Wie Sanktionen effektiver werden

Die Sanktionspolitik des Westens hat der russischen Wirtschaft messbaren Schaden zugefügt. Politisch hat sie ihre Ziele aber weit verfehlt – nicht zuletzt wegen mangelnder Kommunikation und fehlerhafter Diplomatie.

Eine abwehrend ausgestreckte Hand vor dem Kreml-Stern
Zwischen dem Westen und Russland sind eisige Zeiten angebrochen – aber es gibt Wege, das Sanktionsregime zu verbessern. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Kalter Krieg 2.0? Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen stehen seit 2014 auf einem historischen Tiefpunkt.
  • Vertracktes Mächtespiel. Der Versuch von EU und USA, Moskaus Verhalten durch wirtschaftliche Sanktionen zu verändern, ist von bescheidenem Erfolg gekrönt.
  • Falsche Wirkung. Die Sanktionen schaden zwar der russischen Wirtschaft. Doch am stärksten leiden darunter die russischen Bürger – nicht die Machthaber.
  • Bessere Koordination. Um Sanktionen effektiv zu gestalten, müssen sie zielgerichtet verhängt und eng zwischen Washington und Brüssel abgesprochen werden.

Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind auf einen Tiefpunkt gesunken, der in Bezug auf gegenseitige Feindschaft und Misstrauen mit den düstersten Kapiteln des Kalten Krieges vergleichbar ist. Seit mehr als einem Jahrzehnt protestieren Europa und die Vereinigten Staaten gegen Russlands Behauptung einer privilegierten Einflusssphäre im nahen Ausland, die Manipulationsversuche demokratischer Wahlen und die dreisten Angriffe auf politische Gegner auf westlichem Boden. Russland führt eine eigene Liste an Beschwerden und behauptet, dass die von den USA und Europa unterstützte Erweiterung westlicher Institutionen, einschließlich der NATO und der EU, die derzeitige Pattsituation überhaupt erst hervorgerufen habe.

Waffe der Wahl

Obwohl diese Konfrontation zu militärischen Spannungen und dem erhöhten Risiko eines nuklearen Austauschs geführt hat, wurde der zentrale Ost-West-Konflikt hauptsächlich mittels „Soft Power“ ausgetragen, also der Beeinflussung anderer Staaten ohne militärischen Druck. Es ist positiv zu vermerken, dass die diplomatische, kulturelle, bildungspolitische und geschäftliche Verflechtung zwischen Russland und dem Westen in den letzten drei Jahrzehnten nicht geschrumpft, sondern gewachsen ist. Für den Großteil des 20. Jahrhunderts wären die heutigen Beziehungen undenkbar gewesen.

Doch genau diese gegenseitige Abhängigkeit ist es auch, die im aktuellen Konflikt zwischen Russland und dem Westen zur Waffe der Wahl geworden ist. So wie russische Touristen, Wissenschaftler und Investoren in westlichen Gesellschaften willkommen geheißen werden, finden auch russische Sicherheitsdienste weniger Hindernisse, um die in Russland routinemäßig zur Anwendung kommenden Taktiken der Einschüchterung und Kontrolle auf Europa und die Vereinigten Staaten auszuweiten. Auch die Vernetzung über den Cyberspace hat die Tür für feindliche Einmischungen durch den russischen Staat und seine Stellvertreter geöffnet, wie bei den US-Wahlen im Jahr 2016 bewiesen.

Im Gegenzug dazu stellt Russlands Integration in die globalen Finanzmärkte eine maßgebliche Quelle der Einflussnahme für den Westen dar. Russlands direkte und indirekte Abhängigkeit von der US-amerikanischen und europäischen Wirtschaft ist die Grundlage für das westliche Sanktionsregime. Dieses versucht seit 2014, Moskaus Politik in Europa und über Europa hinaus durch das Auflegen finanzieller Nachteile zu ändern – sei es für einzelne russische Akteure, staatliche Einrichtungen, Privatunternehmen oder ganze Sektoren der russischen Wirtschaft. Trotz dieses gemeinsamen Ziels unterscheiden sich die EU- und US-Sanktionen gegen Russland in einigen wesentlichen Punkten.

EU-Sanktionen

Die Sanktionen der EU gegen Russland sind größtenteils an die Nichteinhaltung der Verpflichtungen gebunden, die Russland im Rahmen des Minsker Abkommen von 2015 zur Beilegung des Konflikts im Donbas-Gebiet der Ukraine eingegangen ist. Sie umfassen:

  • Reiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten für 177 Einzelpersonen,
  • die Beschränkung des Zugangs zu den Kapitalmärkten für bestimmte Finanz- und Verteidigungsinstitutionen,
  • Exportbeschränkungen für Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, und
  • einige Beschränkungen für den Handel mit Waren und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der russischen Ölindustrie

Sowohl individuelle als auch sektorale Sanktionen müssen alle sechs Monate durch einstimmige Zustimmung des EU-Rates erneuert werden, während Sanktionen im Zusammenhang mit der Krim alle zwölf Monate zur Erneuerung überprüft werden. Zusätzliche diplomatische Maßnahmen umfassen das Aussetzen regelmäßiger EU-Russland-Gipfeltreffen und der Ausschluss Russlands aus der Gemeinschaft der G8, dem Klub führender Industriestaaten.

US-Sanktionen

Die US-Sanktionen gegen Russland bestehen ebenfalls seit 2014 und wurden zunächst eng mit der Europäischen Union abgestimmt. Sie zielten sowohl auf russische Einzelpersonen als auch auf Unternehmen ab, schränkten die Kreditfinanzierung für russische Finanzinstitute ein und richteten sich gegen den russischen Öl- und Gassektor, insbesondere die Offshore-Exploration, an der damals auch US-Unternehmen beteiligt waren. Nach Berichten über die russische Einmischung in die US-Wahlen 2016 erließ Washington jedoch zusätzliche Sanktionen, die nicht von Brüssel übernommen wurden: So verabschiedete der US-Kongress 2017 den Countering America's Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA) - der neben Russland auch den Iran und Nordkorea sanktioniert - und den Protecting Europe's Energy Security Act (PEESA) im Jahr 2019.

Im Rahmen des Justice for Sergey Magnitsky Act von 2012 wurde außerdem eine ganz spezielle Kategorie von Sanktionen eingeführt, die sich auf russische Menschenrechtsverletzungen bezieht. Sergej Magnitsky war ein russischer Wirtschaftsprüfer, der 2009 unter ungeklärten Umständen im Moskauer Gefängnis „Matrosenruhe“ starb. Zuvor war er wegen angeblicher Steuerhinterziehung verhaftet worden, nachdem er selber einen Korruptionsskandal kolossalen Ausmaßes bei der russischen Steuerpolizei aufgedeckt hatte. Mit der Ausweitung auf den Global Magnitsky Act 2016 sanktioniert die US-Regierung seither weltweit Regierungsbeamte für Menschenrechtsverletzungen; inzwischen haben ähnliche Sanktionen auch in verschiedenen europäischen Ländern Unterstützung gefunden sowie auf EU-Ebene.

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Zahlen & Fakten

...zum Magnitsky Act:

  • 2012 unterschrieb Präsident Obama den Magnitsky Act, der US-Sanktionen gegen russische Beamte vorsah, die in den Todesfall Magnitsky verwickelt waren.
  • 2016 wurde der Global Magnitsky Act verabschiedet, der es der US-Regierung erlaubte, weltweit Regierungsbeamte zu sanktionieren, die in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind.
  • 2019 hat die EU eine Resolution mit 477-70 Mehrheit erlassen, die sich zugunsten der Einführung ähnlicher Gesetze wie des Magnitsky Acts in ihren Mitgliedsstaaten ausspricht.
  • 2021 finden sich an den Magnitsky Act angelehnte Gesetze bereits in der EU, Kanada, Großbritannien und dem Kosovo.

Wie effektiv sind die Sanktionen?

Eine simple Antwort auf die Frage, ob die Sanktionen gegen Russland wirksam sind, gibt es nicht. Betrachtet man die Verluste für die russische Wirtschaft, so lässt sich zweifelsohne eine starke Wirkung feststellen: Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) kosteten westliche Sanktionen die russische Wirtschaft im Jahr 2015 (dem ersten vollen Jahr, in dem die Sanktionen in Kraft waren) zwischen 1-1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im Jahr 2019 meldete der IWF, dass die Sanktionen Russlands Wachstumsrate von 2014 bis 2018 um 0,2 Prozent pro Jahr verringert hätten. Diese Zahlen berücksichtigen noch nicht den zusätzlichen Schaden, der dem russischen Wachstum im selben Zeitraum durch die weltweit sinkenden Energiepreise entstanden ist. Insgesamt wird der Schaden der Sanktionen für die russische Wirtschaft zwischen 2014 und 2017 auf circa acht Prozent des BIP geschätzt.

Schwieriger zu beantworten ist allerdings die Frage, ob die Sanktionen auch ihre gewünschte politische Wirkung erzielt haben. Tatsächlich hat sich die anfängliche Hoffnung, dass die Sanktionen einen Keil zwischen das Putin-Regime und Russlands Oligarchen treiben würden, als falsch erwiesen. Vielmehr ist das Gegenteil eingetreten: Der Kreml hat Ressourcen in Form von Steuererleichterungen, staatlichen Aufträgen und direkten Kapitalspritzen umgeleitet, um die staatlichen Schwergewichte, auf welche die Sanktionen abzielten, vor deren Auswirkungen zu schützen. Damit hat Moskau seinen Einfluss auf kritische Wirtschaftssektoren gefestigt, die Last der Sanktionen aber weitgehend auf die russischen Haushalte und den breiteren Privatsektor abgewälzt.

Die Hoffnung, die Sanktionen würden einen Keil zwischen Putin und die Oligarchen treiben, hat sich als falsch erwiesen.

Der dadurch entstandene Schaden für die Durchschnittsbevölkerung in Russland ist enorm: Laut einer 2020 durchgeführten akademischen Studie verlor ein von Sanktionen betroffenes russisches Unternehmen im Durchschnitt etwa ein Viertel seiner Betriebseinnahmen, die Hälfte seiner Vermögenswerte und ein Drittel seiner Mitarbeiter. Die damit einhergehende Aushöhlung der kommerziellen, diplomatischen und kulturellen Beziehungen zwischen Russland und seinen europäischen und amerikanischen Partnern ist nicht nur ein Problem der Gegenwart, sondern auch eines der Zukunft, da es einer Wiederannäherung der beiden Seiten langfristig im Wege stehen wird.

Der ehemalige US-Beamte Edward Fishman kritisierte 2020 daher nicht ohne Grund, dass das Sanktionsprogramm des Westens „keinen sinnvollen Druck mehr auf Moskau ausübt... [es ist] ein Überbleibsel einer vergangenen Strategie, nicht mehr wirksam, aber unmöglich wegzuwerfen.“ Je länger Washington und Brüssel ihre Sanktionen verlängern und aktualisieren, ohne sich dabei um die Aufnahme neuer Verhandlungen mit Moskau zu kümmern, desto stärker wächst in Russland der Eindruck, der Westen plane die Sanktionen zu einem ständigen Merkmal der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zu machen. Die Aussetzung fast aller normalen diplomatischen Gespräche verstärkt diesen Eindruck erheblich – und mindert für den Kreml den Anreiz, seine Politik tatsächlich zu ändern.

Gibt es einen besseren Weg?

Derzeit bleiben die Sanktionen gegen Russland weit hinter ihrem Potenzial zurück – doch es gibt drei Mittel, sie zu verbessern:

1) Kommunikation

Zunächst müssen westliche Regierungen klar und regelmäßig kommunizieren, welches russische Verhalten inakzeptabel ist – und welche Gründe es dafür gibt. Es reicht nicht aus, die „bösartigen Handlungen“, für die Russland bestraft wird, einfach im Kleingedruckten der Sanktionsgesetze aufzulisten oder Russland regelmäßig wegen mangelnder Compliance anzuprangern. Stattdessen ist ein robuster und fortlaufender diplomatischer Prozess erforderlich, in dem russische und westliche Gesprächspartner ein viel tieferes Verständnis für die Sichtweise des jeweils anderen gewinnen und wechselseitige Schritte erkunden können, durch die Sanktionserleichterungen gewährt und ein funktionierendes Vertrauen zwischen den Seiten wiederhergestellt werden kann.

2) Kooperation

Zweitens ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Washington und Brüssel in der Sanktionspolitik erforderlich. Juha Rainne, ein Analyst des Atlantic Council, sagte ganz richtig: „Internationale Koordination mag ein mühsamer Prozess sein, aber eine gute Sanktionspolitik muss auf einem soliden Fundament aufgebaut sein.“

Sanktionen sollten in koordinierter und bewusster Weise zwischen den Vereinigten Staaten und Europa verfolgt werden. Edward Fishman machte dazu den konkreten Vorschlag, Washington und Brüssel sollten ein Paket vorübergehender Sanktionserleichterungen schnüren, das Russland im Austausch für greifbare Schritte zur Erfüllung seiner Minsker Verpflichtungen angeboten wird – etwa „einen dauerhaften Waffenstillstand, vollständigen Zugang zum besetzten Gebiet für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Entsendung einer Friedensmission der Vereinten Nationen“. Weiter argumentiert er: „Vorübergehende Erleichterungen werden Moskau zeigen, dass die USA und EU glaubwürdig bereit sind, Sanktionen im Austausch für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu lockern.“

3) Konkretisierung

Schließlich gibt es auch russische Handlungen, die durch westliche Sanktionen weder abgeschreckt noch zurückgedrängt werden können. Die harten Angriffe des Kremls auf oppositionelle Aktivisten, die endemische Korruption und die Unterstützung regionaler Machthaber werden nicht zur Verhandlung stehen, egal wie viel Druck der Westen auf Moskau ausübt. In diesen Fällen ist die effektivste Reaktion des Westens eine Sanktionspolitik, die sich ausschließlich gegen verantwortliche Einzelpersonen richtet und sorgfältig mit einer möglichst großen Zahl von Partnerstaaten abgestimmt wird – von Nordamerika bis nach Ostasien.

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Conclusio

Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen benötigen nachhaltige, strategische Aufmerksamkeit – beginnend mit der Aufmerksamkeit für die Ziele und Mechanismen der westlichen Sanktionen. Solche Sanktionen sollten und werden nicht aus dem Instrumentarium der westlichen Russlandpolitik verschwinden, doch mit konsequenterer Kommunikation und effektiverer Diplomatie wird es wahrscheinlicher, dass sie ihr erklärtes Ziel erreichen, auf nicht-militärische Weise das Verhalten des Kremls zu ändern. Bis dieses Ziel erreicht ist, sollten Sanktionen so eng und sorgfältig wie möglich gefasst werden – und dort, wo sie die Bedrohungen des Kremls wirksam einschränken oder blockieren können, so lange aufrechterhalten werden, wie die Bedrohung andauert.