Eine Pille gegen das Altern

Die maximale Lebenserwartung des Menschen könnte bei 115 Jahren liegen. Aber um dorthin zu kommen, brauchen wir Unterstützung. Das Medikament Metformin könnte dabei helfen, das Altern zu verlangsamen.

Junge Frau mit einer Pille in der Hand, die gegen das Altern wirken soll
Jungbrunnen in Tablettenform? Noch sind wir nicht so weit, aber die Wissenschaft forscht eifrig. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Langes Leben. Die gute Nachricht: Wir werden immer älter. Die schlechte: Viele zusätzliche Lebensjahre bedeuten auch mehr Jahre, in denen wir krank sind.
  • Gesundes Leben. Deshalb geht es nicht nur darum, unsere Lebensspanne zu verlängern – sondern auch jene Zeit, in der wir gesund leben können.
  • Superager. Manche Menschen schaffen es bereits, die derzeitige maximale Lebenserwartung des Menschen zu übertreffen. Sie werden bis zu 120 Jahre alt.
  • Superpille. Wem die genetische Veranlagung dafür fehlt, der braucht medizinische Hilfe, um dorthin zu kommen. Das Medikament Metformin könnte ein Ansatz sein.

Über weite Strecken unserer Geschichte hatten Menschen eine kurze Lebensspanne, die Lebenserwartung lag irgendwo zwischen 20 und 35 Jahren. Aber vor etwa 150 Jahren haben wir einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Wir sagten ihm: Wir wollen mehr. Viel mehr. Wir wollen langsamer altern. Was wir taten, war, das Wasser zu reinigen. Wir haben Abwassersysteme gebaut. Wir erfanden Antibiotika, Chirurgie, Hygiene und so weiter. In der Folge dieser Entwicklungen ist die Lebenserwartung innerhalb kürzester Zeit auf 72,6 Jahre im weltweiten Durchschnitt gestiegen. Aber wir alle wissen, dass Pakte mit dem Teufel immer eine Kehrseite haben.

Mehr im Dossier Ewiges Leben

Was haben wir außer einem längeren Leben noch bekommen? Alzheimer. Krebs. Herz-Kreislauf-Krankheiten. Diabetes. Sobald wir 60 Jahre alt werden, fangen wir an, all diese Krankheiten anzuhäufen. Wir müssen jetzt den Teufel zu überlisten: Unsere verlängerte Lebensspanne beibehalten – und sie noch viel weiter zu verlängern –, ohne all die negativen Begleiterscheinungen. Aber wie können wir das erreichen?

Drei Szenarien gegen das Altern

Es gibt grob gesagt drei Wege, unsere Zeit auf der Erde zu verlängern:

  • Beim Dorian-Gray-Szenario geht es um das Verzögern der Morbidität. Die Hauptfigur in dem Roman von Oscar Wilde altert biologisch nicht – nur wenn er in den Spiegel schaut, sieht er sein tatsächliches Alter. Wir können das auf Menschen übertragen, die biologisch viel langsamer altern als der Rest von uns.
  • Das Wolverine-Szenario bezieht sich auf die Marvel-Figur, die sich selbst verjüngen kann. Das ist vergleichbar mit einem Jungbrunnen – und es ist etwas, das sehr schwer zu erreichen ist. Die Rückkehr zur Jugend wird für uns als Wissenschaftler am schwierigsten zu erreichen sein.
  • Beim Peter-Pan-Szenario geht es natürlich darum, jung zu bleiben: Einem Zwanzigjährigen jede Woche, jeden Monat oder jedes Jahr eine Behandlung zu geben, damit er oder sie das gleiche biologische Alter behält.

Wissenschaftler in aller Welt arbeiten an all diesen Szenarien. Hier am Albert Einstein College of Medicine in New York untersuchen wir Menschen, die älter als hundert Jahre sind. Aber noch wichtiger als ihre Lebensspanne ist für uns jene Lebenzeit, in der sie gesund leben – wir nennen das health span. Wir haben nämlich herausgefunden, dass diese Menschen nicht nur länger leben, sondern auch viel länger gesund bleiben als die meisten von uns. Während andere im Alter von 60 Jahren krank werden, bleiben sie noch 20 oder sogar 30 Jahre lang gesund. Selbst nach ihrem 100. Lebensjahr haben 30 Prozent von ihnen noch keine Krankheit. Das beweist, das wir bereits Menschen unter uns haben, die uns zeigen, dass wir es viel besser machen können.

Wir könnten alle 115 Jahre alt werden

Jene Person, die – soweit wir das wissen – das bislang längste Leben auf der Erde hatte, war Jeanne Calment, die 1997 in Frankreich nach 122 Jahren und 164 Tagen starb. Statistisch gesehen liegt die maximale Lebenserwartung unserer Spezies jedoch bei etwa 115 Jahren. Wissenschaftler streiten sich darüber, ob es möglich ist, diese Zeitspanne weiter zu verlängern, aber der Punkt ist: Das sind vierzig Jahre mehr als die durchschnittliche Lebenserwartung, die wir derzeit weltweit haben. Viele Menschen behaupten, dass es für unser Gesundheitssystem zu teuer wäre, wenn wir alle viel länger leben würden.

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Diese Menschen leb(t)en am längsten

NameGeburts- und SterbedatumAlterLand
Jeanne Calment21. Februar 1875 –
4. August 1997
122 Jahre, 164 TageFrankreich
Kane Tanaka2. Januar 1903 –
19. April 2022
119 Jahre, 107 TageJapan
Sarah Knauss24. September 1880 –
30. Dezember 1999
119 Jahre, 97 TageUSA
Lucile Randon11. Februar 1904 –
(am Leben)
118 JahreFrankreich
Nabi Tajima4. August 1900 –
21. April 2018
117 Jahre, 260 TageJapan
Marie-Louise Meilleur29. August 1880 –
16. April 1998
117 Jahre, 230 TageKanada
Violet Brown10. März 1900 –
15. September 2017
117 Jahre, 189 TageJamaika
Emma Morano29. November 1899 –
15. April 2017
117 Jahre, 137 TageItalien
Chiyo Miyako2. Mai 1901 –
22. Juli 2018
117 Jahre, 81 TageJapan
Misao Okawa5. März 1898 –
1. April 2015
117 Jahre, 27 TageJapan
Stand: April 2022

Doch das Gegenteil ist der Fall: Die medizinischen Kosten in den letzten beiden Lebensjahren eines Menschen, der über 100 Jahre alt wird, betragen ein Drittel der Kosten für Menschen, die im Alter von 70 Jahren sterben. Warum? Weil sie wirklich wie Dorian Grey sind. Sie sind am Ende ihres Lebens nur sehr kurz krank – und 30 Prozent von ihnen werden vor ihrem Tod überhaupt nicht krank.

Wie kann das uns helfen, die wir diese Gene nicht haben? In meiner Studie untersuche ich 3.000 Teilnehmer, 750 von ihnen sind über 100 Jahre alt, der Rest sind ihre Angehörigen. Wir untersuchen ihre Gene und versuchen zu verstehen, was es ihnen ermöglicht, ihr Altern im Vergleich zu anderen Menschen zu verlangsamen. Was wir und andere Wissenschaftler herausgefunden haben, ist, dass es acht Säulen des Alterns gibt: Telomere, Stammzellen und so weiter. Für mich als Gerontologe sind sie wie meine acht Töchter – fragen Sie mich nicht, wer meine liebste ist.

Rauchen, trinken, völlern – und trotzdem lange leben?

Wenn man altert, funktioniert etwas nicht mehr so, wie es sein sollte. Und wenn wir in der Lage sind, das, was aufhört zu funktionieren, mit genetischen Methoden zu reparieren, wird das zu einem längeren Leben und einer längeren Gesundheit führen. Das Gute an diesen Säulen des Alterns ist, dass sie miteinander verknüpft sind. Man muss sie nicht alle zusammen reparieren – wenn man einen repariert, wirkt sich das auch positiv auf die anderen aus. Und wir machen rasante Fortschritte. Im Labor haben wir gezeigt, dass wir die Lebens- und Gesundheitsspanne vieler Tiere verlängern können. Wir konnten auch nachweisen, dass einige von ihnen auch für den Menschen relevant sind.

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Zahlen & Fakten

Welche Relevanz diese Säulen des Alterns haben, können wir an den Über-Hundertjährigen sehen, die wir untersuchen: Sie haben oder hatten so starke Langlebigkeitsgene, dass es für sie nicht einmal wichtig war, wie sie ihr Leben lebten. Ich sprach mit einer Frau, die 90 Jahre lang geraucht hatte – und alle vier Ärzte, die ihr rieten, aufzuhören, starben vor ihr. Das führt leider zu vielen Missverständnissen über meine Arbeit. Der ehemalige Talkshow-Moderator Jay Leno erzählte seinen Zuschauern in der Tonight Show, dass ich das Geheimnis der Langlebigkeit gefunden hätte: Zu rauchen, zu trinken und fettleibig zu sein. Aber das ist natürlich Blödsinn. Bei diesen Menschen hat es funktioniert, weil sie allem gewachsen waren, egal wie sie gelebt haben. Aber bei anderen Menschen würde es nicht funktionieren.

Oder doch lieber gesund leben

Was funktioniert? Die Leute hören das nicht immer gern, aber es gibt zwei Dinge, mit denen man höchstwahrscheinlich auf Anhieb über 80 Jahre alt wird: Bewegung und Ernährung. Aber auch hier sind die Dinge kompliziert. Es ist bekannt, dass eine Kalorienbeschränkung zu einem längeren und gesünderen Leben beiträgt. In unserem Labor konnten wir nachweisen, dass Mäuse, die nur 60 Prozent der Nahrung der Kontrollgruppe bekamen, 40 Prozent länger lebten – und gesünder.

Aber der Teufel steckt im Detail: Wir haben ihnen ihr gesamtes Futter für den Tag morgens gegeben. Sie waren hungrig, also aßen sie es sofort auf und den Rest des Tages nichts mehr. In einer anderen Studie gaben wir den Mäusen immer noch 60 Prozent ihres Futters, aber in Portionen über den Tag verteilt. Diese Mäuse waren zwar schlanker, aber sie lebten nicht viel länger.

Wahrscheinlich lebt man nicht länger, wenn man etwas weniger zum Frühstück, etwas weniger zum Mittagessen und etwas weniger zum Abendessen isst. Ich praktiziere stattdessen intermittierendes Fasten: Nach dem Abendessen esse ich 16, 17 oder sogar 18 Stunden lang nichts. Das hat meinen Alterungsprozess deutlich verbessert: Ich konnte mein ideales Körpergewicht erreichen, konnte mehr Sport treiben und habe besser geschlafen. Als ich Covid hatte, war der Verlauf sehr mild. Was Jay Leno nicht verstanden hat: Es geht nicht nur um Genetik.

Wie wir das Altern aufhalten können

Wie viel Macht liegt in der Wahl des Lebensstils? Wird man mit Ernährung und Bewegung nicht nur 80, sondern 100 Jahre alt? Das wissen wir noch nicht. Meiner Meinung nach brauchen Sie dafür vielleicht Hilfe. Und wieder gibt es eine gute Nachricht: Es gibt bereits Medikamente, die uns Menschen dabei helfen. Wir müssen sie nur umfunktionieren, um das Altern zu verhindern. Ich mache nicht nur intermittierendes Fasten, ich nehme auch ein Medikament namens Metformin. Es ist ein billiges und generisches Medikament, das schon seit 70 Jahren verwendet wird. Metformin war ursprünglich ein Medikament zur Vorbeugung von Grippe und Malaria, jetzt ist es ein Mittel gegen Diabetes, weil es den Blutzuckerspiegel senkt. Und ich bin sicher, dass es altersbedingte Krankheiten im Allgemeinen vorbeugt.

Produktion von Metformin
Metformin-Tabletten laufen durch eine Sortiermaschine in einem Pharma-Werk in Indien, 2017. © Getty Images

Das hat sich bereits herumgesprochen: Der Umsatz von Metformin ist in den vergangenen Jahren um 50 Prozent gestiegen – und das liegt nicht an der Zunahme von Diabetes. Es wirkt gegen alle Säulen des Alterns, und deshalb leite ich eine Studie, um der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zu beweisen, dass Metformin ein so genanntes allgemeines Therapeutikum ist.

Die Daten, die uns bisher vorliegen, sind beeindruckend: In einer Studie aus dem Vereinigten Königreich wurden Menschen ab einem bestimmten Zeitpunkt beobachtet und ihre Sterblichkeitsrate nach fünf Jahren untersucht. Sie waren Diabetiker und nahmen entweder Metformin oder ein anderes Medikament namens Sulfonylurea ein. Die Teilnehmer der beiden Kontrollgruppen hatten kein Diabetes und nahmen keine Medikamente ein. Das erstaunliche Ergebnis: Von den vier Gruppen hatten diejenigen, die Metformin einnahmen, die geringste Sterblichkeitsrate – obwohl sie Diabetiker und oft fettleibig waren; manchmal auch andere Krankheiten hatten.

Wer länger lebt, hilft der Wirtschaft

Aus diesem Grund haben wir die so genannte TAME-Studie gestartet: Wir werden 3.000 Teilnehmer zwischen 65 und 80 Jahren mit einer altersbedingten Krankheit haben – ganz egal welche – und wollen beweisen, dass Metformin die Sterblichkeit unabhängig von der Krankheit verzögern kann. Denn sie sind alle altersbedingt. Das hat auch eine wirtschaftliche Dimension: Andrew Scott, ein Wirtschaftswissenschaftler an der School of Economy in London, hat im Fachmagazin Nature eine Arbeit veröffentlicht, die zeigt, dass die wirtschaftlichen Vorteile einer verlängerten Lebensspanne enorm sind.

Weder die FDA noch die Zulassungsbehörden in Europa erkennen das Altern als Krankheit an.

Es sind nicht nur die geringeren medizinischen Kosten: Menschen, die länger gesund leben, reisen mehr, sie kaufen Geschenke für ihre Enkel und so weiter. Scott untersuchte auch die Rohdaten der TAME-Studie und kam zu dem Schluss, dass jede Person, die Metformin einnimmt, 80.000 Dollar zur Wirtschaft beiträgt. Allein durch die Durchführung dieser Studie fließen also 100 Millionen Dollar in die Wirtschaft, während die Studie nur 50 Millionen Dollar kosten wird.

Aber diese Studie hat auch mit demselben Problem zu kämpfen, mit dem Gerontologen ständig konfrontiert sind: Normalerweise gibt es für jede Krankheit ein Medikament. Wenn man ein neues Medikament entwickeln will, gründet man ein Biotech-Unternehmen und bringt das Medikament auf den Markt, nachdem es gründlich getestet und zugelassen wurde. Aber sowohl die FDA als auch die Zulassungsbehörden in Europa erkennen das Altern nicht als Krankheit an – also kann es kein Medikament gegen das Altern selbst geben. Was bedeutet das? Krankenkassen refundieren ihre Kunden nicht, wenn sie Medikamente gegen das Altern selbst einnehmen. Das bedeutet, dass die Pharmaindustrie nicht genug Profit machen kann, um bessere Medikamente gegen das Altern zu entwickeln.

Sollte Altern eine Krankheit sein?

Deshalb wollen viele Wissenschaftler das Altern selbst zu einer Krankheit erklären, und ich stimme dem in gewisser Weise zu: Wenn Diabetes und Krebs eine Krankheit sind, dann ist das Altern eine Krankheit, weil es all diese Krankheiten fördert. Man kann es mit Bluthochdruck vergleichen: Bluthochdruck wurde als Risikofaktor für Schlaganfälle und Herz-Kreislauf-Erkrankungen betrachtet; und nicht als Krankheit selbst. Erst als Studien zeigten, dass die Vorbeugung von Bluthochdruck Schlaganfälle und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert, erklärte die FDA ihn zu einer behandelbaren Krankheit.

In Bezug auf das Altern haben wir noch ein weiteres Hindernis zu überwinden: Wir würden plötzlich jeden für krank erklären, insbesondere ältere Menschen. Wenn man 65 Jahre alt und gesund ist, würde man immer noch als krank gelten. Aber wir wollen diesen Menschen helfen und sie nicht verärgern. Ich denke, es wäre strategisch unklug, darauf zu bestehen, das Altern als Krankheit zu bezeichnen. Wir befinden uns mitten in einer Revolution, aber wenn man ein Revolutionär nur um der Revolution willen ist, wird es viele Opfer geben – auch die Revolution selbst.

Das Unbezahlbare wird ganz billig sein

Aber es ist frustrierend: Man fühlt sich wieder wie im Zeitalter von Galilei. Viele Menschen wollen einfach nicht an den Fortschritt glauben, der sich vor ihren Augen abspielt. Das ist das Hindernis, das wir haben. Aber ich sehe auch, dass sich immer mehr Menschen für unsere Arbeit interessieren. Denn die Wahrheit ist: Es ist gar nicht so schwer, das Altern ins Visier zu nehmen. Und in den nächsten Jahren wird es große Fortschritte geben. Bill Gates sagte, dass wir überschätzen, was wir in einem Jahr erreichen können, und unterschätzen, was wir in zehn Jahren erreichen können.

Der beste Indikator für den Fortschritt in diesem Bereich sind die Investitionen in die Geroscience-Technologie: Sie sind von einer Milliarde Dollar im Jahr 2020 auf 4,5 Milliarden im Jahr 2021 angestiegen. Es wird eine große Welle von Anti-Aging-Therapeutika geben, und es wird relativ einfach sein, eine Lebenserwartung von hundert Jahren zu erreichen. Viele Leute sagen, es sei unbezahlbar, gesund zu altern, aber ich verspreche Ihnen: Es wird sogar billig sein.

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Conclusio

Die Menschen werden immer älter, aber das bringt auch Probleme: Je älter wir werden, desto kränker werden wir auch. Deshalb ist es wichtig, nicht nur die Lebens-, sondern auch die Gesundheitsspanne zu verlängern – also jene Zeit des Lebens, in der wir gesund sind. Um besser gegen das Altern vorzugehen, wäre es nützlich, das Altern zunächst als Krankheit anzuerkennen: Das würde nicht nur Forschung für Medikamente ermöglichen, die den natürlichen Alterungsprozess unseres Körpers verlangsamen oder aufhalten, sondern auch ein gesellschaftliches Umdenken bewirken, das einsieht, dass gesund altern kein Ding der Unmöglichkeit sein muss.