Die unbekannten Welten des Waldes

Der natürliche Wald ist das komplexeste Ökosystem unserer Erde. Bislang haben wir ihn ausgebeutet – ohne überhaupt verstanden zu haben, wie er funktioniert.

Ein herbstlicher Wald mit einem umgestürzten Baum
Ein Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume: Die Hälfte seiner Biomasse ist unter der Erde. © www.conradamber.at
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Auf den Punkt gebracht

  • Komplexe Welt. Alles hängt miteinander zusammen: Pflanzen, Tiere, Pilze. Das Gesamtökosystem Wald braucht Hunderte von Jahren, um sich herauszubilden.
  • Mehr als wir sehen. Der sichtbare Baumbestand macht nur etwa die Hälfte der gesamten Biomasse eines Waldes aus. Im Waldboden existieren Milliarden von Kleinstlebewesen.
  • Fragiles System. Der moderne Wirtschaftswald ist ausgesprochen anfällig. Moderne Erntemaschinen zerstören das Bewässerungssystem und das Mikrobiom des Bodens oft nachhaltig. 
  • Erholung für den Wald. In den letzten vier Jahrzehnten wurden Mischwälder vermehrt so bewirtschaftet, dass Wald und Boden geschont werden.

Obwohl unsere Wälder auf den ersten Blick recht gesund aussehen, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Naturnahe Wälder – also Mischwälder oder Waldungen, in denen eine schonende Dauerwald- oder Plenterbewirtschaftung betrieben wird – sind je nach Lage in einem guten oder befriedigenden Zustand. Viele Wirtschaftswälder in den Alpen sind aber auch angegriffen. Monokulturen im Flachland (vor allem im Norden und Westen von Deutschland, im Osten und Süden Österreichs und im Westen der Schweiz) sehen im Vergleich zu den Mischwäldern deutlich schlechter aus. Das ist zum einen ein Resultat langer Trockensommer und Starkniederschläge und den daraus resultierenden Problemen wie Käfer-und Pilzbefall, Feuerrisiko und Windwurf.

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Andererseits muss man aber auch erkennen, dass der Klimawandel offenbar schneller voranschreitet als die Veränderungsfähigkeit in der Waldbewirtschaftung. Die vielfach flächig angepflanzten Fichten sind für den Borkenkäfer anfällig. Flachwurzelnde Bäume wie die Fichte werden es auch zunehmend schwer haben, Trockenzeiten zu überstehen. Durch den enormen Schadholzanfall aufgrund von Käfer-und Windschäden der letzten Jahre ist auch der Holzpreis gesunken und steigt seit Ende 2020 erst wieder.

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Zahlen & Fakten

Die gesündesten und widerstandsfähigsten Wälder sind natürliche Wälder mit standortbeheimateten Baumartenmischungen und solche Waldungen, wo sich durch die Natur neue und südliche Baumarten etablieren.

Das geheime Leben

Der natürliche Wald ist das komplexeste Ökosystem unserer Erde. Über Millionen von Jahren haben sich Pflanzen, Pilze, Flechten, Mikro-Organismen und Tiere zu einer perfekten Lebensgemeinschaft entwickelt, die in gegenseitiger Wirkung und Abhängigkeit existieren.

Kaum vorstellbar, dass der sichtbare Baumbestand eines Waldes nur etwa die Hälfte der gesamten Biomasse dieser Pflanzen darstellt. Die andere Hälfte der Bäume und Sträucher lebt in Wurzelform unter der Erde. In idealer Symbiose mit der Pilzwelt des Waldbodens, die wiederum aus kilometerweiten Myzelen (feinste Pilzfäden) besteht. Heimische Bäume wie etwa Weisstanne, Fichte, Bergahorn, Eichen und Linden können weit über 500 Jahre alt werden. Die Mutterbäume des Waldes, meist die stärksten und vitalsten, sorgen alle drei bis fünf Jahre für zigtausendfachen Nachwuchs. Daraus entsteht Jungwald, der genetisch die besten Voraussetzungen besitzt, in dieser Umgebung anzuwachsen und gesund alt zu werden. Klingt simpel, ist aber – beim näheren Hinsehen – ein sehr komplexer Vorgang.

Für den Aufbau eines einzigen Zentimeters Waldboden braucht der Wald im statistischen Mittel rund 100 Jahre. 

Wie Wald und Bäume funktionieren

Um Verständnis für den Gesamtorganismus Wald zu erhalten, ist es hilfreich zu wissen, wie die größten Wesen der Welt – Bäume – funktionieren. Unser Waldboden ist oft nicht sehr tief, er liegt auf steinigem Untergrund. Für den Aufbau eines einzigen Zentimeters Waldboden braucht der Wald im statistischen Mittel rund 100 Jahre. Waldboden mit einem Meter Tiefe ist 10.000 Jahre alt und erst seit dem Ende der letzten Eiszeit entstanden. In diesem Boden herrscht ein lebendiges Treiben.

In einem Kubikmeter Waldboden existieren Milliarden von Kleinstlebewesen. Sie sorgen für die Durchlüftung, Humusbildung und organische Nährstoffe. Hier treiben die feinen Wurzeln des Baumsamens aus, vertiefen sich und dehnen sich auf der Suche nach lebenswichtigen Pilzen aus. Die Myzelen verbinden sich mit den Haarwurzelenden der Bäume und versorgen diese mit gelösten Nähr-und Mineralstoffen. Im Gegenzug erhalten die Pilzorganismen die für sie lebenswichtigen Zuckerlösungen, die Bäume durch ihre Photosynthese in Blättern und Nadeln erzeugen. Durch die Kambiumbahnen unter der Stammrinde werden diese Zuckersäfte in die Wurzeln befördert. Zehn bis 20 verschiedene Pilzarten verbinden sich mit der jeweiligen Baumart (Mykorrhiza), deren Pilzkörper typischerweise immer in der Nähe dieser Bäume aus dem Boden sprießen. 

Die Wurzel-Kommunikation der Natur

Die Wurzeln versorgen den Baum außerdem mit Wasser, sichern ihn im Boden durch ihre durchdachte und immer neu angepasste Statik und nehmen Kontakt zu den Baumnachbarn auf. Wurzeln können Wasser auf viele Meter „aufspüren“. Sie kommunizieren mit Klicklauten der Zellmembranen untereinander, um eine gegenseitige Konkurrenzierung im dunklen Boden zu vermeiden. Wurzeln nehmen Magnetismus und Temperaturen wahr und können sich nach der Schwerkraft ausrichten. Zudem speichern sie Nährstoffe – bei Überangebot – in ihren Zellen, um sie bei Bedarf abzugeben. Ein Baum kann sich nicht „überfressen“, wie es Tiere und wir sehr gut können. Wenn der Baum verletzt wird, gilt es, rasch Harz oder Rindenüberwallung anzutreiben. Giftstoffe werden erzeugt, falls der Baum von Schadinsekten oder Pilzen befallen wird. Manche Baumwissenschaftler (Dendrologen) sind überzeugt, dass alle lebenswichtigen Informationen in den Wurzeln des Baumes gespeichert sind.

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Zahlen & Fakten

  • 10.000 Jahre ist ein Waldboden mit einem Meter Tiefe im Durchschnitt alt. Ein Zentimeter Waldboden braucht 100 Jahre, um sich herauszubilden.
  • Etwa 80 Baumarten gibt es in Europa. Das ist wenig, in Regionen wie Costa Rica sind es bis zu 1000. Grund dafür sind die häufigen Eiszeiten, die in Europa regelmäßig zu Artensterben geführt haben. 
  • 400 Liter Wasser kann eine Buche am Tag 30 Meter in die Baumkrone pumpen, wo es zerstäubt wird. An heißen Tagen kühlt dieser Mechanismus die Umgebung des Baumes um drei bis fünf Grad herunter.  
  • 200 Duftbotschaften von Bäumen haben Wissenschaftler identifiziert. Mit diesen Botschaften kommunizieren die Bäume miteinander, zum Beispiel um ihre Nachbarbäume vor Schadinsekten zu warnen.
  • 90 Prozent des deutschen Waldes sind Altersklassenwald, das heißt alle Bäume sind gleich alt. Im sogenannten Plenterwald stehen dagegen alte und junge Bäume nebeneinander. 

Durch zahlreiche Studien renommierter Biologen gilt inzwischen als erwiesen, dass Bäume eine Selbstwahrnehmung haben. Sie können zwischen sich selbst und anderen Organismen unterscheiden. Ihre zahlreichen Sinne und Fähigkeiten haben sie zu wahren Überlebenskünstlern gemacht, denn sie können nicht – wie Tiere – vor einer schwierigen Situation davonrennen oder sich verstecken. Sie sind standortgebunden, ein, manchmal sehr langes, Leben lang. Diese Selbstwahrnehmung, die Fähigkeit, Probleme unterschiedlich zu lösen, zu reagieren und zu agieren sind die Voraussetzungen für ein Bewusstsein. Und das, obwohl Bäumen Nervenfasern und Hirnzellen fehlen. Diese sind offenbar nicht notwendig, um etwa Schmerz zu verspüren oder auf Lichtreflexe und Berührungen zu reagieren.

Ökosystem der Duftbotschaften

Wie alle anderen Lebewesen kommunizieren Bäume. Unentwegt. Einerseits passiert das im lebenden Zellgewebe des gesamten Baumes. Blätter etwa kommunizieren mit den Wurzelenden bei Hitze und Trockenheit, denn sie müssen durch das Schließen der Stomatas (Blattöffnungen) die Verdunstung einstellen, damit der Baum nicht vorzeitig austrocknet.

Kommuniziert wird auch über die Wurzelenden mit anderen Bäumen. Wenn der Abstand zu groß wird, wird diese Aufgabe von Pilzfäden übernommen. Dort findet ständig Informationsaustausch durch biochemische Impulse statt. Mehr noch, über diese Leiterbahnen werden Nährstoffe an andere Bäume und an die eigenen Jungpflanzen transportiert. So kann eine Mutterbuche ihre Jungbäume, die nach ihrem Mastjahr durch hunderttausende Bucheckern im Waldboden gelandet sind und nun austreiben, mit Nährstoffen jahrelang versorgen. In dieser Zeit stellt sie ihr eigenes Wachstum fast völlig ein, verzichtet auf die Ausbildung von Jahresringen. Erst wenn die Jungbäume über die Verbisshöhe des Rotwildes gewachsen sind, beginnt der Wettstreit der Baumteenies um Licht und Nahrung.

Bäume informieren ihresgleichen über die Blätter durch das Versenden von Terpenen. Das sind Duftmoleküle, die sie ausströmen, um ihre Nachbarbäume zu warnen, wenn sie von Schadinsekten angegriffen werden. Tatsächlich können Bäume den Speichel der Insektenbisse identifizieren, den Angreifer erkennen und rasch ein entsprechendes Gegenmittel wie Bitterstoffe oder Gifte entwickeln. Darüber wird der Baumnachbar zeitgleich informiert. Bislang haben Wissenschaftler rund 200 verschiedene Duftbotschaften entschlüsselt. Und das ist erst der Anfang.

Große Nadel- und Laubbäume im Sonnenlicht.
Der Rothwald in Niederösterreich ist ein verbliebenes Stück ursprünglicher Wald. © www.conradamber.at

Gigantisches Kraftwerk

Eine 100-jährige Buche kann bis zu 400 Liter Wasser an einem Tag bis über 30 Meter in die Baumkrone pumpen. Die Zerstäubung über das Blattwerk kühlt an heißen Tagen die Umgebung des Baumes um drei bis fünf Grad herunter. Es ist unschwer vorstellbar, wie sich das gesamte Kronendach eines Waldes auswirkt. Das können auf einen Hektar Wald schon mal 120 Tonnen Wasserverdunstung an einem Tag bedeuten. Die Temperatur im Wald kann an Hitzetagen über zehn Grad niedriger sein als in der Umgebung. Die Feuchtigkeit des Bodens bleibt – durch die Kronendachbeschattung – über Wochen erhalten, auch ohne Niederschlag. In waldigen Talschaften ist erkennbar, wie der Nadelwald durch Nebelwolken Feuchtigkeit in die Luft abgibt. Das geht soweit, dass der Wald durch seine Wasserverdunstung selbst regionalen Regen erzeugt. So können größere Baumflächen das Klima einer Landschaft wesentlich beeinflussen. Im Sommer kühlend, im Winter wärmend. Das Waldklima wirkt als natürlicher Puffer zwischen extremen Temperaturschwankungen.

Die Lebewesen des Waldes

Unter dem Blätterdach der Großbäume eines Waldes leben eine Vielzahl von Pflanzen, die sich den Schatten und Schutz vor Wind zunutze machen. Krautpflanzen, Stauden, Sträucher bieten Unterschlupf und Nahrung für unzählige Tierarten, die deren Blätter, Beeren, Nüsse, Samen fressen und damit allenfalls verbreiten. Kleine Nagetiere, Fledermäuse, Vögel, Wildbienen und anderen Insekten. In unseren heimischen Wäldern leben überdies die größten Wildtiere wie Rehe, Hirsche, Wildschweine, Gams. Und weil es ihnen gut geht und sie sich stark vermehren (trotz oder gerade wegen der Jagd) kehren vermehrt die großen Raubtiere wie Wolf, Luchs oder Schakal zurück. Es gibt gut erforschte Zusammenhänge von Wildpopulation und der Waldqualität beziehungsweise seiner Verjüngung (Naturbegründung).

Je mehr sich allerdings der Mensch durch Jagd, Forstwirtschaft oder Tourismus einmischt, umso mehr kommen diese Ökosysteme aus dem Gleichgewicht. Ein Beispiel: In den natürlichen Waldrändern mit Strauch-und Krautbereichen (Waldsaum) leben unzählige Insekten, Vögel, Fledermäuse, welche für die umliegende Landwirtschaft bedeutende Bestäubungs- und Schadinsektenvertilgung übernehmen. Werden diese durch ungeschickte Hiebe (Kahlschläge) zerstört, verschwinden damit auch die nützlichen und wertvollen Tierarten.

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Zahlen & Fakten

Unser artenarmer Kontinent

In Europa gibt es lediglich etwa 80 Baumarten. Die wechselnden Eiszeiten, die über Tausende Jahre alle Pflanzen vernichteten oder in den Süden verdrängten, verursachten Artensterben und Unterbrechungen in der Evolution. Langsam wanderten dann Bäume vom Süden wieder über die Alpen nach Norden. Windversämung und Vögel machten das möglich. In anderen begünstigteren Regionen der Welt wie in Costa Rica gibt es weit über 1000 Baumarten. Aufgrund dieser erdzeitlich kurzen Entwicklungszeiten haben sich bei uns Baumspezialisten entwickeln müssen, die sich an bestimmte Lebensbereiche perfekt angepasst haben. Die Zirbe wächst als Nadelbaum auf über 2.200 Meter, darüber Latschen und Grünerlen. Dort herrschen zum Teil nur vier Monate Vegetationszeit, in der die Gehölze alles erledigen müssen, wofür ihre Artverwandten auf 400 Meter Seehöhe rund acht Monate Zeit haben. 

Kreislauf des Lebens

Weichholzarten wie Pappeln und Weiden sind in der Lage, in Feuchtgebieten und Staunässen wie Auwaldflächen zu gedeihen. Eichen können mit ihren Pfahlwurzeln viele Meter in die Tiefe bohren und festigen ihre mächtigen Stämme gegen höchste Windkräfte. Die anspruchslosen Fichten kommen auf fast allen Böden, und seien sie nur 30 cm tief, zurecht. Buchen bilden Waldungen, die so stark beschattet sind, dass kaum eine andere Konkurrenz-Baumart darin aufkommen kann. 

Im Naturwald finden sich meistens die passende Kombination von Tief-und Flachwurzlern, Laub- und Nadelbäumen. Diese Arten unterstützen einander und füllen so freiwerdende Lebensräume. Die Artenvielfalt ist abhängig von Bodenqualität und -feuchtigkeit, Hang- und Höhenlage und der Himmelsausrichtung. Bäume werden unterschiedlich alt und sterben eines natürlichen Todes. Oft bleiben Totbäume viele Jahrzehnte lang stehen, bieten Lebens- und Nahrungsraum für unzählige Lebewesen wie Insekten, Pilze, Spechte und Fledermäuse. Fallen sie dann eines Tages um, verrotten sie langsam am Boden zu wertvollem Humus. Pilze, Flechten und Moose überwallen das Totholz und neues Baumleben kann darin entstehen. Der Kreislauf des Lebens dreht sich im Wald unentwegt. Alles hat seine Bestimmung und Funktion, es gibt keine Abfälle, alles wird wiederverwertet. 

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Zahlen & Fakten

Mein Lieblingswald: Der Rothwald

Der Rothwald in den niederösterreichischen Kalkalpen ist einer der letzten Urwälder Europas. Ein natürlicher Bergmischwald mit 300-jährigen Buchen, 500-jährigen Tannen und uralten Eiben als Relikt der Nacheiszeit. Er ist etwa 350 Hektar groß, streng bewacht und neuerdings auch UNESCO-Naturerbe. Hier gibt es über 3.000 Pilzarten und keine nennenswerten Borkenkäfer-Kalamitäten. Manchmal streifen Luchs und Wolf durch Waldungen, Rotwild und Gämse sind ständige Bewohner. Dieser Wald hat eine magische Energie, einen unvergleichlichen Duft und eine märchenhafte Ausstrahlung. Die riesigen Totbäume am Boden sind bemoost und schränken das Begehen des Waldes erheblich ein. Und das ist auch gut so.

Wald: Ökosystem für das Klima

Wenn sich das Klima verändert, wie etwa in der mittelalterlichen Warmzeit, dann verändert sich das Ökosystem Wald. Langsam und in langen Zeiträumen. Entweder können sich die Pflanzen an die geänderten Bedingungen anpassen oder aber sie sterben aus und werden durch Ansamung von anderen Pflanzenspezialisten ersetzt. Die Resilienz der Ökosysteme bedeutet, dass sich der Gesamtorganismus Wald immer wieder neu organisiert oder repariert, um eben möglichst bald in seine Idealform zu gelangen. Die Waldgrenze in den Alpen war schon einmal weit über 2000 Höhenmeter, derzeit sind wir in den nördlichen Alpen etwa bei 1800 Meter, in den südlichen Westalpen bereits bei 2200 Meter. 

Im Wald hat alles seine Bestimmung und Funktion, es gibt keine Abfälle, alles wird wiederverwertet. 

Die Wechselwirkung des Klimas auf den Wald und umgekehrt lässt sich anhand historischer Ereignisse verständlich nachweisen. Etwa mit dem Beispiel Mittelmeerraum. Dieser war zu Beginn unserer Zeitrechnung dicht bewaldet. Sogar an den Nordafrikanischen, Spanischen, Italienischen und Griechischen Küsten stockten dichte Eichen-, Akazien- und Lorbeerwälder. Durch den enormen Holzbedarf für den Bau von Städten wie Venedig und ihren riesigen Flotten wurden sämtliche Küsten entwaldet und nicht mehr aufgeforstet. Die dortigen kaum tiefgründigen Böden wurden rasch durch Regen und Wind abgetragen und Bäume konnten nur mehr vereinzelt aufkommen. Es folgte eine niederwüchsige Macchia oder Versteppung. Damit aber wurde kaum mehr Luftfeuchtigkeit erzeugt, die Wolkenbildung blieb aus und das küstennahe Klima erwärmte sich um zwei bis fünf Grad. Wasserläufe versiegten und Feuchtgebiete trockneten aus. Der Kreislauf der Erhitzung hatte begonnen und dauert bis heute an.

Ein bedrohter Lebensraum

Wir können anhand von fossilen Baumstämmen und Samenfunden recht genau darstellen, wie sich der europäische Wald nach der letzten Eiszeit entwickelt hat, wie die Baumarten vom Süden über zwei Alpenverbindungen eingewandert sind. Zur Zeit Christi waren die Wälder Europas vornehmlich von Eichen, Buchen und Haselnuss dominiert. In den höheren Lagen hatten sich Fichten und Kiefern etabliert. Der enorme Holzverbrauch der Menschen, insbesondere durch die Industrialisierung und Verhüttung von Glas und Metall, entwaldete weite Teile Europas. Schon um 1713 wurden durch H.C. Carlowitz der Begriff der Nachhaltigkeit beschrieben: Man sollte dem Wald nicht mehr Bäume entnehmen, als wiederum nachgepflanzt werden.

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Zahlen & Fakten

Man begann, den Wald „umzubauen“. Kiefern und Fichten wurden in Monokulturen oder Reinbeständen angelegt und so zum Brotbaum der Forstwirtschaft. Damit gelang es, Holz rasch und in astarmen Stammqualitäten zu produzieren. Ähnlich wie in der industriellen Landwirtschaft achtete man nicht darauf, ob die Baumarten standortbeheimatet sind oder ob die einseitige Artenbevorzugung den Boden langfristig schadeten. Damit allerdings war der unnatürliche Wirtschaftswald ohne Chance gegen Trockenheit, Sturm, Feuer oder Schadinsektenbefall. Die natürlichen Zusammenhänge wurden nicht beachtet oder klug genützt. Noch heute wird mit der Anlage dichter Rückegassen-Netze und dem Einsatz schwerster Vollernte-Maschinen der Waldboden dauerhaft beschädigt, die Bewässerung der Wurzelsysteme zerstört.

Natürlich im Einklang

Durch die Klima-Ereignisse der letzten vier Jahrzehnte findet ein langsames Umdenken in der Forstwirtschaft statt. Anfänglich belächelt und sogar verspottet, haben sich naturnahe Förster und Waldbesitzer für eine Rückbesinnung zum naturnahen Waldbau entschieden. Vermehrt werden Mischwälder mit heimischen Baumarten angepflanzt, durch eine Intensivierung der Jagd der Wildbestand auf waldverträglichem Niveau gehalten. Mit der Plenterwirtschaft (Einzelstamm-Entnahme) vorsichtig bewirtschaftet und zum Teil wieder Pferderückung angewendet, eine „mittelalterliche“ Baumstammentnahme, die für Wald und Boden sehr schonend ist. Die Erfahrungen geben diesen Außenseitern Recht, denn der Wald ist gesünder, wesentlich weniger anfällig für Käferbefall, Trockenheit oder Feuer und wirft in fast allen Fällen mehr Ertrag ab. Das ist der Weg in die Zukunft, der langfristig unsere Wälder erhalten wird und trotzdem eine moderate Holzernte zulässt. Mit der Natur, nicht gegen sie.

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Conclusio

Die Wälder, die heute in Österreich und in Europa dominieren, sind nur noch selten ursprüngliche Wälder oder gar Urwälder. Die österreichischen Wälder bestehen hauptsächlich aus Fichten. Dass Wald eigentlich ein komplexes Ökosystem ist, in dem jedes Tier und jeder Mikroorganismus eine Bedeutung hat und sich wechselseitig beeinflusst, ist eine Erkenntnis, die zukünftig helfen kann, den Wald auch im Klimawandel zu bewahren: Denn dem Wald kommt eine Schlüsselrolle im Umgang mit den Folgen des Klimawandels zu – insbesondere was die steigenden Temperaturen betrifft – und er bleibt ein Wirtschaftsfaktor. Daher denkt die Forstwirtschaft langsam um: Mischwälder gelten als robuster als Monokulturen. Außerdem werden vereinzelt alte Techniken der Waldbewirtschaftung wiederentdeckt, etwa Plenterwirtschaft und Pferderückung.