Automatisieren wir unsere Jobs weg?

Künstliche Intelligenz übernimmt mehr und mehr Jobs – die Digitalisierung wird bald auch gut bezahlte Berufe wie Richter und Piloten treffen. Wie sollen wir mit dieser Entwicklung umgehen?

Arbeit: Eine Frau mit langen Haaren und einem gebluemten Kleid sitzt an einer großenn Rechenmaschine an einem Schreibtisch mit Tastatur.
Dateneingabe in einem Büro von Honeywell, einem Maschinen- und Computerhersteller 1968. Moderne Computer holen sich die Daten (mehr oder weniger) selbst. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Digitalisierte Widersprüche. Menschen überlassen viele Bereiche freiwillig den Algorithmen und sehen sie zugleich als Bedrohung für Arbeitsplätze.
  • Automatische Abschaffung. Tatsächlich könnte künstliche Intelligenz auch komplexere Jobs wie Pilot oder Richter automatisieren.
  • Neuer Sinn. Einige Berufe werden in der Welt von morgen nicht mehr gebraucht. Doch bestimmte Fähigkeiten sind unersetzlich.
  • Kreative Zerstörung. Durch die tiefgreifenden Veränderungen könnten auch neue Tätigkeitsfelder entstehen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Der Traum von einer vollständig digitalisierten Welt ist greifbar nahe. Der universelle Code aus Einsen und Nullen ist zu einer nahezu alle Lebensbereiche prägenden digitalen Infrastruktur geworden. Mit der Entwicklung und flächendeckenden Vernetzung künstlicher Intelligenz ist der Grundstein für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel gelegt. Aller Voraussicht nach werden die disruptiven Veränderungen im Zuge der Digitalisierung auch eine Neupositionierung des Menschen im Berufsleben erforderlich machen.

Dabei haben wir es mit einer widersprüchlichen Entwicklung zu tun: Während immer mehr Menschen digitalen Technologien freiwillig einen immer größeren Raum in ihrer privaten Lebensführung einräumen, wird die umfassende Digitalisierung bislang analoger Bereiche im Arbeitsleben vor allem als Bedrohung wahrgenommen. Tatsächlich dominieren Befürchtungen, der Einsatz hochgradig vernetzter und autonom agierender Maschinen könnte einen Großteil der Arbeitsplätze vernichten oder den Menschen sogar vollständig bei der Arbeit ersetzen.

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Digitalisierte Piloten und Richter

Ganz oben auf der Liste der durch Automatisierungsprozesse bedrohten Berufe rangieren Verkäufer und Büroangestellte, aber auch Piloten und Richter. Bereits heute setzen Großkanzleien Künstliche Intelligenz ein, um von ihnen mögliche Prozessverläufe und vielversprechende Strategien ermitteln zu lassen. Und Forschungseinrichtungen investieren viel Zeit und Geld, damit Gesetzestexte und Urteile möglichst bald vollständig autonom von Maschinen versteh- und interpretierbar werden. Durch die Entwicklung von sogenannten intelligenten Verträgen („smart contracts“), die ihre eigene Einhaltung überwachen, könnte ebenfalls die Rechtsdurchsetzung automatisiert werden. Neben freiwilligen Transaktionen im Internet könnten auch gesetzliche Regelungen für andere Handlungsbereiche in den Code von intelligenten Verträgen übertragen werden.

Die Dystopie menschenleerer Fabrikhallen und verwaister Bürotürme bildet den Fluchtpunkt zeitgenössischer Zukunftsvisionen.

Die bevorstehende Automation könnte so die klassische gesellschaftliche Konfliktlinie zwischen Arm und Reich zunehmend in den Hintergrund drängen. Zwar blieben Verteilungsfragen nach wie vor präsent, doch würden sie im Zusammenhang mit einer massiven Übernahme von Arbeitsaufgaben durch Algorithmen und Robotik zunehmend obsolet. Denn auch gut bezahlte Berufsgruppen müssen heute damit rechnen, in der neuen Ökonomie von morgen nicht mehr gebraucht zu werden. Die Dystopie menschenleerer Fabrikhallen und verwaister Bürotürme, in der längst nicht nur Beschäftigte mit geringer Qualifikation um ihre Jobs fürchten müssen, bildet so den Fluchtpunkt zeitgenössischer Zukunftsvisionen in dieser Frühphase der Digitalisierung zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Ein gutes Leben führen – ohne Arbeit

Angesichts der erwartbaren tiefgreifenden Umwälzungen müssen wir uns die Frage stellen, welches positive Bild wir diesem düsteren Szenario gegenüberstellen können. Wir müssen Strategien entwickeln, wie es zu bewerkstelligen ist, dass jeder Mensch nicht bloß trotz, sondern wegen digitaler Technologien eigenverantwortlich ein gutes und gelungenes Leben führen kann. Dafür müssen sich alle Angehörigen der Gesellschaft als frei und gleich begreifen können, nicht als Ausgeschlossene oder Überflüssige. An die Stelle von Ausgrenzung und Rivalität muss eine klassenübergreifende Form der Solidarität treten.

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Zahlen & Fakten

Foto einer Frau, die rpüfend eine Lochkarte in die Höhe hält. Im Hintergrund ist eine große Büromaschine zu sehen.
„Leo“ 1955 in den Räumen von Lyons Electronic Office in Cadby Hall, Kensington. Die Maschine kann sich um Buchhaltung und Lagerhaltung kümmern. Man glaubt, die Maschine ersetze rund 200 Angestellte. © Getty Images

Welche Jobs werden ersetzt?

Das Forbes Technology Council hat 2019 Berufe und Tätigkeitsbereiche versucht zu identifizieren, die bis 2030 durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz verschwinden werden.

  • Versicherungsvertreter
  • Fertigungskräfte und Lagerarbeiter
  • Datenrecherche und -erfassung
  • Fließbandarbeiter
  • Buchung von Sendezeiten für TV-Werbung
  • Pharmazeutische Wirkstoff-Forschung
  • Kundenberatung in einer Bank
  • Vertreter
  • Angestellte in Fast Food-Ketten
  • LKW-Fahrer
  • Lieferboten

Digitale Erzeugnisse bieten die einzigartige Besonderheit, dass man sie durch Konsum nicht verbraucht wie materielle Güter. Daten lassen sich ohne Qualitätsverlust vervielfältigen, digitale Medieninhalte mit geringem Mitteleinsatz beliebig oft reproduzieren. Informationen werden nicht dadurch schlechter, dass man sie mit anderen teilt. Was und wieviel man besitzt, ist im digitalen Zeitalter daher tendenziell weniger von Bedeutung, als worauf man Zugriff hat und welche Dinge man effektiv nutzen kann. Diese Seite des Digitalen findet ihren Ausdruck in Open-Source-Produkten, die prinzipiell allen offenstehen.

Nach ihrem Vorbild könnte auch außerhalb des Virtuellen das Bewusstsein für eine Shareconomy geweckt werden, in der Eigentumsfragen nebensächlich sind. Jedenfalls sofern jedem der faire Zugang zu und die gleichberechtigte Nutzung von gesellschaftlichen Ressourcen garantiert werden. Um dem befürchteten Sinnverlust und der Prekarisierung ganzer Bevölkerungsschichten zuvorzukommen, fordern daher einige Theoretiker die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als notwendige Reaktion auf die erwartete Transformation der Arbeitsgesellschaft.

Neue Möglichkeiten der Sinnstiftung

Doch müssten dafür gleichzeitig neue Möglichkeiten der Sinnstiftung geschaffen werden, die der Mehrheit überzeugende Wege aufzeigen, was sie mit der neugewonnenen Zeit vernünftigerweise anfangen können. Hierzu können aktuelle Trends der Digitalisierung wiederum als Vorbild dienen. So lassen sich die technischen Grundlagen des plattformbasierten Servicesektors, also die von Algorithmen gesteuerten digitalen Marktplätze, wie im Fall von Uber, Airbnb oder Amazon, dafür nutzen, einen smarten Nonprofit-Bereich aufzubauen, der auf freiwilligen, gemeinschaftsbezogenen Produkten und Dienstleistungen basiert.

Foto einer Gruppe von Kindern, die zwei Roboter, der eine tonnenförmig, der andere eckig, unter die Lupe nimmt. Ein Mädchen in der Mitte stehend, dreht sich zur Kamera um.
1983: Die Roboter heißen Si-O-Gate, Squirt und Charlie und sind Haushaltsroboter der Firma US-Robotics. © Der Pragmaticus

Eine solche Entwicklung kann individuellen Sinn stiften und erscheint ökonomisch wie sozial nachhaltig gestaltbar. Auf diese Weise könnten digitale Plattformen daran anknüpfen, was sich einst auf der antiken Agora oder in den Kaffeehäusern der Aufklärung abspielte: eine Stärkung gemeinschaftlicher Werte und die freie Entfaltung des Individuums. Allerdings ist noch nicht ausgemacht, ob der digitale Wandel der Arbeitswelt wirklich die ökonomischen Grundlagen unseres Zusammenlebens derart radikal über sich hinauszutreiben vermag, dass er eine historische Zäsur markiert.

Die kreative Zerstörung

Immerhin ist es unwahrscheinlich, dass menschliche Arbeitskraft in Zukunft vollständig von Maschinen ersetzt wird. Dass sich einzelne Berufe stark wandeln und einige traditionelle Tätigkeitsfelder dabei in absehbarer Zeit vollständig wegfallen werden, ist unabwendbar. Schon heute setzen digitale Angebote, wie von Google oder Amazon, traditionelle Branchen in der Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie unter Druck. Allerdings entstehen auch neue Aufgabenbereiche und Wertschöpfungsmodelle, von denen bisher niemand etwas ahnte. Joseph Schumpeter prägte für diesen Prozess den Begriff der kreativen Zerstörung.

Fest steht, dass digitale Kompetenzen die Rolle einer neuen Schlüsselqualifikation einnehmen. Soziale, kulturelle und ökonomische Teilhabe wird ohne digitale Teilhabe kaum noch zu haben sein. Da immer mehr Aufgaben von Maschinen übernommen oder unterstützt werden, zeichnet sich ab, dass der Stellenwert fachlicher Spezialisierung auf dem Arbeitsmarkt tendenziell zugunsten übergreifender Fähigkeiten abnimmt. Dafür wächst zugleich die Erwartung gegenüber der Arbeitskraft: Sie muss möglichst eigenverantwortlich, kreativ und flexibel agieren und sich das komplette Berufsleben über fort- und weiterzubilden. Die digitale Arbeitsweise forciert, dass ein immer größerer Fokus auf einzelne Aufgaben und Tätigkeiten gelegt wird, die in netzwerkähnlichen Kollaborationen und wechselnder Projektarbeit flexibel einsetzbar sind.

So ist der Berufsalltag der digitalen Nomaden von den Beschränkungen durch Raum und Zeit weitgehend befreit. Ob zu Hause, im Hotel, am Flughafen, im Café, oder in der Strandbar. Ihr Arbeitsplatz ist potenziell überall dort, wo sie Zugriff auf das Internet haben. Die Trägergruppe dieses neuen Lebensstils, die den digitalen Wandel der Arbeitswelt vorantreibt und am stärksten von ihm profitiert, findet sich in der akademischen Mittelschlicht und hier insbesondere im kreativen Milieu. Man arbeitet typischerweise in sogenannten Wissensberufen – Computer- und Internetfirmen, im Marketing, Design, dem Kunstsektor, den Medien, Bildungs- und Forschungseinrichtungen und so weiter –, in denen das eigene Profil am besten zur Entfaltung kommt. In der digitalen Arbeitswelt ist der Einzelne angehalten, die private Lebensführung immer stärker dem Ideal beruflicher Selbstverwirklichung unterzuordnen.

Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine

Doch was, wenn man diesen hohen Erwartungen nicht entsprechen kann oder will? Bei aller Sorge um neue Arbeits- und Produktionsmodelle, die fehlende Anpassungsfähigkeit im Extremfall mit Ausschluss bestrafen, wird eines vielfach übersehen. Dass gerade der technologische Fortschritt im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion das Potenzial birgt, bisher nicht oder nur prekär Beschäftigte gezielt zu fördern und in Arbeit zu bringen. Die Maschinen des Industriezeitalters waren vor allem dafür da, menschliches Handeln zu vereinfachen oder idealerweise sogar vollständig zu ersetzen. Digitale Technologien der neusten Generation zielen immer stärker auf eine arbeitsteilige Interaktion zwischen Mensch und Maschine.

Moderne Technologie muss den menschlichen Faktor also nicht zwangsläufig überflüssig machen.

Der Mensch der digitalen Welt nimmt so nicht mehr wie selbstverständlich die unangefochtene Rolle des Experten und Spezialisten ein. Sein berufliches Wissen und Können basiert hingegen immer stärker auf den Leistungen datenverarbeitender Algorithmen. So können digitale Assistenzsysteme am Arbeitsplatz, etwa mittels Augmented-Reality-Elementen, dabei helfen, dass auch Menschen ohne hohe Bildungsabschlüsse, die andernfalls von beruflicher Exklusion betroffen wären, ihren Platz im Arbeitsleben finden. Sie würden von einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine also erheblich profitieren. Die Digitalisierung ermöglicht auf diese Weise eine Teilhabe an der Arbeitswelt, die ohne entsprechende Unterstützung verwehrt bliebe.

Foto einer Fabrikhalle, in der gelbe Roboter an einem Fließband arbeiten.
Fertigung von Motoren in einer Fabrik in China im Juli 2022. Hier geht es nicht nur um die Fertigung an sich, sondern auch um die Produktion und Verarbeitung von Daten aus anderen Quellen im Produktionsprozess, um zum Beispiel Lieferschwierigkeiten vorherzusehen. © Getty Images

Moderne Technologie muss den menschlichen Faktor also nicht zwangsläufig überflüssig machen. Im Gegenteil: Sie kann umgekehrt auch dazu beitragen, das Ideal einer inklusiven Arbeitswelt, in der jeder Mensch ein gerechtes Auskommen findet, besser zu verwirklichen, als dies heute noch der Fall ist. Wenn wir ihre Potenziale richtig nutzen, kann die Digitalisierung dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen und uns dabei helfen, die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu erneuern.

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Conclusio

In vielen Arbeitsbereichen werden immer mehr Dinge von Maschinen besser erledigt als von Menschen. Was uns den Alltag erleichtert, lässt uns zugleich um unsere Arbeitsplätze bangen. Nicht nur monotone Tätigkeiten, sondern auch Berufe wie Richter oder Journalist, können zumindest teilweise durch künstliche Intelligenz erledigt werden. Wir sollten die Transformation so gestalten, dass wir mehr Zeit haben für die Tätigkeiten, die uns mit Sinn erfüllen.

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