Dialog statt Boykott

Die Stimmung zwischen Russland und Europa ist frostig – aber anstatt die Beziehungen weiter abzukühlen, sollten beide Seiten eine echte Partnerschaft aufbauen. Ansonsten zwingt man Moskau in eine Juniorpartnerschaft mit Peking. Zum Nachteil Europas.

Foto von Touristen vor dem Sozialistischer Bruderkuss-Graffiti an der East Side Gallery in Berlin
Symbol der Wendezeit: Das Sozialistische Bruderkuss-Graffiti an der East Side Gallery in Berlin. © Getty Images

Dreißig Jahre nach der Implo­sion der Sowjetunion im Dezember 1991 sind die Beziehungen zwischen Europa und Russland nahe dem Gefrierpunkt an­gelangt. Der Zerfall der UdSSR hat zwar den Kalten Krieg be­endet, doch zu einem Tauwetter ist es nie gekommen. Dabei wäre eine funktionierende Partnerschaft der Europäer mit ihrem östlichen Nachbarn nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch von größter Bedeutung – gerade angesichts des Aufstiegs Chinas.

Das selbstbewusste Reich der Mitte akzeptiert die Rolle einer Regionalmacht nicht mehr und fordert die bestehende Weltordnung heraus. Fast alle Handelsblöcke sind mehr oder weniger protektionistisch, aber China geht darüber hinaus, indem es gegen die Regeln zum Schutz von geistigem Eigentum und Investitionen sowie gegen internationale Anti­dumpingvorschriften verstößt.

China schürt Konflikte

Um die Folgen von Wirtschaftssanktionen und anderen Vergeltungsmaßnahmen der USA zu minimieren, strebt China nach mehr Selbstversorgung und entwickelt seinen ­eigenen wirtschaftlichen und politischen Block außerhalb der globalen Reichweite der USA. Eine solche Fragmentierung dürfte den Welthandel durch zunehmende logistische, finanzielle und rechtliche Hindernisse beeinträchtigen. Sie erhöht auch die Gefahr politischer und bewaffneter Konflikte.

Moskau befindet sich hier in einer schwierigen Lage. Seine Beziehungen zu den USA sind schlecht, und Russland musste unter einem Regime westlicher Sanktionen funktionieren. Zu Zeiten der Sowjetunion, die ihre aggressiven Pläne für eine Weltrevolution mit einem nuklearen Arsenal unterstützte, waren die USA dem Schutz der freien Welt verpflichtet. Russland hat schließlich seine kommunistische Ideologie verworfen, aber seitdem versucht, seine Interessen und seine Position auf der globalen Bühne wiederherzustellen.

Misstrauen zwischen Moskau und Washington

Zwischen Washington und Moskau regiert gegenseitiges Misstrauen. Die US-Außenpolitik zeigt wenig Verständnis für das heutige Russland. Washington übersieht, dass nicht die alte Sowjetunion die kommunistische Weltrevolution vorantreibt, sondern ein – zeitweilig gedemütigtes – ehemaliges Imperium danach strebt, seinen Stolz wiederzugewinnen. Die alte Doktrin des seinerzeitigen Nationalen Sicherheitsberaters der USA, Zbigniew Brzezinski (1977–1981), die eine Annäherung zwischen Russland und Europa verhindern sollte, hat in Washington immer noch Geltung.

Natürlich kann die russische Aggression gegen Georgien und die Ukraine nicht gerechtfertigt werden. Leider war aber die Haltung des Westens gegenüber Moskau nach der Ukraine­krise 2014 von einer Kombination aus Naivität und Arroganz geprägt. Das hat Tradition: Schon 2009 igno­rierte die EU Russland weit­gehend, als sie ihre Initiative zur Östlichen Partnerschaft auf mehrere postsowjetische Staaten ausdehnte, darunter die Ukraine. Als Russland später eine kaum getarnte Interven­tion in diesem Land durchführte, reagierte Europa mit lauwarmen Sanktionen, von denen viele nach hinten losgingen. Die Wirtschaft, besonders in Mitteleuropa, leidet darunter.

Der Zerfall der UdSSR hat zwar den Kalten Krieg beendet, doch zu einem Tauwetter kam es nie.

Eine bessere Reaktion wäre eine Er­höhung der Verteidigungseffizienz und -ausgaben gewesen – insbesondere in Deutschland –, um politischen Einsatzwillen und Stärke der NATO zu zeigen und den Schutz der mittel- und osteuropäischen Staaten zu unterstreichen. Langfristig wäre dies für Europa möglicherweise wirtschaftlich günstiger gewesen und hätte seine Glaubwürdigkeit in den Verhandlungen erhöht.

Die Reaktion der USA war verbal stark, aber zwei grundlegende Fehler schwächten sie ab. Das Weiße Haus erklärte sich bereit, alle möglichen Maßnahmen gegen Russland zu ergreifen – außer militärische. Dies kam einer Carte blanche für Moskau in der Ukraine gleich. Gleichzeitig legte es Washington unter der Obama-Administration auf einen Regimewechsel im Kreml an. In Moskau schrillten angesichts der Einmischung in innere Angelegen­heiten die Alarmglocken. Unter diesem Gesichtspunkt wirken die US-Klagen über eine russische Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen wie Ironie.

Krim-Rückgabe ist eine Illusion

In der Ostukraine und auf der Krim hat Präsident Wladimir Putin den Westen vor vollendete Tatsachen gestellt. Der Glaube, dass Russland die Krim erneut an die Ukraine zurück­geben würde, ist eine Illusion. Brüssel und Washington übersehen bei ihren Protesten zudem, dass erst der damalige russische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow die Krim von Russland abgetrennt und in die Ukrainische Sowjet­republik (damals Mitglied der UdSSR) überführt hat.

Tatsächlich steht Europa dem System von Präsident Putin äußerst kritisch gegenüber, während die Opposition ungebremst unterstützt wird. Die europäischen Hauptstädte und Brüssel sollten jedoch erkennen, dass eine mögliche Ablöse Putins sicherlich nicht in eine weniger nationalistische und autoritäre neue Führung münden würde. Mit realistischem Blick auf Russlands Geografie und seine Grenzen erscheinen nationalistische politische Strategien unausweichlich.

Trotz der Sanktionen ist Russland ein wichtiger Partner für Europa. Politisch kann man einen so großen Nachbarn nicht ignorieren. Handel und Investitionen spielen eine Rolle; Erdgaslieferungen sind für beide Seiten von entscheidender Be­deutung. Da sich die globale Fragmentierung verschlimmert, wäre es im besten Interesse Europas, eine weitere Entfremdung von Russland zu vermeiden.

Es gibt Probleme, aber auch Lösungen

Unlösbar sind die Probleme, die die bilateralen Beziehungen belasten, nicht. Für die eingefrorenen Konflikte in Abchasien, Osse­tien, im Donbas und auf der Krim gibt es Auswege. Ein ausgeprägteres Verständnis im Westen, dass Russlands Regierungssystem am besten den Russen überlassen wird, würde dazu beitragen, die tief verwurzelte Angst des Landes vor ausländischer Einmischung zu verringern. Moskau muss auch entschiedener vorgehen, um ausländische Investitionen in Russland zu schützen.

Trotz Sanktionen ist Russland ein wichtiger Partner für Europa.

Es besteht Einigkeit darüber, dass eine enge transatlantische Beziehung zu den USA für Europa von entscheidender Bedeutung ist und aufrechterhalten werden muss. Europa sollte sich aber auch nach Osten öffnen, sonst wird es im zunehmenden globalen politischen, wirtschaftlichen und technologischen Wettbewerb eingeschränkt. Engere Bindungen an Russland sind umso bedeutender, als sich das Schwer­gewicht der globalen Wirtschaft vom Atlantik zum Pazifik verschoben hat. Bessere Beziehungen und mehr Handel mit Russland sind vor allem für die Länder wichtig, die nicht ­direkt an den Atlantik grenzen – also Mitteleuropa und mit ihm Österreich.

Es ist von größter Bedeutung für Europa, eng mit Russland zusammenzuarbeiten, ansonsten zwingt es Moskau in eine Juniorpartnerschaft mit China. Dies sollte auch im langfristigen Interesse der USA sein. Um eine vertrauensvolle Partnerschaft zu entwickeln, muss erst das Eis gebrochen werden. Ständige gegenseitige Verletzungen und Einmischung in innere Angelegenheiten sind nicht dazu geeignet, die politische Kaltfront abziehen zu lassen.