Österreichs fatale Corona-Bilanz


Im Dezember vor drei Jahren wurden die ersten Covid-Fälle in China bekannt. Österreich hat mit sehr strengen Maßnahmen und sehr hohen Wirtschaftshilfen reagiert. Doch gebracht hat dies dem Land wenig, zeigt ein Vergleich mit Deutschland und der Schweiz.

Eine Holzlokomotive steht verlassen auf einem Spielplatz im Rindenmulch. Ein rot-weißes Absperrband signalisiert, dass die Benützung des Spielplatzes während des ersten Corona-Lockdowns untersagt war.
Harter Lockdown in Österreich: Auch Spielplätze im Wald an der frischen Luft waren im März und April 2020 gesperrt. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Lockdown. Österreich hat während der Pandemie das soziale Leben ähnlich wie Deutschland aber viel stärker als die Schweiz beschränkt.
  • Hilfsgelder. Im Dreiländervergleich fielen die Corona-Hilfen für Österreichs Unternehmen sehr üppig aus – entsprechend wuchsen die Schulden.
  • Testen testen testen. In Österreich wurden rund 14-mal so viele offizielle Corona-Tests wie in Deutschland durchgeführt.
  • Corona-Opfer. Trotz strikterer Maßnahmen hatte Österreich die höchste Übersterblichkeit im Ländervergleich.

Die Corona-Pandemie hat fast alle Länder auf der Welt unvorbereitet erwischt. Als sich Anfang 2020 in Europa Covid-19-Fälle mehrten, war nicht nur sehr wenig über diese Krankheit bekannt, die öffentlichen Gesundheitsbehörden hatten auch kaum Möglichkeiten, die Infektionen zu kontrollieren.

Die häufigste Maßnahme war die sogenannte räumliche Distanzierung, welche man im Englischen als „social distancing“ oder treffender als „physical distancing“ bezeichnet. Die meisten Regierungen setzten dabei auf massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens bis hin zu Ausgangssperren. Diese politischen Maßnahmenpakete sind mittlerweile hinlänglich als „Lockdown“ bekannt und waren in der ersten Phase der Pandemie von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert und mitgetragen worden. 

Lockdown-Meister Österreich

Diese Bereitschaft nahm im Laufe der Pandemie jedoch stark ab, und die Anzahl und Intensität dieser Beschränkungen unterschied sich zwischen den Ländern: Österreich und Deutschland verhängten im Vergleich zur Schweiz bis dato signifikant mehr beziehungsweise weitreichendere Beschränkungen. Ablesen lässt sich das etwa am sogenannten „stringency index“, der Einschränkungen in neun verschiedenen Bereichen – wie etwa Schließungen von Schulen, Arbeitsstätten oder die Absage von öffentlichen Veranstaltungen – in einer Maßzahl zusammenfasst.

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Zahlen & Fakten

Über die Jahre 2020 bis 2022 ergibt sich auf Basis täglicher Durchschnittswerte folgende Reihung: Österreich (53) vor Deutschland (50), am wenigsten streng war die Schweiz (39). Dieser Index informiert natürlich nur über die formal gesetzten Maßnahmen und erfasst nicht, wie sehr sich die Bevölkerung daran gehalten hat.

Kostspielige Abschottung

Lockdowns sind eine effektive Form der Infektionskontrolle, da sie die Ausbreitung der Krankheit unmittelbar stark verlangsamen. Sie verursachen jedoch auch sehr hohe soziale und wirtschaftliche Kosten. Die meisten Dinge im Leben, die uns produktiv und glücklich machen, erfordern Kontakt mit anderen Menschen. Die Lockdowns reduzierten unsere Produktivität entweder massiv – man denke an eine Lehrerin – oder drückten diese sogar auf null wie etwa jene eines Friseurs. Unsere Freizeitgestaltung war empfindlich reduziert, was zu einschneidenden Entbehrungen, aber auch zu neuen Hobbys – Stichwort Brotbacken – führte.

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Zahlen & Fakten

Die wirtschaftlichen Kosten kann man an den negativen Wachstumsraten im Jahr 2020 ablesen. In Österreich schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 6,7 Prozent. In Deutschland fiel der Rückgang etwas geringer aus und belief sich auf minus 4,5 Prozent. Die schweizerische Wirtschaft schrumpfte dagegen nur um 2,4 Prozent. Diese Länderunterschiede lassen sich mit der jeweiligen Struktur der Wirtschaft – etwa der relativen Bedeutung des Tourismus –, aber auch mit der Strenge der Maßnahmen erklären. Im Jahr 2021 sind alle drei Volkswirtschaften von einem niedrigeren Niveau aus wieder gewachsen.

Da die Einschränkungen staatlich verordnet waren, erhielten viele Unternehmen – vom Großkonzern bis zum Einzelunternehmer – öffentliche Hilfsgelder, die entgangene Gewinne beziehungsweise Einkommen kompensieren sollten. Ein Blick in die leider nicht perfekt vergleichbaren Subventionsstatistiken zeigt, dass die österreichische Wirtschaft im Vergleich zu jener in der Schweiz und in Deutschland signifikant höhere Subventionen erhalten hat. 

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Zahlen & Fakten

Da sich die Corona-Hilfen für Firmen in vielen Fällen am Umsatz und nicht am Gewinn orientierten, steht der dringende Verdacht im Raum, dass viele Betriebe überkompensiert wurden. Dies sollte vor allem auf Branchen zutreffen, die kurzfristig ihre fixen Kosten senken konnten (wie etwa die Eventbranche). Eine saubere Evaluierung der staatlichen Leistungen wäre dringend angebracht.

Kinder ohne Lobby

Hilfszahlungen gab es nur für finanzielle Einbußen. Andere Lockdown-bedingte Entbehrungen wurden nicht kompensiert. Dafür drängen sich zwei Erklärungen auf: Politische Entscheidungsträger verstehen nur Verluste, die mit Zahlungsströmen einhergehen und in einer herkömmlichen Buchhaltung dokumentiert sind. Außerdem haben Firmen und Arbeitnehmer offenbar eine stärkere Lobby als etwa Kinder und Jugendliche.

Es ist offenkundig, dass Kinder und deren Eltern durch geschlossene Schulen und Betreuungseinrichtungen Schaden erlitten. Kurzfristig war der Alltag der jungen Menschen eintönig und durch geringe soziale Kontakte geprägt. Früh gab es Warnungen, dass sich das negativ auf die physische und mentale Gesundheit auswirken werde. Mittlerweile finden sich in der internationalen Forschung empirische Belege dafür.

Längerfristig werden die Jungen wohl auch finanzielle Einbußen er-leiden. Schulen und Kindergärten vermitteln kognitive und sozial-emotionale Fähigkeiten, die Menschen später auf dem Arbeitsmarkt brauchen. Lockdowns und Schließungen behinderten den Aufbau dieser Fähigkeiten. Das wird sich negativ auf die zukünftige Produktivität und die Einkommen auswirken.

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Zahlen & Fakten

Am stärksten betroffen sind Schüler aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund, da deren Eltern diese Defizite typischerweise weniger gut kompensieren können. In der Statistik der (Teil-)Schließtage der Schulen bestätigt sich im Ländervergleich das Bild von oben: Die Schweiz hatte die wenigsten Einschränkungen und belastete Kinder und Jugendliche folglich am wenigsten. Deutschland und Österreich verordneten in etwa gleich viele Schließtage.

Umverteilung von Jung zu Alt

Darüber hinaus wird die junge Generation in Zukunft auch die hohen Staatsausgaben aus Pandemiezeiten negativ zu spüren bekommen. Mit ihren Steuern und Abgaben werden sie den Schuldenberg abtragen müssen. Dabei wurden die Maßnahmen hauptsächlich für den älteren Teil der Bevölkerung gesetzt. Nach allem, was wir jetzt über eine Corona-Infektion wissen, ist diese in der Regel nur für Menschen über 65 Jahren lebensbedrohlich.

Die Maßnahmen nutzten also den Älteren – doch bezahlt werden sie hauptsächlich von den Jungen. Es handelt sich hier um eine gigantische Umverteilungsaktion von Jung zu Alt. Keine Regierung hat nennenswerte Maßnahmen beschlossen, um diese Ungerechtigkeit – wenn auch nur symbolisch – zu bekämpfen.

Im weiteren Verlauf der Pandemie kamen durch technologische Innovationen zusätzliche, mitunter pharmazeutische Maßnahmen hinzu. Neue labordiagnostische Verfahren ermöglichten den schnellen Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus. Seit rund zwei Jahren gibt es Impfungen. Diese Maßnahmen wurden der Bevölkerung mit unterschiedlicher Intensität bis hin zum Zwang angeboten beziehungsweise vorgeschrieben. 

Testen was geht

Österreich – und hier vor allem Wien – ist vermutlich der Testweltmeister. Bis Juni 2022 wurden in Österreich pro Einwohner in Summe rund 21 offizielle Tests durchgeführt. In der Schweiz liegt dieser Wert nur bei 2,5, in Deutschland gar nur bei 1,6. Das heißt, in Österreich wurde rund 14-mal so viel getestet wie in Deutschland. Wenigstens haben Corona-Tests keine nennenswerten medizinischen Nebenwirkungen.

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Zahlen & Fakten

Das Testregime verursacht jedoch beträchtliche öffentliche und private Kosten. Da es in Österreich keine seriöse Evaluierung gab, welches Testniveau unter welchen Bedingungen kosteneffizient ist, muss sich die Politik die Arbeitshypothese gefallen lassen, dass es auch um Populismus ging. In der öffentlichen Darstellung wurde kaum über potenziell negative Verhaltensanreize diskutiert. Es ist vorstellbar, dass man als vermeintlich negativ getestete Person weniger Vorsicht an den Tag legt. Angesichts relevanter Raten von falsch negativen Befunden können Tests in solchen Fällen sogar dazu beigetragen haben, dass sich mehr Menschen infizierten als ohne Testung.

Es gibt jedenfalls keinen empirischen Nachweis, dass die exorbitant hohen Testraten in Österreich zu einer verbesserten Lage führten. Das Credo muss daher lauten: testen ja, aber nicht ohne Strategie und Evaluierung. 

Risiko versus Kosten

Die Impfaktionen liefen vor allem aufgrund von Nachschubproblemen holprig an und führten später zu einer Polarisierung der Gesellschaft. Es gibt in allen drei Ländern einen erheblichen Anteil an Ungeimpften. In Österreich und Deutschland sind es rund 23 Prozent. Die Schweiz war noch weniger erfolgreich und konnte rund 30 Prozent der Bevölkerung nicht von den Vorteilen der Impfung überzeugen. Österreich ging mit den Skeptikern am wenigsten professionell um. Man beschloss zuerst eine vage Impfpflicht, kündigte danach Impflotterien an – und setzte schließlich beides nicht um. 

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Zahlen & Fakten

Eine optimale Pandemiepolitik gibt es nicht. Es gibt nur schlechte und noch schlechtere. Wir Bürger haben unterschiedliche „Zahlungsbereitschaften“, um das Ansteckungsrisiko zu reduzieren. Daher gibt es nicht die eine Lösung, die für alle richtig ist. Die Frage lautet: Auf wie viele Stunden soziale Kontakte oder auch Produktivität bin ich bereit zu verzichten, um das Infektionsrisiko um „x“ Prozent zu reduzieren? 

Selbst wenn wir den Prozentwert „x“ genau kennen würden, kämen Menschen hier zu sehr unterschiedlichen Entscheidungen. Wie hoch dieser Wechselkurs zwischen „verlorenem Sozialleben“ und „Reduktion des Risikos“ ist, hängt vom Einzelnen ab. Es gibt in der Bevölkerung eine vermutlich sehr breite Spanne. 

Die Politik muss sich aber an einem theoretischen Wert orientieren und daran ihre Pandemiepolitik festmachen. Alle Bürger mit niedrigeren oder höheren „Wechselkursen“ werden diese Politik jeweils als „zu lax“ beziehungsweise „zu streng“ betrachten. Dieses Dilemma kann man zwar durch Kompensationszahlungen lindern, damit aber nicht grundlegend lösen.

Schlusslicht Österreich

Ein gegebenes Ziel – den oben erwähnten Wechselkurs zwischen Freiheiten und Schutz – sollte die Politik effizient umsetzen, also die Kosten so gering wie möglich halten. Zu erwarten wäre dann, dass strengere Pakete mit schmerzhaften Einschränkungen im privaten und wirtschaftlichen Leben und intensivere pharmazeutische Interventionen (mehr Tests und Impfungen) zu weniger Coronafällen und daher zu einer geringeren Übersterblichkeit führen. Österreich sollte also jedenfalls eine geringere Übersterblichkeit als die Schweiz und im geringeren Ausmaß auch als Deutschland aufweisen. 

Ein Blick in die Zahlen zeigt jedoch das Gegenteil: Österreich hatte bisher im Vergleich der drei Nachbarländer die höchste Übersterblichkeit mit einem Wert von rund 250 pro 100.000 Einwohner. In Deutschland und in der Schweiz sind es jeweils etwas über 200. Somit verzeichnete der „Sieger“ beim Testen und Impfen, das Land mit den meisten Lockdowns und den höchsten Corona-Hilfen, mit großem Abstand die meisten Corona-Toten.

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Zahlen & Fakten

Die traurige Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Österreich hatte die ineffizientesten Pandemie-Maßnahmen. Die Schweiz hingegen beklagte mit einer vergleichsweise liberalen Politik, die den Bürgern viel mehr Freiheiten ließ, nur geringfügig mehr Corona-Tote als das strengere Deutschland. Ein Mitgrund für die ineffiziente Pandemiepolitik Österreichs könnte sein, dass die Politik nicht evidenzbasiert vorging. In Österreich hat keiner der drei mit dem Management der Pandemie betrauten Gesundheitsminister dafür gesorgt, dass die bestehenden Daten im Gesundheitsbereich für die Forschung geöffnet werden, geschweige denn eine Verbesserung der Dateninfrastruktur angestoßen.

Fehlende Einsicht

So gut wie alle Experten wären dafür gewesen, die Daten aus dem Gesundheitsbereich zu veröffentlichen. Es passierte trotzdem nicht. Dieser Stillstand beim Datenmanagement ist vor allem deshalb so unverständlich, weil die Freigabe und Aufbereitung von Daten sehr geringe Kosten hätte, aber potenziell einen sehr hohen Nutzen aufweisen könnte. 

Mittlerweile hat sich auch die rechtliche Lage in Österreich geändert, und der Gesundheitsminister könnte mittels einfacher Verordnung „seine“ Daten in das neu gegründete Austrian Micro Data Center einbringen.

Leider fand bisher kaum eine Debatte darüber statt, dass Österreich bei der Pandemiebekämpfung im Vergleich zu Deutschland, aber vor allem zur Schweiz viel schlechter abgeschnitten hat. Vergangene Fehler drohen sich somit zu wiederholen – auf Kosten von uns allen und vor allem der Jungen.

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Conclusio

Vor drei Jahren traten die ersten Corona–Infektionen in China auf, bald darauf begann sich das neue Virus auf der ganzen Welt zu verbreiten. Mangels Erfahrungen musste jede Regierung abwägen, wie sehr sie Freiheiten der Bürger für den Schutz der Gesundheit einschränkt. Lockdowns, (Ein-)Reiseverbote, Testbestimmungen und andere Maßnahmen verursachten hohe soziale und wirtschaftliche Kosten, die von den Staaten unterschiedlich kompensiert wurden. Im Vergleich zu Deutschland und vor allem zur Schweiz setzte Österreich auf ein sehr strenges Maßnahmenpaket, die teuerste Teststrategie und besonders üppige Wirtschaftshilfen. Trotzdem wies Österreich im Dreiländervergleich die höchste Übersterblichkeit auf. Ein Grund dafür ist die schlechte Qualität der verfügbaren Daten im Gesundheitssystem.