Wie viel $chulden verträgt die W€lt?

Seit vielen Jahren steigen die Schulden von Staaten, Unternehmen und Privaten auf der Welt in astronomische Höhen. Wie lange geht das noch gut?

Ratloser Banker vor Prozentzeichen
Ab welcher Höhe werden Schulden zu einem Problem? © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Alle haben Schulden. Oder zumindest fast alle. Ganz gleich, ob Einzelpersonen, Betriebe oder Staaten: Schulden sind ein globales Problem.
  • Mangelndes Gleichgewicht. Aufsummiert hat die Welt aktuell mehr als dreimal so viele Schulden, wie sie Umsatz macht. Tendenz: steigend.
  • Schuldenfalle Corona. Durch die Pandemie sind die Schulden weltweit gestiegen, weil dem Wirtschaften auf Pump zusätzlicher Antrieb verliehen wurde.
  • Aufgepasst, Europa. Ohne eine Schuldenangleichung riskiert die EU, dass die Währungsunion scheitert. Schnelles Handeln ist gefragt.

Kurze Antwort: Die Welt verträgt unerträglich viel Schulden. Selber hat sie ja fast keine, bis auf ein paar supra­nationale Institutionen, die behaupten, die ganze Welt zu vertreten. Aber bis auf die vielen Menschen, die zu arm sind, um überhaupt Schulden machen zu können, und die wenigen, die so reich sind, dass sie keine brauchen (obwohl es erstaunlich viele sehr reiche Menschen gibt, die auch sehr hohe Schulden haben), hat fast jeder auf dieser Welt Schulden.

Schulden sind wie Hamburger, wenn man zu viel davon isst, ist es ungesund. Wenn man Hamburger isst, muss man, um gesund zu bleiben, bei anderen Nahrungsmitteln ausgleichen oder mehr Bewegung machen oder am besten beides. Ähnlich verhält es sich mit Schulden: Hat man welche, braucht man als Ausgleich Vermögen oder genügend Cashflow – oder am besten beides –, um die Schulden abdecken zu können.

Grenzwertig

Aber beginnen wir einmal mit der Ist-­Situation: Die aufsummierten Schulden der Welt betragen derzeit rund 240.000.000.000.000 Euro – ein historischer Höchststand, der in den nächsten Monaten sogar noch ansteigen wird. Das Verhältnis von Schulden zur Wirtschaftskraft liegt momentan bei 325 Prozent und wird sich selbstverständlich auch weiter verschlechtern. Umgelegt in die betriebliche Welt heißt das vereinfacht, dass die Welt derzeit mehr als dreimal so viel Schulden wie Umsatz hat – Tendenz: steigend. Bei einem mittelgroßen Betrieb wären das ungefähr zehn Millionen Euro Schulden bei einem Umsatz von drei Millionen Euro. Bei einer – angenommenen – gewünschten Schuldentilgungsdauer von acht Jahren braucht dieser Betrieb eine Gewinnmarge von zumindest 40 Prozent.

Schulden sind wie Hamburger, wenn man zu viel davon isst, ist es ungesund.

Während die Schulden der Welt 240 Billionen Euro betragen, beläuft sich das weltweite Vermögen auf etwa 350 Billionen Euro. Das heißt vereinfacht gesagt, die Welt hat zurzeit Eigenkapital und Reserven in der Höhe von etwas über 28,5 Prozent ihrer Bilanzsumme und ist daher gut, aber nicht ausgezeichnet kapitalisiert und noch kreditaufnahmefähig. Leider ist diese Berechnung zwar etwas aussagekräftiger als etwa die Ver­schuldungs­situation des Schwarzwaldes oder der Adria, aber nicht um viel. Die Welt ist kein Kreditnehmer, und das Aggregat sagt ohne Analyse der Schulden- und Vermögensverteilung nicht viel aus.

Befassen wir uns also mit dem staatlichen Anteil. Knapp 70 Billionen Euro, also nicht einmal 30 Prozent der weltweiten Schulden, sind Staatsschulden.

Da das Vermögen eines Staates nicht so leicht zu berechnen ist, werden die Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt ins Verhältnis gesetzt, dabei gilt diese etwas rustikale Bewertung:

  • unter 20 %  genial
  • 20–39 %  ausgezeichnet
  • 40–59 %  sehr gut
  • 60–69 %  gut
  • 70–80 %  befriedigend
  • 81–85 %  genügend
  • 86–100 %  nicht genügend
  • 101–150 %  sehr nicht genügend
  • 151–200 %  total nicht genügend
  • 200 % plus  außer Japan und Griechenland die Hölle

Werfen wir einen Blick auf die „Nicht genügend“-Kategorien, begegnen wir prominenten Staaten wie Japan, Griechenland, Italien und den USA. Den Gegenpol bilden die Länder in den Kategorien „genial“ und „ausgezeichnet“, in welchen sich Saudi-Arabien, Russland, Rumänien, Peru und Neuseeland wiederfinden. Die Vielfalt dieser Gruppen ist doch beeindruckend.

Was, bitte, lernen wir da eigentlich? Bei den extrem niedrig verschuldeten Ländern gibt’s im Wesentlichen zwei Kategorien: die, die keine Schulden benötigen, weil sie so wie Saudi-Arabien extrem hohe Einnahmen haben oder wie Neuseeland extrem gut wirtschaften. Und dann die, die keine Schulden haben, weil ihnen kaum jemand Kredite gibt, sei es, dass sie boykottiert werden, miserabel wirtschaften oder weil man ihnen einfach nicht vertraut. Bei den extrem hoch verschuldeten Ländern wird eine Kategorisierung deutlich herausfordernder.

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Zahlen & Fakten

Sie steigen und steigen: Corona hat den Staatsschulden weltweit einen zusätzlichen Schub verliehen. Es gibt freilich auch einige Staaten, die beim Wirtschaften auf Pump zurückhaltend sind. Sie fahren wirtschaftlich deutlich besser.

Setzt man die Staats­schulden ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), erhält man die Staats­schulden­quote, eine einfache, aber aussage­kräftige Zahl. Laut Maastricht-­Kriterien sollten EU-Staaten darauf achten, die Staatsschuldenquote nicht über 60 Prozent anwachsen zu lassen.

Warum ist Japan kein Problem?

Ein Sonderfall ist Japan mit der weltweit höchsten Verschuldung, die allerdings praktisch nur im Inland besteht. Aus diesem Grund eignet sich Japan gut, um die Verträglichkeit von Schulden zu diskutieren. Diese Diskussion ist notwendig in einer Zeit, in der Staaten wie Deutschland und Österreich mit Schuldenmachen dank Negativzinsen Geld verdienen können und daher zahlreiche Politiker dazu tendieren, Schuldenmachen zu verniedlichen. Warum ist Japan mit einer Schuldenquote von 256 Prozent relativ gelassen, während Italien mit 160 Prozent als Krisenfall angesehen wird?

Rasche Alterung

Japans Zentralbank hält in etwa die Hälfte aller japanischen Staatsschulden, der Rest wird im Wesentlichen von der japanischen Bevölkerung gehalten. Japan hat seit 30 Jahren keine Inflation, extrem niedrige Zinsen und praktisch kein Wachstum. Die Geburtenrate ist sehr niedrig, die Bevölkerung altert daher relativ schnell. Also müssen immer mehr nicht arbeitende Japaner von immer weniger arbeitenden erhalten werden. Eine ähnliche Entwicklung haben wir in fast allen europäischen Staaten. Nun sind die Japaner nicht nur disziplinierter, sondern auch sparsamer als die meisten Europäer. Auch hier erleiden wir in der Eurozone und in einigen anderen Währungen Europas seit einigen Jahren ein ähnliches Schicksal.

Die Sparsamen, Älteren sterben langsam weg, und die jüngere Generation hat ein weniger ausgeprägtes Sparverhalten. Es liegt auf der Hand, dass die Japaner in Zukunft weniger in Staatsanleihen investieren werden und die Bank of Japan in Zukunft mehr ­davon wird kaufen müssen, will sie ­einen rapiden Zuwachs der Auslandsverschuldung vermeiden. Schon jetzt hat aber die Zentralbank mehr Staatsschulden, als die gesamte japanische Volkswirtschaft in einem Jahr erwirtschaften kann. Alternativ kann man natürlich auch die Steuern erhöhen, aber dies würde die Sparquote weiter absenken.

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Zahlen & Fakten

Es gibt im Wesentlichen drei Kategorien von Schuldnern:

  • Menschen
  • Betriebe
  • Staaten, Gemeinden und andere öffentliche Hände

Alle drei Kategorien können ­theoretisch so viel Schulden auf­nehmen, wie sie wollen – gesetzt den Fall, dass man sie lässt. Dass sich also jemand findet, der ihnen Geld borgt. In diesem Sinn ist die Höhe der Schulden, die es auf dieser Welt gibt, schlicht und einfach das Resultat von Angebot und Nachfrage.

Die Situation in Japan ist langfristig bedenklich, weil dem Land aufgrund seiner hohen Verschuldung die Alternativen ausgehen. Europa und viele andere Staaten der Welt sollten die japanische Situation genau studieren und sehr ernst nehmen. Die Europäische Zentralbank hält zwar derzeit erst gut 20 Prozent der Staatsschulden der Eurozone, aber bei der Neuverschuldung sind es schon über 90 Prozent. Italien hat zwar eine niedrigere Verschuldung als Griechenland, wird aber aufgrund der Größe seiner Volkswirtschaft als das wichtigste Problemland der EU angesehen.

Jetzt könnten Japan und Italien nicht unterschiedlicher sein – sind es aber in mancher Hinsicht gar nicht. Beide haben hohe Schulden und eine rasch alternde Gesellschaft, beide haben eine Migrationsphobie, beide haben eine in Teilen gut funktionierende Wirtschaft, und beide haben hohe Vermögenswerte in breiten Teilen der Gesellschaft. Beide Länder haben das Glück, dass der Wohlstand vor der Über­alterung kam! Dieses Glück haben ­viele Länder der EU nicht. Alle EU-­Länder Zentral- und Osteuropas haben eine rasch alternde Gesellschaft, wenig Einwanderung, Abwanderung und deutlich weniger Wohlstand als Westeuropa. Zum Glück haben die meisten dieser Länder auch niedrige Staatsschulden. Aber auch mit diesen Ländern wird es nicht leicht sein, eine ­gemeinsame Schuldenpolitik zu definieren.

Japan und Italien haben das Glück, dass der Wohlstand vor der Überalterung kam.

In einer Union mit Ländern über 150 Prozent und Ländern unter 50 Prozent Staatsschulden und sehr unterschiedlichen Vermögenssituationen gibt es unendlich viel unproduktiven Zwist. Wären alle im „Sehr gut“- bis „Genügend“-Bereich, gäbe es diesen Konflikt nicht. In einer Union aber, in der die Volkswirtschaft eines Landes (Dänemark) an die vier Monate bräuchte, alle Staatsschulden abzudecken, wenn sie nichts anderes machte, als Schulden zurückzuzahlen, und ein anderes wie Italien 18 Monate, muss man mit dem Thema noch behutsamer und solidarischer umgehen als in Japan, Australien oder den USA. Will Europa in Zukunft wirtschaftlich und politisch auf dieser Welt wieder eine Rolle spielen, muss eine starke Angleichung der Schuldenstände erfolgen – und zwar je schneller, desto besser.

Gesundheit!

Die Antwort auf „Wie viel Schulden verträgt die Welt?“ ist letztlich einfach: Erstens ist die isolierte Betrachtung von Schulden nicht aussagekräftig, sie müssen immer im Verhältnis zu Vermögenswerten und Einkommen betrachtet werden. Und zweitens gilt für Staaten und Gebietskörperschaften, Städte und Unionen wie für Menschen und Wirtschaftseinheiten: Finanzielle Gesundheit ist wichtig für eine Gesellschaft. Egal ob Familie, Betrieb oder Staat, wenn man sich permanent Sorgen machen muss, ob man seine Schulden bedienen kann, dann ist das eine massive Beeinträchtigung der Lebensqualität. Zurzeit machen sich leider viele Staaten zu wenig Sorgen. Sie haben ihre Bürger, die sie über Steuern oder negative Realzinsen zur Kasse ­bitten können, oder so wie jetzt in der Eurozone über beides. Chancen verpassen wir aber auch so, und der sichere Blick in die Zukunft fehlt.

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Conclusio

Die weltweiten Schulden liegen derzeit bei 240 Billionen Euro. Österreichs Staatsschulden steigen heuer auf knapp 350 Milliarden Euro oder 87 Prozent der jährlichen Wirtschaftskraft. Durch Corona werden die Schulden wachsen. In vielen Staaten gibt es eine rasch ­alternde Bevölkerung, wodurch sich das Problem der Schuldenrückzahlung vergrößert. Japan ist besonders verschuldet, hat aber den Vorteil, dass die meisten seiner Schulden im Inland liegen. Die Politik auf Pump stellt in der Eurozone ein besonderes Problem dar, da einzelne Länder die Währungsunion gefährden können. Doch auch unabhängig davon sorgen hohe Schulden dafür, dass Chancen verpasst werden.