Putin, Zar der Macho-Politik

Dass Putin gegen Feministinnen, schwule Männer und lesbische Frauen vorgeht, ist kein Zufall: Sein Regime hält sich nur an der Macht, wenn es das Bild des harten Mannes pflegt. In der Weltpolitik ist er mit dieser toxischen Männlichkeit nicht allein.

T-Shirt mit Putin-Aufdruck
Putin-Kitsch ist in Russland weit verbreitet, etwa in Form von T-Shirts, Kalendern und Matrjoschkas. Häufig wird der russische Präsident auch als Superheld dargestellt. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Instrument der Macht. Schon seit seinem Machtantritt inszeniert sich Wladimir Putin als Macho, der Russland dank seiner Männlichkeit wieder stark machen wird.
  • Toxische Männlichkeit. In Russland haben Frauenfeindlichkeit und Homophobie lange Tradition, auf die Putin aufbauen konnte. Beide gehen oft mit Gewalt einher.
  • Pseudo-Stärke. Auch in Putins Rhetorik ist gewaltbereiter Sexismus gang und gäbe – etwa in Form von Vergewaltigungswitzen über die Ukraine.
  • Globales Phänomen. Aber nicht nur Putin nutzt Hypermaskulinität für seine Legitimation. Auch in westlichen Demokratien zieht das Phänomen seine Kreise.

Männlichkeit ist in der Politik allgegenwärtig. Politische Führer konkurrieren im In- und Ausland auf ungezählten Ebenen – vom persönlichen Charisma bis zur politischen Positionierung –, sie bewegen sich dabei jedoch immer auf dem Terrain der Maskulinität. Seit Wladimir Putin an der Spitze der politischen Hierarchie Russlands steht, ist Männlichkeit ein zentrales Element der Legitimationsstrategie seines Regimes.

Als Putin 2000 zum ersten Mal Präsident wurde, nutzten seine Imagestrategen den KGB-Hintergrund Putins und seine Vorliebe für körperliche Fitness, um ihn als machohaften starken Mann darzustellen, der Russlands Machtverlust rückgängig machen und das Land nach zehn Jahren vermeintlicher geopolitischer Schlaffheit im Gefolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion „remaskulinisieren“ könnte.

Putin bei einem Ausritt in Sibirien 2009
Oberkörperfreier Ausritt in Sibirien: So inszeniert Putin öffentlichkeitswirksam seine Männlichkeit. © picturedesk.com

Von den berühmten Fotos des hemdsärmeligen Putin beim Angeln und Reiten bis hin zu seinen harten Worten gegen tschetschenische Terroristen (als Ministerpräsident versprach er 1999, sie in ihren Außentoiletten zu „entsorgen“): Der russische Staatschef machte damit dem heimischen Publikum deutlich, dass sich das Land nicht mehr von westlichen Staaten, die das Vaterland nur dauerhaft schwächen wollten, herumschubsen lassen würde. Putins Machogehabe war ein Mittel, um zugleich seine eigene Legitimität als auch Russlands Stärke zu demonstrieren.

Historische Vorbilder

Die öffentliche Zurschaustellung von Männlichkeit ist unter politischen Führern nichts Neues. 1966 versuchte der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas, Mao Zedong, im Alter von 72 Jahren seine Männlichkeit zu demonstrieren, indem er im Jangtse-Fluss schwamm, begleitet von einem vollständig bekleideten Militärkommando. Chiles Diktator Augusto Pinochet – wie Putin ein Kampfsportler – zerschlug in der Öffentlichkeit Ziegelsteine, und „Duce“ Benito Mussolini zeigte den Italienern bereitwillig seine behaarte Brust. Politische Führer demokratischer Staaten legitimieren sich ebenfalls durch die Inszenierung von Männlichkeit.

Donald Trump etwa verunglimpfte politische Konkurrenten immer wieder als schwach, „klein“ und wenig ausdauernd. In den USA greifen Politiker des gesamten politischen Spektrums in Wahlkampfanzeigen regelmäßig auf männliche Geschlechternormen zurück, um die eigene Unterstützung zu stärken und ihre Gegner zu untergraben.

Ukraine als Geliebte der USA

In der russischen Außenpolitik unter Putin spielt Männlichkeit eine wichtige Rolle. Nach der ersten prodemokratischen Revolution in der Ukraine im Jahr 2004, als Russland den Preis für Gasexporte in die Ukraine anhob, wurde die Ukraine im russischen Fernsehen als Amerikas Geliebte dargestellt: als gierige Frau, die sich aushalten lässt. Auf Plakaten russischer Demonstranten vor der US-Botschaft in Moskau wurden die USA aufgefordert, die Schulden der Ukraine bei Russland zu bezahlen: „Ein Gentleman zahlt immer für seine Freundin.“

Um die Rosenrevolution in Georgien im Jahr 2003 abzuwerten, griff Putin zu homophoben Ausdrücken und antwortete auf die Frage eines Reporters: „Eine Rosenrevolution – als Nächstes werden sie mit einer hellblauen kommen.“ Im Russischen ist „hellblau“ oder goluboi ein Slangwort für „schwuler Mann“.

Putins Machogehabe ist ein Mittel, um zugleich seine eigene Legitimität als auch Russlands Stärke zu demonstrieren.

Putins Verbündeter in diesem Konflikt, der Präsident von Südossetien, bemerkte über den georgischen Präsidenten: „Saakaschwili ist weit davon entfernt, demokratische Werte zu haben – ganz zu schweigen von männlichen –, er hat nichts dergleichen.“

Vom Kreml gesponserte Jugendgruppen machten sich ebenfalls die Vorstellung zu eigen, dass Putins Härte und Stärke das Kräfteverhältnis von Russland und seinen internationalen Konkurrenten verändern würden. Eine vom Jugendflügel der Partei „Einiges Russland“ 2014 organisierte Kunstausstellung zeigte Gemälde, auf denen Putin den amerikanischen Präsidenten Barack Obama im Kampfsport dominiert und ihn wie ein Kind diszipliniert, weil er versucht habe, die Ukraine in seine Hände zu bekommen.

Siegeszug der Gewalt

Ganz ähnlich sind die beiden Geschenke zu sehen, die eine Pro-Putin-Gruppe namens „Network“ (Russisch: Set’) Putin 2015 zu seinem 63. Geburtstag machte. Sie sollten Putins Leistungen als unerschütterliche nationale Führungspersönlichkeit in einem feindlichen internationalen Umfeld hervorheben. Das erste Geschenk war eine Kunstausstellung mit Darstellungen der „Zwölf Heldentaten des Putin“ – nach dem Vorbild der zwölf Heldentaten des Herkules. Unter anderem war ein sehr muskulöser, schwertschwingender Putin zu sehen, der Russland vor den Wirtschaftssanktionen schützt, die von der EU, Kanada, Japan und den USA nach der Annexion der Krim verhängt worden waren. Die Sanktionen waren als Hydra – als mehrköpfige Schlange – dargestellt. Einen davon, den mit der Aufschrift „USA“, hatte er ihr bereits abgehackt.

×

Zahlen & Fakten

Demonstration gegen Russlands „Homosexuellen-Propaganda“-Gesetz in Berlin, 2013
Eine Demonstration gegen Russlands „Homosexuellen-Propaganda“-Gesetz in Berlin, August 2013. © Getty Images

LGBTQ-Rechte in Russland

  • Homosexualität war in Russland bis 1993 ein Strafdelikt und wurde bis 1999 als Geisteskrankheit eingestuft. Homosexuelle Paare können in Russland weder heiraten noch Kinder adoptieren.
  • Unter Putin ist die Intoleranz gegenüber der LGBTQ-Community gestiegen: Eine Umfrage aus 2015 ergab, dass 86 Prozent der Russen gegen eine gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität sind; 2002 waren es noch 60 Prozent.
  • 2013 wurde es in Russland per Gesetz verboten, „Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ mit Minderjährigen zu teilen. Das Gesetz dient vorrangig zur Kriminalisierung von LGBTQ-Aktivisten durch Haft- oder Geldstrafen und zum Verbot von Gay-Pride-Paraden.
  • Anfang Juli 2022 schlug Alexander Khinshtein, Leiter des Informationsausschusses der Staatsduma, vor, „das Verbot gegen Homosexuellen-Propaganda generell auszuweiten, unabhängig vom Alter des Publikums“.
  • In einer Rangliste der LGBTQ-freundlichsten Länder Europas im „Rainbow Europe“-Index belegt Russland Platz 46 von 49. Rangletzte sind Armenien, die Türkei und Aserbaidschan.

Das zweite Geschenk des Netzwerks war eine Serie riesiger patriotischer Wandgemälde, die in sieben russischen Städten (darunter Sewastopol auf der frisch annektierten Krim) auf Außenwände gemalt wurden und die jeweils eine der Errungenschaften Putins für Russland illustrierten: Stärke, Erinnerung, Arktis, Souveränität, Geschichte, Sicherheit und Olympische Spiele. Zusammen bilden die jeweiligen Anfangsbuchstaben das russische Wort spasibo (danke). Wie der Pressesprecher des Netzwerks erklärte, sei Russland unter Putin auf dem Siegeszug. Russland würde nun als starker Staat angesehen, der nicht zögern würde, Gewalt anzuwenden, wenn es sein müsse.

Sexismus als Waffe

Donald Trump etablierte im Präsidentschaftswahlkampf 2016 den groben Ton für die US-Politik, indem er seine Anhänger aufforderte, Zwischenrufer auf seinen Wahlkampfveranstaltungen „zu verprügeln“. Seiner Rivalin Hillary Rodham Clinton drohte er mit Gefängnis, und er hörte gut gelaunt zu, wenn seine Anhänger im Chor „Sperrt sie ein!“ skandierten. In der gleichen Manier hat Wladimir Putin mit seinem Machogehabe, seinen frauenfeindlichen Äußerungen und seiner rückschrittlichen Politik in Bezug auf häusliche Gewalt, Abtreibung und LGBTQ-Rechte (Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Menschen, die ihr Geschlecht geändert haben oder sich nicht zuordnen, Anm.) den Boden für Hassgruppen wie den „Männerstaat“ (muzhskoe gossudarstvo) bereitet, deren Mitglieder feministische und LGBTQ-Aktivisten angreifen.

Der russische Anführer hat der politischen Rhetorik einige unvergessliche sexistische Schmankerl geschenkt. Als Hillary Clinton 2008 scherzte, Putin habe als KGB-Offizier „keine Seele“, erwiderte Putin: „Ein Staatsoberhaupt sollte zumindest einen Kopf haben.“

John Goodman als Rex Tillerson, Beck Bennett als russischer Präsident Wladimir Putin und Alec Baldwin als Donald Trump bei einem SNL-Sketch 2016
Die amerikanische Satire-Show Saturday Night Live parodierte Putins und Trumps Hypermaskulinität bereits mehrfach, hier bei einem Sketch aus dem Jahr 2016. © Getty Images

Als Putin behauptete, die russische Annexion der Krim im März 2014 sei notwendig gewesen, um „eine größtenteils russischsprachige Bevölkerung vor der Gewalt der ukrainischen Regierung zu retten“, und Clinton daraufhin den Vorgang mit Hitlers Einmarsch in Polen und der Tschechoslowakei in den 1930er-Jahren verglich, wobei sie darauf hinwies, dass sich auch Hitler mit dem Schutz deutscher Minderheiten gerechtfertigt hatte, griff Putin auf plumpe Geschlechterstereotype zurück, um diese Kritik zurückzuweisen. Es sei „besser, sich nicht mit Frauen zu streiten“. Und „wenn Menschen Grenzen zu weit überschreiten, dann nicht, weil sie stark sind, sondern weil sie schwach sind. Aber vielleicht ist Schwäche nicht die schlechteste Eigenschaft für eine Frau.“

Während der Dreharbeiten zu Oliver Stones Dokumentarfilm „Die Putin-Interviews“ 2017 erklärte Putin, dass er als Präsident nie „freie Tage“ habe, weil er „keine Frau“ sei und daher nicht unter den – seiner Ansicht nach – unvermeidlichen hormonellen Beeinträchtigungen leide, die die Fähigkeiten von Frauen bei der Ausübung ihrer Arbeit beeinträchtigten.

Vergewaltigung als Witz

Zu Putins sexistischem Repertoire gehören auch ein paar Vergewaltigungswitze. 2006 pries er den israelischen Präsidenten Mosche Katzav, der wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung angeklagt und später verurteilt wurde, als „mächtigen Mann“, der „zehn Frauen vergewaltigt“ habe. Kurz bevor russische Truppen in die Ukraine einmarschierten, bemerkte Putin über das 2014 vereinbarte Waffenstillstandsabkommen mit der Ukraine an Wolodymyr Selenskyj gerichtet: „Ob es dir gefällt oder nicht, meine Schöne, du musst dich damit abfinden.“

Wolodymyr Selenskyj bei Dreharbeiten zu einem Comedy-Programm 2016
Wolodymyr Selenskyj ist ein Gegenpol zur Hypermaskulinität Putins. Vor seiner Präsidentschaft war der studierte Jurist Schauspieler und Komiker; 2006 nahm er an der ukrainischen Version von Dancing with the Stars teil – und gewann. © Getty Images

Er deutete damit an, dass Selenskyj sich mit den russischen Übergriffen auf die Ukraine „abfinden“ müsse, so wie Frauen sich mit sexuellen Übergriffen oder Vergewaltigungen „abfinden“ müssten – ohne zu klagen. Der ukrainische Künstler Andriy Yermolenko reagierte auf diese Bemerkung mit einem Plakat, das eine ukrainische Frau zeigt, die Putin eine Pistole in den Mund steckt und auf Ukrainisch sagt: „Ich bin nicht deine ‚Schöne‘“. Eine Geste der Dominanz und Kränkung Putins, die seine auf Männlichkeit basierende Autorität untergräbt.

Staatsfeind Feminismus

Ein wesentlicher Bestandteil der dritten und vierten Amtszeit Putins seit 2012 ist die Unterdrückung feministischen Aktivismus. Der Feminismus ist eine Bedrohung für die Legitimität Putins, weil er die Gültigkeit von Geschlechternormen infrage stellt. Prominente Organisationen, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzen, wurden auf die Liste der „ausländischen Agenten“ gesetzt, Mitglieder des Kollektivs „Eve’s Ribs“ in Sankt Petersburg wurden verhaftet, weil sie versucht hatten, die russische Sprache weniger sexistisch zu gestalten.

Die Petersburger Lehrerin und Künstlerin Daria Apachontschitsch wurde verhaftet, weil sie am „Vulva-Ballett“, einer Aktion zur Unterstützung der Feministin und LGBTQ-Aktivistin Julia Zwetkowa teilgenommen hatte. Zwetkowa war wegen krimineller Pornografie angeklagt worden, weil auf ihrer Website, bei der es um Body Positivity geht, Zeichnungen weiblicher Genitalien zu sehen waren.

Der Feminismus ist eine Bedrohung für die Legitimität Putins, weil er die Gültigkeit von Geschlechternormen infrage stellt.

Während die feministischen Aktionen harmlos oder sogar heilsam erscheinen mögen, wissen die politischen Führer, die auf Männlichkeit angewiesen sind: Sie können nur an der Macht bleiben, wenn Geschlechternormen und die Vorstellung der Überlegenheit von Männlichkeit über die Weiblichkeit nicht infrage gestellt werden.

Da sich die russische Regierung mehr und mehr zu einer personalistischen Diktatur entwickelt, ist zu erwarten, dass Feminismus und andere Ausdrucksformen von „Geschlechterfreiheit“ vom Regime zunehmend verunglimpft werden.

×

Conclusio

Der russische Präsident Wladimir Putin nutzt ebenso wie Politiker jeglicher Couleur die Inszenierung starker Männlichkeit als politisches Instrument. Mit dieser Methode werden zwei Ziele verfolgt: die Zurschaustellung und glaubwürdige Vermittlung von Stärke, Durchsetzungskraft und Vitalität sowie die Abwertung politischer Gegner und Geg­nerinnen. Damit diese Strategie aufgeht, müssen bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit aufrechterhalten werden; vor allem die Vorstellung, Männer seien stark und Frauen schwach. Politische Bewegungen wie der Feminismus oder die Schwulen- und Lesbenbewegung stellen diese Stereotypen infrage und schwächen die Wirkung des politischen Instruments Männlichkeit. Sie werden umso stärker bekämpft, je schwächer ein Regime wird.