt, weil wir gemeinsam getanzt und gesungen haben.“ Diese positive musikalische Gruppenerfahrung im Sinne einer gegenseitigen sozialen Unterstützung trägt dazu bei, wieder Vertrauen zu fassen und sich so neu in der Welt verankern zu können.

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Conclusio

Musiktherapie ist eine Form von Behandlung, die auf nicht-sprachlicher Ebene Menschen mit Traumatisierungen hilft, Erlebtes zu vergegenwärtigen und damit besser verarbeiten zu können. Musik als Individual- oder Gruppenerlebnis kann dazu beitragen, dass sich Patienten wieder in sozialen Gefügen wohlfühlen können und Selbstbestimmung sowie das Gefühl der Kontrolle über den eigenen Körper zurückerlangen. Dabei ist jedoch seitens der Therapeuten große Expertise notwendig: Da Musik auch ein Trigger-Reiz sein kann, muss die musiktherapeutische Behandlung höchst individuell abgestimmt werden.