Die Opfer der Neuen Seidenstraße

Mit brutalen Mitteln versucht Peking, die Kultur der Uiguren auszulöschen. Dass die Partei ausgerechnet in ihrer Provinz Xinjiang so hart zuschlägt, hängt mit Xinjiangs Bedeutung für die Neue Seidenstraße zusammen.

Uigur Frau läuft durch eine verlassene Gasse
Die Uiguren sind eine überwiegend muslimische Minderheit in China. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Marco Polos Erbe. Nach mehr als 500 Jahren ist die Seidenstraße wieder in aller Munde. China investiert Milliarden in neue Handelsströme.
  • Kein Altruismus. Das Projekt ist aber nicht uneigenützig. Billige Kredite sichern Pekings zunehmenden Einfluss auf dem eurasischen Kontinent ab.
  • Tor zum Westen. Die strategisch günstig gelegene Provinz Xinjiang ist zu einer der wichtigsten Drehscheiben der Neuen Seidenstraße geworden.
  • Brutale Diktatur. Xinjiang ist aber auch die Heimat der Uiguren. Peking schreckt nicht vor brutaler Unterdrückung zurück, um Kontrolle zu erlangen.

Zwischen ein und zwei Millionen Uiguren haben in den vergangenen Jahren einen Albtraum in Lagern erlebt, in denen Folter, Gehirnwäsche und Erniedrigung zur Tagesordnung gehören. 2019 gelangten Dokumente an die Weltöffentlichkeit, die Existenz und Ausmaß dieser Menschenrechtsverbrechen belegen, während die Kommunistische Partei Chinas noch immer von „Ausbildungszentren“ spricht. Ein Blick auf die Landkarte erklärt, weshalb Peking ausgerechnet in den vergangenen Jahren die totale Kontrolle über die rückständige Provinz Xinjiang im Nordwesten des Landes ausbaute.

Seidenstraße ist der wohlklingende Name für ein uraltes Handelsnetzwerk, das China mit Europa verband. Schon zu Zeiten des Römischen Reichs wanderten Karawanen vom zentralchinesischen Xian über das heutige Xinjiang durch Afghanistan und den Iran in Richtung Mittelmeer. Ihren Namen hat sie, weil Seidenraupen jahrhundertelang nur in China gezüchtet werden konnten. Die chinesischen Kaiser hüteten das Wissen um die Herstellung des kostbaren Materials wie ein Staatsgeheimnis. Mit der Entdeckung Amerikas 1492 und dem Aufstieg der europäischen Seemächte verlagerte sich der Welthandel von der asiatischen Kontinentalplatte auf die Weltmeere.

Wiederbelebte Route

Es sollte mehr als 500 Jahren dauern, bis die alte Handelsroute von Ost nach West neue Bedeutung erlangen sollte. Die Kader in Peking lieben große, langfristige Pläne – und so einer war auch die Verkündung der „Neuen Seidenstraße“ im Herbst 2013. An den offiziellen chinesischen Namen angelehnt, spricht man auch von der „Belt and Road Initiative“. Der Plan sieht vor, die globalen Handelsströme von den Weltmeeren wieder zurück auf den eurasischen Kontinent zu lenken. Mit chinesischen billigen Krediten sollen zentralasiatische und andere Länder ihre Infrastruktur ausbauen und gleichzeitig ihre Märkte für chinesische Waren öffnen. Hinzu kommt eine „Maritime Seidenstraße“, die Handels- und Militärstützpunkte im indischen Ozean von Singapur bis Djibuti verbindet.

Die chinesische Führung will ihr internationales Ansehen steigern und den globalen Einfluss ausbauen.

Thomas Eder

Uneigennützig ist die Neue Seidenstraße nicht. „Projekte im Rahmen der Belt and Road Initiative sollen die Auftragsbücher von chinesischen Unternehmen füllen, deren internationale Marktanteile ausbauen und globale Marktführer aus China hervorbringen. Zugleich will die chinesische Führung ihr internationales Ansehen steigern und ihren globalen Einfluss ausbauen“, sagte dazu Thomas Eder, Experte am Mercator Institute for China Studies (Merics).

Im Herbst 2017 wurde das Projekt sogar in die Verfassung der Kommunistischen Partei aufgenommen. Die Neue Seidenstraße umfasst eine Bahnstrecke, die von der zentralchinesischen Metropole Chongqing bis nach Duisburg im deutschen Ruhrgebiet reicht, zahlreiche kürzere Eisenbahnstrecken nach Pakistan, in den Iran, in die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens, nach Russland, in die Mongolei und die Türkei. Hinzu kommen etliche Öl- und Gas-Pipelines, die China mit Energie versorgen.

Festung auf der Seidenstraße
Alte Stützpunkte auf der Seidenstraße werden wiederbelebt. Wer im Weg steht, muss weg. © Getty Images

Strategisch wichtige Provinz

Zu den sichtbaren Infrastrukturprojekten kommen Investitionen in Datenbanken, Überwachungs- und Finanzstrukturen. Geschenkt davon ist nichts, wie das Beispiel Sri Lanka zeigt. Als die dortige Regierung Schwierigkeiten bekam, das Geld für einen Hafen an China zurückzuzahlen, beschlagnahmte Peking diesen kurzerhand.

Zeitlich fällt die Schaffung der Neuen Seidenstraße nicht grundlos mit einer repressiven Politik gegenüber den Uiguren zusammen, die sich 2021 zu einem Albtraum entwickelte. Ein Blick auf die Landkarte erklärt vieles: Die chinesische Provinz Xinjiang grenzt gegen den Uhrzeigersinn an die Staaten Mongolei, Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Afghanistan, Pakistan und Indien. Für die Neue Seidenstraße ist Xinjiang unerlässlich und aus Pekings Sicht viel zu wichtig, um nicht die volle Kontrolle über die Geschehnisse dort zu haben. Xinjiang ist Chinas Tor nach Eurasien, und das ist ein Grund, weshalb die Region und deren Bevölkerung von einem armen, bedeutungslosen Hinterhof plötzlich zu einer globalen Drehscheibe mit geopolitischer Bedeutung wurde. 

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Zahlen & Fakten

Hinzu kommen reiche Bodenschätze. Mehr als ein Fünftel von Chinas Gas- und Ölvorkommen liegen in der Provinz. Bei Kohle liegt der Anteil sogar bei 40 Prozent. Außerdem ist Xinjiang zum zweitgrößten Produzenten von Solar- und Windenergie geworden. Für Peking wäre es ein Horror, nicht die volle Kontrolle über die Provinz zu haben. Das mag das Vorgehen der Führung etwas erklären, macht aber die dortige Hölle aus Überwachung und Konzentrationslagern nicht besser.

Nötig sind Wirtschaftssanktionen, um eine Verlagerung der Wertschöpfungsketten aus dieser Digital-Dystopie zu erreichen. Die geschieht bereits, aber noch zu zaghaft.

Im Herbst 2017 wurde die Neue Seidenstraße sogar in die Verfassung der Kommunistischen Partei Chinas aufgenommen. Das zeigt, wie wichtig das Projekt der chinesischen Führung ist. Auch hat sich die Belt and Road Initiative bisher als alles andere als ein Rohrkrepierer erwiesen: Die BRI umfasst Ende 2019 eine Bahnstrecke, die von Chongqing bis nach Duisburg im deutschen Ruhrgebiet reicht und auch befahren wird, zahlreiche kürzere Eisenbahnstrecken nach Pakistan, in den Iran, in die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens, nach Russland, in die Mongolei und die Türkei. Hinzu kommen etliche Öl- und Gas-Pipelines, die die scheinbar ewig wachsende chinesische Volkswirtschaft mit Energie versorgen.

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Conclusio

Ein bis zwei Millionen Uiguren wurden von den chinesischen Behörden in Lager gesperrt, um die Kultur der großteils islamischen Minderheit auszulöschen. Peking zieht die „Umerziehung“ beinhart durch. Das Vorgehen des Regimes ist nicht neu. Separatismus – ethnisch wie religiös begründet – lässt Peking unter keinen Umständen zu. Christen werden verfolgt, und Tibet wurde über Jahrzehnte die Eigenständigkeit mit voller Härte ausgetrieben. Die Uiguren-Provinz Xinjiang ist für Peking auch deshalb in den Fokus gerückt, weil einige Stränge der neuen Seidenstraße durch das Gebiet verlaufen. Wirtschaftssanktionen waren selten ein probates Mittel, um China zu schwächen. Die Missstände offen zu kritisieren setzt Peking jedoch unter Druck. Auf der internationalen Bühne ihr Gesicht zu verlieren schmerzt die Machthaber.