Medien unter der Repressionswalze

In einer insgesamt zunehmend repressiven Atmosphäre geraten seit Frühjahr 2021 unabhängige russische Medien und einzelne Journalisten immer stärker unter Druck. Viele werden als „ausländische Agenten“ diffamiert – mit weitreichenden Folgen.

Bleistift umwickelt mit Stacheldrahtzaun
Journalisten und Medien in Russland werden in ihrer Freiheit zunehmend eingeschränkt. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Nicht alles Propaganda. Entgegen der westlichen Wahrnehmung ist die russische Medienlandschaft (noch) relativ breit gefächert und komplex – und nicht nur auf Kremllinie.
  • Vielfalt im Netz. Das streng regulierte Fernsehen ist staatstreu, aber das Internet hat sich zu einer Plattform für unabhängige Medien entwickelt.
  • Repressive Maßnahmen. Der Kreml greift zu legislativen Mitteln, um gezielt die Freiheit der sozialen Medien und der Online-Plattformen einzuschränken.
  • Atmosphäre der Unsicherheit. Viele Portale stehen vor dem finanziellen Ruin. Immer mehr Journalisten werden als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt.

Es war Ende Januar, als Russland eine der größten Protestwellen seit Beginn der Ära Putin ergriff. Oppositionspolitiker Alexej Nawalny war kurz zuvor nach Russland zurückgekehrt, nachdem er in Deutschland wegen seiner Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok behandelt worden war. Noch am Flughafen wurde er verhaftet. Unter dem Motto „Liebe ist stärker als Angst“ trotzten hunderttausende Russen ein zweites Mal am Valentinstag, dem 14. Februar, dem Schnee und Frost, um bei einem landesweiten Flashmob ihre Solidarität mit Nawalny zu bekunden.

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Auch wenn sich Nawalnys Anhänger wohl noch mehr Teilnehmer gewünscht hätten: Die Proteste reichten an die sogenannte Bolotnaja-Bewegung von 2011/12 heran, bei der ebenfalls Hunderttausende gegen gefälschte Wahlen und Putins dritte Amtszeit als Präsident protestierten. Anders als damals griff die Staatsmacht in diesem Jahr aber noch härter durch: Das unabhängige Bürgerrechtsprojekt OWD-Info zählte mehr als 10.000 Festnahmen im Zuge der Solidaritätsaktion. Das hing nicht nur mit den Massenprotesten im benachbarten Belarus zusammen, sondern auch mit der bevorstehenden Dumawahl, die als Blaupause für die Präsidentschaftswahl 2024 verstanden wurde – und mit den sinkenden Zustimmungswerten für den Präsidenten.

In Russland gibt es ein altes Bild: Fernseher gegen Kühlschrank. Je leerer der Kühlschrank, desto stärker muss der Fernseher sein, um die Lage im Land zu stabilisieren. Das ist in Russland, wo es keine Kontrollgremien für die Staatsmedien gibt, nicht weiter schwierig – die „Zombiekiste“, wie das Fernsehen auch bezeichnet wird, steht direkt unter staatlicher Kontrolle. Doch die Importprodukte für den Kühlschrank werden seit Jahren spürbar teurer, und das Fernsehen kann sich immer schlechter als dominantes Meinungsmedium halten. Laut einer Umfrage des russischen Meinungsforschungszentrums Lewada informierten sich im Januar 2021 64 Prozent der Befragten regelmäßig im Fernsehen – im Juni 2013 waren das noch über 80 Prozent. Im selben Zeitraum hat sich die Zahl der Menschen, die soziale Netzwerke als primäre Informationsquelle verwenden, mehr als verdoppelt – von 18 Prozent auf 42.

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Zahlen & Fakten

Internet statt Zombiekiste

Umfragen zeigen, dass in Russland das Informationsverhalten und die politische Orientierung eng zusammenhängen: Diejenigen, die sich im Internet informieren, bewerteten beispielsweise auch die jüngsten Verfassungsänderungen, mit denen sich Putin neue Amtszeiten sicherte, negativer, und die Proteste in Belarus positiver als diejenigen, die ihre Informationen aus dem Fernsehen beziehen. Putin ist sich der „Gefahr“, die von diesem Trend ausgeht, bewusst – und das nicht erst seit diesem Jahr. Bereits 2019 trat das Gesetz über die Isolierung des russischen Internet in Kraft, mit dem Internetdienstanbieter noch stärker als bislang schon zur Kooperation mit dem Staat verpflichtet werden sollten.

Mit Beginn dieses Jahres wurde die Internetzensur zunehmend strenger. Die Summe der Geldstrafen, die russische Gerichte 2021 gegen Facebook, Twitter, Telegram, Google und TikTok wegen des Nicht-Löschens „verbotener Informationen“ verhängt hat, beläuft sich derzeit auf 180 Millionen Rubel (etwa 2 Millionen Euro). Im November 2021 entschied ein Moskauer Gericht, dass Geldstrafen in Höhe von 36 Millionen Rubel (knapp 420.000 Euro) für die Weigerung von WhatsApp, Facebook und Twitter, die Daten russischer User auf Servern in Russland zu speichern, rechtmäßig seien.

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Wendepunkte für die Medien in Russland 2001-2021

April 2001Der private Fernsehsender NTV wird verstaatlicht. Der Kanal war während der 1990er-Jahre zum Sinnbild der postsowjetischen Pressefreiheit geworden.
Oktober 2006Die Journalistin Anna Politkowskaja, die kritisch über Menschenrechtsverletzungen im Zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2009) berichtete, wird ermordet.
Mai 2008Die „Aufsichtsbehörde für Massenmedien, Kommunikation und den Schutz des kulturellen Erbes“ (Roskomnadsor) wird gegründet.
Januar 2014Der unabhängige Fernsehkanal TV Rain verliert alle Sendeplätze nach einer umstrittenen Umfrage zur Blockade Leningrads. Seither ist er reines Online-Medium.
März 2014Galina Timtschenko gründet nach ihrer Entlassung das unabhängige Online-Portal Meduza in Riga. Zuvor hatte sie kritische Beiträge zum Ukrainekrieg geschrieben.
Mai 2016Nach Recherchen zu Korruption und Russlands Vorgehen in Syrien und im Donbass wird das investigative Wirtschaftsmedium RBK auf Kremllinie gebracht.
Februar 2017Der ehemalige Sportjournalist Yuri Dud startet den YouTube-Kanal „vDud“, auf dem er Interviews mit bekannten russischen Persönlichkeiten veröffentlicht – quer durch das politische Spektrum.
Juni 2019Der Investigativjournalist Iwan Golunow wird nach Recherchen zu Mafiastrukturen in der Moskauer Stadtverwaltung verhaftet. Der Fall löst eine mediale Protestwelle aus. Golunow wird freigesprochen.
Oktober 2020Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny spricht nach seiner Vergiftung mit YouTube-Star Dud. Mit Stand Dezember 2021 erzielte das Interview 32 Millionen Aufrufe.
Mai 2021Russland rutscht auf Platz 150 von 180 auf dem Index der Pressefreiheit (Reporter ohne Grenzen) ab.

Noch eine weitere Verschärfung ist festzustellen: Bei den Protesten im Frühjahr 2021 gerieten nicht nur die großen Internetplattformen stärker ins Visier der Staatsmacht, sondern auch die russischen Medien und Journalisten. So fanden im Zuge der Solidaritätsaktion mit Nawalny zunächst bei einzelnen Medienvertretern „präventive Hausbesuche“ statt, gegen mehrere von ihnen wurden Strafverfahren eingeleitet – wegen angeblicher Verstöße gegen die coronabedingten „Hygieneregeln“. Im Januar wurde der Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Mediazona, Sergej Smirnow, wegen eines Retweets zu einer 25-tägigen Haftstrafe verurteilt, 15 davon musste er tatsächlich absitzen. Sein Vergehen: Er hatte im Scherz das Bild eines Rappers geteilt, der ihm ähnlich sieht. Im Hintergrund der Aufnahme war der Aufruf zu einer Protestaktion zu sehen.

Neue Zielscheibe der Repressionen

Dieses Vorgehen war nur der Auftakt für noch viel umfassendere repressive Maßnahmen, die im Laufe des Jahres 2021 gegen die gesamte politische Opposition und weitere unabhängige Akteure ergriffen wurden – auch gegen Medien und einzelne Journalisten. „In den Augen der Machthaber übernehmen auch die Medien eine indirekt oppositionelle Rolle“, schrieb die Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja Ende Mai 2021 in einer Analyse für proekt.media. „Das bedeutet, dass die unabhängigen Medien, aber auch Massenmedien mit einer unabhängigen Informationspolitik zunehmend politische Bedeutung zugeschrieben bekommen und zur offenen Zielscheibe für die Repressionswalze werden.“

Anders ausgedrückt: Wer nicht Freund ist, ist Feind. Und um gegen innere Feinde vorzugehen, hat man das sogenannte „Agentengesetz“ geschaffen. In seiner Ursprungsform sanktionierte das Gesetz, das vor dem Hintergrund der letzten großen Protestwelle 2011/2012 verabschiedet wurde, gezielt NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhielten. Seit 2017 ist es aber auch auf Medien und seit 2020 auf Einzelpersonen anwendbar. Anfangs waren vor allem staatliche Auslandsmedien wie Golos Ameriky (Voice of America) betroffen. Über Russlands unabhängigen (Online-)Medien schwebte das Gesetz lange wie ein Damoklesschwert. Hinter dem Sammelbegriff „unabhängig“ verbergen sich dabei ganz unterschiedliche Medien: Martin Krohs, Gründer der Plattform dekoder.org, verglich die russische Medienlandschaft einst mit einer Sahnetorte. Dominiert von einer breiten „Sahneschicht“ der Staats- und staatsnahen Medien, finden sich im dünnen Tortenboden unabhängige (Online-)Medien, die Journalismus als vierte, vom Staat unabhängige Gewalt verstehen.

Wer nicht Freund ist, ist Feind. Und um gegen innere Feinde vorzugehen, hat man das ‚Agentengesetz‘ geschaffen.

Doch 2021 ist das Damoklesschwert gefallen. Im April traf es zunächst Meduza – eines der größten russischsprachigen, unabhängigen Online-Medien, das 2014 in Riga als Nachfolgeprojekt der erfolgreichen Website Lenta.ru gegründet worden war. Der Status als „ausländischer Agent“ zwingt das Exilmedium bislang nicht komplett in die Knie, aber er kostet ihm zahlreiche russische Werbekunden und damit einen Großteil seiner bisherigen Finanzierung. Im Mai folgte das investigative Medium VTimes, das erst ein Jahr zuvor von ehemaligen Vedomosti-Redaktionsmitgliedern gegründet wurde. Sie hatten das Medium verlassen, nachdem der kremlnahe Unternehmer Iwan Jeremin zum alleinigen offiziellen Eigentümer der Tageszeitung wurde. Abgesehen von finanziellen Problemen durch das Agenten-Label wurde VTimes in die Nische der politischen Opposition gedrängt, ohne dass das Medium je als solches konzipiert wurde, so die Redaktion. Das offizielle Aus folgte am 12. Juni – Russlands Tag der Unabhängigkeit. 

Mit The Insider und Istories wurden schließlich auch renommierte Investigativmedien auf die Agenten-Liste gesetzt. Insider-Chefredakteur Roman Dobrochotow hatte gemeinsam mit Bellingcat unter anderem zur Nowitschok-Vergiftung Nawalnys recherchiert und in internationalen Medien publiziert. Ihm wurde im Zuge einer Verleumdungsklage, bei der er als Zeuge auftreten sollte, schließlich der Reisepass abgenommen. Als er Russland im Sommer dennoch verließ, wurde er zur Fahndung ausgeschrieben.

Journalisten als Staatsfeinde

Dabei ist Roman Dobrochotow nicht selbst als „ausländischer Agent“ gelistet – im Gegensatz zu anderen russischen Journalistinnen und Journalisten. Wie etwa Olga Tschurakowa: Sie war Redakteurin beim oben genannten proekt.media, als sie erfuhr, dass sie zusammen mit weiteren Redaktionsmitgliedern auf die Liste der „ausländischen Agenten“ gesetzt worden war. „Ich saß im Café und arbeitete, als mein Handy plötzlich nicht mehr aufhörte zu klingeln“, erinnert sie sich im Interview mit The Village an den Moment, als sie davon erfuhr. „Ich sprang auf, bekam plötzlich keine Luft mehr, fing an zu weinen, hatte eine Panikattacke. Mir zerriss es förmlich das Herz, und die Leute aßen weiter ihr Mittagessen.“

Als „ausländischer Agent“ ist Tschurakowa dazu verpflichtet, vier Mal im Jahr ein spezielles Meldeformular an das Justizministerium zu senden, wofür sie als juristische Person registriert sein muss. Sie ist verpflichtet, den Behörden Daten über ihre Aktivitäten, Einnahmen und Ausgaben zu übermitteln, andernfalls drohen Geld- oder sogar Haftstrafen. Und sie muss jedes Material, das sie veröffentlicht, mit einem speziellen Zusatz kennzeichnen, der deutlich macht, dass der Text von einem „ausländischen Agenten“ stammt – das gilt auch für Posts in sozialen Medien.

Mir zerriss es förmlich das Herz, und die Leute aßen weiter ihr Mittagessen.

Olga Tschurakowa

„Das Gesetz zu den ,ausländischen Agenten‘ ist so formuliert, dass es dir schwer gemacht wird, die Berichte zu schreiben und die russische Gesetzgebung zu befolgen“, meint Ilja Roshdestwenski, der beim Chodorkowski-Medium Open Media arbeitete und im Juli ebenfalls als „ausländischer Agent“ gelistet wurde. Vertreter von 22 russischen Medienorganisationen forderten im September in einem offenen Brief an Wladimir Putin, das Gesetz zumindest genauer zu formulieren und auch die Eintragung in die Liste nur nach einer gerichtlichen Entscheidung zu erlauben. Auf dem Waldai-Forum im Oktober sprach sich Putin schließlich dafür aus, die „vagen Kriterien“ nochmal zu überarbeiten. Dies steht bislang aus.

„Agenten“ und „unerwünschte Organisationen“

Ein Kollege von Olga Tschurakowa, der namentlich nicht genannt werden will, sagte, dass nicht die einzelnen Maßnahmen an sich das Belastende seien: „Aber jede einzelne dieser Maßnahmen wirkt wie eine Latte im Zaun, der dich isoliert und abgrenzt vom Rest der Gesellschaft – als Volksfeind.“ Generell wüchsen Angst und Selbstzensur, auch bei Journalisten, die (noch) nicht selbst betroffen sind. Doch deren Zahl sinkt: Von April bis Ende November 2021 wurden insgesamt mehr als 80 Medienorganisationen und Journalisten auf die Liste der „ausländischen Agenten“ gesetzt. Für manche Medien bedeutet dies das Aus, wie für VTimes, andere versuchen dennoch weiterzumachen, wie Meduza, Republic oder Mediazona.

Und schließlich steht den Behörden ein noch fataleres Instrument zur Verfügung, um gegen unliebsame Kritiker vorzugehen: der Status der „unerwünschten Organisation“. Dieser gilt für Organisationen, die eine Bedrohung etwa für „die Sicherheit des Staates“ darstellen. Als Olga Tschurakowa zusammen mit anderen Journalisten von proekt.media, darunter auch Chefredakteur Roman Badanin, als „ausländischer Agent“ gelistet wurde, wurde das Medium selbst zur „unerwünschten Organisation“ erklärt. Eine solche darf in Russland nicht mehr aktiv sein. Zudem macht sich jeder russische Staatsbürger strafbar, der mit einem solchen Medium in irgendeiner Form zusammenarbeitet, und sei es nur in Form einer Leserspende. Roman Badanin ist daraufhin ins Ausland gegangen und hat proekt.media als agents.media neu gegründet. Olga Tschurakowa weiß derzeit nicht, wie es für sie weitergehen soll: „Ob ich im Ausland als Journalistin arbeiten will, habe ich für mich noch nicht raus“, sagt sie im Gespräch mit The Village. „Und in Russland journalistische Recherchen zu machen, ist im Moment gefährlich, sinnlos und schlicht unmöglich.“

Junge Frauen in Russland halten Zeitungen mit der Titelseite "Ich bin/wir sind Golunow"
2019 herrschte noch eine optimistischere Stimmung in Russland, insbesondere nach dem Fall Golunow. © Getty Images

Friedensnobelpreis an Dmitri Muratow

Die Nachricht, dass mit Dmitri Muratow ausgerechnet der Chefredakteur der Nowaja Gaseta am 10. Dezember 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden soll, führte in Russland auch innerhalb der liberalen und oppositionellen Kräfte zu kontroversen Debatten. „Ja, er wurde nicht Alexej Nawalny verliehen, sondern einem Menschen, der im Land die personifizierte Meinungsfreiheit ist“, sagt der Journalist Andrej Kolesnikow auf Carnegie.ru. „Und diese ist höchst bedeutend dafür, dass Nawalny – der wichtigste Widersacher der Staatsmacht – nicht in einem Informationsvakuum bleibt, also nicht ohne Schutz durch die Öffentlichkeit.“ Die 1993 gegründete, dreimal wöchentlich erscheinende Nowaja Gaseta gilt als Flaggschiff der unabhängigen Presse in Russland.

Wie lange sich russische unabhängige Medien, die sich sowieso in einer Nische bewegen, noch halten können, das wird die Zukunft zeigen. Ein wesentlicher Teil der politischen Opposition als „extremistisch“ gebrandmarkt, zahlreiche Medien und Journalisten gelten als „ausländische Agenten“, drei deutsche Organisationen, zwei davon Mitglieder des „Petersburger Dialogs“, müssen als „unerwünschte“ ihre Arbeit in Russland einstellen, Mitte Dezember wird der Prozess gegen die renommierte Menschenrechtsorganisation Memorial fortgesetzt, die sich vor allem für die Aufarbeitung des stalinistischen Terrors einsetzt. Die russische Generalstaatsanwaltschaft fordert ihre Auflösung. Die Meinungsfreiheit im Russland unter Putin – noch nie war sie so gefährdet wie derzeit. Und ein Ende dieser Entwicklung ist leider nicht abzusehen.

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Conclusio

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dominierte das Fernsehen lange die russische Medienlandschaft. Die anfängliche Vielfalt in der kritischen Berichterstattung wich nach Putins Amtsantritt einer wachsenden Gleichschaltung, die jedoch einen Kommunikationsraum übersah: das Internet. In den letzten zwanzig Jahren entstanden immer mehr unabhängige Online-Medien in Russland, die ein kritisches Gegengewicht zum staatstreuen Fernsehen bildeten. Einfach gemacht wurde ihnen diese Arbeit nie – doch solange sie sich nur in ihrer kleinen Nische bewegten, duldete der Kreml ihre Existenz. Mit dem Aufstieg des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, der gezielt das Internet als Informationsplattform nutzte, änderte sich das aber. Mit einiger Verspätung begann der Kreml 2017, Gesetze gegen die Rede- und Meinungsfreiheit im Internet zu erlassen. Seit Frühjahr 2021 kommen diese ganz gezielt zur Anwendung – insbesondere gegen Online-Medien und Journalisten, die immer häufiger als „Ausländische Agenten“ gebrandmarkt werden. Eine wachsende Zahl der russischen Medien muss ins Exil flüchten oder ihre Arbeit aufgeben. Das schränkt nicht nur die Informationsfreiheit in Russland weiter ein – es hinterlässt auch bleibende Spuren in der Öffentlichkeit, deren freie Meinungsäußerung zunehmend kriminalisiert wird.